9.6.2010: Fressen und Schmieren

Wir sind Doktor! Peter hat grade den Doktortitel erworben. Sein Thema „Philologischer, historischer und liturgischer Kommentar zum 8. Buch der ‚Johannis’ des Goripp nebst kritischer Edition und Übersetzung“. Sein geiles Werk liegt auf Grund zweier grandioser Fehldrucke leider immer noch nicht in Buchform vor, aber den Titel darf er schon führen. Auch Andrea hat dieses Jahr den Doktor gemacht. Und voraussichtlich wird unser Moritz dieses Jahr sogar noch Professor an der Akademie werden. Ohne Doktortitel!
doktorhut
Als Freund vom Wissenquiz kann man daraus natürlich sofort die Frage ableiten: „Was ist im akademischen Bereich höher-rangig: der ’Doktor’ oder der ’Professor’? Obwohl wir gerade Doktor geworden sind, kann ich diese Frage nicht schlüssig beantworten!
1. “7 ATE 9”
Ein kleines Kartenspiel, das Moritz auf der Spiel 2009 schon mit der Autorin Maureen Hiron und Tom Vasel von den Boardgame-Geeks gespielt hatte. Um uns das Spiel noch schmackhafter zu machen, beteuerte Moritz, daß die Autorin eine „bekannte Bridgespielerin“ sei. Diese Finte konnte Walter aber sofort durchschauen. Er kennt alle Top-Bridgespielerinnen der Welt. Wenigstens dem Namen nach! Es sind ja nur 8 1/2.
Beim Auspacken des Kartenstapels erkannte Aaron sogleich, daß es sich bei „7 ATE 9“ um eine Art „Advanced Mau-Mau“ handeln müsse. Moritz unterstrich den „real-time“ Charakter des Spiels. Was ist das? Wir müssen wie bei Mau-Mau aus unserer Kartenhand jeweils eine Karte passend zur letzten Karte auf dem Tisch zugeben, es geht aber nicht geordnet reihum, sondern wer als erster entdeckt, daß er eine passende Karte besitzt, darf sie asynchron sofort auf den Tisch legen.
Da kann doch ein Blinder mit der Krücke sehen, dass dieses unkoordinierte Vorgehen sofort Diskussionen und Rechthabereien darüber auslösen wird, welcher von zwei Spielern zuerst seine Karte hingelegt hat. Diese Blindenvision wurde ignoriert, doch Walter nutzt schon die ersten Kollision, um sich vom Spiel zurück zu ziehen. „Nix für mich, streitet euch ohne mich!“ Aaron war der zweite, der dieses Spielprinzip schon vom Prinzip her nicht akzeptierte. Die anderen drei spielten in weniger als zwei Minuten den Sieger aus. Das war’s dann auch schon.
WPG-Wertung: Aaron: 3 (weil’s funktioniert, ansonsten die nicht beantwortete Frage. „Was ist an dem Spiel gut?“), Loredana: 1 („ist kein Spiel“), Moritz: 5 („für die geforderte schnelle Reaktion“; vielleicht auch in memoriam der besten Bridgespielerin der Welt), Peter: 2, Walter: 2 („kein Spiel für den Westpark“)
2. “Maria”
Das neue Spiel von Richard Sivel. Eine Weiterentwicklung von „Friedrich“, mit den gleichen Kampfmechanismen, einer ähnlichen Geographie von Mitteleuropas und einer modifizierten historischen Grundlage.
Doch wir waren heute zu fünft, und „Maria“ geht nur zu dritt. Leider. Moritz packte das Material bedauernd wieder ein.
3. “Macht$piele”
Dieses Spiel geht mit bis zu 5 Mitspielern; wir haben es am Westpark bisher aber nur zu viert gespielt. Peter und Loredana waren heute die Frischlinge.
Schon während Aarons Erklärung erkannte Peter messercharf: „Das Spiel ist sozialkritisch!“ Nur ob hier die Sicht von „Ihr dort oben“ oder die von „wir hier unten“ zugrunde lag, blieb noch offen.
Bereichsleiter dürfen abdanken. Loredana – noch ist sie keine Deutsche – fragte: „Was heißt ‚abdanken’“?Unisono-Antwort des deutschen Männerquartetts: „Zurücktreten“. Für Sprachetymologen immerhin bemerkenswert, dass im Verb ‚abdanken“ das Wort „Dank“ enthalten ist. Vielleicht kommt das daher, daß in früheren Jahrhunderten die Führer (oder ihr Fußvolk) deutlich honoriger waren als heutzutage und immmer „mit Dank entlassen“ wurden.
Über diesen Bedeutungsklärungen tauchte natürlich sofort die Frage auf: „Hat Köhler abgedankt?“ „Nein, er hat den Schwanz eingezogen!“ (Dieser Satz in diesem Zusammenhang ist nicht meine Wortschöpfung, er ist lediglich ein wörtliches Zitat aus den heutigen Beiträgen. Ich hoffe, dass ich jetzt nicht wegen Verunglimpfung der Ex-Obrikeit belangt werden kann.)
Abgedankte Bereichsleiter haben zwei Verwendungsmöglichkeiten: Entweder gehen sie in den Vorstand, oder sie werden externe Berater. Welche Alternative hat wohl unser Holzkohlenhersteller gewählt?
Als Aaron auf den Punkt „Korruption“ zu sprechen kam, konstatierte Loredana: „Das ist ist Realität!“. Ein Mädchen von knapp über 17, für die das Leben gerade erst angefangen hat! Nach weiteren Details konnte Peter aufklären: „Korruption ist etwas Gutes!“.
Umfangreiche wirtschaftspolitische Kommentare aus mehr als 200 Jahren Gesamtlebenserfahrung begleiteten die Regelerklärung und der Witz der aktuellen Lage ließ manchen Ernst der Macht$piel-Regeln untergehen. So kam es auch gleich in der ersten Runde zu einem neuartigen Spiel-Skandal am Westpark:
Peter hatte für Walters Boss-Privileg 250 Mille Schmiergeld rübergereicht und der hatte sich mit Schmerzen vom Gedanken an die Gründung einer neuen Hauptabteilung getrennt. Da zog Aaron die nächste Ereigniskarte: „Der Boss wird entmachtet.“ Das Privileg ist nichts mehr wert. Walter kassierte als abgedankend-werdender Boss immerhin noch 200 Mille Entschädigung, doch Peter war das Objekt der Begierde unter den Hand zerfallen. Dagegen protestierte er unverzüglich: „Ich habe diese Regel nicht gekannt. Das Boss-Privieg ist das einzige, das per Ereigniskarte neutralisiert wird. Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich niemals dafür etwas geboten.“
Walter wollte natürlich seine 250 Mille nicht wieder rausrücken, höchstenfalls die Hälfte. Doch damit war Peter nicht zufrieden zu stellen. Was tun?
Mit drei weinenden Augenpaaren fingen wir die „Macht$piele“ nochmals von vorne an. Doch Widerwille und Animositäten waren schnell verflogen. Friedlich und fröhlich ging der konstruktive Intrigenkampf über die Bühne, jeder sah den Sieg vor Augen, Peters brach sogar in frühzeitiges Frohlocken aus, doch das Hosianna-Singen mußte er einem anderen überlassen.
Dem Sieger war sicherlich eine glückliche Erzfeindschaft zu gute gekommen. Die gewollte Unsymmetrie bei der Verteilung der Erzfeindschaften erzeugt nämlich bereits in der Startaufstellung ungleiche Siegchancen. Bekommen zwei Mitspieler sich zufällig gegenseitig als Konkurrenten zugeteilt, dann tun sie sich deutlich schwerer, hier den vierten Siegpunkt zu ergattern, als ein Sologänger, der locker und unbemerkt an seine Sonderaufgabe herangehen kann.
Doch Macht$piele ist ein dermaßen gut ausbalanciertes Spiel, so dass wir mit einem berechtigten Urvertrauen uns darauf verlassen wollen, dass Eggert-Spiele an den verschiedenen Einstellschräubchen so lange gedreht hat, bis die verschiedenen Wege zum Sieg nach Menschenvermögen gleich lang sind. Der Rest ist Spiel.
Es war noch nicht zu spät und zum Verifizieren der Chancengleichheit schlug Moritz vor: „Laßt es uns doch einfach nochmals spielen!“ Wir waren fast dazu geneigt. Doch dann pfiff aus der Ferne schon die vorletzte U-Bahn und Peter wollte keinesfalls auf einen Absacker verzichten.
Der bisherige WPG-Durchschnitt von 7,5 Punkten wurde genau gehalten: Loredana: 7 („die erste (abgebrochene) Runde hat mir besser gefallen“), Peter: 8 („nett & spannend“, anschaffenswert, Obletter macht’s möglich)
4. “Bluff”
Aaron stand im Endspiel mit einem Würfel gegen drei Würfel von Moritz. Mit einem Stern unter dem Becher begann er mit 2 mal die Zwei. Moritz hob auf 3 mal Eins! Was jetzt? Aaron probierte es mit 2 mal Stern? 4 mal die Eins wäre es gewesen. Claro. Post mortem!
Peter erlebte „das schönste Endspiel meines Lebens“. Viel Spiele hintereinander konnte er durch die exakte richtige Vorgabe alle seine Gegner gleichzeitig um jeweils einen Würfel kürzen. Bis er alleine übrig blieb.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

3 Gedanken zu „9.6.2010: Fressen und Schmieren“

  1. “Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich niemals dafür etwas geboten”

    Entgleitet dem frisch gebackenem “Dr.” das Spielerische oder geht es grundsätzlich eher angespannt bei euch zu? Also lieber “Ein Spiel ist erst dann ein Spiel, wenn man merkt, dass hier nicht gespielt wird (Arthur Feldmann)” versus “Ein Spiel ist kein Spiel mehr, wenn es mit zu großem Ernst betrieben wird (Willy Meurer)”?!

  2. Du hast ja vollkommen recht: ein Spiel ist ein Spiel.
    “Angespannt” im Sinne von latenter Aggressivität geht es bei uns selten zu. Doch ein paar junge Platzhirschen brennen natürlich darauf, jedes Spiel zu gewinnen.
    Dass gestern die Beschwerde über eine Regelunkenntnis zum Abbruch geführt hat, war eine Neuheit, deswegen habe ich es auch erwähnt. Normalerweise schlucken wir solche Schäden kritiklos runter.
    Ich kann mir auch nicht so recht erklären, wie und warum sich diese Situation so zugespitzt hatte. Vielleicht weil der Betroffene ein Amateur-Politiker ist; diese Naturen schlachten ja von Haus aus jede unklare Situation zu ihren Gunsten aus.
    Doch glücklicherweise waren wir gestern alle sehr locker drauf (einschließlich des Beschwerdeführers) und dieser Neuanfang hat hinterher der spielerischen Gesamtatmosphäre keinen Abbruch getan.
    Komm doch mal vorbei und sehe selbst, welchen Typen sich bei uns am Westpark tummeln!

  3. Kleine Korrektur, Walter: Musik wird in Deutschland nicht an Akademien gelehrt, sondern an Hochschulen und (seltener geworden) an Konservatorien. In Bayern gibt es weder Musikakademien noch (seit kurzem) Musikkonservatorien.

    In München gibt es eine “Akademie der Bildenden Künste”, da lernen angehende bildende Künstler (Maler, Bildhauer, etc.).

    Dann gibt es eine “Bayerische Akademie der Schönen Künste”, bei der ich zwar Mitglied bin, aber an der überhaupt nicht gelehrt wird, sondern:

    “Die Bayerische Akademie der Schönen Künste ist eine Vereinigung von namhaften Persönlichkeiten aus dem künstlerischen Leben. Sie wurde im Jahr 1948 vom Freistaat Bayern als “oberste Pflegestelle der Kunst” gegründet. In ihr lebt eine Idee der 1808 konstituierten Königlichen Akademie der Künste zu München wieder auf, die nach der Gründungsurkunde von Schelling auch eine “freie Kunst-Gesellschaft” sein sollte.

    Bis zum Jahr 1968 hatte die Akademie ihren Sitz im Prinz-Carl-Palais. In den folgenden vier Jahren war sie provisorisch am Karolinenplatz untergebracht. Seit dem Jahr 1972 befindet sich die Akademie im Königsbau der Residenz. ” (Text von der Website).

    Schließlich und endlich gibt es in München noch die “Staatliche Hochschule für Musik und Theater” in der Arcisstrasse 12 – auf englisch bezeichnet sich die übrigens als “University of Music”, weil es im Ausland den Begriff “Hochschule” nicht in Zusammenhang mit musikalischen Bildungsinstituten gibt (die direkte Übersetzung “High School” ließe eher an amerikanische Oberschulen denken).
    Und genau dort bin ich ab September Professor….

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