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10.08.2011: Ora et labora

Aus dem „Kopfkissenbuch“ der japanischen Hofdame Sei Shonagon (vor ca. 1000 Jahren):
Beneidenswerte Leute sind …
a) Leute, denen beim Würfelspiel immer die gewünschte Zahl erscheint.
b) Hohe Priester, die sich über allen Erdenkummer erheben.
Da schau mal, lieber Aaron, außer mit Deinem umwerfenden Astralkörper gibt es noch andere Weisen, nach denen Du beneidenswert sein kannst!
1. “Pantheon”
Das Allgötter-Spiel wurde schon oft genug mit Lust und Liebe am Westpark gespielt, heute durfte Andrea ihre Premiere feiern. „Was kommen da für süße Füße vor!“ war ihr erster freudiger Ausruf, als das Spielmaterial auf den Tisch kam. Moritz trug die Regeln vor. Er kennt das Spiel schon so gut, dass er nicht einmal ins Regelheft zu schauen brauchte, um alles klar, strukturiert und vollständig rüber zu bringen. Natürlich kann man die Effekte der vielfältigen Spielelemente wie Götter, Halbgötter, Füße, Bewegung, Karten, Geld, Rabatte, Tempel, Prämien und Siegpunkte nicht auf Anhieb alle in das eigene Weltbild einordnen. Entsprechend häufig kamen Rückfragen unseres Kückens und Moritz antwortete jedesmal mit der sprichwörtlichen Geduld eines 10-jährigen Ehemanns. Doch auch die älteren Hasen haben viele Details schneller wieder vergessen als verstanden. Aaron erklärte in diesem Zusammenhang den Unterschied zwischen fehlender Intelligenz und Demens.
Er selber leidet ja unter dem Geburtsfehler, dass er grundsätzlich grottenschlecht würfelt. Bei Pantheon kommt hinzu, dass er hier grundsätzlich auch noch schlechte Aktionskarten bekommt. So war diesmal keine einzige Fußkarte in seinem Startset. Und keine beim Nachziehen. Darin liegt allerdings auch ein großer Vorteil: Man braucht nicht lange an seinem Zug zu überlegen. Gemäß der „Ohne-Säulen-Strategie“ zieht man konsequent ausschließlich Bilderkarten und tauscht sie so oft wie möglich gegen Götter und ihren göttlichen Beistand ein. Am Ende zeigte sich allerdings, dass man in jedem Fall auch ein paar eigene Schritte tun muß, bevor einem die Götter zum Sieg verhelfen.
Neuling Andrea war das Schicksal hold. Einmal brachten ihr ein einziges erwandertes Prämienplättchen 17 Siegpunkte auf einen einzigen Schlag ein. Nicht ganz die halbe Miete, aber doch ein erklecklicher Anteil davon. Neidvoller Männer-Kommentar: „Die einen erarbeiten es sich hart, die anderen kriegen es geschenkt.“ Weibliche Replik: „Ich habe mir diese Siegpunkte auf den Füßen errobbt!“ Mit ihrer Robber-Technik wurde sie haushoher Sieger.
Manöverkritik. Andrea: „Ich hatte einen guten Start, habe effizient gespielt und Glück gehabt.“ Aaron: „Ganz ohne Säulen geht die Chose nicht!“ Moritz: „Ich habe keinen Fehler gemacht.“ Der Siegpunkt-Unterschied lag dann offensichtlich innerhalb des zufälligen Glücksrauschens. Walter: „Ich bin von vornherein auf Tempelsäulen ausgewesen, doch ich habe dabei gesündigt, und die Götter haben das nicht verziehen.“
Was kann man daraus über „Pantheon“ ablesen: Jeder kann ganz unterschiedliche Pläne verfolgen. Manche sind manchmal erfolgreich. In einer 4er Runde immerhin zu durchschnittlich 25%. Das Spiel ist flott, rund und schön. Ein paar bewußt eingebaute zufällige Elemente zeigen krasse Effekte. Sie untergraben eine strenge Planbarkeit, erhöhen aber – für denjenigen, der das mag – den spielerischen chaotischen Reiz. Manche mögen’s heiß.
WPG-Wertung: Andrea lag mit ihren 8 Punkten genau im WPG-Durchschnitt.
2. “Schiefer”
Das zweite Exemplar der diesjährigen “spielbox Wallace Edition“. Die Szenerie sind Schieferminen entlang von Flußläufen. Wir beackern die Minen, verkaufen den Aushub, verbessern Bautechnik und Ertragsquotienten und stellen weitere Grubenarbeiter ein.
In Anleihe an „Ysphan“ würfeln wir die Aktionen aus, in denen wir unsere Arbeiter einsetzen. Es herrscht allerdings keine strikte Würfeldiktatur, sondern es sind eine Reihe von Weichmachern eingebaut, mit denen wir an unseren Würfelergebnissen noch herumdrehen können: Modizifieren, Neu-Würfeln, Fixe-Augenzahl-Kaufen oder Würfel mißbrauchen.
Nur Aaron traf immer unerbittlich sein Würfelunglück, sei es nun ein verfrühter 6-6-5-Wurf zur Technik-Verbesserung ohne Arbeiter oder ein verspäteter 2-1-1-Wurf für zusätzliche Arbeiter ohne Arbeitsplatz. In jedem Fall war es „ziemlicher Käse“ und er gab regelmäßig sein letztes Geld für neue Würfel aus.
Am Ende landeten wir alle innerhalb eines Bereiches von 2-Siegpunkten Differenz. Ist das vielleicht das unausweichliche Schicksal eines Spieldesigns von stark äquivalenten Spielzügen? Frage an die Kritiker der krassen Effekte von „Pantheon“: Hätten ähnliche divergierende Effekte in „Schiefer“ Spielspaß und Spielspannung nicht erhöht?
WPG-Wertung: Aaron: 5 (es funktioniert, aber mir hat der Spaß gefehlt), Andrea: 5 (durchschnittlich gut, uninteressant), Moritz: 5 (es gibt ähnliche Spiele, die aber besser sind), Walter: 5 (es funktioniert; einem geschenkten Barsch, schaut man nicht hinter die Kiemen.)
3. “Bluff”
14 Würfel waren noch im Spiel und Aaron fing mit 5 mal die Vier an. Zwei vollständige Runden lang wurde mit und ohne Nachwürfeln die Vier erhöht bis die Vorgabe mit 12 mal die Vier wieder bei Aaron landete. Mit einer Vier+Eins unter seinem Becher und fünf weiteren unbekannten Würfeln zweifelte er verständlicherweise an. 13 mal die Vier wäre der Volltreffer gewesen.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

25.05.2011: Nominierte und vergessene Spiele

Die Kandidaten für „Spiel des Jahres 2011“ sind nominiert. Die gemeinen Vielesspieler (lusor multiplex communis) sind zufrieden oder rümpfen wie gewöhnlich die Nase. Wir vom Westpark haben von den drei Top-Kandidaten immerhin schon zwei gespielt, das eine davon „cum laude“ und das andere „sin laude“. Falls das dritte das Rennen macht, wird es als Pflichtmenu bei uns wohl auch noch auf den Tisch kommen, ansonsten eher nicht.
Der auf der Spiel-2010 in Essen sehr populäre Spitzenreiter „7 Wonders“ hat es in der Kategorie „Kennerspiel“ bis in die Runde der letzten Drei geschafft. Anerkennenswert von der Jury, dass sie jetzt diese neue Kategorie eingerichtet haben, in der auch anspruchsvollere Spieler sich wiederfinden können. (Hallo Wilhelm, du darfst Dich mit deiner Klientel natürlich in jeder der beiden Kammern tummeln.)
Unser Leicht-locker-komplex-Favorit „Pantheon“ ist ganz durchgefallen. Vielleicht war er zu spät dran, vielleicht ist er aber auch im Spielablauf zu chaotisch, oder vielleicht war die ausufernde Balance gegen Spielende für kritische Analysten nicht mehr akzeptabel.
1. “Merkator”
Wir reisen als Kaufleute durch Europa, liefern an den verschiedenen Handelsplätzen wohldefinierte Warensortimente gegen Geld und Siegpunkte ab, säckeln die dort herumliegenden Handelswaren kostenlos ein, und bringen sie in unseren Kontor, um sie beim nächsten Zug von dort wiederum gebündelt in Aufrägen an anderen Zielorten abzuliefern.
Es ist eine scharfe Optimierungsaufgabe, bei der wir viele Mechanismen im Auge behalten müssen:

  • Auf dem Spielbrett liegen an den verschiedenen Orten in der Menge stetig anwachsende Handelswaren einer Sorte herum, bis sie mit einem Schlag von einem der Spieler abgeräumt werden.
  • Das Sortiment der Waren im eigenen Kontor muß mit dem Warensortiment gemäß den individuellen Aufträge, die ein jeder Spieler zu erfüllen hat, in Einklang gebracht werden.
  • Für einzelne Handelsplätze besitzt ein Spieler individuelle Bonuskarten zum Einheimsen für kostenlose Zusatzwaren; diese sollten mit Priorität angefahren werden.
  • Den Gelderlös kann man zum Erwerb von Siegpunktkarten einsetzen, um damit in der Schlußwertung den eigenen Besitzstand nach verschiedenen Kriterien in Siegpunkte umwandeln zu können. In der Anfangsphase des Spiels kann / sollte man damit aber auch Bonuskarten erwerben, damit man bei Anfahren der entsprechenden Handelsplätze die Zusatzwaren einsäckeln kann.
  • Man kann sich bei den Handelsreisen der Mitspieler als Trittbrettfahrer betätigen. Das kostet ein paar „Zeitmarken“ und bringt auch keine der herumliegenden Handelswaren ein, aber es erfüllt Aufträge für Geld und Siegpunkte.
  • So gilt es eine ganze Reihe von kurzfristigen bis mittelfristigen Alternativen abzuwägen. Eingebaut in “Merkator” sind auch ein paar sanfte Zufallseffekte: Die Aufträge, die ein jeder abwickeln muß, sind nahezu zu 100 Prozent vom Zufall gesteuert, und das Angebot an Siegpunktkarten kann, besonders in der Schlußphase, optimal zu den eigenen Mitteln passen oder halt auch eine gewisse Verlustleistung unvermeidlich machen. Als Spieler haben wir keinen entscheidenen Einfluß darauf. Unser Großhandelsexperte Horst fand hier das Glück des Tüchtigen: Mit seinem letzten Pfennig konnte er sich gerade noch die Siegpunktkarte kaufen, die ihn von einer umkämpften Führungsposition auf den unumstrittenen Siegesplatz emporhievte.
    WPG-Wertung: Günther: 6 (wünschte mehr Einfluß auf die Aufträge, die man erledigen muß), Horst: 7 (vor dem anschließenden „Pantheon“ waren es noch 8, „hat sehr viel Spaß gemacht, nicht schweißtreibend, mit 1 ½ Stunden passend in der Spieldauer, kann man einfach drauf los spielen“), Walter: 7 (funktioniert, enthält aber zu wenig Interaktion)
    2. “Die Goldene Stadt”
    Horst hatte sich gewissenhaft auf dieses Spiel vorbereitet, doch als wir es anfangen wollten, hatte er leider das Regelheft zu Hause vergessen. Lange Gesichter.
    3. “Pantheon”
    Hat schon mehrmals auf unserem Tisch gelegen, so dass wir uns einen ausführlichen Session-Report ersparen und uns auf eine verlängerte Nachtruhe freuen konnten.
    Walter versuchte sich in Moritz’ Säulenstrategie. Durch einen unglücklich-glücklich gemischten Kartenstapel fielen ihm die Bewegungskarten nur so vor die Füße. Nur ein krasser Spielfehler (Geld in Bewegungen anstatt in Säulen investiert) verhinderte die 12. Säule und ließen ihm 15 Siegpunkte (48 minus 33) durch die Lappen gehen. Doch auch so hätte es nicht zum Sieg gereicht. Günther fuhr die Götterstrategie und konnte sich in den letzten beiden Runden nahezu alle Götter unter den Nagel reißen. Das reichte mit einem großen Vorsprung für den Sieg.
    Wahrscheinlich sind bei jeder Spieleranzahl die Siegesstrategien anders. Schließlich gibt es dann jeweils unterschiedliche Konkurrenzen bei den siegpunktträchtigen Dominanzen. Planbar, spielerisch, mit jeder Menge Interaktion beim Wettlauf um die siegpunktträchtigsten Züge ist „Pantheon“ allemal. Nur die extrem gestiegen Auswahlmöglichkeiten am Ende mit ihren rasanten Bewegungen und Doppelzügen sind etwas problematisch. Einerseits schaffen sie ein schnelles Spielende herbei (plus), andererseits kann der allerletzte Zug nochmals leicht über 10 Prozent der Siegpunkte entscheiden (minus) und öffnet damit einer Menge chaotischer Unberechenbarkeit Tor und Tür.
    WPG-Wertung: Horst setzte sich mit 8 Punkten zur Mehrheit der übrigen Westparker.
    “Fussball”
    Wir gratulieren der Borussia von Mönchenglattbach und ihrem Trainer Lucien Favre für die erfolgreiche Krönung ihrer spektakuläre Aufholjagd um den Klasseninhalt in der Bundesliga.

    “Pantheon” is our Game of the Month

    Many prude American gamers are put off by the cover of the game (I can only say: honi soit qui mal y pense), but they are missing out on a great new Tummelhofer game that really rocks! “Pantheon” is a game that is easy to get into. Like in all good games there are several ways to victory, and through the effects of various people and the gods there is also a slight flair of “History of the World” involved (even though there are no battles). A bit of luck is also needed, but skillful play is rewarded, in so far the game has to be viewed as an advanced family game more than a game for hardcore eurogamers and VP counters. But as a whole the feeling is fresh, not entirely the usual fare, and most important: fun to play!

    “Pantheon” ist unser Spiel des Monats

    Viele prüde Amerikanische Spieler lassen sich seltsamerweise vom Cover des Spieles abschrecken (honi soit qui mal y pense, sage ich nur), es entgeht ihnen aber ein echter neuer Tummelhofer-Knaller, der es in sich hat. „Pantheon“ ist ein Spiel, in das man sofort hineinkommt, wie bei jedem guten Spiel gibt es mehrere Wege zum Sieg und durch die verschiedenen Völker und Auswirkungen von Gottheiten kommt sogar ein Hauch „History of the World“ ins Spiel (obwohl es keine Schlachten gibt). Ein bisschen Glück muss man auch haben, aber gutes Spiel wird belohnt, insofern ist das Spiel eher im Bereich der gehobenen Familienspiele anzusiedeln als im Bereich der Hardcore-Eurogamer. Aber das Ganze ist frisch, nicht ganz gewöhnlich und macht einfach Spaß!

    27.04.2011: Götzenbilder in Burgund

    In seinem Begleittext zu „London“ als unserem neuesten “Spiel des Monats” hatte Walter geschrieben: „Es gilt, in Bescheidenheit und ölologischer Vernunft seine Kartenfreiheit zu nutzen“. Aaron, der die Übersetzung ins Englische besorgt und schon häufiger über Walters Schreibfehler gestolpert ist, hat rückgefragt, ob “ölologische Vernunft” ein Wortspiel ist oder “ökonomische Vernunft” heißen soll. Eigentlich hatte Walter „ökologisch“ gemeint, aber dies ließ Aaron nicht gelten. Dieser Begriff war ihm einfach zu neu und zu deutlich auf den Umweltschutz des 20. bzw. 21. Jahrhunderts gemünzt.
    Frage an die Londoner Experten: Ist das Vorgehen, dass man für ein erfolgreiches Vorgehen in „London“ benötigt jetzt “ökologische Vernunft” oder “ökonomische Vernunft”?
    1. “Pantheon”
    Seine schlechte Wertung für „Pantheon“ (pures „Chaos“) hat Aaron nicht schlafen lassen. Die ganzen Osterfeiertage über hat er Abläufe und Schwachstellen unserer ersten Begegnung vom 20. April analysiert und wollte seine Ergebnisse heute am lebenden Objekt nochmals verifizieren.
    Wie gehabt ziehen wir in sechs Runden unsere Trampelpfade vom Zentral-Tempel zu verschiedenen Markern und hinterlassen unsere Duftmarken in Form von Füßen und Gebetstrommeln. Nach jeder Runde sammeln wir unsere Füße wieder ein, die Trommeln bleiben stehen und liefern uns am Ende nach einer quasi quadratischen Formel einen riesigen Batzen Siegpunkt-Einkommen. „Riesig“ ist das Einkommen zumindest für den, der in der Quadrat-Formel auf der Trommel-Abszisse gewisse Schwellwerte überschritten hat. Wer hier nur gekleckert hat, wird in der Schlußwertung auch entsprechend klecklich behandelt.
    Auch die Götzenstrategie hat ihren Charme. Wir verschaffen uns damit fortlaufend Vorteile für unsere künftigen Spielzüge: größere Reichweite, größeres Einkommen, linear anwachsende Siegpunktprämien und gegebenenfalls die Erlaubnis für Doppelzüge, mit denen wir – mit ein bißchen Glück – in der letzen Runde ebenfalls gewaltige Siegpunkt-Summen einstreichen können.
    Die explosionsartig anwachsende Siegpunkten-Flut, die über uns Spieler hereinbricht, ist im Design von „Pantheon“ sicherlich etwas außer Balance geraten. Ganz kleine Effekte, wie z.B. der Aufbau einer einzigen weiteren Gebetstrommel oder eine einzige, mehr oder weniger zufällig passende Aktionskarte zum Erwerb des letzten Götzenbildes, das dann in einer Kettenreaktion ganze Siegpunkt-Lawinen über uns herunterkommen läßt, machen eine seriöse Planung sehr fragil. Aber vielleicht ist das auch das Schöne daran: Kaum hat man sich mit den Mechanismen angefreundet und schmiedet Pläne für reiche Siegpunkternten, da ist mit einem rasanten Knalleffekt das Spiel auch schon zu Ende.
    Heute lief alles ganz anders als beim letzten Mal. Trotzdem konnte sich auch diesmal wieder die Trommelstrategie (im Tie-Break) vor der reinen Götzenstrategie durchsetzen. Beide Strategien wurden jeweils durch das individuelle Privileg zur Startaufstellung (1 Bewegungsschritt mehr bzw. 1 Aktionskarte mehr) nahegelegt. Der Startspieler, für den kein solches richtungsweisendes Privileg mehr übrig war, büßte notgedrungen einen Milligramm Strategie-Konsequenz ein und hatte so keine Chance mehr auf einen der vorderen Plätze.
    In einer Stunde waren wir durch. Daraus folgerte Aaron einen deutlich gestiegenen Wiederspielreiz. Seine Gleichsetzung von „Pantheon“ mit „7 Wonders“ konnte Walter allerdings nicht unwidersprochen hinnehmen: Freilich lebt „Pantheon“ auch von Karten, doch der Freiheitsgrad beim Ziehen der Karten und den daraus resultierenden möglichen Aktionen ist in „Pantheon“ um ein Mehrfaches größer. Freilich bringen auch in „Pantheon“ die gezogenen Aktionskarten einen deutlichen Zufallseinfluß mit sich. Doch hier sind noch wesentlich mehr Zufallseinflüsse gegeben, aber alle fein, wohlabgestimmt und spielerisch in den Gesamtablauf integriert. Für mich!
    WPG-Wertung: Aaron: 7 („kurzweilig“, 2 Punkte mehr), Günther und Walter blieben bei ihren 8 Punken: .
    2. “Die Burgen von Burgund”
    In einem (gemäß Regelheft) „außergewöhnlichen Aufbauspiel um Weiden, Waren und Würfel“ sollen wir unsere hexagonalen „Ländereien durch überlegten Handel und Wandel aufblühen lassen.“
    Zunächst einmal würfeln wir, jeder mit zwei Würfeln. Der Würfel bestimmt, welches der offen ausliegenden Landschaftsplättchen wir in unseren Vorrat, und welches Plättchen wir vom Vorrat auf welches Feld in unseren Ländereien legen dürfen. Passt uns das Würfelergebnis nicht, dürfen wir uns für einen Würfel zwei Arbeiter zulegen, die es uns erlauben, beim nächsten Wurf die geworfene Augenzahl nach oben oder unten zu verschieben. So ganz stupide sind wir dem Würfel also nicht ausgeliefert. Ein bißchen aber schon.
    Mit jedem Plättchen in unseren Länderreien gewinnen wir Vorteile: die Erlaubnis, noch ein weiteres Plättchen legen, ein paar Arbeiter für die Würfelaugen-Modifikation, Geld (zum Erwerb von Landschaftsplättchen völlig am Würfelergebnis vorbei), oder Siegpunkte. Alle Rädchen wirken ineinander und alle Aufbauleistung wird belohnt. Allerdings riecht alles unweigerlich nach Schweiß, der von der Stirne tropfen muß, damit das Werk den Meister loben kann. Würfel-Modifier durchrechnen, die Erreichbarkeit von Plättchenauslagen abschätzen, die Ambitionen der Mitspieler vorhersehen und sich dagegen vorsehen, das ist alles ziemlich anspruchsvoll. Aaron und Walter fanden hier sogleich Ähnlichkeiten zu „Agricola“. Wer dieses Spiel liebt, wird auch an den „Burgen von Burgund“ seine Freude haben. Und wenn die Jury von „Spiel des Jahres“ wieder einen Sonderpreis für das „komplexeste Spiel des Jahres“ vergeben will, dann sind die „Burgen“ ein heißer Anwärter.
    Doch für Spielen im eigentlichen Sinn des Wortes fehlen deutlich spielerische Elemente. Und die Interaktion beschränkt sich auf den Wettlauf um die Prämienplätze bei den vielfältigen Etappenzielen. Und das Thema? Der Rioja auf dem Tisch hat mehr Assoziationen mit Burgund aufkommen lassen als die Masse der 240 Spielelemente.
    WPG-Wertung: Aaron: 6 („der Spannungsbogen fehlt, 5 Runden lang der gleiche Ablauf“), Günther: 8 („für Freaks, komplexes Aufbauspiel mit zahlreichen Entfaltungsmöglichkeiten, objektiv ein Highlight des Jahres 2011, subjektiv vielleicht nicht“), Walter: 6 („ein Hoch für den Schweiß, den der Autor bei der Spielentwicklung vergossen hat, kein Hoch für den Schweiß, den die Spieler beim Spielablauf vergießen müssen“).

    20.04.2011: Vermessung von Göttern und Halbgöttern

    Der 20. April ist der 110. Tag des Gregorianischen Kalenders (der 111. in Schaltjahren), somit verbleiben noch 255 Tage bis zum Jahresende.
    Im Jahre 1653: In England vertreibt Oliver Cromwell mit 30 Bewaffneten die rund 100 Abgeordneten des Rumpfparlaments, die sich in den Tagen zuvor geweigert haben, die Selbstauflösung des Parlaments zu beschließen.
    Im Jahre 1902: Marie und Pierre Curie gelingt die Isolierung des chemischen Elements Radium.
    Im Jahre 2010: Die Ölplattform Deepwater Horizon explodiert und sinkt zwei Tage später. Das größte Ölleck der Geschichte entsteht, mit unabsehbaren Folgen für die Menschheit.
    Im Jahre 2011: Hauptversammlung der Münchener Rück im Messegelände. Ein Schwerpunktthema: Erdbeben, Tsunami und Atom-GAU in Japan. Wertung der Experten: Die Japan-Katastrophe ist „nur“ ein Jahrhundertereignis. Sie wird die Firma ca. 1,5 Mrd Euro kosten. Das schmälert den Gewinn, frißt ihn aber nicht auf. Die „Rück“ ist grundsätzlich auch für Jahrtausendereignisse gewappnet und hat dafür Geschäftsmodelle entwickelt.
    Nachfrage: Was ist ein „Jahrhundertereignis“? Eines, das in hundert Jahren durchschnittlich einmal auftritt? Das also bei 100 Versicherungsfällen durchschnittlich einmal im Jahr auftritt? Keine Nachfrage und keine Antwort zu der denkwürdigen Konstellation: Wieviele Atomkraftwerke sind auf der Welt versichert?
    1. “Cinco”
    Cinco EndstandDas Spielbrett ist in hexagonale Flächen aufgeteilt und die Spieler setzen abwechselnd je einen Spielstein aufs Brett. Wem es als erstes gelingt, in einer Linie fünf seiner Spielsteine nebeneinander abzulegen, hat gewonnen. Auf den ersten Blick erinnert das an das wohlbekannte ehrwürdige Gobang. Auf den zweiten Blick auch. Nur gibt es sechs anstelle von vier Richtungen zu berücksichtigen.
    Ein Spieler darf seine Spielsteine aber nicht auf beliebige Felder des Spielbretts legen, sondern er zieht Karten mit einer Zahl, die die ihm erlaubten Felder angeben: Die Einschränkung erschwert natürlich eine konsequente Gewinn-Planung, im gleichen Zuge natürlich aber auch die Gegenmaßnahmen der Mitspieler. Doch in einem Mehr-Personen-Spiel ist eine Planung ohnehin obsolet. Gegen zwei mittelmäßig aufmerksame Mitspieler hat selbst ein Genie keine Chance, eine nicht mehr verhinderbare 5er-Kette viele Züge lang voraus zu planen.
    Zwei von uns konnten sich vorstellen, dass das Spiel ein hübsches, abstraktes 2-Personen-Strategie-Spiel ist. Einer konnte oder wollte sich das nicht vorstellen.
    WPG-Wertung: Aaron: 5, Günther: 6 (zu zweit, 4 zu dritt oder mehr), Walter: 7 (zu zweit, 4 zu dritt oder mehr).
    2. “FITS”
    Tetrisartige Bausteine fallen vom Himmel bzw. werden jedem Spieler zum Einräumen in sein Spielbrett vorgegeben. Wer am Ende die meisten vollständig überdeckten Reihen aufweist hat gewonnen.
    Vor anderthalb Jahren zum ersten Mal am Westpark gespielt, hat das semi-rationale Geometrie-Puzzle noch positiv überraschen können. Diesmal ist nur Günther bei seinen Punkten geblieben. Aaron und Walter haben den möglichen objektiven Spielreiz für andere beiseite gelassen und eine knallharte subjektive Wertung abgegeben.
    WPG-Wertung: Aaron: 5, Günther: 7, Walter: 4.
    3. “Pantheon”
    Ein Spiel des bekannten Petersburger Trios Michael Tummelhofer. Günther hat es schon viermal gespielt: während der Prototyp-Entwicklung bei Hans-im-Glück, bei den Münchener Spuiratzn und in anderen Non-WPG-Spielrunden. Alle waren von dem Spiel sehr angetan.
    Gegen die kritischen To-have-a-plan-Fanatiker vom Westpark baute Günther aber gleich vor: „Es geht absolut ungerecht zu. Schließlich spielen wir mit Göttern und Halbgöttern.“ Das Glück soll sich im Laufe des Spiels allerdings ausgleichen, zumindest nach dem Gesetz der großen Zahlen. Was aber nicht bedeutet, dass in der Realität die Glücksbilanz beliebige Ungleichgewichte aufweisen kann.
    In sechs Epochen sammeln wir Aktionskarten mit Geldscheinen, Bewegungspunkten und Opferzertifikaten. Mit den Geldscheinen kaufen wir Fußvolk, Gebetstonnen und Opferrabatte. Mit Fußvolk und Bewegungspunkten erzeugen wir Trampelpfade durch das hexagonale Spielbrett, und zwar vom Ausgangstempel bis zu besonderen Markern, die uns Vergünstigungen und Prämien einbringen. Mit genügend Opferscheinen (volatile) und Opferrabatten (permanent) erwerben wir Halbgötter, Götter und Siegpunkte. Auch der Besitz von Gebetstonnen wird periodisch belohnt.
    Die Menge unseres Fußvolkes, die Potenz unserer Opferrabatte und der Götterlohn für den Erwerb eines Hausaltars steigen permanent an. 10-15 Siegpunkte für einen Zug sind in der letzten Epoche keine Seltenheit, in der ersten Epoche muß man sich mit vielleicht nur einem Siegpunkt pro Zug begnügen. Diese Steigerung enthält natürlich genügend Dynamik, um die Spielerpositionen von Epoche zu Epoche gehörig durcheinanderzumischen, und sie läßt auch dem Schlußlicht bis zur letzten Runde eine Hoffnung auf den Sieg. Unser Moritz hatte sich von vornherein auf die lukrativen Gebetstonnen verlegt, die erst in der allerletzten Schlußwertung die in ihnen enthaltene Musik aufspielen lassen. Mit 48 Siegpunkten für alle seine 12 Gebetstonnen konnte er sein bisheriges Punktekonto etwa verdreifachen und sich damit unangefochten an die Spitze setzen.
    „Pantheon“ erlaubt ganz verschiedene Schienen zu fahren. Das ist eine der Stärken des Spieles. Nicht nur Moritz’ Gebetstonnen, auch Hausaltäre können zum Sieg führen. Nur konsequent muß man dabei vorgehen und ein feines Gleichgewicht zwischen dem permantenten und den volatilen Opfereinsatz finden.
    Eine andere Stärke ist der wohldosierten Einbau von Zufallselementen, die den spielerischen Charakter unterstreichen und eine trockene ingenieursmäßige Optimierung der Spielzüge abwehren. In den Karten, die jeder zieht, und im Angebot an Göttern, die es zu erwerben gibt, liegt eine gewisse zufällige Streuung drin. Aber keinesfalls so, dass alles chaotisch und unplanbar wäre. Für diese Qualität bürgt schon allein das Haus Hans-im-Glück.
    WPG-Wertung: Walter 8 (erlaubt viele verschiedene, miteinander ausbalancierte Strategien), Aaron: 5 (es gibt den Anschein, als erlaube es viele verschiedene Strategien, doch im Grunde herrscht nur Mitspielerchaos) , Günther: 8 (bestreitet das Chaos), Moritz: 8 (fiel nur „Phallus“ ein, wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Säule auf dem Deckblatt).
    Bei „Pantheon“ haben wir zum ersten Mal in unserer Geschichte den DGT-Cube zum Messen der Denkzeiten eingesetzt. Das sorgte für eine gewisse Nervosität und konstruktive Spannung während des gesamten Spiels. Jeder achtete darauf, das die Zeit für Klärungsfragen oder allgemeingültige Spielabläufe nicht zu Lasten seiner privaten Denkzeit gingen. Das überraschende Ergebnis: Die Summe aller Denkzeiten der einzelen Spieler lag um weniger als 20% auseinander. Walter war (selbstverständlich!) mit 10:42 Minuten der Schnellste, ganz knapp vor Aaron mit 10:44 Minuten, Günther lag (darauf sollten wir in Zukunft vielleicht achten!), mit 12:21 Minuten an der Spitze, doch diese Differenzen sind noch tragbar.
    Zu diesen Individual-Denkzeiten von insgesamt gut 45 Minuten kommen nochmals etwa 45 Minuten für Spielvorbereitung, Epochenvorbereitung, Zwischenwertung und Endwertung. Die somit 1 ½ Stunden Gesamt-Spieldauer für ein Aufbauspiel a la „Pantheon“ geht durchaus in Ordnung. Vielleicht hat diesmal aber der DGT-Cube dazu beigetragen, dass es nicht wesentlich länger wurde.
    4. “Artus”
    Die Altmeister Kramer und Kiesling zeichnen als Autoren. Aber vielleicht haben sie Ghostwriter bemüht. Oder sie bereiten sich gerade vor auf einen Absprung in die Abteilung „Kinderspiele“ beim Zoch-Verlag.
    Auf dem Tisch liegt eine Drehscheibe, die am Rand grüne positive Zahlen von 1-10, rote negative Zahlen von -1 bis -15 und gelbe Nullen enthält. Die Spieler bewegen jeweils einen ihrer je 4 Pöppel um diese Drehscheibe herumlaufen und buchen für jeden Zug soviele Pluspunkte bzw. Minuspunkte, wie die Drehscheibe am Beginn des Zuges für den bewegten Pöppel angibt.
    Die Schrittweite, wieviel sich ein Pöppel bewegt, wird durch Bewegungskarten angegeben, von denen jeder Spieler bei Spielbeginn einen identischen Satz erhält.
    Damit das Ganze nicht zu berechenbar wird, kann man mit bestimmten Bewegungskarten auch die Drehscheibe selbst bewegen, so dass ein Spielstein, der gerade soeben noch auf der grünen Plus-10 gestanden hat, im nächsten Zug bereits auf der roten Minus-15 steht. Und da jeder Spieler erst wieder dann am Zug ist, wenn vor ihm drei andere Spieler Pöppel und Drehscheibe bewegt haben, kann man sich leicht ausmalen, wieviel eigenes Glück jeder Schmied in seiner Hand hat.
    Um wenigens zwei oder drei Milligramm davon eigenhändig schmieden zu können, durfte – gemäß Fortgeschrittenen-Regel – jeder Spieler pro Zug zwei Bewegungskarten ausspielen. So konnte er wenigens mit der ersten In-den-sauren-Apfel-beißenden-Karte dafür sorgen, dass er mit der zweiten Karte in einen süßen Apfel beißen durfte. Am Westpark gehen solche Vergünstigungen natürlich auf Kosten der Denkzeit. Jetzt hat man ja was zu denken! Und weil man erst Denken kann, wenn man wirklich am Zug ist, sind alle Denkvorgänge linear, d.h. additiv. Destruktiv lang.
    Weil bei man der langen Denkzeit (der anderen) so selten dran kommt, muß man seinen Zug dann sehr gut überlegen. Und je länger man überlegt, desto länger müssen die anderen warten, und umso seltener (pro Zeiteinheit) kommen sie dran. Ein richtiger Teufelskreis. Da hätte wohl auch ein DGT-Cube nicht viel ausrichten können.
    Wir hätten doch nur die 9-Jährigen-Version hernehmen sollen, wo jeder nur eine Bewegungskarte spielen darf. Den einen optimalen Zug herauszufinden ist dann die Trivial-Aufgabe: Bestimme den höchsten Drehscheibenwert, auf dem einer Deiner Pöppel steht! Diese Aufgabenstellung und der daraus resultierende Spielablauf hätte zu „Artus“ besser gepaßt.
    WPG-Wertung: Aaron: 4, Günther: 4, Moritz: 5 (das Thema paßt: Kingmakerei), Walter: 4.