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04.11.2009: Nagelprobe für Egizia

Die Einschätzungen unserer Essen-Fahrer über “Vor den Toren von Loyang” sind schlecht bis vernichtend. Der Agricola Vorgänger wurde in Essen hoch gehandelt, und deshalb hat es Günther selbstverständlich in seinen Koffer gepackt. Heute urteilt Moritz “Es ist mit Abstand eines der langweiligsten Spiele, die ich je gespielt habe, 3 1/2 Stunden ödeste Buchhalterei.” Die Siegpunkt-Vergabe ist anti-progessiv. Wer am Anfang ins Hintertreffen gerät, bleibt im Punktemühsal der letzten Phase hoffnungslos hinten. “Ihr werdet es hassen!”
Günther setzt die Hoffnung auf einen Spielabend ohne Moritz: “Da ich es habe, werden wir es dann irgendwann auch am Westpark probieren …” Wie lautet das bekannteste Zitat von unserem noch lebenden Kaiser: “Schaun mer mal!”
1. “Egizia”
Günther, Moritz und Peter hatten bei Hans im Glück schon den Prototyp ausprobieren können und waren begeistert. In der Serienversion ist ein Spielbrett mit Anleihen vom Stone-Age-Design dazugekommen, bunt und antik, aber mit Einbußen in der funktionalen Übersichtlichkeit. Der Nil mäandert sich in einem diagonalen Zickzack-Bogen quer durchs Spielbrett und es ist beim flüchtigen Hinsehen nicht immer klar, in welcher Reihenfolge die Stationen angeordnet sind.
Die Spieler setzen reihum ein Schiffchen auf eine beliebige Station auf dem Spielbrett und bekommen dafür die individuellen Vorteile der Station: Ernährung für die Arbeiter, Steine für allerlei Bauwerke, Zuwachs an Arbeitern, Baugenehmigungen und dergleichen. Diese verschiedenen Vorteile werden pro Runde als “Nil-Karten” zufällig auf die Stationen verteilt.
Die Beliebigkeit beim Setzen ist allein dadurch eingeschränkt, daß man ein weiteres Schiffchen nur nilabwärts zu seinem Vorgängerschiff plazieren darf. Wer sich also sehr früh weit nach vorn auf eine besonders begehrte Station begibt, überläßt seinen Mitspielern ohne Gegenwehr alle dazwischenliegenen Stationen. Wer die letzte Station erreicht hat, für den ist die Setzrunde zu Ende, unabhängig davon, wieviele Schiffchen die anderen noch setzen.
Jeder hat sein Glück weitgehend in der Hand. Natürlich im scharfen Wettbewerb mit seinen Mitstreitern. Die ständig wechselnde Szenerie mit den ausliegenden Nil-Karten, die konkurrierenden Ambitionen der Mitspieler und ihr sich sehr schnell unterschiedlich entwickelnder Besitzstand sind die Herausforderung des Spiel. Engpässe gibt es in jeder Beziehung, aber gleichzeitig auch Entwicklungspotential in jede Richtung; Freud und Leid halten sich vorzüglich die Waage. Ein harmonisches Weiterbringen der benötigten Fortschrittskräfte ist der Schlüssel zum Sieg.
Der Spielverlauf bietet für jeden Spieler eine deutliche Steigerung seines Handlungsspielraums: die vergebenen Siegpunkte wachsen von Runde zu Runde, und die zu Beginn unvermeidlichen Engpässe können immer leichter beseitigt werden. Ein solches Design zeigt eine erfahrene Handschrift beim Autor und vor allem in der jahrelangen Testphase im Verlag.
Günther und Moritz mit ihrer HiG- und Essen-Erfahrung rissen sich sofort um das Baumaterial. Moritz konnte sich dann auch noch die Ernährung sichern und mit ein paar günstigen Siegpunktquellen den Sieg davon tragen. Aber nur knapp. Doch auch für die Neulinge in “Egizia” waren die zwei Stunden Spielzeit ein ungetrübtes spannendes Vergnügen.
WPG-Wertung: Aaron: 8 (stimmige Mechanismen), Günther: 9 (bisher bestes Spiel aus Essen), Moritz: 9 (spannende Konkurrenz), Walter: 9 (auf angenehme Weise komplex)
Walter schreibt eine Rezension.
2. “The Adventurers”
Für einen zweiten Hauptgang reichte die Zeit nicht mehr. Moritz durfte ohne Widerspruch ein mittellanges Spiel aus seinem großen, zuweilen auch eigenwilligen Fundus auf den Tisch legen. Natürlich nicht ohne ein gewisses Mißtrauen durch die Mitspieler. “Ist das ein Fantasy Thema?” “Nein, ein Indiana Jones Thema! Und es hat einfach ein sehr schönes Spielmaterial”.
Auf ein kariertes Spielbrett werden zwei hübsche Mauerabschnitte (nach Art des Ischtar-Tores im Pergamonmuseum) gelegt und ein Stein, der an die Aufgabenstellung vom Sisiphus erinnert. Die Spieler laufen mit ihren Pöppeln von Feld zu Feld, müssen aufpassen, daß sie von den sich aufeinanderzubewegenden Mauern nicht zerdrückt werden, nicht in tödliche Fallen fallen oder vom Sisiphus-Stein niedergewälzt werden. Unterwegs können sie Schätze aufnehmen, die natürlich ihre weitere Laufgeschwindigkeit beeinträchtigen. Auf dem Weg zum Ziel können sie auch einen Teil schwimmend zurücklegen, wobei sie aber Gefahr laufen, nicht wieder sie rechtzeitig herauskommen, und dann einen Wasserfall hinterfallen und ausscheiden.
Wer die wertvollsten Schätze ans Ziel bringt, hat gewonnen.
Und was ist der Motor des Spiels? Der Würfel! Sogar fünf Stück davon. Ein Würfelwurf entscheidet, wieviele Felder wir pro Zug zurücklegen dürfen, wieviele Felder der Sisiphus-Stein hinter uns her rollt, wie schnell sich die Ischtar-Mauern schließen, ob wir lebend über eine baufällige Brücke kommen, und ob wir in den Wasserfall fallen. Wie nennt man auf gut deutsch so ein Spiel? Ein Würfelspiel, und nichts anderes!
WPG-Wertung: Aaron: 5 (Wenn ich in Stimmung bin, würde ich es nochmals spielen), Günther: 4 (mag das Alles-oder-Nichts-Prinzip nicht, mit hohem Aufwand wenig erreicht), Moritz: 7 (schönes Material, schnell, eigentlich ein Meisterwerk), Walter: 3 (Sisiphus reicht nicht. Meine Noten beziehen sich auf die WPG-Runde und nicht auf eine fiktive lustige Kinderrunde).
Moritz war über die schlechte Noten seiner Mitstreiter aufgebracht. Es war doch ein lustiges Spiel! Wir haben doch auch viel gelacht! “Du mußt jedes Spiel nehmen wie eine Frau. Manche sind rot, manche sind blond, manche sind dick, andere dünn. Alle haben ihre Vorzüge, und die mußt Du sehen.” Aaron: “The Adventurers ist in diesem Sinne keine intelligente Frau, sondern eine, die einfach nur aufgemotzt ist.” Walter: “Ich vögele nicht jede Frau!”
3. “Bluff”
Aaron schlug eine neue WPG-Variante vor: Jeder darf sich unter seinem Würfelbecher aus Herzenslust eine beliebige Würfelkombination zusammendrehen. Dann läuft das Spiel wie normal an. Gesagt getan!
Walter startete mit der Vorgabe: 10 mal der Stern. Eigentlich wollte er auf 20 mal den Stern setzen, aber soweit reichte das Spielbrett nicht. Hilfsweise addierten wir beim Überrunden des Startfeldes noch 10 Sterne hinzu, so daß Moritz auf 11 mal den Stern heben konnte. Aaron zweifelte an.
Günther und Walter hatten je fünf Sterne unter ihren Bechern, Aaron zwei Sterne und Moritz keinen. One Down is good Bluff.
Die Variante – obwohl überraschend, lustig und sogar praktizierbar – wurde zunächst noch einmal zurückgestellt.