13.10.2010: Amerikanische und europäische Zufälle

Mal wieder ein ausgiebiger Briefwechsel bei den Westparkgamers über Zufälle im Spiel, die ganz unterschiedlich bewertet werden. Moritz preschte vor: „Es es gute Taktikspiele, die Zufälle kennen – bestes Beispiel ist Backgammon! Bei den card driven-Wargames ist es ähnlich: sehr viele Zufälle: Kartenauswahl, Würfelwürfe, etc. Dennoch wird das Spiel letztlich von den strategischen und taktischen Entscheidungen getragen.“
Doch hier werden Äpfel mit Birnen vermischt. Günther brachte es auf den Punkt: „Es gibt zwei Möglichkeiten, den Zufall in ein Spiel zu integrieren:
1) Man trifft eine strategische Entscheidung und würfelt dann aus, ob man erfolgreich war (american style)
2) Man erzeugt zufällige Auswahlmöglichkeiten und entscheidet dann strategisch, welche Möglichkeit man wie benutzen möchte (eurogames).
In der ersten Variante fühlt man sich dem Zufall ausgeliefert – die zweite erhöht die Vielfalt im Spiel und man fühlt sich mehr als seines eigenen Glückes Schmied …“
Aaron, Hans und Walter ergriffen sofort Partei für den eurogames-style. Die anderen haben sich noch nicht geäußert, doch zumindest Moritz wird gewiß ein exponierter Vertreter des american style sein.
1. “Coup Royal”
Ein neues Spiel aus der rührigen tschechischen Spieleschmiede Czech Games Edition. Ein bißchen erinnern die Spielzüge an „Adel verpflichtet“. Alle Spieler schicken verdeckt je einen Dieb und je einen Detektiv zu den ingesamt sieben Aktionshäusern, in denen verschiedenfarbige Edelsteine (Karten) ausgelegt sind. Ist mindestens ein Detektiv in einem Aktionshaus, so ist der Raub vereitelt. Ein Dieb alleine in einem Aktionshaus bekommt die Auslage, zwei oder mehr Diebe hindern sich gegenseitig und werden mit einem Trostpreis abgespeist.
Ein gewisser Pfiff kommt noch durch die Siegpunktwertung ins Spiel. Für jede Edelsteinfarbe erhalten nur die Spieler mit den relativen Mehrheiten Siegpunkte, die anderen gehen leer aus.
Bei jeder neuen Runde mit neuer Auslage fängt die Psycho-Aufgabe an, zu errraten, für welche Auslage sich wohl welche Mitspielerdiebe interessieren und welche Auslagen wohl durch Mitspielerdetektive geschützt werden. Andrea gewann haushoch. Ein klarer Beweis dafür, daß die Gedanken einer Frau für Männerhirne einfach nicht ergründbar sind.
WPG-Wertung: Aaron: 6 („Belohnung für das Einfühlungsvermögen in die Bedürfnisse anderer Spieler“), Andrea: 6 („schnell und knackig“ – Das „knackig“ bezog sich auf die bildliche Darstellung der handelnden Personen auf den Karten), Hans: 5 („zu viele Aktionshäuser“), Moritz: 5 (zu repetitiv), Walter: 4 (kein Freund von american style Zufälligkeiten).
2. “Das Kalte Herz”
Moritz’ Spielentwicklung über die Flößerei im Schwarzwald samt Teufel und böse Holländer hat sein Windelzeitalter hinter sich und fängt zu laufen an (siehe Session-Reports vom März und September diesen Jahres). Jetzt schwimmen immer genug Baumstämme in Nagold und Rhein. Die Bäume treiben mehr oder weniger zwangsläufig bis in die Staudämme. Das Öffnen der Dämme ist so lukrativ, daß die Spieler diese Aktion wählen, selbst wenn andere Mitspieler hinterher daraus ihre Flöße zusammenstellen können.
Flöße zu bauen ist unbedingt notwendig, weil man nur dadurch das nötige Geld für seine Folgeaktionen bekommt. Sein Startkapital allein ins Beten zu investieren genügt heute nicht mehr. Eine gute Kombination von frühem Böse-Sein (für eine kräftige Liquidität und für eine optimale Startspielerposition) und von spätem Gut-Sein (um hinterher doch noch in den Himmel zu kommen) scheint lohnenswert zu sein. Andrea beherrschte die Materie und konnte auch beim zweiten Spiel des Abends den Sieg auf ihrem Konto verbuchen.
WPG-Kommentare:
Aaron: „Viel zu lang. Noch unausbalanciert. Zu wenig Eigennutz bei verschiedenen Zügen.“
Andrea: „An vielen Stellen spielt noch jeder für sich allein.“
Hans: „Die Mechanismen funktionieren, insbesondere das Bietsystem mit den steigenden Kosten und die unterschiedliche Anzahl von Aktionsrunden beim freiwilligen Passen in einer Runde.“
Dann kam von ihm noch ein Statement, das die Tragik des Denkers kennzeichnet:
“Jede einzelne Aktion kostet eine Menge Gehirnschmalz und ist im Endeffekt irrelevant.“
Moritz: “Selbstverständlich ist Feintuning noch notwendig. Doch der Text war zufriedenstellend.”
Walter: „Alle Spielemente wurden genutzt, insbesondere wurde das ursprüngliche Spielziel erreicht, den Sieg nur über erfolgreichen Floßbau erzielen zu können. Allerdings gibt es noch ein paar Deadlock-Situationen, die den Spielfluß bremsen.“

In jedem Fall hat „das Kalte Herz“ sehr viele Elemente aus Hauffs Märchen thematisch sehr ansprechend umgesetzt.
3. “Bluff”
Aaron hatte im Nu seine Gegner abgestrippt und stand mit 5:1 Würfeln gegen Hans im Endspiel. Seine Vorgabe: 1 mal der Stern! Im Mut der Verzweiflung hob Hans auf 2 mal den Stern. Aaron legte zwei Fünfen heraus, hob auf 4 mal die Fünf und würfelte nach.
Hans hatte selbstverständlich (?) eine 5 unter seinem Becher. Wenn er jetzt anzweifelt, so hat er gewonnen, wenn keiner der drei nachgewürfelten Würfel eine Fünf war. Eine Wahrscheinlichkeit von immerhin ca. 30%!
Hans hielt es für wahrscheinlicher, daß Aaron mindestens 2 mal die Fünf nachgewürfelt hat und hob auf 5 mal die Fünf. Doch dafür ist die Wahrscheinlichkeit nur ca. 17%. Und dabei hatte Hans auch noch übersehen, daß Aaron bei einem schlechteren Wurf ja noch einmal hätte nachwürfeln können, und daß er bei einem besseren Wurf, d.h. bei 3 mal die Fünf ebenfalls gewonnen hatte.
Anzweifeln wäre es diemal gewesen. Zumindest für die Verkürzung auf 1:4.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

2 Gedanken zu „13.10.2010: Amerikanische und europäische Zufälle“

  1. Ich mag ja die Unterscheidung zwischen Glück- und Zufallsfaktor. Der Glücksfaktor begünstigt (oder benachteiligt) einen Spieler direkt, der Zufallsfaktor erhöht nur die Flexibilität der Auslage, beeinflusst die Spieler gleichermaßen oder nur indriekt. Beispiel: Die Plantagenauswahl bei Puerto Rico ist zufällig. Der Erfolg bei Risiko glücksabhängig.
    Bluff hat einen Glücksfaktor ;-)
    Aber einen American oder einen German Style? :-)

  2. Hallo Peer;
    Deine Bezeichungen Glücks- bzw. Zufallsfaktor konzentrieren das Phänomen auf ein Schlagwort, sie sind aber immer noch konventionell, d.h. man muß sie kennengelernt und akzeptiert haben, damit man sich mit ihnen verständigen kann.
    Die Begriffe “German Style” bzw. “European Style” (natürlich sind auch sie konventionell) finden schon lange eine einheitliche Verwendung bei vielen Spielekritikern, und sie wollen ausdrücken, dass wir es hier mit wohlkonstruierten Spielen zu tun haben, die einen spielerisch-intelligentem Spielespaß garantieren.
    Z.B. schreibt Michael Barnes 1995 über “die Siedler von Catan” : “We were blown away. It was the best board game we had ever played. It had dice, cardplay, trading, interaction, drama, a solid civilization, building/development theme, and it was just a lot of fun to play in a reasonable amount of time.”
    Ich persönlich verbinde dahingegen mit “american style” – vereinfacht ausgedrückt – eine Legion von Kriegsspielen, wo uns die Würfel zum hundertausendsten Male demonstrieren, dass Deutschland den 2. Weltkrieg nicht gewinnen konnte. Vielleicht bin ich voreingenommen.
    Ansonsten empfehle ich Dir zu diesem Thema die Doktorarbeit von Stewart Woods: “Convivial Conflicts: The Form, Culture and Play of Modern European Strategy Games.” Einen Link dazu findest Du unter der Rubrik “Artikel” auf unserer Internetseite.

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