13.05.2009: “Maori” und die “Frage der Ähre”

Wir haben einen ungeheuren Verbrauch an Gummibärchen. Vor Jahren waren Haribo’s Fröschli der Favorit, später Katjes Tropenfrüchte, und heute sind es die Saft-Gummis von Trolli. Pro Kopf und Tag wandert mehr als ein Päckchen in den Spielermagen. Wenn ich dann oft genug in rauhen Mengen Nachschub kaufe, fragt die Verkäuferin: “Kindergeburtstag?”
Dabei ist unser Kücken gerade 36 geworden. Und hat auch soeben schon seine Zahnspange bekommen. Der Arzt hat ihm strikt verboten, Gummibärchen zu essen. Ein ganzes Jahr lang. Jetzt hat er seinen tonnenschweren Privat-Vorrat dem Westpark gespendet. Vier Wochen lang bleibt der Verkäuferin das freundliche “Kindergeburtstag?” erspart. So lange aber nur, weil einer nicht mehr mitverzehrt!
1. “Maori”
Nagelneu, 2009 auf der Spielmesse in Nürnberg noch nicht herausgekommen, von Günther Burkhardt gezeugt, von Hans im Glück ausgetragen.
Auf einer quadratischen Fläche von 4 mal 4 Feldern liegen Inselteile mit Bäumen, Hütten, Schiffen und Muscheln. Die Spieler dürfen reihum jeweils einen Inselteil auf ihre Privat-Landkarte nehmen. Wer am Ende die siegpunkt-trächtigste Landkarte zusammengestellt hat, ist Sieger.
Natürlich gibt es Randbedingungen zu beachten. Man darf sich nicht ein beliebiges der offen ausliegenden Inselteile nehmen, sondern muß mit einem Spielstein, der gemeinsam von allen Spielern außen um die Fläche mit den Inselteilen herumbewegt wird, möglichst nahe herankommen. Mangelnde Nähe darf durch Bezahlen in Muscheleinheiten ersetzt werden.
Man darf die ergatterten Inselteile auch nicht beliebig auf seiner Landkarte plazieren, sondern man muß sie in Nachbarschaft zu einem Schiff anlegen, daß man vorher innerhalb seiner Landkarte positioniert hat. Falsche Positionierung kann man hierbei ebenfalls mit der Muschelwährung ausgleichen.
Immer wieder Muscheln. Für ältere Herren ab 36 ist das selbstverständlich ein Anlaß zu Wortspielen, oder besser gesagt Wort-Anspielungen. Es gibt M-Probleme, M-Strategien, M-Mangel und M-Bedarf. Keine Muschel mehr zu haben ist tödlich. Lieber eine Muschel zu viel als eine zu wenig. Aaron wurde durch eine Muschel in das Unglück gestürzt. Im entscheidenden Moment hatte er keine zur Verfügung!
Ein lockeres leichtes Familienspiel, mit einfachen Regeln, mit der Hoffnung auf Planung, einer Abfederung der Niederlage durch Glückselemente, und einer Aufweichung der determinierten, mechanischen Bewegungen durch Muschel-Einsatz.
Nach der Schlußabrechnung konstatierte Walter: “Wenn man die Siegbedingungen kennt, ist das Spiel viel besser” – Großes Gelächter. Aber unbegründet. Denn es gibt Spiele, die kann man nur dann ganz fröhlich und unverkrampft darauf losspielen, solange man die Siegbedingungen nicht kennt und deshalb nicht weiß, was richtige und was falsche Züge sind. In “Maori” stehen zunächst alle Mitspieler vor der gleichen Ausgangslage und lauern auf die gleichen Inselteile. Das ist ein bißchen einseitig. Doch schnell entstehen zufällige Ungleichgewichte – der eine hat mehr Bäume, der andere mehr Schiffe, der nächste mehr Muscheln usw. Diese Ungleichgewichte gilt es auszubauen, denn am Ende werden die extremen Besitztümer besonders honoriert. Jetzt verfolgt jeder andere Aufbauziele, die Inselteile in der Mitte bekommen für jeden eine andere Wertigkeit, die Chance für Schnäppchen wächst, das Spiel wird vielseitiger. Besser!
WPG-Wertung: Aaron: 7 (nettes Familienspiel), Günther: 7 (plus), Hans: 7 (für 8 Punkte zu leicht), Peter: 7 (plus), Walter: 7
2. “Eine Frage der Ähre”
Während des Spielaufbaus diskutierten wir Moritz’ Lottovorlieben. Warum auch immer. Hans behauptete: “Wenn beim Roulette zehnmal hintereinander Rot kommt, wird Moritz ebenfalls auf Rot setzen, um auf die lange Serie aufzuspringen.” Peter widersprach: “Moritz wird in diesem Fall auf Schwarz setzen, weil er von dem Abreißen der Serie profitieren will!” Die Frage blieb unentschieden. Wie haltet es denn ihr Leser draußen bezüglich dieser statistischen Orientierungsfrage?
Günther hatte in die Startaufstellung einen Fehler eingebaut und Aaron konnte ihn allein anhand der Piktogramme auf dem Spielbrett erkennen. Schlußfolgerung von Peter: “Das Spielmaterial ist super!”
Auf einem gemeinsamen Acker von 6 mal 10 Parzellen müssen wir Kartoffeln, Mais, Getreide, Rüben oder Raps anbauen, d.h. Doppelplättchen mit den entsprechenden Pflanzen auflegen. In beliebig vielen Schichten übereinander. Jedes Mal, wenn wir ein Plättchen legen, entstehen neue zusammenhängende Flächen gleicher Anbauarten. Die Summe der orthogonal verbundenen Parzellen einer Anbauart ergeben die Siegpunkte für einen Zug.
Anstelle von Siegpunkten kann man auch “Erntepunkte” kassieren und damit seine Spielsteine auf einer der fünf Bahnen für Kartoffeln, Mais, Getreide, Rüben oder Raps vorwärts ziehen. Wer auf allen Bahnen eine vorgeschriebene Strecke zurückgelegt hat, darf ein Häuschen auf der Anbaufläche positionieren und dafür pro Runde ebenfalls Siegpunkte für Parzellen gleicher Anbaufläche kassieren.
Natürlich ist es dann ein Bestreben der Mitspieler, durch entsprechendes Legen ihrer Anbauplättchen diese Parzellen zu überdecken und damit und den Siegpunkt-Zufluß des Konkurrenten möglichst klein zu halten. So ist der Spielverlauf weniger ein konstruktives Erzeugen großer Anbauflächen für sich selbst, sondern eher ein destruktives Zerteilen der Anbauflächen der Mitspieler. Die Interaktion ist sehr groß, die Schadenfreude beim Zerstören auch, dagegen hält sich die Freude an erfolgreichen Konstruktionen in engen Grenzen. Eine Planung von mehr als dem gerade aktuellen Zug scheint vergebliche Liebesmüh.
Peters Euphorie über das Spielmaterial war schnell dahin. “Das Spiel ist kontingenz-bestimmt.” Walter wußte jetzt nicht, wer auf seine Blase achten sollte, doch Aaron klärte auf, daß es sich hier nicht um “Kontinenz” handelt. Nach Wikipedia ist Kontingenz “in der Philosophie die Zufälligkeit in Hinblick auf eine übergeordnete schicksalhafte Notwendigkeit.” Mit anderen Peter-Worten: “Es ist ein Scheiß-Glücksspiel!”. Na ja, nicht der blinde Zufall entscheidet über den Sieg, sondern die geringste Miesnickeligkeit, mit der man von seinen Mitspielern bedacht wird.
WPG-Wertung: Aaron: 6 (die Idee ist schön), Günther: 6 (schön öfters gespielt, es war jedesmal nett), Hans: 6 (trotzdem! Im kleinen Kreis sollte es gut funktionieren), Peter: 4 (Wertungs-Konstanz), Walter: 5 (zufälliges Zerstörungsspiel)
Aaron wird eine Rezension schreiben.
3. “Bluff”
Aaron schlug vor, auch die Würfelseiten gelten zu lassen, die man von der Seite sieht. Da wird Günther wieder jahrelang an einer neuen Immer-5-Strategie herumrechnen müssen!
Neue Erkenntnis (welch ein Wunder, daß sie erst heute bewußt wurde):
Wenn man nur noch einen Würfel hat und ausscheiden müßte, wenn unter drei verdeckten Würfeln wenigstens eine Fünf ist, dann ist es besser, darauf bauen, daß unter den drei Würfeln mindestens zwei Fünfen sind! Oder gilt das erst ab vier Würfeln? Heute in der Nacht wird das meine Excel-Tabelle nicht mehr offenbaren.
4. Zahlenexperiment
Zum Abschluß schlug Günther noch ein Zahlenexperiment vor. Jeder soll geheim auf einen Zettel eine Zahl zwischen 0 und 100 schreiben. Dann werden alle Zahlen zusammengezählt und der Durchschnitt gebildet. Wer am nächsten an zwei Dritteln vom Durchschnitt ist, hat gewonnen.
Grobe Überschlagsrechnung: Der rein mathematische Durchschnitt der aufgeschriebenen Zahlen ist 50, zwei Drittel davon ist 33. Diesen Werte sollte man auf seinen Zettel schreiben.
Halt, verkehrt, zweite Näherung: Wenn ich hier determiniert 33 hinschreibe und die anderen den Durchschnitt von 50 einhalten, dann ist der Gesamtdurchschnitt ja schon kleiner als 50 und zwei Drittel davon liegt schon unter 30.
Dritte Näherung: Wenn die anderen genauso rechnen …
Lange Rede kurzer Schluß: der mathematisch vernünftigste Schätzwert für zwei Drittel des Durchschnitts ist 0, in Worten: Null.
Wer die niedrigste Zahl aufgeschrieben hat, ist der Klügste! Bei uns war es Aaron mit der Zahl 11. Ab 10 wäre er nach der nach oben offenen Kontingenzskala als Genie eingeordnet worden …

10 Gedanken zu „13.05.2009: “Maori” und die “Frage der Ähre”“

  1. [quote]
    Peters Euphorie über das Spielmaterial war schnell dahin. “Das Spiel ist kontingenz-bestimmt.” Walter wußte jetzt nicht, wer auf seine Blase achten sollte, doch Aaron klärte auf, daß es sich hier nicht um “Kontinenz” handelt. Nach Wikipedia ist Kontingenz “in der Philosophie die Zufälligkeit in Hinblick auf eine übergeordnete schicksalhafte Notwendigkeit.” Mit anderen Peter-Worten: “Es ist ein Scheiß-Glücksspiel!”. Na ja, nicht der blinde Zufall entscheidet über den Sieg, sondern die geringste Miesnickeligkeit, mit der man von seinen Mitspielern bedacht wird.
    [/quote]

    Hm, eigentlich genau das wollte ich mit kontingenzbestimmt ausdrücken. Ich schlage hiermit “Kontingenz” als t.t. statt “Mitspielerchaos” vor, denn Mitspielerchaos kann leicht missverstanden werden (jeder spielt ja so, wie es für ihn am besten ist oder er aus seiner Perspektive meint, dass es so wäre — Gegenbeispiele in Form kurzzeitiger WPG-Mitglieder bestätigen nur die Regel). “Kontingenz” triffts besser:

    [quote]Anthropologisch wird Kontingenz als Unverfügbarkeit verstanden. Bestimmte Ereignisse können wir nicht beeinflussen. Sie sind ein Widerfahrnis (Wilhelm Kamlah). … Ein weiterer wichtiger Begriff in Kamlahs Anthropologie ist das Widerfahrnis. Damit meint Kamlah Ereignisse, denen ein Mensch ausgesetzt ist, “ohne etwas dafür zu können”, wie alltagssprachlich dafür gesagt werden kann, dass einem etwas zustößt, was nicht die Folge oder Wirkung seines eigenen Tuns ist, einen also sogar unvorbereitet trifft.[/quote]

    Kurz: Eine Frage der Ähre ist ein vermaldeites Mitspielerchaos-Spiel. :>

  2. Noch eine – eher formale – Korrektur: Bei Moritz’ Affekten um das Fortsetzen oder das Abbrechen von Siegesserien ging es nicht um Rot-Schwarz beim Roulette, sondern um das Gewinnen bzw. Verlieren von Sportmannschaften, sei es der FC Bayern München oder die Chicago Red Bulls.
    Das ist doch eine ganz andere Fragestellung, oder?

  3. Wie auch immer: Auch dies ist kein echter Zufall, sondern gemäß meiner neuen (und wie ich sagen muss: glücklichen) Prägung “Kontingenz”.

  4. Nachtrag zu den Bluff-Wahrscheinlichkeiten:
    Die Wahrscheinlichkeit, daß von drei verdeckten Würfeln keine Fünf (oder Stern) dabei ist, beträgt 29,6 %. Die Wahrscheinlichkeit, daß mindestens zwei Fünfen (oder Sterne) dabei sind, beträgt 25,9 %. Hier ist also anzweifeln knapp besser als auf zwei Fünfen zu hoffen.
    Bei vier verdeckten Würfeln beträgt das Verhältnis 19,8 zu 40,7 %. Hier ist die Hoffen auf zwei Fünf schon doppelt so gut wie das Erwartung, daß keine Fünf nachgewürfel wurde.
    Vorausgesetzt, man hat kein zusätzliches, psychologisch basiertes Wissen über die verdeckten Würfel.

  5. [quote]… die Chicago Red Bulls.
    …[/quote]

    Werbung veseucht…

    Ganz eindeutig, oder ist Red Bull neuer Sponsor der Chicago Bulls? ;-)

    Grüße

    Klaus

  6. [quote]ist Red Bull neuer Sponsor der Chicago Bulls?[/quote]

    Guckst Du hier:
    [url]http://www.uvaclubs.com/chicago/chicago_bulls.gif[/url]

    Für mich sieht der rot aus…

    Aaron

  7. [quote]Nachtrag zu den Bluff-Wahrscheinlichkeiten:
    Die Wahrscheinlichkeit, daß von drei verdeckten Würfeln keine Fünf (oder Stern) dabei ist, beträgt 29,6 %. Die Wahrscheinlichkeit, daß mindestens zwei Fünfen (oder Sterne) dabei sind, beträgt 25,9 %. Hier ist also anzweifeln knapp besser als auf zwei Fünfen zu hoffen.
    Bei vier verdeckten Würfeln beträgt das Verhältnis 19,8 zu 40,7 %. Hier ist die Hoffen auf zwei Fünf schon doppelt so gut wie das Erwartung, daß keine Fünf nachgewürfel wurde.
    Vorausgesetzt, man hat kein zusätzliches, psychologisch basiertes Wissen über die verdeckten Würfel.
    [/quote]
    Dann war meine einsame (und allseits belächelte) Entscheidung ja richtig !!
    :bounce Wer klopft mir da auf die Schultern ?

  8. Zu den roten Bullen: da sieht man mal wieder, daß ich doch besser bei meinem Dunhill-Sprichwort geblieben wäre: “No sports”!
    Zu Günther: In erster Näherung haben wir Dich zu Unrecht ausgelacht. Doch bei solchen Wahrscheinlichkeitsprozenten gibt es auch so etwas wie eine Nützlichkeitsbetrachtung. Sinngemäß: Die erste Million macht Spaß, die zweite langweilt.
    Mit Deinem einen Restwürfel warst Du eh schon halb tot. Wenn jetzt aber gleich DREI Fünfer unter den Würfeln gewesen wären, dann wärst Du in mit einem Schlag in ein faires 1:1-Endspiel gekommen. Deswegen hätte das Nicht-Anzweifeln auch seinen Charme gehabt!

  9. [quote]Zu Günther: In erster Näherung haben wir Dich zu Unrecht ausgelacht. Doch bei solchen Wahrscheinlichkeitsprozenten gibt es auch so etwas wie eine Nützlichkeitsbetrachtung. Sinngemäß: Die erste Million macht Spaß, die zweite langweilt.
    Mit Deinem einen Restwürfel warst Du eh schon halb tot. Wenn jetzt aber gleich DREI Fünfer unter den Würfeln gewesen wären, dann wärst Du in mit einem Schlag in ein faires 1:1-Endspiel gekommen. Deswegen hätte das Nicht-Anzweifeln auch seinen Charme gehabt!

    [/quote]
    :thmbdn Bei einem Stand von 3:1 Würfeln muss sich der Führende schon ziemlich dumm anstellen, um direkt 2 Würfel zu verlieren…

  10. Hi Günni, ich hab' doch schon geschrieben, daß dazu DREI Fünfer (oder Sterne) gereicht hätten!
    Wahrscheinlichkeit = 37 Promille!!

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