21.09.2011: Riesen und Steuermänner

Als NPC (non-painting- companion) mit der besten aller Ehefrauen zu einem Malkurs in die einsamen Berge des Languedoc. Simon Fletcher hat gerufen und sieben Künstler aus fünf Ländern sind seinem Aufruf gefolgt. NPCs nicht mitgezählt. Aquarell-Kunst wird ganz groß geschrieben, ebenso die Cuisine Française. Doch spielerisch ist es ein ziemliches Ödland. Natürlich haben alle Kursteilnehmer in ihrer Kindheit schon einmal „Monopoly“ gespielt. Die beiden Engländerinnen kennen sogar „Bridge“, das schweizer Brüderpaar war für eine Schachpartie aufgelegt und das Ehepaar aus Egelsbach spielt regelmäßig „Doppelkopf“. Doch von „Settlers of Catan“ hat noch keiner etwas gehört; höchstens etwas von einer „Creme Catalan“! „Carcassone“ als Spiel ist ein Fremdwort, dabei liegt die zugehörige Stadt nur fünzig Kilometer entfernt.
Bevor wir uns zurück in das Eldorado am Westpark aufschwingen, machen wir noch einen Abstecher in die eindrucksvolle Burg der alten Albigenserstadt. Beim Durchstiefeln der wehrhaften Festungsmauern kommt unwillkürlich die Idee, die guten Tummelhofers könnten die 873-ste Erweiterung ihres Paradepferdes doch „Katholiken und Ketzer“ nennen. Doch das heißt offene Türen einrennen: „Carcasson – die Katharer“ gibt es schon seit 2004.
Hallo Benedikt XVI, willkommen in Deutschland! Vielleicht fällt dir auch noch etwas zu den Ketzern ein!
1. “Giants”
Seit vier Monaten liegt das Spiel am Westpark auf dem Sofa herum. Heute kam es endlich zum Einsatz. Die Urlaubssaison ist vorbei, die geeignete 5er Runde war vorhanden, und Horst hatte sich auf die Spielregeln vorbereitet (und das Regelheft nicht zuhause vergessen).
Wir befinden uns zur Steinzeit auf der Osterinsel und heimsen Siegpunkte ein, indem wir in den Steinbrüchen Maoi-Statuen schnitzen und sie an den Zeremonienplätzen („Ahus“) an der Küste aufstellen. Jeder Spieler führt einen Clan, der den Transport abwickelt. Wer die dicksten Maois zu den kapitalistischsten Ahus gebracht hat und sie ggf. auch noch mit Kopfschmuck versorgt hat, ist Sieger.
Das Spiel besitzt eine liebevolle Ausstattung, gefälliges, eigens für „Giants“ hergestelltes Material, von den Würfeln angefangen bis zu den hübschen Plastikfiguren für Häuptlinge, Medizinmänner, Träger und drei Gewichtsklassen von Maois. Ein Maoi hatte bereits seinen Kopfschmuck auf, und Aaron wollte ihn abnehmen. Doch selbst mit vereinten Günther-Moritz-Kräften gelang das nicht. Er saß wie angegossen. War er auch. Es war auch nämlich keiner der üblichen Maois aus dem Steinbruch, es war die Startspielerfigur!
Aaron demonstrierte seine „Rainman“-Fähigkeiten. Mit einem einzigen Blick auf den Haufen mit den streichholzgroßen „Baumstämmen“ (als Transporthilfe zum Rollen der Maois) konnte er erkennen, dass es genau 27 Stück waren. (Beim Schätzen der vollen Schüssel mit Gummibärchen mußte er allerdings passen.)
Auf dem Weg zum Sieg müssen wir mit unserem Aktionen

  • Maois schnitzen (ersteigern)
  • die Anzahl unserer Träger erhöhen
  • eine Reihe von Baumstämmen besorgen
  • den Transport von Maois durchführen
  • ggf. einige bestimmte Zeremonienplätze reservieren.
  • ggf. Kopfschmuck bereitstellen

Die Herausforderung des Spiels ist es, alle diese notwendigen Aktionen in der optimalen Reihenfolge durchzuführen. Wie bei solchen Aufbauspielen üblich, sollte man sich zunächst um die Kopfzahl des eigenen Volkes kümmen. Dazu kommt die Ausstattung des Häuptlings mit Medizinmann-Fähigkeiten, um den Aufbauprozeß zu beschleunigen. Wer ganz langfristig plant, reserviert sich rechtzeitig im Mittelspiel den einträchtigsten Zeremonienplatz. Maois und Kopfschmuck kommen erst ganz zum Schluß. (Erste Näherung)
Doch der Hauptteil des Spiels, die Aufstellung der Maois an der Küste, steckt voller Risiken und Überraschungen. Man darf für seinen eigenen Transport nämlich auch die Träger der Mitspieler benutzen. Und da alle Spieler mit ihre Trägern mehr oder weniger den gleichen Weg vom Steinbruch zur Küste bauen, können praktisch alle Spieler den gleichen Weg nutzen. Jetzt kommt es darauf an, wer in der Transportphase als erster am Zug ist und somit an der Küste den besten Zeremonienplatz belegt. Startspieler-Reihenfolge beachten!
Auch der Aufbau der Trägerkette ist heikel. In der Regel kann man mit seinen eigenen Trägern allein nicht den vollständigen Weg realisieren, man ist auf die Mithilfe der Mitspieler angewiesen. Und wenn in der Strecke eine Lücke bleibt? Dann muß man unter Umständen 20 Siegpunkte in den Wind schreiben. Insofern enthält das Setzen der Träger eine Phase höchster Interaktion. Leider ist damit auch eine erhebliche Kingmakerei verbunden. Ich kann einem Mitspieler uneigennützig zu den 20 Siegpunkten verhelfen. Oder auch nicht. Oder einem anderen.
Moritz jammerte bis zur Schlußwertung (einschließlich), dass er Letzter werde. Doch Sekunden später war er Erster. Ein einziger dicker Maoi an einem punkteträchtigen Ahu brachte ihm mehr als die halbe Miete ein. Und wenn Horst bei seiner Positionierung seines letzten Trägers nicht gewarnt worden wäre (eigentlich ein Verstoß gegen den WPG-Kodex), dann hätte er unfreiwillig Moritz weitere 20 Siegpunkte zugeschustert.
WPG-Wertung: Aaron: 7 (minus 1 Punkt wegen des Spielmaterials: der Plastik-Kopfschmuck paßt nicht auf die Plastik-Maoi-Köpfe), Günther: 5 (das Spiel ist nicht kalkulierbar, das Chaos mit den Trägern dominiert), Horst: 7 (plus 1 Punkt für die gefällige Ausstattung am Spielmaterial), Moritz: 7 (das Spiel ist nicht trocken und das Thema ist gut eingebracht), Walter: 7 (viele neue Ideen, 1 Punkt weniger, wenn man es nicht locker spielt.)
Eine sofortige „Giants“-Wiederholung wurde vorgeschlagen und fast angenommen. Nur Aaron war dagegen.
2. “Navegador”
Als zweiter Gang des Abends wurden abgeleht: „Firenze“ wegen der seiner Ärgerkarten, „Funkenschlag“ weil es zu lange dauert, „Outpost“ wegen seiner vielen Schräubchen und „Small World“ wegen Überfütterung. Das Rennen machte „Navigador“, vor knapp einem Jahr zum letzten Mal gespielt und keinesfalls mit den allerbesten Bemerkungen bedacht (von „gutes Durchschnittsspiel“ bis zu „fehlende Spannung“). Doch das Spiel ist sehr gut ausbalanciert und erlaubt verschiedenste Strategien zu verfolgen, die alle zum Sieg führen können.

  • Als Schiffsstrategen kaufen wir auf Teufel komm’ raus Schiffe und entdecken die Welt, um mit den Entdecker-Prämien den Sieg einzufahren.
  • Als Kolonialherren legen wir uns jede Menge Kolonien zu und lassen dort die Rohstoffequellen zu unserm Reichtum sprudeln.
  • Als Fabrikanten bauen wir vorzugsweise Fabriken und streichen über die Veredelung von Rohstoffen gewaltige Summen ein.

Die gewählte Strategie müssen wir allerdings ganz konsequent verfolgen und alle unsere Handlungsfreiheiten in den Ausbau des zugehörigen Besitzstandes einsetzen. Und nebenbei müssen wir uns natürlich auch um die Privilegien des gewählten Spezielgebietes kümmern, damit wird in der Schlußwertung unser Besitzstand multipliziert.
Unser Schicksal liegt voll in unserer Hand; mit einer frei wählbaren Schrittweite wandern wir mit unserem Aktionsstein um ein vorzügliches „Aktionsrondel“ herum und planen unsere nächsten Schritte über mindestens zwei, drei weitere Züge voraus. Diese völlige Planbarkeit ist allerdings auch ein spielerischer Nachteil; sie geht auf Kosten der Interaktionsmöglichkeiten. Eigentlich spielt jeder mehr oder weniger autonom vor sich hin.
Moritz jammerte wieder, dass das Spiel an ihm vorbeigelaufen sei. Diesmal hatte er recht.
WPG-Wertung: Horst vergab mit 8 Punkten einen ganzen Punkt mehr als der bisherige WPG-Durchschnitt. “Das Spiel ist Klasse. Die Einschränkungen in der Aktionsauswahl machen das Spiel total stressfrei.”
3. “Bluff”
Horst traute sich nicht mehr an seine Sternen-Strategie; und suchte verzweifelt Alternativen. Es gab keine. Günther räumte seine Kontrahenten in der Reihenfolge Horst, Walter und Aaron konsequent und verlustfrei ab.
Im zweiten Spiel nahm Horst seine Sternen-Strategie wieder auf und legte auch gleich die passenden Würfel aufs Parkett. Doch diesmal glaubte er zu sehr an Sternenwürfe auch bei seinen Konkurrenten. Auch sein letzter abgegebener Würfel war ein einsamer schöner runder Stern.
Merke: Sterne würfeln und Sterne vorgeben ist gut; den Mitspielern Stern-Vorgaben zu glauben ist schlecht.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

2 Gedanken zu „21.09.2011: Riesen und Steuermänner“

  1. Hallo Walter,
    Navegador besitzt eine ganze Menge “kleiner” Interaktionen, die Tempo bezogen sind … kaufe, verkaufe, entdecke ich oder mein Mitspieler zuerst, etc …. Dies ist bedeutend besser, als durch eine Interaktion 50% der Siegpunkte eines Mitspielers zu beeinflussen (Giants).
    Gruß, Günther

  2. Hallo Günther,
    ob ich Rohwaren für 40 oder 50 Gulden kaufe, oder eine Zuckerfabrik für 50 oder 70 Gulden, weil ein Spieler schneller war, das habe ich mit „weniger“ autonom ausgedrückt. Dass ich aber keinen Spieler daran hindern kann, einen neue Landschaft entdecken, eine Kolonie darauf zu errichten und sie nach Herzenslust auszubeuten, dass ich also keinem Spieler ernsthaft an den Wagen pinkeln kann, das ist dann das “mehr” autonom. In jedem Fall herzlich wenig Interaktion und viel Weichenstellerei in der eigenen Schiene – in meinen Augen eine deutliche Schwäche.
    Dass es aber überhaupt viel Weichenstellerei in “Navigador” gibt, das ist die Stärke des Spiels.

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