18.02.2009: Mit der “Gulf, Mobile & Ohio” zum “Palais Royal”

Unsere Notengebung für Spiele ist keine Doktorarbeit. Oft genug entspricht sie lediglich dem Bauchgefühl des ersten Eindrucks. Wenn man allerdings 500 verschiedenen Spiele bewertet hat, dann reicht oft eine bescheidene Auseinandersetzung mit einem neuen Spiel, um treffsicher gute oder schlechte Noten zu vergeben. Meist vergeben wir fast punktgenau die gleichen Noten, wenn wir Jahre später ein Spiel nochmals auf den Tisch bekommen.
Ein Ausnahme ist jetzt “Chicago Express”, das innerhalb von 3 Monaten in unserer Sympathie deutlich Federn lassen mußte. Ganz ähnlich wie ein Wein, der beim Winzer auf Anhieb überzeugt, aus dem eigenen Weinkeller auf den Tisch gebracht aber nur noch schale Erinnerungen wecken kann. Keiner ist perfekt, “Chicago” nicht, der Wein nicht und die Westpark-Gamers auch nicht.
1. “Palais Royal”
Jeder Spieler hat 20 Pöppel, die er in die Amtsstuben um den französischen Königshof zum Antichambrieren ausschickt. In der Münzerei besorgen sie Kleingeld, im Ehrenhof verschaffen sie für sich und ihresgleichen Bewegungsfreiheit, im Kabinett des Königs erhalten sie türkisfarbene Orden und im Kabinett der Madame de Pompadour gibt es violette Orden. Hat man die benötigten Utensilien zusammen, darf man sie gegen Adelige eintauschen, die Siegpunkte bedeuten.
Im richtige Verteilen der Pöppel zum optimalen Anschaffen liegt der ganze Witz. Wem das nicht reicht, der darf sich auch noch über die rechte Nutzung von “Vorhöfen” und “Hintereingängen” lustig machen. Ansonsten ist nicht viel dran am königlichen Palast. Nach wenigen Zügen weiß man, wohin der Hase läuft und im weiteren Verlauf ändert sich daran auch nichts mehr. Dynamik fehlt gänzlich. Aaron: “Es ist ein einfaches Spiel mit wenigen Elementen und ziemlich repetitiv.” Als Kinderspiel ist es auch nicht geeignet, dazu enthält es zu viele verschluckbare Kleinteile. Moritz, der sich besonders auf das Boudoir von der Pompadour gefreut hatte, war enttäuscht: “Es ist ein total abstraktes Spiel, ohne jedes Thema. Dagegen konnte ich mich selbst bei Puerto Rico noch als richtiger Plantagenbesitzer fühlen.”
Das einzige Spannungselement besteht darin, ob der Vorgänger einem den Adeligen wegnimmt, auf den man gerade seinen Erwerbsinn gerichtet hat. Deswegen kann man leider auch nicht denken, wenn man nicht am Zug ist; der gerade anvisierte Adelige könnte ja noch in die falschen Hände geraten. Wenn Günther später auch noch das Setztableau analysiert hat, d.h. wenn die Fragestellung geklärt ist, in welcher Reihenfolge und Quantität man seine Pöppel auf Anschaffe schicken soll, dann ist das Spiel nicht nur tot, sondern mausetot.
Moritz lief mit 63 Siegpunkten vor Günther mit 59, Aaron mit 46 und Walter mit 37 Punkte ins Ziel ein. Bei der Summe der jeweiligen Denkzeiten war es umgekehrt.
WPG-Wertung: Aaron: 6, Günther: 5, Moritz: 5, Walter: 5
2. “Gulf, Mobile & Ohio”
Der Verlag “Winsome Games” hat zu Essen 2008 eine ganze Reihe von Eisenbahnspielen herausgebracht, die wir uns aus alter 18xx-Tradition heraus natürlich nicht entgehen lassen dürfen. Jedes Spiel hat einen anderen Autor und neue Ideen für die Hexateile zum Streckenbau, die bunten Holzwürfel für den Gleisbesitz und die Mini-Anzahl freier Shares für eine Maxi-Anzahl verschiedener Eisenbahngesellschaften.
Das besondere bei “Gulf, Mobile & Ohio” ist der konfliktbelastete Bau von Gleisstrecken durch die verschiedenen Eisenbahngesellschaften. Jede Gesellschaft bekommt bei ihrer Gründung eine feste Farbe zugewiesen, mit der sie ihr Streckennetz bauen muß. Dabei darf sie mit dem Netz gleichfarbiger fremder Linien nicht in Berührung kommen. Das schafft kniffelige topologische Denkübungen, wieviel eine Linie in einer gegebenen Bauphase gerade wert ist.
Nur der Gleisbau liefert Siegpunkte; Geld und Aktienanteile sind in der Endabrechnung absolut bedeutungslos. Leider spielt hier auch der Zufall eine erhebliche Rolle: Wer Glück hat, der hat gerade dann die notwendigen Barmittel auf der Hand, wenn eine lukrative Linie gegründet werden kann. Genau auf solche Zeitpunkte hin zu sparen und allzeit bereit zu sein, funktioniert auch nicht, denn der bisherige Aktienbesitz wird regelmäßig mit Beträgen in der Größenordnung von Infineon-Dividenden honoriert, und Kleinvieh macht auch Mist.
So ist das ganze eine ziemlich unübersichtliche, mühsame Siegpunkt-Erbauereri. Fehler werden nicht verziehen. Wer – warum auch immer – in der Frühphase mit Besitz und Punkten davongezogen ist, ist bald nicht mehr einholbar. Die Dummen oder die Pechvögel haben sehr bald das Nachsehen und können dann die restliche Stunde Spielzeit zuschauen, wie der Führende seine Position Infineon auf Infineon ausbaut.
Viel kann man beim Kauf des Spieles nicht falsch machen: Es ist nicht mehr erhältlich. Die Miniauflage von 80 Stück war bereits verkauft, bevor der Verlag seinen Stand in Essen aufgebaut hatte. Günther hatte bereits im Vorverkauf das handsignierte 64. Exemplar erstanden. Einfach aus Liebe zum Eisenbahnspielprinzip. Zum gleichen Spielprinzip, das Moritz nach wiederholtem Bekunden zutiefst haßt: Eisenbahnaktien und Hexagons. Doch auch Günther gestand: “Das nächste Mal werde ich es wohl nicht mehr kaufen.”
WPG-Wertung: Aaron: 5, Günther: 6, Moritz: 4, Walter: 5
3. “Bluff”
Ungewöhnlich emotionale Anfeindungen zwischen dem Übertreiber Moritz und seinem anzweifelnden Hintermann Aaron. Nach zwei Spielen war Moritz ausgeschieden und sann nur noch auf Rache.
Doch Aaron ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er korrigierte Moritz sogar später im nächsten Durchgang, als der irrtümlich einen Würfel mehr als notwendig abgeben wollte: “Ein bißchen will ich Dich noch quälen!”