20.07.2011: Würfelspiel und Liebeskunst

„Noch ein Kunstgriff, ihr Mädchen, um einen Mann zu angeln: Ihr müßt spielen lernen! Zunächst das Glücksspiel mit den elfenbeinernen Würfeln, sei es nun Choice, Verflixxt oder Bluff. Die Wertigkeit der Augenzahlen sei euch bekannt und ihr solltet mit den hierin enthaltenen Risikowahrscheinlichkeiten rechnen können. Als Geschicklichkeitsspiel solltet ihr das Mikado-ähnliche Spiel mit den lose geworfenen Kugeln beherrschen, und ihr solltet mit dem Spannungsbogen auf dem Liniennetz des Mühlespiels vertraut sein. Schlußendlich solltet ihr die strategischen Kraftflüsse im Schach kennen und wissen, wie man eigene Steine schützt und ungeschützte gegnerische Steine schlägt.
Es ist beschämend für ein Mädchen, wenn sie von alledem nichts versteht. Ein gekonntes Vorspiel ist der halbe Weg zu erfolgreicher Liebe.“

Diese Liebesspiel-Weisheiten lehrte schon vor ziemlich genau 2012 Jahren der gute alte Ovid in seiner „Liebeskunst“. Es ist allerdings bis heute umstritten, ob er darin alles ernst gemeint hat, oder ob er nicht schon damals eine gehörige Portion Verarschung in die „Ars amatoria“ hineingepackt hat.
1. “Choice”
Die moderne Version dieses römischen Klassikers hat Sid Sackson im Jahre 1989 herausgebracht. Vor 9 Jahren lag es zum letzten Mal bei uns auf dem Tisch. Ein Spieler würfelt für alle Mitspieler mit fünf Würfeln. Jeder Spieler gruppiert davon je zwei Würfel zu einem Paar, der fünfte Würfel ist das Überbleibsel. Von den beiden Würfelpaaren wird die Augensumme gebildet, und es wird für jeden Spieler gezählt, wie oft er bis zum Spielende jede einzelne dieser Summen bilden konnte. Die seltenen Augenkombinationen wie 2 oder 12 werden mit je 100 Siegpunkten honoriert, die Durchschnitts-Kombination 7 bringt dagegen nur 30 Punkte ein. Siegpunkte gibt es allerdings nur für Augenkombinationen, die ein Spieler bis zum Spielende mehr als 5 mal bilden konnte. Kommt eine Kombination weniger als 5 mal vor, so wird ihr Auftreten mit 200 Minuspunkten bestraft.

Das Bestreben eines jeden Spielers muß es sein, möglichst wenige und möglichst hoch dotierte Augenkombinationen zu bilden. Doch natürlich ist dies abhängig von den ca. 30 Würfen, die innerhalb eines Spiels auszuwerten sind. Ein bißchen kann man das durch eine taktische Wahl des Überbleibsels beeinflussen: Überbleibsel der Augenzahlen 1 und 6 bewirken, dass mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit wenige konzentrierte Augenkombinationen im mittleren Bereich gebildet werden können. Überbleibsel der Augenzahlen 3 und 4 führen bei der Summenbildung eher zu Extremwerten mit größerer Streuung. Doch mit etwas Glück bleibt einem die Streuung erspart und man kann die hohen Siegpunkt-Prämien einstreichen, ohne zugleich auf vielen Strafpunkten sitzen zu bleiben. Die Hoffnung stribt zuletzt.
WPG-Wertung: Aaron: 8, Andrea: 7, Günther: 8 (es macht Spaß), Moritz: 5 (unkommunikativ), Walter: 8.
Man beachte die mentale Weiterentwicklung von unserem Moritz: Vor 9 Jahren schrieb er noch in seinem Session-Report: „dieser Sucht erzeugende Klassiker machte einen Riesenspaß“. Heute fand er es eher „autistisch“. Doch wie sagte schon vor 60 Jahren der alte Bundeskanzler Adenauer: „Es kann mich niemand daran hindern, über Nacht klüger zu werden!”
2. “Strasbourg”
Letzten Monat schon mit Vergnügen gespielt, wurden diesmal Aaron und Andrea in die Geheimnisse der elsässischen Hauptstadt eingeführt. Jeder Spieler erhält den gleichen Satz Einflußkarten, mit denen er seine Ambitionen bei der Vergabe von Ämtern und Positionen geltend macht. Dazu bildet er Häufchen, mit denen er seine Konkurrenten beim Bieten auszustechen versucht. Andrea war etwas aus der Übung, sie fühlte sich beim Häufchen-Machen „total gestresst“. Offensichtlich wohltuend, denn hinterher bekannte sie: „Ich finde das Spiel super!“
„Strasbourg“ bietet eine Unmenge von Entscheidungsfreiheiten, wie man auf den verschiedensten Wegen zu Siegpunkten kommt. Keinen einzigen Zug sollte man ohne taktische und strategische Überlegung vornehmen. Und ständig unterliegt man dabei den teils verdeckten, teils erkennbaren Aktionen der Mitspieler. Auch die ausgiebigen Post-Mortem-Diskussionen über die eigenen Fehler belegen die meisterlichen Herausforderungen des Spieldesigns. Selbst unser Stratege Günther kämpfte verzweifelt um die richtige Dosierung seiner Einflußkarten. Seine Zwischenkommentare reichten vom „Das macht mit fertig!“ bis zum „Ich habe mich beim Häufchen-Machen völlig verkackt!“
Moritz hatte sich nicht verkackt. In einem risikoreichen Plan hatte er von Beginn an alles auf eine Karte gesetzt: Erst die richtigen Positionen im Stadtbild besetzten und dann in der letzten Runde den Bürgermeister ersteigern, um diesen Positionen einen üppigen Siegpunktsegen zuströmen zu lassen. Er bekam tatsächlich den Bürgermeister und konnte sich mit einem Zuwachs von 32 Siegpunkten (bei insgesamt 51) auf den ersten Platz hochkatapultieren.
WPG-Wertung: Aaron: 8 (bleibt), Andrea: 8 („total schön“), Günther: 8 (bleibt), Moritz: 8 („außergewöhnlich gut, hat aber nichts mit dem Thema ’Strasbourg’ zu tun“, er war allerdings seit 41 Jahren nicht mehr dort), Walter: 8 (bleibt).
3. “Choice”
Andrea mußte ihren Babysitter zuhause ablösen und konnte sich nur noch einen Absacker leisten. Der Riesenspaß „Choice“ wurde ein zweites Mal aufgelegt. Walters Vorschlag, die Warmduscher-Variante zu spielen, wurde abgelehnt. Hier werden die nicht ausreichend häufigen Würfelkombinationen nur mit 100 Strafpunkten bedacht und es werden ca. 10 Würfe mehr ausgewertet. Damit werden die extremen Augenkombinationen deutlich lukrativer.
Alle gingen sehr vorsichtig zu Werke und konzentrierten sich auf die billigen Augenkombinationen im Durchschnittsbereich. Erfolgreich: Alle Spieler landeten am Ende in Pluspunkten.
Dazwischen posaunten alle in unregelmäßigen Abständen höchst euphorisch ihre Zwischenstände hinaus: „Nur noch 170 Minus!“ oder „Jetzt bin ich im Plus!“. Höchst kommunikativ!
4. “Verflixxt”
Das schöne Kramer-Kiesling-Würfelspiel aus dem Jahren 2005 konnte erneut überzeugen. Auf Englisch heißt das Spiel „That’s life“ und Moritz erinnerte daran, dass die englische bzw. die amerikansche Sprache für das liebe und brave „verflixxt“ kein richtiges Pendant besitzt. „Damned“ ist etwas zu stark, und erst recht das „Fuck me right now“.
Keine neue WPG-Wertung.
5. “Bluff”
Der dritte und letzte Vertreter der Ovidischen Würfelspiele. Moritz hat schon etwas Übung darin, sich mit super Würfen auf einen Streich selber herauszukicken. Das ist die Einsamkeit des Genies, dass keiner seinen Sternen folgen kann.
Aaron gelang das seltene Kunststück, ohne einen einzigen Würfel Verlust als Sieger hervorzugehen.