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26.05.2010: Wächter und Drachen

“Ich bitte dich schon heute, weder in ‘Ja’ noch ‘Nein’ den Kopf zu verlieren. Es wird gehen, gleichviel, ob momentan die 6 oben liegt oder Null. Jeder Tag ist ein neues Würfelspiel und die Zahlen und Werte wechseln.” (Theodor von Thane)
Mein lieber Theodor, mit welchem Würfel hat man Dich solche Lebensweisheiten gelehrt?
1. “Die Insel der steinernen Wächter”
Moritz kündigte es an als „simples Fantasy-War-Game mit einem guten Timing-Endspiel Mechanismus“. Mit „Fantasy“ und „War“ sollte es eigentlich kein ‚Walter-Spiel’ sein, doch Moritz konterte den Einwand mit dem Hinweis: „Er hat doch ‚Friedrich’ auch so gut bewertet“. Daß ‚Friedrich’ keine Fantasy-Elemente enthält, stört doch keinen großen Geist!
Moritz entfaltete ein riesiges einfarbiges Spielbrett, für das wir erst mal alle Chips- und Gummibärchen-Schachteln zur Seite räumen mußten, um es auf dem Tisch auszubreiten. Die Farbe ist ein dunkles Preussisch-Blau und soll das Meer darstellen. Vom Material sieht es auf den ersten Blick aus wie Filz, ist aber eher ein grobes Löschpapier. Das erste umgefallene Weinglas wird es wohl nicht überleben. Zumindest wird dabei der Tisch nicht naß!
Auf dem Meer werden Inseln aus Hexa-Mustern aufgebaut, und zur Startaufstellung werden unsere Pöppel auf den Inseln verteilt. Jedes Feld enthält mindestens einen Pöppel und schon kann die Völkerschlacht losgehen.
Wie bei ‚Risiko’ bewegen wir unsere Pöppel auf die gutnachbarlichen Felder und brechen einen Kampf vom Zaun. Pro Agressor ziehen wir eine Kampfkarte, die uns einen oder zwei Nachbarn erschlagen läßt, einen möglichen Gegenschlag des Nachbarn abwehrt, oder vielleicht auch nur eine Niete ist, so daß unsere zahlenmäßig dominierende Armee schutzlos im Verteidigungsregen steht.
Nach dem Abhandeln der allseitigen Angriffswellen wird der Besitzstand gewertet und jeder bekommt neues Kapital, um daraus neue Armeen zu rekrutieren, Hauptquartiere auszubauen oder Schiffe zu kaufen, mit denen man ggf. schneller zu neuen Angriffszielen fahren kann. Claro, wer ein paar Kampfkartenkämpfe verloren hat, ist an Material und Knete dermaßen im Hintertreffen, daß er auf keinen grünen Zweig mehr kommt. Die restliche Spielzeit kann er sich dann an den elegangen Armeebewegungen seiner Mitspieler erfreuen.
Die Kämpfe werden aber nicht allein durch überlegenen Materialeinsatz entschieden, es ist ja ein Fantasy-Game und deshalb hat jedes Volk eigene Eigenschaften und ‚Runen’, um mit den Unbilden einer mißliebigen Umwelt zurechtzukommen. Zumindest wird damit eine gewisse Asymmetrie von Offensiv- und Defensiv-Neigungen geschaffen. Das eine Volk kann einen Erstschlag des Gegners abwehren, das andere Volk einen zusätzlichen Erstschlag anbringen, ein Volk darf seine besiegten Gegner als lebendige Schilde mit sich führen, ein anderes bekommt pro verlorenem Inselfeld sofort neue Armeen zugeteilt und macht damit jede Pyrrhusniederlage schon fast schon zu einem Sieg.
Das geilste Kampfelement sind die Zauberkarten, die jeder potente Spieler in jeder Runde ziehen, sammeln und bei passenden Gelegenheiten einsetzen darf. Sie ermöglichen ein Entfernen, Tauschen, Mogeln oder Mauscheln. Es gibt sogar Anti-Zauberkarten, die fremde Zauberkarten neutralisieren, also Kein-Entfernen, Kein-Tauschen, Kein-Mogeln und Kein-Mauscheln!
Die Zauberkarten sind echt krass, Mit der einen Zauberkarte kann man die gegnerischen Armeen beliebig verteilen und mit einer anderen Zauberkarte muß der Gegner pro Inselfeld alle Pöppel über 4 vom Spielbrett nehmen. Könnt ihr, liebe Leser, euch ausmalen, was man mit diesen beiden Zauberkarten zusammen ausrichten kann, wenn man die gegnerischen Armeen erst mal auf einen Haufen konzentriert?
Es gibt auch höchst wirksame Einzelzauber. Eine Zauberkarte erlaubt es, in einem Kampf alle guten Kampfkarten aller beteiligten Gegner auf seine Seite zu ziehen und dem Gegner nur die Nieten zu überlassen. Da ist der Gegner mit seiner drückenden Armeen-Mehrheit in die Schlacht gezogen und hinterher wird seine Mehrheit schnurstracks gegen ihn selbst verwendet. Wie wenn sich einer eine Atombombe bastelt und bekommt sie dann umgehend auf sein eigenes Hauptquartier abgeworfen. Hiroshima, mon amour!
Nach der ersten von abzählbar endlich vielen Spielphasen extrapolierte Aaron die mögliche Gesamtspielzeit. Die in der Spielanleitung behaupteten ca. 2 Stunden waren schon vollständig verbraucht. Moritz war der letzte an der Zugreihenfolge und hatte allein für seinen ersten Zug eine Denkzeit von einer Stunde (haben dürfen). Natürlich nicht ganz passiv, sondern unterbrochen von den Kampfkartenkämpfen, die ihm seine Mitspieler aufdrängten.
Es reichte. Uns. Einschließlich Moritz. Wir brachen ab. Keiner hatte noch einen einzigen Fuß auf ein einziges Feld auf der Insel der Seligen gesetzt, wo man sich die Siegespalme hätten holen können. Wer gewinnt das Spiel? Ich habe es vergessen! Wenn wir bis morgen früh weitergespielt hätten, hätte ich es vielleicht via Learning-by-Doing erfahren.
Und was war mit dem versprochenen „guten Timing-Endspiel Mechanismus“? Wer auf dem Weg zum Ziel die selbstverständlichen Unterstützungsfelder erobert, hat gleich gewonnen. Wer sich die Unterstützungsfelder nicht sichert, braucht mindestens zwei Runden länger. Das wäre dann absolut falsches Timing gewesen.
WPG-Wertung: Aaron: 3 (das Spielmaterial ist schlecht – materiell und ideell, ein Spannungsbogen wird nicht aufgebaut), Günther: 3 (hat vergessen, daß es mindestens 8 (aus 487) Spiele gibt, denen er nur 1 oder 2 Punkte gegeben hat.), Moritz: 3 („Die Kampfmechanismen sind einfach, werden aber durch Zauber, Runen und Völkereigenschaften unnötig kompliziert. Das zerstört die Eleganz.“), Walter: 2 (als Lotteriespiel 3 Punkte, als Kampfspiel 1 Punkt, im Durchschnitt also 2)
Die „Spielphase“ schreibt zu den „Wächtern“: Mit 5 (von 6) Punkten gefällt uns das Spiel vor allem zu zweit sehr gut. Diese Erfahrung können wir leider nicht teilen, da wir immer mindestens zu dritt spielen.
2. “Im Jahr des Drachen”
Das wohlproportionierte Aufbauspiel aus dem Jahre 2008 hat Erweiterungen bekommen. Mit der zusätzlichen Aktionskarte „Die chinesische Mauer“ wird der Aktionsspielraum erweitert. Wir können jetzt nicht nur Reis anbauen, Medizin studieren, Krieger ausrüsten, Feuerwerkskörper anzünden und Geld- und Siegpunkte anhäufen sondern auch ein Stück der chinesischen Mauer bauen, die beim Mongolensturm neue Anforderungen und neue Siegpunktquellen mit sich bringt. Der Effekt ist nicht sehr groß, doch der Spielraum unserer Aktionen wird in jedem Fall vergrößert.
Mit der Erweiterung „Super-Ereignis“ wird eines der jetzt schon existierenden, meist peinlichen Ereignisfelder verdoppelt, wir müssen z.B. gleich zwei Hungersnöte oder zwei Epidemien hintereinander bestehen, ohne dazwischen unsere Vorräte aufstocken zu können. Die Wirkung ist – sofern die Verdoppelung auf die klare Mehrheit der negativen Ereignisse fällt – , daß es noch schwerer ist, seinen Besitzstand in jeder Runde zu halten. Loslassen-Können, gezielter Personal-Abbau wird noch größer geschrieben.
Die neuen Erweiterungen fügen sich auf jeden Fall in die gelungenen Mechanismen der Basisversion von “Im Jahr des Drachen“ ein. Viele Wege führen zum Sieg. Frühem Punkten mittels Privilegien kann durch die Anschaffe von Hofdamen entgegengehalten werden, oder durch zeitgerechtes Gegensteuern zu einer ganzen Reihe von Engpässen, die früher oder später an unseren Besitzstand gehen.
Sich gleich zu Spielbeginn die komplette Kette der ausliegenden Ereignisse durch den Kopf gehen zu lassen und konsequent zu planen, an welcher Stelle man freiwillig Federn lässt um an anderen Stellen umso mehr Boden gut zu machen, das ist Voraussetzung zum Sieg.
Eine unabdingbare Hilfe stellt dabei der Buddha dar, entweder, indem er uns in bezug auf Zugpositionen vorwärts bringt, oder indem er in der Schlußabrechung die gesammelte Frömmigkeit unter unseren Dächern mit Siegpunkten honoriert. Günther war der frömmste.
WPG-Wertung: Keine Änderung der bisherigen Noten. Mit einem Durchschnitt von 7 Punkten erscheint mir das Spiel leicht unterbewertet.
3. “Aarons 18xx”
Aaron bastelt an einem 18xx-Eisenbahnspiel, dessen Hauptlinien er uns vorstellte. Es soll einfach und vor allem schnell gehen. Die Erlaubnis für die Aktionen wie Gleise-Legen, Städte-Ausbauen und Technologie-Fortschritt erhält jeder nicht automatisch in seiner Operationsrunde, sondern er muß sie sich in einem Bietmechanismus a la „Amon Re“ erst ersteigern.
Wie dann der Ausbau eines Netzes honoriert wird, wie gewünschte Konflikte erzeugt werden, ohne daß dabei die Balance aus der Kontrolle gerät, das erfordert noch viele Denk- und Tuningstunden. Selbst ob im fertigen Spiel überhaupt noch Eisenbahnen gebaut werden oder vielleicht ein Telefonnetz errichtet wird, ist noch offen. Die funktionierenden Mechanismen sind das Wichtigste, das Thema wird dann nachgereicht, davon reicht vorerst eine vage Vision.
Diese Vorgehensweise sollten eigentlich alle Spieleautoren beherzigen. Sollten. Leider!