30.05.2007: Wiedersehn mit “Friedrich”

Moritz wiegt seinen Milo in der Maxvorstadt, Andrea versucht sogar, ihn zu stillen. Peter wiegt seine Loredana in der Sahara und Wolfgang seine Carmen am Soyensee. Günther kämpft um Sponsoren für sein Yspahan-Puzzle. (Könnte es sein, daß wir WPG-Hobby-Spieler nicht nur den Aufwand für den geplanten Spiel-Wettbewerb a la St. Petersburg tragen müssen, sondern auch noch die Sieger-Preise aus der eigenen Amateur-Kasse tragen? “Ystari” ist halt noch kein Großverlag, der diese Kampagne aus seiner kleinen Porto-Kasse finanzieren kann! Günther kämpft noch.) So kam diesmal nur eine kleine intime Dreier-Runde zustande.
1. “Friedrich”
In der Konkurrenz gegen “Tempus” und “Mykerinos” setzte sich “Friedrich” problemlos durch und ließ auch gleich die Stimmung in die Höhe schnellen. Schon beim Vorbereiten der Startaufstellung konnte Aaron seine euphorische Erinnerung nicht zügeln: “Das Spiel ist wahnsinnig gut ausbalanciert! Das ist faszinierend!”
Eine Stunde durfte Aaron die Regeln vortragen, für Hans als Neu-Information und für mich zur Auffrischung. Wir hörten andächtig zu, nicht nur, weil er eine angenehme Stimme hat und gut vortragen kann, auch weil das Spiel einfach stimmig ist und das in jedem Satz des Regelwerkes zum Ausdruck kommt.
“Friedrich” ist ein Kriegsspiel. Kampf, Deckung, Eroberung, Versorgung, Rückzug und Flucht sind die Begriffe, in denen sich das Spielgeschehen abspielt. Die Parteien müssen ihre Armeen aufmarschieren lassen, Schlachten schlagen, gegnerische Truppen dezimieren oder deren Tross zerstören, und als Siegbedingung eine Reihe von Städten erobern. Friedrich, der Große, ist der große, asymmetrische Gegenspieler aller anderen Parteien. Er kann das Spiel nur gewinnen, wenn er einen Sieg aller seiner Gegner verhindert. Truppen sind schlichte, zufällig verteilte Kampfkarten, die in einer Art Stichspiel den Sieger einer Schlacht bestimmen. Doch trotz unverkennbarer Zufallseinflüsse bestimmt letztendlich eine überlegene Planung, abgestimmte Truppenaufstellung, dosierte Angriffe und ein geordneter Rückzug den Sieger:
“Das Kriegsglück wechselt mit dem Können!”
Aaron machte uns den Friedrich. Es war das erste Mal in seinem Leben, daß er diese Rolle spielen durfte. Normalerweise haben sich die streitlustigeren unter den Westparkgamers diese Rolle schnell unter den Nagel gerissen. Er schwächte freiwillig den linken Flügel gegenüber Russland und konzentrierte sich auf die Auseinandersetzung mit Maria Theresia um die schlesischen Besitzstände. Elisabeth von Russland konnte sich widerstandslos die ostpreussischen Siegstädte einverleiben, bis dann der Vorstoß ins preussische Zentrum zu einem zähen Stellungskampf ausartete.
Hans führte die Österreicher und die Reichsarmee. Mit seinen 5 österreichischen Generälen und ihren 30 Armeen kam er noch einigermaßen flott über die Runden. Doch die winzige Reichsarmee mit ihrem einzigen General und der einzige Kampfkarte, die ihr pro Runde zustand, forderte sein strategisches Genie heraus. An seinen militärischen Operationen nagte er fast so lange wie Pompejus vor Philippi. Und mit dem gleichen Erfolg. Als er die Reichsarmee abgeben mußte, war es nur noch ein armseliger versprengter Haufen ohne Moral und Ziel. – In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister! Oder auch nicht!
Im Mittelteil der Spieles konnte Walter mit Karo von der schwedischen und Pik von der russischen Seite her “Friedrich” erhebliche Verluste beibringen, aber es reichte für ihn selbst nicht einmal zu Pyrrhus-Siegen, es waren eher Pyrrhus-Niederlagen. Doch Friedrich war geschwächt und mußte auf ungünstigem Karo-Gelände die Eroberung der letzten freien Siegpunkt-Städte durch Östererreicher verhindern. Ein Entsatz-Angriff auf die ungeschützen Städte auf böhmischem Boden hätte hier noch mal das Blatt wenden können, doch er warf alle seine Truppen an die schlesische Front – und unterlag. Elisabeth von Russland war noch nicht gestorben, Frankreicht hatte Kanada noch nicht an die Briten verloren und die Schweden hatten noch keinen Separatfrieden geschlossen. Die Geschichte war wieder einmal umgeschrieben worden.
Zum ersten Mal stellte sich bei uns die Frage, ob “Friedrich” nicht einen deutlichen “Kingmaker-Effekt” in sich trägt. Wenn Preussen am Ende ist, kann es seine restlichen Truppen einseitig gegen irgendeinen Gegner aufmarschieren lassen und damit allen anderen Spielern das Tor zu einem ungehinderten Sieg öffnen. Das ist wohl wahr. Doch “Friedrich” gelingt es, selbst bei den dicksten Pazifisten noch die letzten kriegsspielerischen Hormone zu aktivieren, so daß sie den Eroberungs- oder Durchhaltekampf bis zum letzten Tropfen Blut hinauszögern, und dabei gegen jedermann einen fairen Kampf liefern. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht, warum das so ist, aber es ist so!
Daß es noch dazu an keiner Stelle seinen spielerischen Charakter verliert, macht es für mich zum besten Kriegsspiel deutscher Produktion.
WPG-Wertung: Zum sehr hohen WPG-Durchschnitt von 8,7 Punkten vergab Hans auch noch 9 Punkte (“weil Preussen eine Chance hat”)