20.12.2017: Die wohlgebaute Venus

„Nichts ist tapferer als die Kühnheit. Wer kämpft wohl mit größerer Kühnheit, als der Liebende für den Geliebten? Die übrigen Götter übertrifft Mars an Tapferkeit, weil er die Menschen tapferer macht. Ihn aber bezähmt Venus.
Wenn nämlich Mars im zweiten oder achten Haus der Naivität steht, so droht er den Neugeborenen mit Unheil. Venus aber besänftigt zuweilen seine Bosheit, und zwar wenn sie zu ihm in Konjunktion oder Opposition, im Gedritt- oder Sextilschein steht.
Mars aber bezwingt niemals die Venus. Wenn Mars zu ihr in Konjunktion tritt, so macht er durch seine Hitze das Ungestüm der Venus nur noch glühender.“

Marsilio Ficino : De amore

1. “Terraforming Mars: Venus Next”

Terraforming Mars – Venus Erweiterung

Schon vor einem halben Jahr lag die Urversion von „Terraforming Mars“ zum ersten Mal bei uns auf, und schon damals tat es mir von Herzen leid, dass ich all die reichen Ideen, die wunderschönen Gaben, die harmonische Balance, das konstruktive Spielgefühl auf meine alten, spielerischen Tage nicht mehr so richtig schätzen konnte.

Hallo Günther, willst Du Dich nicht mal erbarmen und einen richtig geilen Spielbericht über TM schreiben?

Heute ging es um die „Venus Erweiterung“. Für die Freaks reicht es ja nicht, wenn sie mit 150 Entwicklungskarten kämpfen, hier kurz- mittel- und langfristig die besten für sich heraussuchen und im geeigneten Moment (bei entsprechend gefüllter Börse) zur Wirkung bringen. Sie wollen auch nicht ständig immer nur auf der Vorderseite des Mars nach Wasser graben, Grünflächen anlegen und früher oder später Städte bauen. Sie möchten auch in mehr als fünf Meilensteinen und in mehr als fünf Auszeichnungen sich mit ihren Mitspielern messen. Auf alle diese Wünsche geht die Venus ein. Dazu bringt sie einen weiteren globalen Parameter, die „Venus-Bereitschaft“, den es zu entwickeln und zu nutzen gilt.

Walter meinte, mit diesen zusätzlichen Elementen sei das Spiel (noch) komplexer geworden. Günther roch hierin die Kritik heraus und legte eifrig Widerspruch ein. Die Gesamtzahl der Karten, die wir im gesamten Spielverlauf erwerben, habe sich durch die Erweiterung wohl kaum geändert. Und wenn wir von der Hand in den Mund leben, d.h. die Karten in ihrem Gesamtzusammenhang sowieso nicht richtig einschätzen können und bei jeder Karte, die uns angeboten wird, ohnehin wie ein Ochs vorm Berg stehen, dann hat er vielleicht recht. Wenn wir „komplex“ aber in der Bedeutung von „verflochten, vielschichtig, zusammenhängend“ betrachten, dann ist TM mit der Venus-Erweiterung verflochtener, vielschichtiger, zusammenhängender, mit anderen Worten: komplexer.

Aaron suchte ohne eine vorgefasste Strategie das jeweils Beste aus den angebotenen Karten zu machen. Flexibilität ist in TM immer lohnenswert. Es reichte – trotz später nachlassender Leidenschaft – fast zum Sieg.

Walter sprang früher oder später auf die Energieschiene. Konsequent betrieben mag das erfolgreich sein, doch er hatte sich gleich in den ersten Zügen mit Nebensächlichkeiten verzettelt, z.B. eine ganze Energieproduktion für den miesnickeligen Hacker-Zug verschenkt. Letzter!

Moritz hatte jede Gelegenheit genutzt, seine Kartenhand zu füllen. Per Aktionskarten durfte er jede Runde eine Zusatzkarte für 2 statt 3 Gulden erwerben, und er konnte regelmäßig die oberste Karte vom Nachziehstapel anschauen und sie sich bei Gefallen zulegen. Doch in Summe kam bei ihm nicht das erhoffte Kartenensemble zusammen. Die erhöhte Komplexität der Venus ist hier noch schwerer zu bändigen als die 150 Karten der Basisversion. Zwischen Aaron und Walter.

Sieger wurde natürlich Günther, der sich – gewollt? gekonnt? zufällig? flexibel? probehalber? – auf Städte und Grünflächen spezialisierte und in der Endwertung damit noch einmal gehörig absahnen konnte.

WPG-Wertung: Aaron: 6 (bleibt), Günther: 8 (bleibt, „der gleiche Stiefel“), Moritz: 9 (bleibt), Walter: 7 (bleibt, wohlwollend; die Venus bietet keinen Mehrwert für einen braven Normalspieler).

2. “Startups”

Vor einem Monat schrieben wir: „Ein kleines, reizvolles Kartenspiel mit einigen alten, aber auch einer zündenden neuen Idee.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Vielleicht noch Moritz’ Bemerkung: „Vielleicht ist Mau-Mau taktischer, aber als Mini-Game ist „Startups“ OK.

WPG-Wertung: Keine Reduzierung (!) der hohen Punktevergabe mit einem Schnitt von 7.5.

Wir wünschen allen Westpark-Gamers, unseren Freunden, Lesern und Kritikern sowie allen Brettspielern dieser unserer Welt ein gesegnetes Weihnachtsfest.

13.12.2017: Rajas und andere königliche Hoheiten

Weihnachten steht vor der Tür. Zum Fest der Liebe ein paar Richtungstendenzen für ein erfolgreiches Liebesspiel

  • wie mit einem Ball, den wir uns zuwerfen
  • wie einen Dialog von Shakespeare oder ein Duett von Mozart, also etwas aufführen
  • wie Schach, mit dem Ziel, den anderen unter zu kriegen
  • wie ein Spiel: spielerische Ausprobierens bevor es gemeinsam ans Regelstudium geht.

1. “Rajas of the Ganges”


Rajas – Szenerie: Ein Elefant als Startspielermarker

Ein üppiges Workerplacement-Spiel mit einem pfiffigen integrierten Würfelnutzmechanismus. Wir setzen unsere zunächst 3, später bis zu 5 Worker pro Runde auf insgesamt 32 (vielleicht habe ich mich verzählt) verschiedenen Arbeitsplätzen ein, um sie dort für uns werkeln zu lassen. Um unsere Arbeiter aber irgendwo einsetzen zu dürfen, brauchen wir in der Regel noch einen Würfel, meist mit einer bestimmten Farbe und / oder einer bestimmten Augenzahl.

Zu Beginn ist jeder Spieler mit 4 Würfeln ausgestattet; diese Würfel sind aber blitzschnell verbraucht, und deshalb sind alle Spieler ständig darum bemüht, sich neue Würfel zu besorgen. Trivial sind dazu die „würfellosen“ Arbeitsplätze auf der „Terrasse“: hier setzt man einen Worker ein und bekommt dafür dann einen Würfel in einer beliebig wählbaren Farbe. Oder man setzt einen Worker und einen Würfel mit definierter Farbe ein und bekommt dafür zwei Würfel einer anderen, definierten Farbe. Magere Bilanz: ein Würfel pro Worker. Doch in diesen sauren Apfel müssen aller Spieler früher oder später beißen, öfters als es ihnen bei den sonstigen verlockenden Angeboten auf dem Spielplan lieb ist.

Etwas lukrativer ist die „Tänzerin“ im „Palast“. Sie muss allerdings mit einem Würfel der Augenzahl 2 bedient werden. Dann spuckt sie zwei Würfel von frei wählbaren Farben aus (also auch nur 1 Würfel mehr, als man eingesetzt hat); zusätzlich aber bekommt man noch ein verdeckt gezogenes „Ertragsplättchen“ mit einem Sonderbonus, das in fast 50% aller Fälle aus einem weiteren Würfel besteht, oder aber aus 3 Geldeinheiten, die eine ebenfalls sehr begehrenswerte Entwicklungshilfe darstellen. Günther gab jedenfalls die Devise aus, dass die Tänzerin die beste Investition des gesamten Spiels darstellt; entsprechend wurde sie in jeder Runde sofort als erstes besetzt, sofern wenigstens einer der Spieler einen Würfel mit der Augenzahl 2 besaß.

Worum geht es überhaupt in Rajas? Um Geld und um Siegpunkte. Beides ist gleich viel wert; sobald ein Spieler in der Summe von beiden 120 Einheiten besitzt, ist das Spielende eingeläutet oder bereits erreicht.

Siegpunkte erzielen wir, wenn wir unsere Worker als Freimaurer einsetzen und mit ihrer Hilfe (sowie mit „Würfelgeld“) auf unserem privaten Spielertableau Landschaftsplättchen mit Wegen, Gebäuden und Märken errichten lassen. Je nach unserem individuellem „Wertungspegel“ bekommen wir für einen gebautem Gebäudetyp 2 bis 4 Siegpunkte auf unserem Konto gutgeschrieben. Manche Landschaftsplättchen erhalten gleich zwei Gebäude, die können dann u.U. auch gleich doppelt so viele Siegpunkte einbringen.

Geld erhalten wir, wenn wir – irgendwann mal im Laufe des Spiels – auf unserem Landschaftsplättchen „Märkte“ errichtet haben und unsere Worker als Handler losschicken, um unsere Waren zu verkaufen. Es gibt bescheidene feste Preise dafür, kein schnelles Wuchergeld, aber Kleinvieh macht auch Mist. Wer die „Geldstrategie“ gefahren ist und sich viele Märkte zugelegt hat, der kann ab dem Mittelteil des Spiels schon mal leicht 8 oder 10 Geldeinheiten pro Worker in die Scheune bringen; dafür braucht er nicht einmal übermäßig hohe Augenzahlen auf seinen Würfeln.

Um dem Würfelglück noch ein Schnippchen schlagen zu können, gibt es einen Arbeitsplatz, auf dem man beliebig viele seiner Würfel nochmals neu auswürfeln darf. Man bekommt als Trostpreis dazu sogar noch zwei Geldeinheiten geschenkt. Wem das Neuwürfeln zu risikoreich ist, darf auch eine Karma-Einheit opfern, um einen Würfel auf seine Kehrseite zu drehen: aus 1 mach’ 6 oder aus 2 mach’ 5.

Geld, Siegpunkte und Würfel werden aber nicht nur durch hartes Malochen erworben, sie werden auch als Geschenke für das Erreichen bestimmter Grenzwerte an Punkten oder Geld kostenslos unter die Leute gebracht. Hier muss vor allem auch der „Ganges“ erwähnt werden, der sich wie ein Geschenkband über das Spielbrett windet, und wo für jeden Abschnitt, den man hier – per Worker plus Würfel im „Hafen“ – vorwärtspaddelt, neue hübsche Geld-Siegpunkt-Würfel-Belohnungen auf uns warten.

Alles ist weihnachtlich gestimmt, es gibt nur gute Züge, keine Aggression und nur sehr beschränkte Konkurrenz. Hübsch und friedlich.

WPG-Wertung: Aaron: 7 (der Würfelmechanismus ist hübsch, das Spiel aber zu fieselig, es gibt zu viele – kleinliche – Mechanismen, auf die [auf deren Erträge] man achten muss), Günther: 8 (kein echter Aufbaumechanismus, die Steigerung ist eher linear, man sollte sich auf wenige – der vielen angebotenen – Mechanismen konzentrieren), Walter:7 (konstruktiv, hübsche Designerarbeit, gut ausbalanciert, allerdings mit nur beschränkter Interaktion; als Solitär-Spiel bekäme das Spiel 8 bis 9 Punkte).

2. “Azul”

Nach dem friedlichen „Raja“ in einer friedlichen Dreierrunde wollte Walter jetzt noch einmal die hübschen Azul-Edelsteine von letzter Woche als friedliche Händeschmeichler auf den Tisch bekommen. Allseitiges friedliches Einverständnis.

Wir fingen auch in unserer heutigen 3er Runde mit 9 Tellern an, doch bald dämmerte uns, dass dadurch mit den 36 neuen Steinen pro Runde die Kapazität unserer Lager wohl die einzige Herausforderung des Spiels geworden sei. 45 Plätze gibt es insgesamt, davon ist zu Beginn jeder Runde wohl die Hälfte noch belegt: da wird ausschließlich Glück und Erfolg beim Vermeiden der Schutthalde über Sieg oder Niederlage entscheiden.

Das kann doch nicht der Sinn von „Azul“ sein! Ist es auch nicht! Bei 3 Spielern gibt es nur 7 Teller, und mit den jetzt nur noch 28 neuen Steinen pro Runde konnte jeder wieder konstruktiv nach einer optimalen Füllung seiner Lager ausschauen. Und wieder bewährte es sich, den Strafpunkt für das erste Sich-Bedienen aus der Tischmitte nicht allzu tragisch zu nehmen; eine einigermaßen passend gefüllte Tischmitte und der Vorteil des Startspieler-Seins in der nächsten Runde, ist wesentlich mehr wert.

Wir spielten mit der „Expertenregel“: die Farben im Wandmosaik waren nicht fest vorgegeben, sondern konnten in beliebiger Kombination eingefüllt werden. Für die Mathematiker stellte sich damit sofort die Frage: Kann es, bei unglücklichem Füllen des Wandmosaiks, zu einem Deadlock kommen, d.h. zu einer Situation, bei der man die letzte Kachel nicht mehr in das Mosik einfügen kann, weil die dafür vorgesehene Farbe in den benachbarten Zeilen oder Spalten bereits vorgesehen ist?

Kann es nicht! Hier der Gegenbeweis. (Für Dich,Günther):

Ohne Beschränkung der Allgemeinheit kann man diese diskriminierende Situation abbilden als eine Situation, wo in den ersten vier Spalten der ersten Zeile des Mosaiks die Farben F1 bis F4 untergebracht sind, das Feld in der fünften Spalte ist das noch freie kritische Feld, und in der fünften Spalte der zweiten Zeile liegt die Farbe F5; die restlichen Felder x des Mosaiks seien passend gefüllt (Bild 1).

Damit wären alle weiteren Felder der Zeile 2 und der Spalte 5 für die Farbe F5 gesperrt (rote Felder in Bild 2).

Damit müssten in den drei Zeilen 3 bis 5 (grüne Felder in Bild 3) viermal die Farbe F5 untergebracht sein, und zwar so, dass sie in keiner Zeile doppelt vorkommt. Das ist ein Widerspruch. Daraus folgt, die geschilderte Ausgangssituation ist nicht möglich. Daher gibt es keinen Deadlock. Q.e.d.

WPG-Wertung: keine Änderung unserer Noten zwischen 7 und 8 Punkten.

3. “Majesty: For the Realm”

In der Tischmitte liegen in Reih und Glied 6 Berufskarten, davon dürfen wir uns pro Zug eine nehmen. Die erste kostet nix, die zweite 1 Geld, etc, die sechste kostet 5 Geld. Insgesamt haben hat jeder von uns 5 Geld. Nehmen wir also die teuerste Berufskarte, so sind wir zunächst mal pleite und müssen in unseren nächsten Zügen bis auf Weiteres die kostenlose erste Karte nehmen. Nicht nur die Schwaben unter uns Spielern nehmen hier vorzugsweise die billigste (= kostenlose) Karte.

Die gewählte Berufskarte legen wir in dasjenige unserer privaten Gebäude, das für diese Berufsgruppe vorgesehen ist: die Müllerin kommt in die Mühle, der Brauer in die Brauerei, die Hexe ins Hexenhaus, der Wächter in den Wachtturm, der Soldat ins Mordhaus, der Gastwirt in die Taverne und die Prinzessin ins Schloss.

Und jetzt kommt das Spannende. Beim Einfügen der Berufskarten in das jeweilige Gebäude werden vorgegebene Effekte ausgelöst: jede Müllerin (bereits vorhandene und die neue) bringt 2 Siegpunkte, jeder Brauer bringt 2 Siegpunkte plus 1 Geldeinheit und für alle Spieler, die bereits eine Müllerin besitzen, 2 Siegpunkte. Der Mordbube bringt 3 Siegpunkte und zugleich schlägt er bei allen Mitspielern, die zu wenig Wächter haben, eine Berufskarte lazarettreif. Jede Hexe bringt für jede Müllerin, jeden Brauer und jede weitere Hexe 2 Siegpunkte, außerdem heilt sie eine Berufskarte aus dem Lazarett. Und so weiter und so fort.

Jede neu gekaufte Berufskarten löst die Effekte aus, die Spieler kassieren ihre Siegpunkte, bringen sich ins Lazarett oder wieder heraus, und am Ende hat einer gewonnen.

Wer? Natürlich der, der die meisten Siegpunkte angehäuft hat, wobei gut gefüllte Gebäude am Ende ebenfalls noch erhebliche Mengen von Siegpunkten abwerfen. Doch wie häuft man die meisten Siegpunkte an?

Die Hexen-Strategie scheint recht erfolgsversprechend zu sein, immerhin schüttet sie – zusätzlich zur Heilung aus dem Lazarett – für drei verschiedene Berufskarten Siegpunkte aus. Die Königsklasse ist auch nicht schlecht. Zumindest wenn man die B-Seite der Gebäude spielt und eine Menge Halbtoter im Lazarett hat, die werden nämlich von Prinzessinen besonders geschätzt. (Nicht erst seit den Zeiten von Tristans Vater.) Dagegen verbreitet die Mordbuben-Strategie keinen größeren Terror. Die Hexe bringt alles wieder ins Lot.

Und wie fährt man die Hexen-Strategie? Man mischt die Berufskarten und legt sie derart aus, dass immer dann, wenn man am Zug ist, eine passende Hexenkarte an zugreifbarer Stelle liegt, die aber von allen anderen Mitspielern als unberührbar eingeschätzt wurde. Und in seinem allerletzten Zug rechnet man aus, welche der erschwinglichen Karten für einem selbst die meisten Pluspunkte und für den schärfsten Konkurrenten die meisten Minuspunkte einbringt. Diese nimmt man dann. Das kann natürlich eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen, aber für Majestäten darf man diese ausnahmsweise mal opfern. Vielleicht macht es den Mitspielern sogar Spaß, hier mitzuhelfen und mitzurechnen.

Walter hat in seinem allerletzten Zug nur seine eigenen Pluspunkte maximiert, nicht aber die Summe mit den damit verbundenen mörderischen Minuspunkten für Günther. So wurde Günther Sieger. Spricht das für die intellektuelle Herausforderung von „Majesty“? Eher nicht.

WPG-Wertung: Aaron: 5 (das Spielgeschehen wird mehr oder weniger ausschließlich vom Glücksfaktor bestimmt, wann die verschiedenen Karten auftauchen), Günther: 5 (nur mit guten Willen), Walter: 5 (läppisches Spielgeschehen, keine Herausforderung, man lebt von der Hand in den Mund).

Einen ganzen Punkt weniger als die bisher schlechteste Wertung für ein HiG-Spiel. Das ist das unausweichliche Schicksal eines Verlages, der mal wieder auf die Prämie zum „Familienspiel des Jahres“ schielt. Und dann sage noch mal jemand, wir seinen HiG-minded!

Bei genauerem Nachschauen in unserem Archiv, habe ich jetzt aber doch noch vier HiG-Spiele entdeckt, die noch schlechter bewertet wurden als „Majesty“. Die beiden letzten Plätze nehmen ein:
„Maestro“ von Rudi Hoffmann mit 3,3 Punkten, für das Moritz eine wunderschöne Kritik am musikalischen Material geschrieben hat, „Fjorde“ von seligen Franz-Benno Delonge, das Günther (!) mit 4 Punkte in die Pfanne gehauen hat. Ohne Report.

Aber ansonsten können wir ruhig zugeben, das der Charakter der bei HiG erschienenen Spiele in der Regel unserem Geschmack entspricht. Trotz „Maestro“ und „Fjorde“ liegt der Durchschnitt aller HiG-Spiele auf unserer Seite bei 6,75 Punkten.

06.12.2017: Gut und schlecht – mit Ausreißern

1. “Illimat”

Ein simples Kartensammelspiel, bei dem am Ende derjenige gewinnt, der im Laufe seiner Spielzüge die meisten Karten einsammeln konnte, unterwegs dabei auch noch ein paar assoziierte Prämien einstreichen und winterliche Minuspunkte vermeiden konnte.

Das Spielbrett ist ein quadratisches Spieltuch, das in vier Felder eingeteilt ist, auf der in variabler Anzahl und variabler Stückelung Zahlenkarten mit den Werten von 1 bis 14 liegen. Jeder Spieler hat 4 Zahlenkarten der gleichen Sorte auf der Hand, spielt reihum eine Karte und zieht anschließend vom Nachziehstapel eine Karte nach. Dabei kann er beim Ausspielen mit seiner Karte drei verschiedene Aktionen ausführen:

1. säen : Man legt die Karte aus der Hand auf eines der vier Felder auf dem Tuch.
Das ist die dümmste Aktion. Erstens bekommt man durch diesen Zug keinen einzigen Punkt, und zweitens reichert man mit seinem Saatgut nur die Ernte der Konkurrenz an: in weniger als einem Viertel aller Fälle – was der rechnerische Durchschnitt wäre – kann selber ernten können. Beweis? Drei Spieler dürfen vor einem zulangen, und angereicherte Saatfelder werden halt schneller und leichter abgeerntet als bereits an- oder abgegraste Saatfelder.

Leider läßt sich oft genug nicht verhindern, dass man säen muss; mit lauter niedrigen Karten in der Hand, die sich mit den in den vier Feldern ausliegenden Karten nicht kombinieren lassen – siehe unter „ernten“ –, bleibt einem gar nichts anderes übrig. Und wenn die eine nachgezogene Karten ebenfalls niedrig ist, muss man in seinem nächsten Zug schon wieder nur säen!

2. ernten : Man nimmt sich beliebige Karten von einem der Felder, die einzeln oder deren Werte in Summe genau der eigenen gespielten Karte entsprechen, und legt sie auf seinem Erntestapel ab. Hurra, damit werden Siegpunkte gemacht. Der einzige lukrative Spielzug!

3. anfüttern : Man fasst beliebige ausliegende Karten eines Feldes zu einem Paket zusammen, und legt seine Handkarte, deren Werte genau der Wertesumme des Paketes entsprechen muss, noch dazu.
Dieser Zug ist fast noch dümmer als das säen, denn auf diese Weise hat man ein Paket geschnürt, auf das alle Mitspieler sogleich wie eine fette Beute lauern; das zusammengefasste Paket hätte man mit seiner Handkarte doch auch gleich ernten können, und zwar noch mit dem Vorteil, dass man bei seinem nächsten Zug nicht mehr oder weniger gezwungen ist, auf dieses Paket zu lauern – falls es nicht bereits ein Mitspieler abgeerntet hat – , sondern frei auf andere Beutezüge ausgehen kann. Oder haben wir hier ein Regeldetail nicht verstanden.

Bei uns hat im ganzen Spiel – zwei Durchgänge – nur genau einmal Moritz angefüttert, und er hatte Glück, das kein Mitspieler eine Karte auf der Hand hatte, mit der er ihm das geschnürte Paket hätte wegschnappen können.

Damit dieser triviale Karten-Aktionismus noch den Anstrich eines Spiels bekommt, treten beim Abernten eines kompletten Feldes Randeffekte auf: die „Luminaries“ erscheinen und verschwinden wieder. Durch ihr Auftreten werden die Felder mit zusätzlichen Zahlenkarten angereichert oder die Aktionsmöglichkeiten der Spieler werden temporär erweitert, z.B. dürfen sie auf dem vom „Changeling“ beleuchteten Feld eine Karte gegen eine Handkarte austauschen, bevor sie ihren Zug ausführen. Damit kann man immerhin kleine, weniger erträgliche Karten loswerden.

Freiheitsgrad in der Nähe von 0. (Nein, Entschuldigung, ein Mehrfaches davon!) Mittels einer einfachen EXCEL-Logik könnte man den jeweils besten Zug ausrechen. Eine solche Logik hat den Herausforderungsgrad eines „Nobrainer“, falls dieses Wort schon in die deutsche Sprache eingegangen ist.

WPG-Wertung: Aaron: 3 (viel zu aufwendiges Regelwerk für den mageren Spielablauf; absolut unintuitiv; abgestrippt zu einem Mau-Mau hätte es wenigstens 5 Punkte bekommen), Günther: 4, Moritz: 6 (spielt sich relativ locker), Walter: 3 (sperrige Regeln – zumindest kam uns das so vor – für nix und wieder nix).

Vielleicht bekommt das Kartenspiel milderne Umstände, wenn man erfährt, wie es entstanden sein soll. Die Band „The Decemberists“ überbrückte die Auszeiten auf ihren Touren oft genug durch Brettspiele; dabei fassten sie eines Tages den Vorsatz, diesem „seltsamen brettspiellosen Brettspiel“ Leben einzuhauchen. Es sollte den Eindruck eines merkwürdigen, längst vergessenen Kartenspiels vermitteln, das selbst moderne Spieler noch zu fesseln vermag. Ist es ihnen gelungen?

2. “Les Poilus”

Nach dem Warming-Up mit einem 3-Punkte Spiel, waren wir alle innerlich gefestigt genug, uns noch einen weiteren 3-Punkte-Flopp anzutun, und damit etwas für Moritz’ Spielebildung zu tun. „Les Poilus“ hatten wir letzte Woche ohne ihn mit diesem mageren Ergebnis eingespielt, inzwischen war Aaron auf dem „DinxCon“ in Brixen eines Besseren belehrt worden und hat seine vergebenen Punkte glatt verdoppelt. Bei dreimaligen Spielen in 4er und 5er Runden war jedesmal ausreichend großer Spielespaß aufgekommen. Sind wir am Westpark alle so sauertöpfige Naturen, dass sich diese positiven Emotionen bei uns oft genug nicht einstellen?

Aaron durfte Moritz (und nach Möglichkeit auch unseren übrigen Teilnehmern) seine Südtiroler Euphorie rüberbringen. „Sieht nach Ersten Weltkrieg aus! Ist schon mal cool!“ war Moritz’ erster Kommentar. Damit war die Euphorie aber auch schon vorbei.

WPG-Wertung: Moritz siedelte sich mit 4 Punkten im heutigen WPG-Durchschnitt an (kein Schützengraben-Feeling; der Rückhalt ist langweilig; gegen Ende wird das Spiel immer beherrschbarer [: …, wenn, wie diesmal bei uns, sehr schnell der Boden auf dem Bedrohungsstapel sichtbar wird].)

3. “Azul”

Wir sind Fließenleger. Oder Kachel-Künstler. Auf dem Tisch liegen 9 Teller mit je 4 „Kacheln“ („azulejos“) in 5 verschiedenen Ausführungen. (Wirklich schönes Spielmaterial!) Jeder Spieler bekommt ein Tableau, das er im Laufe des Spiels mit den Kacheln füllen muss. Er wählt einen beliebigen der gefüllten Teller, nimmt daraus alle Kacheln einer bestimmten Ausführung und legt sie in sein „Lager“. Die nicht-gewählten Kacheln kommen in die freie Tischmitte. Diese Tischmitte wird danach wie ein Teller behandelt: man darf sich von ihr genauso bedienen wie von einem Teller, die hiervon nicht-gewählten Kacheln bleiben liegen.

In seinem Lager hat jeder Spieler 5 verschieden große Lagerräume: je einen mit den Kapazitäten von 1 bis 5. Passen die entnommenen Kacheln nicht alle in einen der Lagerräume, so müssen die überzähligen auf die „Schutthalde“ geworfen werden und geben beim Rundenende Minuspunkte.

Am Ende einer Runde wird jeweils eine Kachel aus vollständig gefüllten Lagerräumen auf ein definiertes Feld im 5 mal 5 großen Quadrat an der „Wand“ geklebt. Hier fließen dann die Siegpunkte: Jede geklebte Kachel bringt einen Siegpunkt, zusätzlich gibt es Siegpunkte für bereits geklebte Kacheln in der unmittelbaren Nachbarschaft waagrecht oder senkrecht zum neuen Stück.

Herausforderung des Spiels ist es also, die richtige Farbe aus dem richtigen Teller zu wählen, damit den richtigen Lagerraum – peu a peu – zu füllen, um bei Rundenende möglichst viele gefüllte Lagerräume und möglichst wenig Kacheln auf der Schutthalde zu haben.

Keine Angst vor der Schutthalde: die Siegpunkte, die beim Bekleben der Wand sprudeln, stehen in keinem Verhältnis zu den Strafpunkten auf der Halde. Aaron hatte das als erster begriffen und sah bald wie der sichere Sieger aus. Moritz konnte ihn aber noch in der Schlußrunde abfangen, weil er beim geklebten Wandmuster die meisten Zusatzprämien einstreichen konnte. „I had a plan!“

Hätte Walter in seinem letzten Zug nicht nur auf seine eigene Wand geschaut, sondern auch noch darauf, wieviele Siegpunkte die beiden nächsten Mitspieler mit den übrigen Kacheln einfahren konnten, hätte er den beiden erhebliche Prämien aus dem Rachen reißen, und insbesondere Moritz’ Plan durchkreuzen können. – Es ist doch nur ein Spiel.

WPG-Wertung: Aaron: 7 (einfache Regeln, schnell gespielt; am Ende ist [leider] Kingmakerei möglich und – für entsprechende Spieler – ein langes Ausrechnen ihres letzten Zuges geboten, ansonsten hätte das Spiel 8 Punkte bekommen), Günther: 8 (spannend, Mini-Interaktion [im Kampf um die besten Kacheln, akzeptabel mini]), Moritz: 7 (unterhaltsam, ein nettes Familienspiel, und trotzdem „deep enough“), Walter: 8 (leicht, spielerisch, angenehm in der Handhabung, der Umgang mit den Kacheln ist allein schon eine komboloi-artige psychische Beruhigung).

4. “The Pyramids Deadline”

Würfel und Bauteile in “The Pyramids Deadline”

Aus einfachen geometrischen Gebilden (Quadrat, Rechteck, Trapez, sowie großen und kleinen Dreiecken) mit Einheitsmaßen baut jeder an seiner Pyramide. Die Bauteile liegen zuhauf auf dem Tisch. Mit fünf Würfeln (einem mehr als Spieler), auf denen die Bauteile abgebildet sind, wird gewürfelt; der Startspieler wählt einen Würfel und das zugehörige Bauteil aus und fügt es unter Einhaltung bestimmter Bauregeln in seine Pyramide ein. Der nächste Spieler folgt, etc., bis jeder ein Bauteil eingefügt hat bzw. bis nur noch ein Würfel übrig ist. Dann wechselt der Startspieler und es wird erneut gewürfelt.

Wenn eine vorgegebene Anzahl von Quadraten verbaut wurden (abhängig vom Würfel und der Wahl der Spieler), ist das Spiel zu Ende und die Pyramiden werden bewertet. Pyramiden mit einem Stück „Flachdach“ scheiden aus, ebenso auch Pyramiden, die eine Steilwand von mehr als einer Einheit aufweisen. Es steckt also ein gewisses Risiko in zu üppiger Bau-Kreativität: wer am Ende nicht mehr die notwendigen Bauteile ausgewürfelt bekommt, um sein Dach dicht zu kriegen oder seine zu steilen Mauern abzuflachen, der hat mit 0 Punkten das Nachsehen.

Man darf jederzeit, wenn die eigene Pyramide eine gerade akzeptable Form und Größe hat, freiwillig passen, auf weiteres Bauen verzichten und die Würfel seinen Mitspielern überlassen. Die haben dann pro Würfelwurf einen Würfel, sprich ein Bauteil, mehr, das sie in ihre Pyramide einfügen können. Allerdings gehen dann meist auch schon die Quadrate aus und das Bauen wird ohnehin beendet.

In zwei Durchgängen wurden bei uns nur insgesamt zwei Pyramiden fertiggestellt. Lehre: „Bescheidenheit ist eine Zier, und bei Deadline kommt man weiter mit ihr!“

WPG-Wertung: Moritz: 2 (häßlich vom Material her, reines, witzloses Gewürfel), Aaron: 3 (ich stimme Moritz voll zu), Günther: 6 (als Bau-Geschichtl ganz nett), Walter: 7 (lassen wir das Material mal beiseite, die geometrische Herausforderung, zusammen mit der feinen Dosierung seiner Bescheidenheit schafft eine hübsche Spannung innerhalb einer konstruktiven Aufgabe.- [Welch ein Glück, wir können uns doch noch begeistern! Jeder für etwas anderes!)

29.11.2017: Eisenbahnen zum Überleben

Nochmals Bridge.
Da wurden vor etwa drei Jahren zwei deutsche Bridgespieler Senioren-Weltmeister. Anschließend hat man sie des Betruges überführt: Entgegen dem Regelwerk und entgegen jeglicher Sportsmoral habe sie sich mittels Hüsteln über die Screens hinweg unerlaubte Informationen über ihre jeweilige Kartenhand ausgetauscht. Motto: „einmal Hüsteln ist Karo, zweimal hüsteln ist Pik!“ Ein offizielles Video, das den gesamten Finalkampf festgehalten hatte, war der Beweis. Die World Bridge Federation (WBF) hat ihnen Titel aberkannt und sie lebenslang gesperrt, als Paar noch einmal zu einem Bridge-Turnier antreten zu dürfen. Zähneknirschend hat der Deutsche Bridge Verband (DBV) diese Sperre übernommen.

Die beiden Spieler sind sofort in die Revision gegangen und haben diese Urteile vor einem deutschen Gericht angefochten. Ein Spieler sei Asthmatiker, da sei das Hüsteln leider unvermeidlich. Zudem sei in Bali, wo das Finale ausgetragen wurde, die Luft so feucht, dass das Hüsteln quasi überlebensnotwenig sei. Und überhaupt: das Beweisvideo sei gefälscht.

Drei Jahre lang hat sich der Prozess hingezogen, jetzt wurden sie freigesprochen, ohne überhaupt auf das Video oder die Beweislage einzugehen. Ja sogar WBF und DBV wurden verklagt, den beiden Spielern alle ideellen und materiellen Verluste aus dem Verband-Vorgehen zu ersetzen!

Wie dieses Urteil gegenüber dem WBF durchgesetzt werden kann, das wissen die Juristen. Oder auch nicht. Der der DBV könnte dabei pleite gehen, zumindest wenn die Ersatzansprüche von einem amerikanischen Gericht festgesetzt würden. Oremus!

1. “Mini Rails”

Aktions-Auslage und Spielbrett in „Mini Rails“
Ein hübsches kleines Eisenbahn-Aktienspiel ohne Aktien und ohne Eisenbahnlinien. In 6 Spielrunden dürfen wir uns je eine „Aktie“ einer vor 6 Eisenbahngesellschaften kaufen, d.h. eine runde Holzscheibe in einer von sechs Gesellschaftsfarben von der offenen Auslage auf unser privates Kurstableau legen. Pro Runde dürfen wir außerdem einmal den Kurs einer Gesellschaft steigen oder fallen lassen. Dazu nehmen wir eine weitere Holzscheibe in einer der sechs Gesellschaftsfarben von der Auslage, legen sie auf das große gemeinsame Spielbrett, bedecken damit ein Feld mit Werten von 1 bis 5 im Plus- oder Minus-Bereich, und verändern damit entsprechend den Kurs der Gesellschaft.

In welcher Reihenfolge wir „kaufen“ oder „Kurs ändern“ ist frei wählbar. Geld fließt keines. Eine frisch gekaufte Holzscheibe kommt immer auf das Feld 0 in unserem Kurstableau. Beim Ändern des Aktienkurses müssen alle Spieler ihre Holzscheiben mit der betroffenen Farbe entsprechend dem überdeckten Wert eine Anzahl von Einheiten nach oben oder unten verschieben.

Und jetzt kommen die hübschen Knackpunkte des Spiel-Designs:

1. Beim Kaufen dürfen die Spieler sich nicht irgendeine beliebige Holzscheibe aussuchen, sondern sie müssen eine aus der offenen Auslage wählen. Genauso können die Spieler beim Kurs-Ändern nicht eine frei wählbare Gesellschaft fördern oder schädigen, sondern sie müssen dafür ebenfalls eine Holzscheibe aus der offenen Auslage hernehmen. Das Angebot ist klar begrenzt, und es wird enger und enger.

2. Zu Beginn einer Runde wird in die offene Auslage eine Holzscheibe mehr gelegt, als für die beiden Aktionen aller Spieler benötigt werden. Diese letzte, übrig bleibende Holzscheibe kennzeichnet eine Gesellschaft, die “ordentlich ihre Steuern“ bezahlt” hat. Hat eine Gesellschaft bis zum Spielende keine Steuern bezahlt, so ist ihr Aktienkurs nichts wert, die besitzenden Spieler erhalten dafür keine Vergütung. Hat umgekehrt eine Gesellschaft bis zum Spielende wenigstens einmal Steuern bezahlt, so werden etwaige Kursverluste neutralisiert, die besitzenden Spieler bekommen für Aktienwerte im Minusbereich nichts abgezogen.

3. Hübsch ist auch der Zugreihenfolge-Effekt: die Holzscheiben in der offenen Auslage geben auch die Reihenfolge an, in der die Spieler in der nächsten Runde ziehen. Zuweilen ist es hilfreich, der Erste zu sein, um das beste Stück zu erwischen; zuweilen ist es aber noch wichtiger, der Letzte zu sein, um eine definierte Gesellschaft als Steuersünder bzw. Nicht-Steuersünder ausweisen zu können.

Einfach aber tricky! In zwei Durchgängen wurde Walter zweimal weit abgeschlagen Letzter. Er war sich keines Spielfehlers bewußt. Die Züge waren einfach abgefahren, bevor er aufgesprungen war. Doch seine Mitspieler bescheinigten ihm jede Menge Fehler, die er gemacht haben soll.

Moritz hatte den Weg zum Sieg sofort durchschaut. Er wollte ihn sogar beweisen können. „Bei jedem Kurs-Änderungszug kann ich genau ausrechnen, welchen Effekt er in der gegebenen Situation auf jeden Spieler ausübt, d.h. welcher Zug mir selber die meisten Punkte bringt oder den Mitspielern die meisten Punkte wegnimmt. Und das ist der beste Zug!

Während beim ersten Teil dieser Ausführung die Mitspieler noch mit trivial-zustimmenden Gemütern zuhörten, erfolgte zu seiner abschließenden Behauptung ein allseitiger Einspruch. Walter, der als Mathematiker allergisch ist gegenüber falschen Behauptungen und noch fälscheren Beweisen, wollte Moritz beim Wort nehmen und vor dessen Beweisführung eine genaue Formulierung seiner Behauptung niederschreiben. Dies führte fast zu einem Eklat, weil der eine auf eine exakte Formulierung der ursprünglichen Behauptung pochte, der andere aber schon kalte Füße bekommen hatte und windelweiche Ausreden suchte. Schlußendlich einigten wir uns auf Moritz’ Aussage: „Wenn wir die Wahrscheinlichkeiten in Ansatz bringen, mit denen die verschiedenen Holzscheiben auf die Auslage kommen, welchen Einfluß sie damit auf die Zugreihenfolge ausüben, dabei auch noch berücksichtigen, mit welcher Wahrscheinlichkeit die einzelnen Spieler für oder gegen eine Gesellschaft agieren, und dies alles noch in Relation zu den möglichen Wertefeldern auf dem großen Spielbrett sehen, dann sind wir mit großer Wahrscheinlichkeit klüger, als wenn wir das nicht tun.“

Welche Aussage er zur Auswahl beim Kaufen einer Aktie gemacht hatte, das habe ich vergessen.

Andere Zitate aus dem Spielverlauf:
„Ich muss jetzt einen fahren lassen.“
„Ich werden jetzt das Maximum an Punkten zerstören“
„Grau haben wir alle, bis auf NN, der hat zwei!“
„Ich nehme jetzt nur eine von den beiden mir-nichtsnutzigen aber NN-schädigenden gelben Scheiben, nimm’ du auch eine!“
„NN macht die ganze Zeit schlechte Züge!“
„Wenn NN nicht vorne ist, brauchst Du ihm auch nicht zu schaden.“
„Dieser Zug war die einzige Möglichkeit, nicht Dritter zu werden, sondern mit NN gemeinsam Zweiter.“

WPG-Wertung: Aaron: 9 (herrlich, ich wünschte, ich hätte das gemacht), Günther: 7 (erfordert eine Schach-ähnliche Berechnung [AbN: War das jetzt gut oder schlecht?]), Moritz: 5 (das Spiel funktioniert, man kann aber keine Strategien fahren, sondern nur taktisch auf die gegebene Situation reagieren), Walter: 7 (hat einige hübsche, neue Ideen umgesetzt und ist schnell, das sind eigentlich genau die Kritiken für gute neue Spieleerfindungen).

2. “Loot Island”

„Loot Island“ – Selbst der Autor muss im Regelheft nachschauen
Endlich lag Aarons Neuschöpfung als professionelles Produkt auf dem Tisch; 20 mal zuvor haben wir uns an den Prototypen versucht. Die jetzige offizielle Fassung war uns allen noch unbekannt.

Der ursprüngliche Dreh- und Angelpunkt, das Mitsetzen auf die Ausgrabungsstätte, in der nach Schätzen gebuddelt wird, ist geblieben und hat nichts von seiner Eleganz eingebüßt. Damit das Ganze aber nicht allzu denkerisch daherkommt, sondern ein spielerisch-chaotisches Element erhält, kann die Reihenfolge, nach der die Ausgrabungsstätten gewertet werden, per taktischem Spielzug verschoben werden. Wer sich zu solitär an einer Stelle engagiert, hat erhebliche Schwierigkeiten, hier seine Schäfchen ins Trockene zu bekommen.

Auch die Schätze, die jeweils gefunden werden, sind nicht mehr linear oder progressiv in ihrer Wertigkeit, sondern eine ganze Reihe von Sonderprämien sind damit verbunden, so dass jeder Spiele nach individuellen Prioritäten auswählen kann.

Jetzt sind die Schätze auch mit einer Unmenge von Flüchen versehen (das Spiel heißt ja auch nicht „Schatzinsel“ sondern „Insel der Flüche“), und es ist eine weitere Herausforderung des Spiels, diese bis zum Schluss alle wieder loszuwerden bzw. auf eine erträgliche Anzahl zu begrenzen.

Jede Menge spielerisches Beiwerk machte aus der ursprünglichen, höchst interaktiven Denkerarbeit eine höchst interaktive Spielerei. Für intelligente Familien durchaus geeignet.

WPG-Wertung: Aaron: (würde für sei eigenes Kind natürlich sehr gerne 10 Punkte vergeben, wollte sich diesbezüglich aber anders verhalten als Martin Wallace), Günther: 7 (hohe Interaktion, das Herzstück des Spiels, das gemeinsame Bauen, ist ein sehr gelungenes Element), Moritz: 8 (enthält viele ausgearbeitete Ideen, von den Rundenkarten angefangen, über die Auswahlkarten und die Spielkarten bis hin zu den Prämien, besitzt Dynamik und hohe Variabilität), Walter: 7 (sehr gute, spannende Interaktion, 8 Punkte für das gemeinsame und doch konkurrierende Bauen, 6 Punkte für die verfluchten Schätze und den darin ausgelobten Prämien.)

3. “Les Poilus”

Ein kooperatives Mau-Mau-Spiel mit Schikanen. In mehreren Runden müssen wir einen Vorrat von etwa 40 bis 60 Farbkarten loswerden. Mit 25 Karten fangen wir an, pro Runde kommen dann (mindestens) 3 weitere Karten dazu. Wieviele Karten pro Runde jeder Spieler auf die Hand bekommt, entscheiden wir von Fall zu Fall gemeinsam im Team. Zu Spielbeginn sind es 3 Karten pro Spieler.

Reihum wählt jeder Spieler jeweils eine Karte aus seiner Hand und legt sie entweder auf den gemeinsamen offenen Abwurfstapel oder in seine private Auslage.

Pro Karte ist vorgeschrieben, wohin sie abgelegt werden muss. Es gibt „Standardkarten“ in sechs verschiedenen Farben, die meisten davon sind zweifarbig, einige auch dreifarbig; diese Karten müssen auf den Abwurfstapel. Und es gibt „Sonderkarten“, diese muss ein Spieler nach dem Ausspielen in seine private Auslage nehmen. Zwei Grund-Abwurfregeln sind zu beachten:

1. Auf dem Ablagestapel dürfen kein drei Karten vorkommen, die die gleiche Farbe aufweisen, und

2. Kein Spieler darf vier Sonderkarten in seiner privaten Auslage haben.

Kann ein Spieler entsprechend diesen beiden Regel keine Karte mehr spielen, so muss er für diese Runde passen. Haben alle Spieler gepasst, so ist eine Runde „erfolgreich“ abgeschlossen: der offene Abwurfstapel wird beseitigt; die Spieler behalten die nicht gespielten Handkarten und bekommen dazu eine entsprechend der Team-Entscheidung definierte Anzahl neuer Karten. Zusätzlich kommen soviele Karten, wie die Spieler insgesamt nicht spielen konnten oder wollten, aus der Reserve in den Vorrat. Je mehr Runden wir spielen, desto mehr Karten müssen wir also insgesamt loswerden.

Eigentlich ganz einfach, und es sollte fast ein Kinderspiel sein, den Vorrat in 6 bis 7 Runden abgelegt zu haben. Aber jetzt kommen die Schikanen.

Auf den Sonderkarten stehen weitere Bedingungen für das Ablegen. Z.B. „Keiner darf passen, solange er noch eine Karte auf der Hand hat.“ Oder „der Spieler, der diese Karte in seiner Auslage hat, darf nur als Letzter passen.“ Was sind die Konsequenzen dieser Bedingungen? Die Grund-Abwurfregeln könnten verletzt werden. Z.B. kann ein Spieler dadurch gezwungen, die unerlaubte dritte Karte einer Farbe auf den Abwurfstapel zu legen. In diesem Fall ist eine Runde ebenfalls beendet, allerdings „ohne Erfolg“: der offene Abwurfstapel wird nicht beseitigt, sondern wird wieder in den Vorrat gemischt.

Falls ein Spieler über eine dieser Schikanen-Regeln sogar eine vierte Sonderkarte in seine private Ablage legen muss, so ist das Spiel aus und alle Spieler haben verloren. Gewonnen haben sie, wenn sie den gesamten Vorrat ablegen konnten ohne dabei gegen die Grund-Abwurfregeln verstoßen zu müssen.

Da mit dem gewöhnlichen Kartenmix ein totaler Abwurfsieg nur schwer zu erzielen ist, gibt es ein paar Warmduscher-Regeln:

1. Jedem Spieler ist eine definierte Farbe zugewiesen; er darf einmal pro Spiel eine Karte dieser Farbe vom offenen Abwurfstapel entfernen.

2. Die Spieler dürfen pro Runde einem beliebigen Spieler „Rückhalt“ gewähren, so dass er zwei Karten aus seiner privaten Ablage beseitigen darf.

Weil damit ein Sieg aber wiederum zu leicht würde, ist auf einigen Farbkarten noch ein „Handicap“ eingezeichnet. Wenn eine solche Karte gespielt wird, muss von der Reserve her eine zusätzliche Karte gespielt werden. Damit kann es passieren, dass damit bereits die dritte Karte eine Farbe auf den Abwurfstapel kommt und die Runde erfolglos beendet werden muss.

Sind wir den gesamten Vorrat losgeworden, so haben wir alle gemeinsam gewonnen. Sind alle Karten aus der Reserve ins Spiel gekommen, ohne dass wir den Vorrat abgearbeitet haben, so haben wir alle verloren. Aus die Maus.

Und warum heißt das Spiel „Les Poilus“? Nach Wikipedia (und nach dem Regelheft) bedeutet das französisch „der Behaarte“ und ist eine umgangssprachliche Bezeichnung für einen französischen Frontsoldaten des Ersten Weltkrieges. Und was haben die französischen Frontsoldaten mit Mau-Mau zu tun? Spieleautoren und Spielverlag entschuldigt meine „Übersetzung“ eueres Spiels. Die Karten in „Les Poilus“ sind nämlich keine Farbkarten, sondern „Bedrohungskarten“ auf denen anstelle von Farben die „Bedrohungen“ Giftgas und Granate, sowie Wetterunbilden abgebildet sind. Die Sonderkarten sind „Schwere Schläge“, und jedem Spieler wird keine Farbe zugewiesen, sondern ein definierter Soldatentyp, der einmal eine der zugewiesenen Bedrohungen abwehren kann.

In der neuesten Spielbox schreibt doch tatsächlich ein Kritiker: „Obwohl das Thema düster und grauenvoll ist, und wohl das Ernsthafteste, das jemals auf den Tisch kam, ist die Qualität des Spiels nichtsdestoweniger herausragend. Mit einfachen Mitteln eines Kartenspiels ist es gelungen, die harte historische Realität einfühlsam darzustellen!“ Die Spielautoren selber bekunden: „Wir haben uns entschieden, diesen Massenwahnsinn aus der Sicht des Einzelnen zu betrachten, durch die Brille seiner täglichen Sorgen und Ängste. Für diese Menschen war die einzige Erleichterung ihr Zusammenhalt, ihre Brüderlichkeit und ihr Vermögen, sich gegenseitig zu unterstützen und zu helfen, einzeln und gemeinsam.“ – Oh mein Gott, und dass alles sollen wir spielerisch nachempfinden? Für mich wird damit eher die Mentalität für den nächsten wahnsinnigen Weltkriegseinsatz vorbereitet. Schaut euch doch mal den Film „Kolberg“ von Veit Harlan an und vergegenwärtigt euch, wer diesen Film und warum finanziert hat! Hat Sylvie Goulard vielleicht einen großen Batzen Geld zur Entwicklung von „Les Poilus“ beigesteuert?

WPG-Wertung: Aaron: 4 (nichts, was ich noch einmal spielen möchte, auch nicht in einer größeren Runde), Günther: 3 (Ich bin am grübeln …, warum musste man ausgerechnet dieses Kriegs-Schlamm-Thema zugrunde legen; der ganze Gag sind die … Effekte, und über diese wird man gespielt), Walter: 3 (kein Verständnis für diese Art von Kooperation, das Spiel könnte man besser als offenes Knobelspiel abwickeln.).

22.11.2017: Das Gaia Projekt

Bridge. Offene Bayerische Paarmeisterschaft 2017. Teilnehmen dürfen alle, gute wie schlechte Spieler, und natürlich auch Ehepaare, für die Bridge-Turniere generell eine erhöhte Scheidungsgefahr darstellen, wenn sie diese nicht durch ein in jahrzehnelangem Ehefrust angewachsenes mauerdickes Anti-Frust-Fell wegstecken können.

Das Ehepaar bekommt folgendes Blatt auf die Hand:

Süd (die Frau):
Pik: DB53
Coeur: –
Karo: AKD7653
Treff: D3

Nord (der Mann):
Pik: A62
Coeur: AKDB93
Karo: 8
Treff: AK7

7 SA fallen aus der Hand. Im Skat entspricht das einem Grand-Hand mit Vieren, Schneider-Schwarz angesagt!

Die Reizung ging ohne Feindeinwirkung:
1 Karo (SIE) – 2 Coeur (ER)
2 Pik (SIE) – 4 SA (ER) – pass – pass – pass

Im Skat entspricht das etwa, als ob man mit dem Grand-Blatt bis 46 reizen würde, um dann das Spiel dem Gegner für einen Nullouvert zu überlassen.

Michael, ein Gegenspieler, fragte die Frau nach Abschluss der Reizung, was der Sprung ihres Partners in 2 Coeur bedeutete. Antwort: „10-11 Punkte“. Dann fragte er weiter, was das 4 SA-Gebot bedeutete. IHRE Antwort: „Das will er spielen.“ Jetzt fragte Michael IHN, was sein 4-SA-Gebot bedeutete. Es ist schließlich ein Recht der Verteidigung, sich ein Bild von der Verteilung der Gegner machen zu können, soweit das aus deren Reizung hervorgehen kann. Ein ehrlicher (und guter) Spieler hätte jetzt eine ehrliche Aufklärung über sein Gebot gegeben, das doch zweifellos die As-Frage und nicht „zum Spielen“ war. SEINE Antwort: „Das will ich spielen!“ Nach zwei Stichen wurde auch IHM langsam klar, dass er jetzt jetzt alle 13 Stiche machen würde, und er sagte ziemlich gepresst zu IHR: „Das wollte ich NIE spielen.“ Darauf wandte sich Michael nochmals an IHN, wissend, lächelnd, aber auch vorwurfsvoll ob der ersten Lüge: „Sie haben doch gerade gesagt, das will ich spielen“! SEINE verquälte Antwort: „Das muss ich jetzt spielen!“

1. “Gaia Project”

Beim Aufbau des Gaia-Universums

Wieder so ein Spiel, mit dem sich die Autoren Ostertag und Drögemüller einen Doktorhut, wenn nicht gar den Nobelpreis verdient haben. Tausend Schräubchen haben sie an einer Spiel-Maschine angebracht, an denen wir drehen und ziehen können, um unsere Aktionen zur Besiedlung des Universums zu lenken und zu leiten, um eine strategische Planung umzusetzen und mit flexibler Taktik auf die jeweils neuen Gegebenheiten in der Spielsituation reagieren zu können.

Mehrere abgeschlossene Schwerpunktfelder für Planung und Aktion werden uns bereitgestellt, deren innere Logik wir erfassen und beherrschen müssen, um gegenüber unseren Mitkonkurrenten Erfolg zu haben.

  1. Das Spielbrett mit dem Weltall.
    Hier fliegen die Planeten umher, die wir besiedeln dürfen. Einige sind uns direkt zugeordnet, für andere fehlt uns zu Spielbeginn die Reichweite, wieder andere müssen wir erst mit einem gewissen “Terraforming” beackern, bevor sie für uns bewohnbar werden. Natürlich ackern unsere Mitspieler hier ebenfalls, und wie in vielen Bereichen des richtigen Leben ist es auch hier nützlich der Erste zu sein.
  2. Die Rundenbooster.
    Sie gewähren Vergünstigungen (Rohstoffe bzw. Siegpunkte) je nach den Aktionen, die wir in einer Runde durchführen, bzw. je nach dem Besitzstand, den wir am Ende einer Runde haben.
    Das zwangsweise Wechseln und Neuaussuchen der Booster in jeder Runde ist eine hübsche Erfindung.
    Es ist keine leichte Entscheidung, welches für uns gerade das beste oder wichtigste ist, und auf welche Booster unsere Mitspieler ebenfalls ziemlich scharf sind, so dass wir lange, u.U. sogar bis zum Spielende vergeblich darauf warten müssen, bis sie wieder verfügbar sind.
  3. Das Forschungstableau.
    Hier gibt es sechs Kriterien, in der wir unsere Fähigkeiten (z.B. Reichweite und Navigation) in sechs Stufen verbessern können, wobei wir uns mit jeder Stufe neue Vorteile für die Besiedelung des Universums erwerben.
  4. Basis-Technologien und Ausbautechnologien.
    Insgesamt 51 Kärtchen, davon 23 verschiedene, können wir erwerben, um unsere Aktionen und unseren Spielstand honorieren zu lassen.
  5. Rohstoffe und Potenzen
    Mit jeder Menge an Geld, Erzen, Wissenschaft, Intelligence Cubes, und Machtsteinen müssen wir jonglieren, um unsere Fahrten durch das All bestreiten, bis zu 18 Gebäude von fünf verschiedene Typen (von der einfachen Mine bis zum Regierungssitz) errichten und finanzieren zu können, und sie ggf. noch durch eine Satellitenstraße für weitere Siegpunktprämien zu verbinden.

Ach, was soll ich jetzt die ganzen 24 Seiten schönster Spielregeln referieren. Es ist alles gut beschrieben und auf dem reichlichen Spielmaterial durch Piktogramme bestens visualisiert. Man muss bloß richtig hinschauen. Überall hinschauen! Auf einer Fläche von einem Quadratmeter sind die ungezählten Brennpunkte des Spiels angeordnet, jedes Detail ist wichtig, jedes Detail bringt entweder uns, oder falls wie es übersehen, unseren Konkurrenten Vorteile im Vorwärtskommen. Alles ist rund, alles ist ausbalanziert. Alles muss optimal gehandelt werden. Überall fließt Schweiß. Dreieinhalb Stunden lang. Schönster, lobenswertester Spielerschweiß. Man muss es nur mögen.

Günther hatte auf Wissenschaft gesetzt. Das vermittelte ihm recht bald ein bequemes kostensloses Vorwärtskommen auf allen Leisten der Forschungstableaus. Nicht ohne Neid – wenn sie denn hinschauten – mussten seine Nachbarn diese Gabe der Natur auf ihn herabrieseln sehen. Nur Moritz blieb gelassen. Er hatte in der Startaufstellung die grünen Terraner bekommen. Seine Spezialaufgabe lag darin, die grünen Planeten zu besiedeln. Er absolvierte seine Aufgabe mit Bravour. Am Ende setzte er sich mit 142 Siegpunkten weit vor Günther und meilenweit vor den beiden anderen Mitstreitern ab. Zu Hilfe war ihm dabei gekommen, dass die grünen Planten in dem für die Schlußwertung zufällig gezogenen Wertungsplättchen nochmals honoriert wurden. Allerdings hatte er, nach eigenen Bekunden, schon das verwandte “Terra Mystica” tausendmal im Internet studiert und praktiziert, so dass er im Gaia Project auf bekannten Pfaden wandelte.

WPG-Wertung: Aaron: 7 (1 Punkt mehr als „Terra Mystica“, weil es besser ist und die Regeln griffiger sind), Günther: 9 („Terra Mystica“ war bereits super, „Gaia“ ist noch superer), Moritz: 9 (nicht origineller als „Terra Mystica“, aber besser, logischer und durchsichtiger, es gibt mehrere offene Siegstrategien, die man flexibel handhaben muss), Walter: 7 (für Freaks gewiß 9 Punkte wert, da es keinen Fehl und Tadel aufweist. Aber ist es auch spielerisch, lustig, schadenfreudig, und – abgesehen von der leichten Konkurrenz auch – interaktiv? Für mich nicht).

2. “Startups”

Ein kleines, reizvolles Kartenspiel mit einigen alten, aber auch einer zündenden neuen Idee. Wir ziehen reihum jeweils eine Karte in sechs verschiedenen Farben vom verdeckten Stapel oder von der offenen Auslage (sofern vorhanden) und nehmen diese in unsere Kartenhand auf, dann legen wir eine Karte aus der Hand zurück in die offene Auslage oder vor uns als unsere private Farb-Auslage.

Karten einer Farbe, von der wir mehr Karten in unserer privaten Auslage haben, als jeder andere Spieler, dürfen wir aus der offenen Auslage nicht nehmen. Den ersten beißen die Hunde, die letzten können hier problemlos zugreifen.

Am Ende, wenn der verdeckte Kartenstapel aufgebraucht ist, bekommen die Spieler für die Dominanz einer Farbe in ihrer privaten Auslage von jedem Mitspieler, der ebenfalls Karten dieser Farbe ausgelegt hat, einen dicken Strafzoll. Gleicher Mehrheitsbesitz an Farbkarten pattet sich auch; die Minderheiten müssen dann auch keine Strafzölle bezahlen.

Überraschend, was sich da tut. In fünf Minuten ist ein Durchgang zu Ende. Jeder darf einmal Startspieler sein, fünf mal vier = zwanzig Minuten Logik, Überraschung und Freude. Und auch ein bißchen Pech.

WPG-Wertung: Aaron: 8 (schnell und flüssig), Günther: 7, Moritz: 7 (ganz OK; man muss es locker sehen), Walter: 8 (oder 7; spielerisch, kurzweilig, interaktiv, vom Preis-Leistungsverhältnis her ein Spitzenspiel).

Frage an die Designer: Wenn jeder Spieler reihum die einzige Karten aus der offenen Auslage nimmt und eine andere Karte dafür hinlegt, aber nie eine weitere Karte vom verdeckten Stapel nimmt, dann hat das Spiel NIE ein Ende. Dafür ist in den Regeln nichts vorgesehen. Unnötig? Nie vorgekommen? Oder kein Platz mehr in der Spielanleitung?

08.11.2017: Catalonien vs. Caledonien

Nachdem meine Tochter in Barcelona wohnt, darf ich doch wohl eine Lanze für das unabhängige Katalonien brechen. Von der Zentralregierung und von den Medien wird immer auf die Verfassung gepocht. Hat Katalonien denn freiwillig dieser Verfassung zugestimmt? Hat nicht Franco (und jahrhundertslang seine Vorgänger) mit Waffengewalt das immer „andere“ Katalonien unter die kastillianische Kontrolle gebracht? Riecht diese Verfassung nicht 10 km gegen den Wind nach Absolutismus? Was wäre, wenn Deutschland schnell mal die Niederlande als Bundesstaat einkassieren würde und dann im Grundgesetz einen Artikel analog dem spanischen 155 einführen würde? Dann könnte man problemlos jeden dagegen aufbegehrenden niederländischen Patrioten ins Gefängnis bringen.

In Berlin würde sicherlich keine Regierung aufschreien, wenn der Freistaat Bayern seine Unabhängigkeit erklären würde. Vielleicht sogar im Gegenteil …

1. “Clans of Caledonia”

Spielplan mit Arbeitern, Kühen, Getreidefeldern und Whisky-Destillerien
In Caledonien (Schottland), nicht in Catalunya (Kastilien) hat Juma Al-JouJou sein Wirtschaftsspiel angesiedelt. Offiziell spielt es in der Zeit des Wandels vom Agrar- zum Industriestaat. Von unseren Lämmern verkaufen wir nicht mehr so gerne die Keulen, sondern lieber die Wolle, aus unseren Kühen machen wir weniger gerne Schinken, lieber lassen wir ihre Milch fließen. Unser Ackerland liefert Getreide, das wir als billige Rohware verkaufen können oder als teureres veredeltes Produkt, nachdem wir es in unseren Bäckereien zu Brot und oder in unseren Destillerien zu Whisky verwandelt haben. Unsere Arbeiter in Wald und Gebirge bringen uns sofort Bargeld ein, ohne dass wir die Früchte ihrer Arbeit erst zu Gesicht bekommen.

Eine gigantische Maschinerie hat uns Juma hier bereitgestellt, das ordentlich nach Schweiß riecht. Das fängt schon damit an, dass sich zu Beginn jeder Spieler ein Clanplättchen heraussuchen muss, womit er sich in Kosten und Nutzen seiner Wirtschaft von seinen Mitspielern abhebt. Was sind die Kriterien, nach denen wir unter den insgesamt 9 verschiedenen Clanplättchen wählen dürfen? Günther wird in Laufe seines Spielerlebens wohl alle einmal ausprobieren. Heute führte er die Campbells, die sich besonders um die schottische Architektur verdient gemacht haben. Sehr zufrieden war er damit nicht, denn er musste damit für teures Geld in Gebäuden klotzen, um an die eher mageren Prämien heranzukommen. Aaron führte die Cunninghams, die schon im 19. Jahrhundert riesige Butterberge erzeugten. Er schwamm in Geld, doch Geld alleine macht bekanntlich nicht glücklich. Walter suchte sich als Startspieler die MacKenzies heraus; damit war die Whisky-Strategie vorgegeben und er brauchte sich lange Zeit nicht um Schafe, Rinder und Käsereien zu kümmern. Vielleicht war Letzteres auch ein Fehler. Moritz wählt die Stewarts, schwelgte in Händlern und dem Zusatzprofit, den sie aus dem Kauf oder Verkauf ihrer Ware erzielten, und hatte seiner Natur gemäß ständig alle Hände voll damit zu tun, das Räderwerk seines Handelsimperium im Gang zu halten. Erfolgreich, denn er wurde damit auch Erster.

Exportaufträge in ihrer erfindungsreichen aber auch paralytischen Vielfalt
Aber soweit sind wir noch lange nicht. Drei Stunden Werken und Wirken standen noch vor uns: Errichten von Landwirtschaftsbetrieben und Veredelungsindustrien auf dem zentralen Spielbrett mit Berg-, Wald und Wiesenheaxagons um ein paar Lochs (kein Schreibfehler!) herum, Arbeitervermehrung, Expansion, Produktion, Veredelung und Handel. Nicht zu vergessen die „Exportaufträge“; dies sind besondere Warenzusammensetzungen, die wir bereitstellen müssen, um sie gegen Sonderprämien in Geld, Entwicklungsfortschritten und „Spurenelementen“ einzutauschen, die in der Endwertung nochmals tüchtig Siegpunkte ausschütten. Sie sind der eigentliche Schlager in der Endwertung, während Geld am Ende kaum etwas wert ist, und unverkaufte Rohstoffe und Fertigwaren gerade mal ein paar Rest-Siegpünktchen einbringen. Moritz schaffte mit den Aufträgen fast zwei Drittel seiner 169 Siegpunkte.

Dafür musste er sich mit seinen Händlern aber auch ganz schön abrackern. Während Walter z.B. mit zwei-drei Spielzügen seine Whisky-Produktion in Fass und Keller hatte und sich in seinem Lehnstuhl den verdienten Feierabend gönnen konnte, musste Moritz noch minutenlang (he, he, das ist jetzt überhaupt keine Kritik!) planen und organisieren und seinen Händlern Aufträge erteilen, bevor er jeweils eine der fünf Spielrunden abschließen konnte.

WPG-Wertung: Aaron: 5 (wohlwollend, von A bis Z eine [elende] Rechnerei, die mir keinen Spaß macht, zugeschüttet mit Nebeneffekten, auf die man achten muss, anstrengend, nix Neues), Günther: 6 (bis 7, sehr vieles von „Terra Mystica“ abgekupfert, das aber bessere Regeln hat; der Wert der „Spurenelemente“ ist spielentscheidend, aber nur schwer kalkulierbar; hierin kann sogar noch ein Kingmaker-Effekt liegen) , Moritz: 8 (mindestens, super Spiel, jederzeit voll involviert, keine fixe Strategie, sondern ständig flexibles Agieren auf die aktuelle Situation, jede Menge Interaktion durch Konkurrenz), Walter: 7 (für Ingenieursleistung und Balance; es gibt viele hübsche kleine Dinge zu tun, herumzuwursteln und herumzurechnen; für Freaks ein gelungenes abendfüllendes Programm; eine neue klare zündende Idee ist allerdings nicht enthalten; wenn man es schon kennt und der Reiz des Neuen entfällt, ist es viel zu lang)

Generell wurde das Thema kritisiert. Ein paar runde Spielklötzchen als Whisky-Fässer machen noch keinen Highlander. Und wenn Regeln abstrakt aus der Luft gegriffen werden, wie hier z.B. ein freier Exportauftrag nach dem Bauen der vierten Bäckerei, so mag das für die Diversifizierung der Taktiken zwar sehr sinnvoll sein, thematisch ist es aber nicht.

Hans-im-Glück hätte das Spiel gewaltig abgestrippt. Dann wäre es – nach der Mehrheit der WPG-Einschätzer noch – besser geworden.

Wie man dabei aber aus den vielen Schweißtüchern auch noch einen Lacherer herauswringen kann, das bleibt anderen Spielautoren überlassen.

2. “Bluff”

Erstmals in unserer Geschichte verlor dreimal hintereinander je ein Spieler 3 Würfel. Nur Günther nicht. In der Mittelphase schwächelte er allerdings und musste ohne Würfelvorteil mit 1:1 gegen Moritz im Endspiel antreten.

Moritz versuchte es mit Walter’s immer-4-Strategie, Günther zweifelte an und hatte gewonnen. Auch Günthers Immer-5-Strategie hätte Moritz keinen Sieg gebracht. Mit welcher Vorgabe hätte Moritz das Spiel für sich entscheiden können?

Wer sich an die Lösung dieser Aufgabe macht, wird sogleich feststellen: „Da fehlen ja noch Angaben!“ Richtig: Moritz hätte mit der höhern gewonnen!

04.10.2017: Prototyp vor Eisenbahn

„Spielregeln: zählen letztendlich nur für den, der nicht mitspielt.“
Andreas Egert, Journalist und Aphoristiker)

„Es ist nicht alles wahr, was schöne Worte uns vorgaukeln.“
moi; das gilt gleichermaßen für Pfarrer, Politiker und Journalisten.

1. “Mexian Cartels”


Cártel mexicano : agricultura, halcones y sicarios con cockringes

Nicht erst seit „Loot Island“ in trockenen Tüchern ist, bastelt Aaron an seiner nächsten Spielentwicklung. Er hat ständig gleich eine Handvoll neuer Spielideen in seinem Brutkasten. Heute durften wir einen ersten Eindruck von seinem neuesten mexikanischen Abenteuer mitnehmen.

Thematisch geht es um Drogenkartelle, um den Anbau und Handel von Haschisch durch „Halcones“ hinter dem Schutzwall von „Sicarios“, die nicht nur die eigene Ernte schützen sollen, sondern auch die feindlichen Killer abknallen und nach Möglichkeit deren Anbaufelder übernehmen sollen.

Political correct könnte man die Szenerie auch als den Anbau von bravem Hanf zur Herstellung von Jute-Taschen ansehen. Oder als Reisanbau in Vietnam, der von Miss Saigon und ihren Konsorten geschützt bzw. vernichtet wird. Mal sehen, was der Zahn der Zeit aus dem Thema noch alles herausbringt.

Der Bandenkrieg ist noch nicht gelungen. Angreifer und Verteidiger, Gewinner und Sieger verlieren regelgerecht regelmäßig zuviel Potenz und werden anschließend unweigerlich eine Beute der bisher unbeteiligten Dritten. Es muss sich lohnen zu kämpfen oder alle Kämpfe müssen – analog wie bei Small Word – ein unumgänglicher Bestandteil des Spielgeschehens sein.

Konstruktives Bauen kombiniert mit destruktiven Erobern ist zweifellos eine hübsche Spielidee. Aber geschenkt wird dem Genie auch hier nichts. Die Balance im Spielmaterial (Engpässe verschiedenster Art), in der Effizienz von äußeren Bedrohungen durch Polizeit und Militär, sowie die topologische Chancengleicheit in den Anbauregionen benötigen noch massive Fortschritte in der Entwicklung. Das Dreimonatskind kann noch lange nicht aus dem Brutkasten heraus.

Noch keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Entwicklung.

2. “Wabash Cannonball“ alias „Chicago Express”

Das hübsche Spielgefühl beim Cannonball-Revival von letzter Woche wollten wir diesmal in einer Viererrunde wiederholen. Diemal gelang es nur mit gebremstem Schaum.

Der Aktienbesitz war zu symmetrisch verteilt: Wenn jeder ein Share einer Gesellschaft hat, lohnt es sich nicht, diese Gesellschaft zu fördern. So lohnte sich heute vieles nicht.

Beispiel für Walters Dilemma:

• Er besaß ein Drittel der roten Aktien (genauso wie Günther und Moritz), ein Viertel der blauen Aktien (Aaron besaß die restlichen drei Viertel) und ein Fünftel der grünen Aktien (Günther und Moritz besaßen je 40 Prozent).

• Bei der Entwicklung der roten Linie profitierte er zu 33 1/3 – 25 = 8 1/3 Prozent gegenüber dem Durchschnitt seiner Mitspieler. Hier ärgerte er sich aber darüber, dass ihm Günther und Moritz unisono die „Drecksarbeit“ überließen, nachdem die PRR Fort Wayne erreicht hatte und nur noch zwei Schritte zum profitablen Anschluss von Chicago fehlten.

• Die Entwicklung der blauen Linie war für ihn gewinn-neutral, wobei hier aber Aaron mit seiner 75 % Mehrheit der glückliche Absahner geworden wäre.

• Der Fortschritt der grünen Linie war für ihn kontraproduktiv; pro Punkte hätte er 25 – 20 = 5 Prozent an Boden gegenüber dem Durchschnitt verloren. Was lag näher, als den Ärger über das rote „Drecksarbeit Überlassen“ hier auszulassen und die grüne Linie zu schädigen Ein Gewinn von 5 Prozent pro miesnickeligem Verschleudern von Potential! Gesagt getan, Gegen-Argumentation und lange Gesichter bei G&M, Kingmakerei für Aaron! Auch das liegt in „Wabash Cannonball“ drin.

Neben heutigem langen Nachdenken, welcher Aktion wohl die beste wäre, gab es auch auch merklich langes Nachrechnen darüber, bis zu welchem Preis man beim Aktien-Versteigern wohl mitgehen sollte. Wobei Letzteres in jeder Versteigerungsrunde neu berechnet wurde, obwohl die Eingangsdaten sich nicht geändert hatten und eigentlich immer der gleiche Wert herauskommen sollte. Allerdings sollten alte Mehrheitsbesitzer hier offensichtlich noch einen Obolus mehr opfern, um miesnickelige Seiteneinsteiger draußen zu halten.

Keine neue WPG-Wertung; trotz der angeführten Kritikpunkte blieben alle bei ihren 8-Punkten.

25.09.2017: Reprisen für Moritz

Fast fünf Jahre ist es her, dass „Loot Island“ zum ersten Mal bei uns auf dem Tisch lag. Damals lief es noch unter dem Titel „Diggers“. Das Spiel kam sehr gut an. An ein paar Schräubchen musste noch gedreht werden und es war reif für die Verlage.

Von wegen. Bald stellte sich heraus, dass der zentrale Mechanismus zwar Planer wie die Westpark Gamers begeistern kann, aber andere Spielgruppen erhebliche Probleme mit der Mischung aus vorausschauender Planung, Kartenglück und Spielerinteraktion hatten. Zu viele Runden arteten in Grübelei und Frustration aus.

Nach etlichen Diskussionen mit anderen Autoren und Spielern entstand eine Version, die zwar den Westpark Gamers wegen der Verwässerung des grundlegenden Mechanismus nicht mehr so gut gefiel, dafür aber dem Verlag What’s Your Game. Anfang 2015 wurde der Lizenzvertrag unterschrieben.

Die Zusammenarbeit mit dem Verlag war exzellent. Zwar entfernte sich das Spiel mit der Zeit deutlich von seinem ursprünglichen Ansatz, aber das Feedback der Spielgruppen wurde von Version zu Version besser. Mitte 2016 gab es dann eine Version, von der alle überzeugt waren und einem Release-Termin zur Spiel 2016 schien nichts mehr im Wege zu stehen.

Zweifel an der Balancierung und eine hohe Arbeitslast beim Verlag führten dann doch noch zu einer Verschiebung auf die diesjährigen Internationalen Spieletage in Essen. So bitter die Entscheidung vor einem Jahr erschien, im Nachhinein war sie richtig, denn die zusätzliche Entwicklungszeit hat das Spiel weiter verbessert: Es gibt neue taktische Möglichkeiten durch die „Bücher“, und das „Fluchsystem“ fühlt sich runder und thematischer an. Und last but not least: Die 2-Spieler-Regel wurde, dem Verlag sei Dank, noch einmal entscheidend verbessert.

Seit dieser Woche ist „Loot Island“ beim Verlag vorbestellbar, zur Abholung in Essen bzw. zum Versand danach. Obwohl das Spiel eher in die Kategorie eines „Oddville“ des Verlags passt und damit bei Weitem nicht den Komplexitätsgrad der „großen“ Spiele des Verlags erreicht, ist das Interesse bereits groß. Bei Boardgamegeek war es tagelang unter den Top 5 der „Hotness“-Liste obwohl die endgültige Version nur sehr wenige Spieler kennen, und Richard „Rahdo runs through“ Henn hat sich bereits äußerst positiv über den von ihm gespielten Prototypen geäußert.

In drei Wochen wird „Loot Island“ in Essen sowohl am What’s Your Game Stand (Halle 3, M100) und am Pegasus-Stand (Halle 3, M110) vorgestellt und gespielt. Wir sind gespannt.

1. “NMBR9”

Unser Repertoire an diesjährigen, noch ungespielten Spielen geht zu Ende. Es wird höchste Zeit, dass mit der Spiel 2017 in Essen wieder Nachschub kommt.

Aaron hat mit seinem „Spielefinder“ in unseren Listen geblättert und darin je zwei relativ neue, akzeptable Spiele herausgesucht, für die wenigstens Moritz noch keine Wertung abgegeben hatte.

„NMBR9“ kam als erstes dran. Dieses Jahr herausgekommen, am 25. Juli dieses Jahres zum ersten Mal bei uns gespielt. Idee, Form und (kurze) Spieldauer wurden damals honoriert, dazu ein Ausblick auf das potentielle Spielen mit Kindern und Enkeln.

Tetris-artige Formen der Ziffern 0 bis 9 müssen so ineinander und aufeinander gelegt werden, dass kompakte Flächen ohne Löcher entstehen, auf die ebenfalls Ziffernformen gelegt werden können. Nach Möglichkeit in mehreren Schichtungen nach oben, wobei die höchsten Ziffern möglichst ganz oben liegen sollten, weil sie dann ein Mehrfaches ihres Zahlenwertes an Siegpunkten bringen. Da aber der Zufall bestimmt, in welcher Reihenfolge wir die Ziffern legen müssen, kann es sein, dass wir die Achter und Neuer alle auf den null-wertigen Boden legen müssen, bevor wir auch nur die erste ausreichend große Bodenfläche für das nächste Stockwerk vorbereitet haben.

Igendwie möchte jeder Spiel die Ziffernformen gerne drehen und wenden, weil sie dann besser aneinander anschließen würden. Aber hier war der Designer gnadenlos, erstens bei der Ausformung der störgeligen Ziffernplättchen und zweitens durch das Verbot des Umdrehens der Plättchen. Spiel-psychologisch war das eher unglücklich: eine weitere Steigerung des Frustes bei jeder nächsten unpassenden, aber zwangsweise zu behandelnden Form.

WPG-Wertung: Moritz blieb mit seinen 4 Punkten glatte 2 Punkte unter dem bisherigen WPG-Durchschnitt. „Das Spiel macht mich überhaupt nicht an; es ist solitär, eine Strategie ist trivial, wir werden bei den Herausforderungen, die jeder für sich selber lösen muss, von Zufall schikaniert“.

2. “Cottage Garden”

Moritz als Gärtner

Der nächste abstrakte Tretris-Verwandte für den themenverliebten Moritz. Aus Fehlern von der ersten Begegnung mit den „Gärtnern“ gelernt (siehe Spielbericht vom 04.08.2017) haben wir diesmal die Regeln alle richtig angewendet. Blumenrabatte in Tetrisform werden aus Zeilen bzw. Spalten eines Angebot-Quadrats ausgewählt und in unsere beiden Gartengrundstücke eingepasst, Katzen dürfen als kostenlose Zusatzzüge eingesetzt werden, und jeder Spieler bekommt sechs Zählsteine, mit denen er, je nach fertig bebautem Grundstück, auf zwei verschiedenen Siegpunkt-Zählleisten taktisch richtig vorwärts ziehen kann.

Nach dem ersten Durchgang war Walter sogleich zu einem zweiten Durchgang bereit. Schließlich hatte wir gerade wieder etwas Taktik dazu gelernt. („Mache deine beiden Beete nicht gleichmäßig voll, sondern versuche eines wenige Züge vor den Abschluß zu bringen, bevor du die nächsten dicken Blumenrabatten auf das noch ziemlich leere Beet pflanzt.“) Doch Moritz legte ein Veto ein: „Ich schlafe gerade ein! Keine Spannungskurve, keine Konkurrenz, keine Höhen und Tiefen. Ubongo ist besser!“

Und was haben wir über „Ubongo“ geschrieben? Die unter Zeitdruck zu erfüllenden Puzzle-Aufgaben ergeben schon eine lustig-hektisch-spannende Spielsituation. Doch die Siegerwertung toppt das Ganze noch: Mehr als 8 Punkte im WPG-Durchschnitt.

WPG-Wertung: Die bisherigen 6-7 Punkte & Sympathiepunkte am Westpark wurden von Moritz nahezu halbiert. 4 Punkte, genauso viel wie für „NMBR9“, und keinen Pfifferling mehr.

Der Siegpunkteinlauf bei „NMBR9“ war
Aaron vor Moritz vor Walter mit 60 : 57 : 52 Punkten. Der Siegpunkteinlauf von „Cottage Garden“ war
Aaron vor Moritz vor Walter mit 59 : 58 : 52 Punkten. Mediziner mit ihrem bekanntermaßen mangelhaften bzw. bestechlichen Verständnis für Statistik würden veröffentlichen: „Die beide Spiele sind nahezu identisch!“ Und diese Einschätzung trifft genau die heute etwas unwillige Abqualifizierung von Moritz. Dafür fand Moritz noch einen neuen – in unseren Augen durchaus zugkräftigeren – Name für „Cottage Garten“ : Was haltet Ihr von „Quer Beet“?

3. “For sale“

Das Spiel war als dritte Reprise für Moritz gedacht, und Aaron hatte es schon auf den Tisch gelegt. Doch bevor Walter mit Wein und Whiskey aus dem Keller zurück war und ein Veto einlegen konnte, waren auch schon Aaron und Moritz zur Einsicht gekommen, dass ein einstufiges (echte) „Hol’s der Geier“ wesentlich schneller, pfiffiger und frustgebremster ist als diese zweistufige, chaotische Versteigerung von Einkaufs-Potenz und Siegpunkten.

4. „Wabash Cannonball” alias “Chicago Express“

Endphase von „Wabash Cannonball“

Moritz schaute sich im beschränkten Repertoire von Walters Spielen um und fischte “Chicago Express” (deutsche Ausgabe) hervor. Ausgerechnet Moritz, der für Spiele der 18xx-Familie auch mal nur 5 (für „1846“) und für das Best of all ever „1830“ nur 7 Punkte vergeben hat, suchte sich ein Eisenbahn-Aktienspiel hervor.

Doch „Chicago Express” hat nur auf den ersten Anschein hin Ähnlichkeiten mit den Mitgliedern der 18xx-Familie. Alles ist anders. Es gibt zwar Gesellschaften, Aktien, zu bauende Strecken und Dividenden. Doch jeder Spieler darf an jeder Linie herumbauen, im Guten wie im Schlechten, solange er auch nur eine einzige Aktie der Gesellschaft hat. Aktien sind am Ende überhaupt nichts mehr wert, es kommt also nur darauf an, für sein eingesetzten Geld möglichst viel Cash herauszuholen. Die Dividende einer Gesellschaft wird nicht auf alle existierenden Shares gleichmäßig verteilt, sondern nur auf die verkauften. Wer von einer Gesellschaft die einzige verkaufte Aktie besitzt, bekommt alles zu 100% ausgezahlt. Wer von seinen Mitspielern mehr oder weniger gezwungen wird, auch die zweite Aktie zu ersteigern, bekommt bei Ausschüttungen keinen Pfennig mehr. Dies erfordert eine absolut andere Strategie und Taktik auf dem Aktienmarkt.

Hier waren Aaron und Moritz in der Endphase zu gierig. Sie investierten hohe, zu hohe Summen in Aktien, die nicht annähernd mehr den Geldeinsatz als Dividende ausschütteten. Das Spielende kam einfach eine Runde zu früh. Walter war der lachende Dritte, er hatte ja auch das Spielende forciert.

Das Spiel ist äußerst interaktiv und enthält verschiedene Herausforderungen in Planung und Vorausdenken. Man kann viel rechnen; eigentlich ein Kritikpunkt, weil das trocken und auf Dauer anstrengend werden kann. Man kann aber auch auf das genaue Rechnen verzichten und sich mit dem Kampf um Einsatz, Strecken, Prioritäten und Aktionsauswahl begnügen. Schnell, spielerisch, herausfordernd und gelungen.

Keine neue WPG-Wertung für ein 8-Punkte-Spiel.

20.09.2017: Terraforming zum Fünften

Hat Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow (* 7. September 1939, † 19. Mai 2017) am 26. September 1983 das Auslösen eines Atomkriegs verhindert? Entsproß seine Entscheidung, den Alarm über den Abschuß amerikanischer Raketen auf die Sowjetunion als Fehlalarm zu werten und nicht weiter nach oben zu melden, seiner Erfahrung über die einzig möglichen Erstschagsszenarien oder war es ein Vergehen gegenüber seiner Aufsichtspflicht? Oder war das Ganze doch nur eine triviale Routine-Entscheidung, die von unseren Medien ein bisschen aufgebauscht wird?

Für sein Verhalten wurde er seitens seiner Vorgesetzten weder belobigt noch bestraft. Immerhin erhielt er 2004 und 2006 den World Citizen Award, 2012 den Deutschen Medienpreis und 2013 den Dresden-Preis. Immerhin.

1. “Terraforming Mars”

Terraforming: Spieler-Tableau mit Plastik-Schablone

Wenn ein Spiel „zu lang, zu breit und zu solitär“ ist, was muss es dann haben, dass es trotzdem auf Vielspieler eine solche Faszination ausübt? Günther bot das Spiel heute zum fünften Mal bei uns an, und es erhob sich kein Widerspruch. Im Gegenteil, alle nahmen noch einmal mit Ehrgeiz und Leidenschaft die Aufgabe auf sich, den Mars bewohnbar zu machen.

Immerhin legte Günther eine neue Szenerie auf. Die Verteilung von Städten, Grünflächen und Wasser war topologisch anders (kein merkbarer Einfluß auf die Strategien) und bei den Meilensteinen und Auszeichnungen kamen anderen Kriterien in die Auswahl.

Günther hatte sich die äußerst funktionellen Plastikschablonen zugelegt, die über das jeweilie Besitztum-Tableau der Spieler gelegt werden, so dass sich die einzelnen Besitztumsmarker, immerhin bis zu 12 Stück pro Spieler, beim versehentlichen Ruckeln am Tisch oder am Tableau nicht mehr verschieben können. Ein geniales Addendum zum Spiel. Allerdings muss man für so eine Plastikform zu einem Herstellungspreis von vielleicht 5 Pfennigen pro Stück immerhin 8 Euro hinlegen, für ein 4-Personenspiel also noch einmal sage und schreibe 32 Euro. Diese Erfindung kommt dann schon einer Gelddruckmaschine gleich. Aber man lebt nur einmal, aber man spielt häufiger …

Wir spielten wieder nach den Experten-Regeln und mit den Firmen-Erweiterungen aus BGG. Günther wählte sich als Start-Firma die „Mining Guild“: Vom Start weg florierte seine Produktion von Eisen und Titan, er schwamm in liquiden Mitteln. Und da alle Investitionen ja mit Zinsenzins in die Siegpunktbilanz eingehen, war es für ihn ein Leichtes, diese schon sehr früh sprudelnden Quellen zum Gesamtsieg zu nutzen. Oder gehört doch Spielwitz, Übersicht und Können dazu?

Walter bekam die „Republik Tharsis“, mit der er als erste Aktion kostenlos eine Stadt auf dem Mars bauen konnte, und im weiteren Spiel immer Geldprämien einstreichen konnte, wenn eine weitere Stadt gebaut wurde. Nicht schlecht. Mit einer schon sehr früh vom üblichen Verteilungszufall zugeschusterten Karte für Titanproduktion konnte er darüber hinaus seiner Kasse regelmäßig Finanzspritzen zukommen lassen. Er legte sich wenige, aber teure Invesitionen zu und bekam am Ende dafür auch noch eine Auszeichnung. Ansonsten fuhr er die Strategie, möglichst „fully invested“ zu bleiben, insbesondere keine große Kartenhand zu halten, die ja nur totes Kapitel bindet. Es reichte zum zweiten Platz. Spricht das jetzt gegen oder für die Herausforderungen von „Terraforming Mars“?

Moritz legte sich „Politicorps“ zu. Damit durfte er am Ende einen beliebigen weiteren Meilenstein für sich beanspruchen und bekam für jeden Meilenstein und für jede Auszeichnung zwei Siegpunkte mehr. Überschlägig entspricht das etwa 11 geschenkten Siegpunkten. Für diesen Ertrag musste er aber bis ganz zum Schluss warten. Dabei verzählte er sich bei zwei Kriterien, so dass er zweimal die Prämien und seine zwei Zusatzpunkte verpasste. Er kam nur knapp aufs Treppchen.

Bei unseren ersten Spielen haben wir in TM jede Menge Interaktion vermisst. Wenn man das Spiel aber besser kennt, dann findet man doch mehr als nur Spuren davon. Konkurrenz gibt es in jedem Fall bei Meilensteinen und Auszeichnungen. Auch die Besiedelung auf dem Mars ist ein Tummelfeld für passionierte Interaktionisten. Und wenn ein Mitspieler miesnicklige Karten zum Klauen von Ressourcen besitzt, kommt es sehr auf das Timing der Züge an, um den Miesnickel auszubremsen. Auf jeden Fall ist TM kein Solitärspiel, auch wenn es solitär gespielt werden kann.

Noch ein bisschen Statistik
Spieldauer 210 – 240 Minuten
Rundenzahl 13
Siegpunkte (max) 107
Terraformingwert (max) 38
Siegpunkte aus Städten und Grünflächen (max) 31
Siegpunkte aus Investitionen (max) 25

WPG-Wertung: Keine neue Wertung für ein Fast-8 Punkte-Spiel!

13.09.2017: Steinzeit auf dem Mars

“Wir spielen am Besten, wenn der Gegner nicht da ist.“
(Otto Rehagel)

1. “Tribes: Early Civilization”

“Tribes” – Wege der Menschheitsgeschichte

Sich fast entschuldigend legte Moritz mal wieder eine seiner beliebten amerikanischen Spiele-Erwerbungen auf den Tisch. Dabei geht es bei „Tribes“ nicht um Weltkrieg, Weltraum oder thematische Wunderländer, sondern in einer sauberen abstrakten Entwicklungs-Szenerie lediglich um Siegpunkte. Fast ein Eurogame. „Das Spiel könnte fast von Aaron sein!“ Eine Adaption von „Yunnan“. Anstatt auf der Seidenstraße bewegen uns auf unbekannten Wegen im Paläozoikum ff.

Um unsere Sippe zum Sieg zu führen, müssen wir:

  1. Lebensraum schaffen, d.h. Landschaftsteile (Hexagons) blind aus einem Säckchen ziehen und an unser Stammesgebiet anlegen.
  2. Wohnraum schaffen, d.h. in unserem Stammesgebiet weitere Hütten bauen.
  3. uns ausbreiten, d.h. unsere Hütten auf diejenigen Landschaftsteile verteilen, die wir für unseren nächsten Entdeckungsschritt brauchen.
  4. Schritt für Schritt unseren Stamm durch die drei verschiedenen Perioden der menschlichen Urgeschichte zu führen und damit – vor allem – Siegpunkte einzuheimsen.

Im Paläolitikum reicht eine einzige Hütte auf dem richtigen Landschaftsteil, um hier einen Schritt vorwärts zu kommen. „Richtig“ bedeutet, dass auf dem Landschaftsteil mit unserer Hütte das gleiche Symbol (Pferd, Schaf, Muschel, Weizen, Feuer oder Gold) aufgedruckt ist wie auf dem paläolitischen Hexateil (PH), in das wir expandieren wollen. Wir legen dann einen Marker auf dieses PH, kassieren ein paar Siegpunkte, steigern unsere Fähigkeiten in Bezug auf Entdeckertum, Bauvermögen, Beweglichkeit oder Schlagkraft und lösen ggf. noch weitere Nebeneffekte aus.

Im Neolitikum brauchen wir zwei Hütten auf den richtigen Landschaftsteilen, um hier ein PH weiter zu kommen und die gleichartigen, quantitativ etwas gesteigerten Vergünstigungen zu kassieren.

Im Bronzezeitalter benötigen wir drei Hütten für diesen Fortschritt.

Die oben geschilderen Aktionen dürfen wir aber nicht nach beliebigem Gusto ausführen, sondern wir müssen uns dabei an einen besonderen, nicht ganz nagelneuen Auswahlmechanismus halten, in dem der eigentliche Pfiff des ganzen Spiels liegt. Alle zulässigen Aktionen liegen als Kärtchen in einer Reihe hintereinander auf dem Tisch. Die erste angebotene Aktion dürfen wir jeweils kostenlos ausführen. Wenn wir aber eine Aktion auswählen wollen, die weiter hinten liegt, müssen wir auf jedes davor liegende Aktionskärtchen eine Muschi aus unserem sehr begrenzen Muschischatz legen. Das ausgewählte Aktionskärtchen kommt dann ans Ende der Reihe und der nächste Spieler hat die Qual der Wahl.

Auf den ungeliebten Aktionskärtchen am Anfang der Reihe häufen sich auf diese Weise immer mehr Muschis an, bis ein Spieler sich ihrer erbarmt und eines davon auswählt; er führt die ungeliebte Aktion aus, tröstet sich aber mit den vielen Muschis, die er dabei einstreichen kann.

Im Prinzip könnte es für einen Spieler fast egal sein, in welcher Reihenfolge er die notwendigen Aktionen zum Sieg ausführt, ob er erst Lebensraum und dann Wohnraum schafft oder umgekehrt. Doch der Schritt 4, das Weiterschreiten in der Urgeschichte, ist am wichtigsten und begehrtesten, die Aktionskärtchen dafür liegen selten auf den den billigsten Plätzen. Weiterhin wird als Nebeneffekt des allgemeinen Fortschritts zuweilen ein weiteres Kärtchen unter diese Aktionskärten eingefügt, dass u.U. ausschließlich negative Folgen auslöst, z.B. „Du verlierst 3 Hütten“ oder „Du verlierst 3 Landschaftsteile“. Solche Kärtchen sucht ein jeder zu vermeiden, bis ihn die Menge der hier abgelegten Muschis dann doch in den sauren Apfel beißen lässt, oder bis man keine einzige Muschi mehr besitzt und dann zwangsweise hier zugreifen muss.

So lebt ein jeder ein bisschen von der Hand in den Mund. Große Handlungsfreiheit im Aufbau gibt es nicht. Wie man den nächsten Entwicklungsschritt tun kann, dafür sind die nächsten notwendigen Aktionen klar und einsichtig. Wir versuchen an sie heranzukommen, und wir freuen uns, wenn dies möglichst billig vonstatten geht. Eine gewisse Voraussicht dessen, was sich in der nächsten Runde innerhalb der Reihenfolge der Aktionskärtchen tun wird, tun könnte oder tun muss, das ist die einzige Vorausplanung des Spiels, der Rest ist Zufall und Gespielt-Werden.

Wer sich zuerst auf Teufel komm’ raus mit Ressourcen eindeckt, kann zwar dem Zufall etwas entgegenwirken, aber er verpulvert dabei zu viel Energie. Wenn er dann endlich in Handlungsfreiheiten schwelgen könnte, hat ein Mitspieler die zum Sieg notwendigen 30 Siegpunkte bereits erzielt und das Spiel beendet. Immerhin geht das alles relativ flott über die Bühne.

WPG-Wertung: Günther: 5 (ein klein wenig Aufbau, aber nicht viel, kein Thema, keine Interaktion, lediglich ein bisschen Konkurrenz innerhalb des Aktionsauswahlmechanismus, hier aber mehr zufällig als planbar), Moritz: 6 (es funktioniert, hat ein seriöses Design; dass wir am Ende alle dicht beieinanderlagen, ist eher ein Zeichen von Einförmigkeit; in die Prämien beim Fortschreiten auf dem Entwicklungsweg hätte noch ein bisschen Pfiff gebracht werden können), Walter: 6 (Tendenz zu 5; das Spiel ist ausbalanciert, flüssig, es gibt keine Engpässe, der Muschi-Einsatz ist spielerisch. „Das beste Kick-Starter-Spiel, an das ich mich erinnern kann“. [Man beachte die Einschränkungen „Kick-Starter“ und „Erinnerungsvermögen“]).

2. “Terraforming Mars”

Selten hat ein Spiel mit so wenig Interaktion so oft den Weg zu uns auf den Tisch gefunden wie „TM“. Trotz erheblicher Kritikpunkte haben wir uns schon dreimal mit der stundenlangen solitären Aufbauarbeit beschäftigt.Günther hatte es in der Zwischenzeit weitere Male gespielt und wollte uns heute in der Dreierrunde seine volle Schönheit mit den verschiedenen Extensions vorführen.

1) Jeder Spieler bekommt zu Beginn eine Firma zugeteilt (er darf sich aus 4 Firmen-Alternativen eine auswählen), die ihm innerhalb der auswählbaren Entwicklungsschritten individuelle Vorteile bringt. Damit wird für sein späteres Vorgehen eine gewisse Richtung vorgegeben, so dass er sich auf dem weiten Feld der Entwicklungsmöglichkeiten nicht mehr so verloren vorkommt. Asymmetrische Anfangsbedingungen in einem Entwicklungsspiels sind, sofern sie ausbalanciert sind, immer von Vorteil.
Zusätzlich zu den Standard-Firmen, die mit der Grundausstattung des Spiels ausgeliefert werden, hatte Günther hier auch die bei BBG vorgeschlagenen Extensions aus dem Internet heruntergeladen und ausgedruckt.

2) Beim Nachkauf von Entwicklungskarten wurde der Experten-Auswahlmechanismus angewendet. Von den vier angebotenen Entwicklungskarten darf jeder Spieler nur eine behalten, drei davon muss er an seinen linken Nachbarn weiterreichen und bekommt dafür drei neue von seinem rechten Nachbarn. Dies wird mit jeweils einer Karte weniger solange wiederholt, bis an Ende jeder Spieler eine Karte weitergibt und eine Karte erhält. Jetzt hält er – wie früher auch – wieder vier Karten in der Hand, von denen er beliebig viele behalten und kaufen oder abwerfen kann.
Dadurch kommt deutlich mehr Gerechtigkeit in die Kartenauswahl (Aaron hätte seine helle Freude daran gehabt!), und jeder hat noch mehr Chancen, die zu seiner Firma passenden Entwicklungskarten angeboten zu bekommen.

Moritz hatte eine Firma, in der er Wärme als Zahlungsmittel einsetzen konnte. Zusammen mit einer forcierten Entwicklung seiner Wärmeproduktion war er schnell aus allen Zahlungsschwierigkeiten heraus. Es reichte zum zweiten Platz.

Walter durfte mittels seiner Firma bei jeder Steigerung seiner TM-Potenz für einen geringen Obolus auch noch eine Stufe drauflegen. Mit einer gewissen Schusseligkeit verwechselte er oft genug TM-Potenzsteigerung mit TM-Einkommensteigerung, oder warum auch immer, es reichte nur zum dritten Platz.

Günther war mit seine Firma nicht zufrieden. Er wirtschaftete fast ausschließlich an ihr vorbei. Aber er wirtschaftete sehr gut, legte sich punkteträchtige Entwicklungskarten zu und langte vor allem bei Meilensteinen und Auszeichnungen kräftig zu. Er wurde Drittletzter.

Spielzeit: 4 (VIER) Stunden. Aber ohne Langweile. Moritz verpasste die vorletzte und die letzte U-Bahn, ohne es richtig zu merken.

WPG-Wertung: Keine neue Wertung für ein Fast-8 Punkte-Spiel. Moritz: „Das Agricola-Spiel unserer Zeit“!