Archiv der Kategorie: Spieleabende

19.12.2012: Vor dem nächsten Weltuntergang

Die Welt ist nicht untergegangen. Der aus dem Maya-Kalender für den 21.12.2012 herausgelesene Weltuntergang hat trotz reichlich Brimboriums in der esoterischen Welt nicht stattgefunden. Dabei war dieses Herauslesen nach Ansicht von Mayaforschern – wie für einen nüchternen Betrachter ja wohl selbstverständlich – „inhaltlich völlig unzutreffend“. Korrekt war lediglich, dass an diesem Datum der Zahlenwert des Tages gemäß der verschiedenen zyklischen Maya-Tageszählsysteme wieder bei Null anfing.

Was soll’s! Der Session-Report blieb mir vorauszusehenderweise nicht erspart.

1. “Tzolk’in – der Maya-Kalender”
Rechtzeitig zum Weltuntergang haben die Italiener(innen?) Daniele Tascini und Simone Luciani bei Czech Games ein Spiel zum Maya-Kalender herausgebracht, an dem wir wohl noch lange nach dem Weltuntergang unsere Freude haben werden. Es wird keine große Geschichte von Göttern, Gräbern und Gelehrten vorgegaukelt, wir sind einfach Spieler, die ihre Pöppel in das wundervolle Räderwerk des Maya-Kalenders einsetzen und dort die Abwechslung von Saat und Ernte über uns ergehen lassen.

Geiler Maya-Kalender in Tzolk'in
Geiler Maya-Kalender in Tzolk’in

Für jeden Zug steht eine Unmenge von Optionen zur Verfügung. Zunächst mal geht es um Nahrungsmittel, Baustoffe und höherwertige Ressourcen. Wir können unsere Fähigkeiten und die Ausbeute bei der Rohstoffbeschaffung erhöhen, wir können uns weitere Pöppel zulegen und wir können uns beim Tempelbau die Gunst der Götter erwerben. Schlußendlich dreht sich aber alles um die Siegpunkte, für die es ebenfalls ungezählte Quellen gibt, die vorausschauend erschlossen oder opportunistisch genutzt werden können.

Mais als Nahrung und Währung ist das bestimmende Element im Spiel. Es ist lebensnotwendig für die Ernährung der Pöppel, vor allem aber erlaubt es, die Menge der Zugoptionen effizient zu nützen und bei Saat und Ernte gleich einige Perioden zu überspringen.

Viele, nicht unbekannte, aber sehr gut funktionierende Spielelemente sind zu einer neuen, sehr gelungenen Mixtur zusammengebraut. Es gibt genug zu denken und zu planen und sehr viele Freiheitsgrade beim konstruktiven, schöpferischen Optimieren. Natürlich muß man dabei denken und das kostet auch Zeit. Doch jeder Spieler ist irgendwie an jeder Aktion, auch der Mitspieler beteiligt, und selbst das Verfolgen von deren Denkprozessen ist spannend.

Dass Günther bei „Tzolk’in“ gewinnen würde, war bei diesem Spieltyp schon vorprogrammiert. Bemerkenswert ist die Art, wie er es geschafft hat. Nach 26 von 28 Runden lag er mit 2 Siegpunkten einsam an letzter Stelle. Die anderen hatten schon 30 und mehr auf ihrem Konto. Doch er hatte weitschauend in die Zukunft geplant. In den letzten beiden Runden schoß er auf 83 Siegpunkte hoch, keiner seiner Konkurrenten kam auf mehr als 50. In diesem Hochschießen könnte ein Balance-Problem liegen. Doch man muß ein Günther sein, um das so reichhaltig zu seinen eigenen Gunsten auszunutzen.

WPG-Wertung: Aaron: 8 (alles stimmt), Günther: 7 (fürchtet noch, dass es eine eindeutige Mais-Gewinnstrategie gibt), Horst: 8 (endlich mal viel Zeit und Gelegenheit für Strategien), Walter: 8 (schon die Mechanik des Planetengetriebes auf dem Spielbrett ist geil)

2. “Incubator”
Aaron brachte ein zweites Mal seine „neuen Mechanismen“ (siehe Session-Report vom 5.12.2012) zum Testen auf den Tisch. Seine Neu-Erfindung hat jetzt bereits einen Arbeitsnamen: „Incubator“. Damit ist nicht die deutsche Death-Metal-Band angesprochen, sondern (bei Wikipedia mit „k“ anstelle von „c“ geschrieben) eine Versorgungseinrichtung für die Versorgung von Früh- und Neugeborenen. Eigentlich geht es auch nicht um die bereits Geborenen, sondern erst um zu die noch zur Welt zu bringenden, und dabei im Besonderen um Spiele.

In diesem Kartenspiel investieren wird in die Zeugung und Austragung von Zwei-bis-Drei-Jahres-Kinder. Je früher wir uns beteiligen, desto höher ist die Vaterschafts- bzw. Hebammen-Prämie. Doch das Kind sollte auch stark und lebensfähig sein, bei unglücklichem Timing investieren wir in Totgeburten und gehen leer aus.

Gegenüber dem letzten Test hatte Aaron am Beteiligungs- und Prämiensystem gedreht. Auch Mehrfachgeburten wurden diemal a priori unterbunden. Es läuft schon ganz schön run. Schnell, taktisch und schadenfreudig, sogar spannend. Es könnte ein guter Wurf werden.

Keine WPG-Wertung für ein Spiel in statu nascendi.

3. “Express 01”
Das bereits incubierte Kartenspiel um Eisenbahnnetze und Eisenbahnaktien, das nach der ersten Begutachtung bereits so gut wie gestorben war, sollte nur noch ordentlich zu Grabe getragen werden. Mit Günther als Trauerredner, doch ohne Rücksicht auf das lateinische „de mortuis nihil nisi bene“.

Der verwachsene Organismus, das Atmen, der Blutkreislauf und die Verdauung via eines einzigen Herz-Lungen-Darm-Traktes stieß erneut auf heftige Kritik. Der himmlische Schöpfer hat diese Funktionen auch nicht alle in einem einzigen Baustein realisiert.

Günther beteiligte sich sofort an Aarons gelben Verkehrsadern und Walter fürchtete schon, im Zwei-gegen-Eins-Frontenkrieg keine Chance zu haben. Da fand er sich plötzlich als alleiniger Besitzer von vier blauen Adern, die sogar schon über zwei Knoten verfügten und säckelte im Gedanken auf seinen nächsten Zug acht Organe ein, mehr als alle anderen besaßen. Doch inzwischen hatte sich die Geburtshelferreihenfolge geändert. Mit Übersicht und Miesnickeligkeit konvertierte Günther einen von Walters blauen Knoten in einen gelben, und in Nibelungentreue konvertierte Aaron den zweiten blauen Knoten in einen grünen. Walters Adern besaßen schlagartig nicht einmal mehr Schrottwert! Kann das sein?

Keine Organe mehr im Portfolio, kein Blut in den Adern, keine Kraft in den Beinen und keine Lust im Herzen! Aarons Analogieschluß zu „1830“, dem angeblichen Vorbild von „Express 01“ „Du hast halt als Startlinie die Erie“ gekauft“ war nur ein schwacher Trost.

Günthers Leichenrede endete mit den Worten: „Ich sehe auch nicht wirklich, wie es hätte überleben können!“

WPG-Wertung: Aaron: 4 (es funktioniert, aber es macht keinen Spaß und alle müssen warten. Das Kartenstapel-Durcheinander könnte sogar zu Streit führen), Günther: 4 (leicht verärgert), Walter: 3 (bleibt).

4. “Bluff”
Horst stand mit zwei Würfeln im Endspiel gegen Walters drei Würfel und fing mit zwei mal die Eins an. Walter hatte eine Eins, Zwei und Drei geworfen, wie sollte er nun reagieren?
Post mortem war klar, dass Horst keine einzige Eins unter seinem Becher haben sollte? Warum? Psychologische Logiker sind gefragt!

Ante mortem war das nicht so klar! Horst konnte siegreich das Feld für sich behaupten.

Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

Ich wünsche den Westpark-Gamers und unserem Leserkreis fröhliche Weihnachtstage und ein glückliches Neues Jahr. Bis zum nächsten Weltuntergang!

12.12.2012: Deutschland, Europa, Afrika

Peter und Loredana sind aus dem gelobten Land zurückgekehrt. In den großartigen historischen und modernen Stätten floß exodus-gemäß Milch und Honig, spielerisch haben sie sich eher in der Wüste gefühlt. Die paar mageren Chassidim-Spiele, mit denen sich die Orthodoxen die Sabbatruhe vertreiben, rissen sie nicht vom Hocker. Dagegen sind die Fleischtöpfe am Westpark, selbst wenn Walters Auswahl abgestanden und beschränkt ist, schon von einem anderen Kaliber. Peter konnte sich gar nicht entscheiden, bei welchen Leckerbissen (Ursuppe, Amun-Re, Modern Art) er zuerst zugreifen sollte.

1. “Trans Europa”
Ein Siebenjähriges zum Aufwärmen. Jeder muss seine fünf Pflichtstädte zwischen Spanien und dem Ural an ein gemeinsam zu bauendes Eisenbahnnetz anbinden. Wer das zuerst geschafft hat, ist Sieger.
Das Spiel ist leicht, flott, konstruktiv. Hölzerne Gleisteilchen in der Hand wiegen und auf ein Spielbrett legen zu können, ist schon von der mechanischen Handhabung her ein psychosomatischer Genuß. Und die professionellen Denker können sich sogar noch überlegen, mit welchem geschickt-geblufften Startpunkt sie ihre Mitspieler für sich (Gleisbau-) arbeiten lassen, während sie ihr eigenes Süppchen kochen.

Peter glaubte, an seiner roten Pfichtstadt London käme ohnehin keiner vorbei und und startete vom blauen Marseille aus Richtung Osten. Das waren Perlen vor seine geliebte Loredana, deren Haupststrang von Bukarest über Sophia nach Barcelona verlief. Mit riesigem Vorsprung konnte sie alle Männer regelrecht deklassieren.

Keine neue WPG-Wertung für ein fast 8 Punkte Spiele.

2. “GIZA – The Great Pyramid”
Der Pharao fürchtet mal wieder seinen frühen Tod und wir bauen mit Hochdruck an seiner großen Pyramde. Stein für Stein muß herangerollt werden und tausende (na ja, von jedem Spieler 8) Arbeiter werkeln am Ziehen und Rückeln und Liften des Materials. Natürlich brauchen so viele Arbeiter auch Nahrung. Ohne Catering-Service läuft gar nichts.

Wir setzen unsere Arbeiter in verschiedenen Betätigungsebenen ein. Was sie dann dort tun dürfen, müssen wir auf einem „Turn Order Track“ ersteigern. Es gibt Fischfang mit mäßigem Ertrag, Landwirtschaft mit gefälligem Ertrag und Fahrkarten für den Transport unserer Arbeiter von und zu den Fischgründen am Nil, zur Kunstschmiede, in den Tempel und zu den vier Schlittenbahnen für den Steintransport.

Um einen Stein ein einziges Feld in Richtung Ziel zu transportieren, müssen wir genügend Fish&Chips zusammenbringen. Jeder, der auf einem Transport-Stein sitzt, darf dazu beitragen. Reicht das Nahrungsangebot nicht, bleibt der Stein stehen und die knickrigen Sklavenbesitzer müssen ihre hungrigen Mitarbeiter in die Kantine am Nil zurücktragen.

GIZA – The Great Pyramid

Wird ein Stein transportiert, so bekommen die Besitzer der Auf-dem-Stein-Hockenden Siegpunkte, und zwar umso mehr, je mehr Hocker sie da oben haben. Das ist ganz unabhängig vom Beitrag zum Catering, der allein über Erfolg oder Mißerfolg in der Transportfrage entscheidet. Eigentlich ein Konstruktionsfehler. Es gibt zu wenig Motivation, sich gewaltig ins Zeug zu legen, um den Stein schnellstmöglich weitmöglichst zu bewegen.

Wurde ein Stein auch nur einen einzigen Meter verrückt, so fallen unverzüglich alle Mitarbeiter von ihm herunter und streichen ihre blauen Flecken mit Nilwasser ein, bevor sie in Eilmärschen wieder zum Stein-Schlitten für den nächsten Transportschritt in Gang gesetzt werden. Auch das wirkt mühselig und beladen.

Zum Glück müssen wir nicht die gesamte Pyramide fertig bauen. Spätestens wenn wir uns zehn Jahre lang mehr oder weniger erfolgreich hier bemüht haben, werden wir entlassen. Peter reichten schon die ersten drei Jahre. Dann schlug er leicht und locker einen Spielabbruch vor. Einsichtsvoll willigten alle ein. Es gibt Schöneres zu spielen und zu arbeiten, als jahrelang nur immer hinter den Steinen am Nil herumzulungern.

Aaron hatte das Spiel erstmals in Essen angespielt. Auch damals brachten sie in den vorgeschriebenen zehn Jahren keine Pyramide zustande. Allerdings war sein Spielgefühl damals ganz anders gewesen. Besser, stromlinienförmiger. Hat jetzt der Peter beim akribischen Nachlesen der Spielregel den Ablauf neu erfunden oder haben wir etwas falsch gemacht? Die einhellige Auffassung, „das Spiel funktioniert nicht“ sollte durch ausgiebiges Regelstudium nochmals überprüft werden.

Bevor das Spiel in auf Nimmerwiedersehen in Aarons Katakomben verschwindet, noch eine einsame Walter-Wertung: 3 (mit der großen Hoffnung auf Regelfehler unsererseits.).

3. “Hanabi”
Es war klar, dass dieses kleine Kartenspiel um das puzzlehafte kooperative Ablegen von Zahlenkarten in einer streng vorgegebenen Reihenfolge unseren Logikern gefallen würde. Tips unterhalb der Gürtellinie („Du hast fast nur Schrott auf der Hand!“) wurde von den gewissenhaften Puzzlern mit strafenden Blicken gewürdigt, ließen sich aber nicht ganz vermeiden. Vor allem weil sie ja auch logisch und lustig sein können.

Mit legalen Tips hauszuhalten ist oberste Maxime. Ein Tip zum Abwerfen von gleich mehreren nicht mehr brauchbaren Karten ist Gold wert, steht aber nicht immer zur Verfügung. Auch die frühzeitige Benennung von 5er Karten hat sich bewährt. Da diese Karten auf jeden Fall gehalten werden sollten, reduziert sich die Anzahl der unkontrolliert abzuwerfenden Karten. Und darunter ist dann garantiert | hoffentlich keine lebenswichtige.

Nach dem ersten Durchgang (oder dem zweiten?) bereitete Peter begeistert sofort den zweiten (oder dritten?) Durchgang vor. Gemeinsam erreichten wir 24 von maximal 25 Punkten.

Der Mainstream der seriösen WPG-Werter wurde von Loredana mit 6 und Peter mit 8 Punkten voll bestätigt.

4. “Bluff”
Nichts Neues im Westen. Das erste Spiel konnte Loredana für sich entscheiden, im zweiten Spiel war sie als erste ausgeschieden. Hier stand Peter ganz nahe vor dem Sieg, als die vorletzte U-Bahn pfiff und er fluchtartig das Lokal verließ.

Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

5. “Express 01”
In trauter, seit 25 Jahren gepflegter Zweierunde machten sich Aaron und Walter zu mitternächtlicher Stunde noch über ein Crowdfunding Spiel her, das als „1830 – Kartenspiel“ propagiert wurde. Bei dieser göttlichen Namensankündigung konnte Aaron sich nicht zurückhalten und ist gleich mit zwei Exemplaren den Förderern beigetreten.

In der Spielanleitung steht, „Express 01“ sei ein „reines Kartenspiel“, das ist aber untertrieben. Die benötigte Spielfläche ist zwar der nackte Tisch, doch dort liegen die Karten gemäß der Geographie Deutschlands wie auf einem richtigen Spielbrett. Und es gibt richtige kleine Holzlocks a la Trans-Europa und Spielbögen zum Verfolgen des Rundenablaufs.

Doch der Rest sind wirklich nur noch Karten. Höchst gediegenes Material, mindestens einen Michelin-Stern wert. Leider besitzen sie eine überstrapazierte Multifunktionalität: Sie sind Geldwährung, Anteilsscheine, Landbesitz und Gleisbaumaterial. Da bleibt der Michelin-Stern gleich im Halse stecken. Zumindest für das Geld hätte man ein paar lumpige Monopoly-Scheine zur Verfügung stellen sollen.

Wir wollten das Spiel ohnehin nur anspielen, haben es nach einer knappen Stunden aber auch mit Überzeugung zur Seite gelegt. Wir müssen uns in einer ruhigen Stunde nochmals gründlich die Spielregeln durchlesen, bevor wir „Express 01“ auf die Menschheit am Westpark loslassen. Hier nur ein paar negative Vorab-Eindrücke, bei denen wir uns von erfahreneren Expressionisten gerne eines Besseren belehren lassen wollen:

  • Die abzählbar endlich vielen Karten sind recht umständlich zu handhaben. Sie müssen vor jedem Spiel in 12 (oder mehr) Häufchen separiert und sortiert werden – mehr oder weniger einzeln. – Hallo Aaron, ich habe die Karten genauso wieder in die Schachtel eingeräumt, wie sie auf dem Tisch herumlagen. Das erneute Sichten und Sortieren wird uns wohl nicht erspart bleiben!
  • Die Gleiskonstruktionen verlaufen am Kartenrand nicht mittig, sondern im Drittel-Abstand. Dadurch passen zwei Streckenkarten nicht a priori zueinander. Das mag zwar später zu einem vielseitigeren Streckennetz führen, erhöht aber den Try&Error-Frust beim Suchen nach passenden Anschlußkarten.
  • Die Zahlenangaben zum Überbauen von Gleisen sind irreführend. Man kann z.B. auf die Gleiskarte 023 nicht wie angegeben die Gleiskarten 501-512 legen, sondern nur solche, die topologisch zum Gleisbau der Umgebung und farblich zum vorhandenen Bahnhof passen. Das sind sehr viel weniger, wenn überhaupt eines paßt! Viel unnötige Sucher- und Probiererei.
  • Das Hin- und Her-Verschieben der Schwarzen Lok wirkt eher stumpfsinnig als dass es funktional Wesentliches zum Spielablauf beiträgt.
  • Auch das Vertauschen der Spielerreihenfolge nach einer Prämienauszahlung ist eher lästig statt lustig; seine magere Funktionaliät rechtfertigt nicht die nackte Existenz dieses Regelelements.
  • Die Ermittlung der „Staatlichen Subventionen“ zu Beginn jeder Runde ist ein leeres Ritual. Die Bilanzierung des Besitztums eines jeden Spielers hat die gleiche Bedeutung wie das sprichwörtliche Fahrrad, das in China umkippt.

Zum Spielverlauf: Es war uns nicht klar, wie die spielerisch unbedingt notwendige Asymmetrie in das Spiel hineinkommt, d.h. wo der Anreiz zum Engagement auf verschiedene Gesellschaftsanteile herkommen soll. Wir engangierten uns mehr oder weniger gleichmäßig bei allen Gesellschaften, erstens aus der gegebenen Kostensituation heraus und zweitens um an den jeweiligen Ausschüttungen – auch der Mitspieler – beteiligt zu werden. Eine miesnickelige Gewinnausschüttung für die mickrige Linie, von der man alleine Anteile in Besitz hat, kann doch wohl nicht der einzige Spielspaß sein.

Aarons Statement zum Abschluß: „1830 erkenne ich nicht wirklich.“

Das Westpark-Schicksal von „Express 01“ wird wohl sein, dass sich ein paar Eisenbahn-Enthusiasten und Analysten allein aus Interesse an dieser Materie nochmals über das Spiel hermachen, um es zu zerpflücken. Das ist die einzige Vorfreude, die ich heute beim Gedanken an eine Spielwiederholung hege.

Vorläufige WPG-Wertung: Walter 3.

05.12.2012: Crux mit den Kickstartern

Bei Kickstarter-Brettspielen haben wir Westpark-Gamers uns schon seit einiger Zeit engagiert, jetzt gibt es auch Kickstarter-Spielprogramme auf iOS-Basis. Moritz war mit 15 Dollars bei „Battle of the Bulge“ dabei; die Entwicklung wurde erfolgreich finanziert und produziert, jetzt geht es ans Ausliefern. Doch da tauchte ein Problem auf: Die Förderer haben für ihr Spiel ja bereits bezahlt, doch das Verschenken eines amerikanischen Produkts an europäische Kunden wird von Apple nicht zugelassen. Diese Weltfirma diktiert sogar die Preisstufen und damit den Minimalpreis für den Download der Applikationen auf iOS-Basis. Wie kommt Moritz – und wie kommen die weiteren 50 Besteller aus dem europäischen Raum – jetzt zum geförderten Spiel, ohne nochmals den vollen Apple-Download-Preis zu bezahlen?

Creative Denker an die Front!

Ganz einfache Lösung: Moritz erhält von der Entwicklungsfirma einen Batzen Geld auf seinem Konto; damit kauft er für alle 50 Besteller bei Apple Gutscheine für den Download, mit diesen Gutscheinen beschenkt er die europäischen Förderer, die damit kostenlos ihr Spielprogramm runterladen können! … Welch ein Glück, dass es nicht 100000 Förderer waren?

1. “Gauntlet of Fools”
Mit „Spießrutenlauf der Narren“ könnte man dieses ebenfalls per Kickstarter-Finanzierung entwickelte Brettspiel übersetzen. Der verdiente Donald X. Vaccarino („Dominion“!) hat es erfunden, Moritz hat es gekauft und heute als Einleitungsspiel vorgeschlagen. Er ließ es sich nicht nehmen, der Runde auch gleich noch einen verbalen Appetizer hinzuwerfen: „Spielt sich wie Can’t Stop“ – immerhin ein 7+ Punkte Spiel am Westpark.

Gauntlet of Fools
Gauntlet of Fools

Jeder ersteigert einen Helden (dem Titel nach wohl eher Narren) und kämpft gegen fortlaufend auftauchende Monster. Ersteigern heißt hier, wir verpassen den einzelnen Heldenfiguren solange Handicaps, bis sie arm am Beutel und krank am Herzen ihre müden Leiber vor die Monster schleppen und kein anderer Mitspieler mehr für sie Sorge tragen will. Kämpfen heißt hier, würfeln und gewürfelt werden, Gold gewinnen und Leben verlieren. Freiheitsgrad: Solange der Vorrat reicht, kann man zum Hackebeil greifen, um die Siegeschancen zu erhöhen. Damit entgeht man aber keineswegs dem Verlust an eigenen Lebenspunkten. Der “Zombie” darf, wenn er bereits tot sich, nach freier Wahl noch gegen zwei Monster antreten, um im Falle eines Sieges seine Geldausbeute zu erhöhen. Zweimal eine Ja/Nein-Entscheidung im 20-Runden Monsterkampf. Der Rest ist Würfel-Prädestination. Gigantisch!

Während das Gros der Mitspieler entgeistert auf den trostlosen Spielablauf schaute, und auf die tausend roten Hexawürfel in der Schachtel, wohlwissend, dass sie ihr letztes Leben wohl ausgehaucht haben würden, bevor auch nur der letzte Würfel gefallen war, weidete sich Moritz an den verschiedenen Abenteurergestalten: “Berserker”, “Necromancer” und “Warlords” geben doch eine Unmenge an Thema und Stimmung her.

Er fand auch noch eine Verteidigung für das öde Dahinschlachten und Dahingeschlachtet-Werden: „Wie bei einem Pferderennen: Man setzt mehr oder weniger blind auf ein Pferd und weiß erst am Ende, wie gut es drauf ist.“ Hallo Moritz, bist Du denn an einem einzigen Pferderennen-Nachmittag zwanzig mal untrennbar an den gleichen Loser-Klepper gebunden? Oder ist dies etwa die Ähnlichkeit mit „Can’t stop“?

WPG-Wertung: Aaron: 3, Günther: 2 (vielleicht auch 3), Horst: keine Note für die Runde am Westpark (für andere Spielkreise glatte 9 Punkte, eines der besten und witzigsten Spiel der letzten Wochen, der Mechanismus hat total Spaß gemacht! Freute sich über das Abmühen der Mitspieler; in dieser Runde ist es wie Perlen vor die Säue werfen [Aaron: Wie Eber-Losung vor die Perlen!], Moritz: 5 (nett, die Aktionsmöglichkeiten sind zugestandenermaßen beschränkt), Walter: 2 (der größte Spielspaß war die private Auszeit, um die beste aller Ehefrauen von der U-Bahn abzuholen).

Endlich haben wir wieder einen „Horst-des-Monats“.
Und die blasphemische Erkenntnis: Wenn ein verdienter Autor eine Idee per Kickstarter lanciert, dann ist seine Idee offensichtlich nicht potent genug, die bewährten Pforten am Autoreneingang von Verlagen zu überwinden.

2. “Noblemen”
Vor vier Wochen in einer Dreierrunde für gut befunden, durften heute auch Aaron und Moritz ihren Senf dazugeben.

Wir bauen als englische Adelsherrschaften unsere Landschaftsgärten aus und beeindrucken mit Wäldern, Wiesen, Feldern und Parks, mit Burgen, Kirchen und Palästen die englische Königin. (Die erste Elisabeth, wohlgemerkt!) Gegenüber den „Spießruten“ sind die Freiheitsgrade ins Unermeßliche gestiegen. Die Auswahl an Landschaftstypen, die vielen und ständig wachsenden Möglichkeiten für Anlegestellen in unserem Grundbesitz, Kauf, Platzierung und Ausbaumöglichkeiten unserer Gebäude setzen unserer architektonischen Kreativität und unseren Ambitionen als Siegpunkt-Scheffler praktisch keine Grenzen.

Das geht noch dazu alles in spannender, spielerischer Konkurrenz und Interaktion von sich. Glücklicherweise ist der Spielspaß dabei so groß, dass selbst am Westpark gespielt und gezogen wird, bevor alle Optimierungsmöglichkeiten analysiert und bewertet wurden. Notfalls kann man sogar auch denken, wenn man nicht dran ist.

WPG-Wertung: Zum bisherigen 8-Punkte Schnitt vergaben ebenfalls Aaron: 8 (rund, spannend, nicht zu lang) und Moritz: 8 (Super-Spiel); Walter erhöht auf 9 Punkte.

Allgemeine Anerkennung vom Westpark: Pegasus, der Verlag von „Noblemen“ hat sich gemausert. Praktisch aus dem Nichts heraus ist er einer der besten deutschen Spieleverlage geworden.

3. “Bluff”
Nichts Neues im Westen. Moritz gewann unspektakulär mit 3 Würfeln Vorsprung.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

4. Neue Mechanismen
In einer Dreierrunde stellte Aaron seine neueste Spielidee vor. Wir investieren in abstrakte Objekte (Kickstarter-Produkte?), die in fünf Jahrgängen fällig werden. Habe sich zum Zeitpunkt der Fälligkeit genügend Interessenten mit genügend Masse angemeldet, gibt es dafür Siegpunkte, gestaffelt nach der Reihenfolge des Engagements. Ein einfaches, aber auf Anhieb bestechendes Spielprinzip.
Natürlich gibt es noch eine Menge alternativer Designentscheidungen auszuprobieren und festzulegen:

  • Werden nahe oder zukünftige Investitionen besser honoriert?
  • Wieviel Investitionsmasse steht zur Verfügung (Gesamt-Kartenanzahl, Größe der Kartenhand)?
  • Wieviele “Investitionsslots” stehen in jedem Jahrgang zur Verfügung?
  • Mit welchen Freiheitsgraden (Menge und Qualität der Investitionskarten) kann man sich an eine bestehende Interessentengruppe anschließen?
  • Staffelung der Siegpunkte?
  • Wie wird das Spielende herbeigeführt?

Aaron wird’s schon richten. Und der Westpark hilft ihm gerne dabei.

21.11.2012: Gingko Biloba

Ginkgo Biloba
Dieses Baums Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Gibt geheimen Sinn zu kosten,
Wie’s den Wissenden erbaut.
Ist es ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt,
Sind es zwei, die sich erlesen,
Daß man sie als eines kennt.
Solche Frage zu erwidern
Fand ich wohl den rechten Sinn,
Fühlst du nicht an meinen Liedern,
Daß ich Eins und doppelt bin.

Dieses Gedichtchen schrieb der 66 Jahre alte Goethe in einem Anfall von Tändelei an eine junge Ehefrau, die 31-jährige Marianne von Willemer. Wer mehr über diese junge Suleika erfahren will, und wieweit sie der alte Hafis noch rumgekriegt hat, der lese die Anmerkungen zu seinem „West-östlicher Divan’’. Vor allem zwischen den Zeilen.

1. “Ginkgopolis”
Der Baum, dessen Blätter Goethe zu tändelnder Philosophie anregten, hat dem Spiel seinen Namen gegeben. Den Versuch des Autors, in das Spiel auch noch eine Gingko-Geschichte einzubauen, kann man vergessen.

Wir fügen quadratische Gebäudeplättchen zur einer gemeinsamen Landschaft in der Tischmitte. Dabei können wir erstens die Landschaft in die Breite erweitern und kassieren dafür – abhängig von der Umgebung, in die wir bauen, Gebäudeplättchen, Pöppel und/oder Siegpunkte (GPS). Wir können auch zweitens in die Höhe bauen, d.h. die Plättchen aufeinander legen; dafür kassieren wir dann GPS abhängig von dem Plättchentyp, das wir legen. Und drittens können wir auch nur „Planen“, d.h. eine „Urbansierungskarte“ ohne Plättchen legen, dann bekommen wir GPS abhängig von …

Ach, es ist schwer zu verstehen, welche Vorteile uns die verschiedenen Aktionen einbringen. Mal zählt die Auslage an „Urbanisierungskarten“ vor jedem Spieler, mal die gespielte Karte, mal die Umgebung, mal der Ort selber, auf den wir bauen. Zwei ganze Seite hat die Spielanleitung zu diesen drei simplen Legemöglichkeiten und dem daraus resultierenden Profit geopfert. Günther hat sie ziemlich radebrechend vorgetragen. Wenn ich mich jetzt in der After-Party-Time bemühe, Günthers Ausführungen und die Erklärungen in der Spielregel auf einen Nenner zu bringen, bin ich nicht sicher, ob ich richtig liege. High-sophisticated bzw. mühselig und beladen; selbst für Freaks eine Herausforderung.

Die zulässigen Aktionen werden durch vier „Urbanisierungskarten“ bestimmt, die jeder Spieler in der Hand hält. Wem seine aktuelle Auswahl nicht gefällt, darf seinen Kartenhand gegen Karten aus dem verdeckten Nachziehstapel austauschen. Gut oder schlecht? Diese Option verzögert den Spielablauf. Jeder Spieler muss zunächst seine Hand analysieren, ob ihm darin eine besonders gute Aktion geboten wird, und ob seine GPS-Mittel dazu ausreichen. Dann muss er abwägen, ob er beim Kartentausch vielleicht vom Regen in die Traufe kommen kann. Und tauscht er schließlich, so fängt die Analyse von vorne an. Nachdem hier grundsätzlich keine Superangebote zur Verfügung stehen, sondern alle Aktionen schlußendlich doch nur mit Wasser kochen, könnte ich sehr gut auf diesen Tausch verzichten.

Um etwas Gerechtigkeit in die Verteilung der „Urbanisierungskarten“ zu bringen, muss jeder Spieler – gemäß dem „7-Wonders“ Prinzip – nach seinem Zug seine restlichen Handkarten an den Nachbarn weiterreichen. Jeder Spieler darf sich dann im Glauben wähnen, er habe sein Schicksal (und das des Nachbarn) wenigstens zu einem gewissen Anteil in der Hand. Wie weit das stimmt, lasse ich mal offen. Zumindest sinkt die Vorausplanbarkeit von Zügen mehr oder weniger auf den Nullpunkt, weil neben der ohnehin nicht überschaubaren Landschaftsentwicklung in der Tischmitte nicht kalkulierbar ist, welche Karten man im nächsten Zug in der Hand hält. Aber vielleicht ist das spielerisch.

WPG-Wertung: Aaron: 6 (eigentlich ein 8-Punkte-Spiel, aber zu fehleranfällig und die Karten passen oft nicht (sic!) zu den Ambitionen, Günther: 6 (man ist ständig mit organisatorischem Klimbim belegt: ungültige Karten heraussuchen, nachmischen …), Horst: 7 (das Spiel-Korsett stimmt, die Mechanismen greifen gut ineinander), Moritz: 6 (man wird ein bißchen gespielt, die Aktionen sind in sich nicht stimmig), Walter: 6 (konstruktiv, aber solitär).

Aaron gibt einen Punkt weniger, weil der, der heute gewonnen hat, den weitaus meisten Alkohol getrunken hat.

2. “Hanabi”
Vor einem Monat in einer 3er Runde angetestet, sollte das Spiel heute seine Vorzüge in einer 5er Runde auf den Teststand bringen. Fünf bis sechs Kartensätze mit den Zahlen 1 bis 5 werden an die Spieler ausgeteilt und die Spieler müssen die Karten aus ihrer Kartenhand in einer solchen Reihenfolge auf gemeinsame Stapel in der Tischmitte ablegen, dass am Ende möglichst alle Kartensätze wohlgeordnet streng aufsteigend auf dem Tisch liegen.

Das Problem dabei ist, dass die Spieler ihre Kartenhand verkehrt herum halten müssen, sie sehen also nicht die eigenen Karten, sondern nur diejenigen der Mitspieler. Wenn ein Spieler einfach blindlings eine Karte aus seiner Hand zieht, um sie an einen Stapel anzulegen, dann paßt sie mit größter Wahrscheinlichkeit nicht dorthin und es gibt für alle empfindliche Minuspunkte.

Damit die Spieler überhaupt eine Chance haben, die gemeinsame Herausforderung zu bestehen, müssen (und dürfen) sie sich gegenseitig Tips über die Qualität (Farbe oder Zahl) von Karten in ihrer Hand geben. Die Anzahl der zulässigen Tips ist eng begrenzt, deshalb ist es notwendig, bei der Tip-Vergabe sehr gut zu haushalten. Und man muß ein intelligentes Urvertrauen in Logik und Gutmütigkeit der Mitspieler haben. Wenn z.B. der weiße Stapel auf dem Tisch aus den Karten 1 und 2 besteht, dann bedeutet der Tip „Dies ist eine weiße Karte“ implizit, dass es eine 3 ist, die zum Stapel paßt. Sind auf dem Tisch aber z.B. alle Farbstapel bis auf einen bereits angefangen und man bekommt den Tip „Dies sind zwei Einsen“, dann sind beide wohl obsolet und können abgeworfen werden. Kein Tip-Geber wird uns dem Risiko aussetzen, nur zu raten, welche Karten gut oder schlecht sind. Die Spannung, ob die klugen Mitspieler auch die nützlichsten Tips finden, und ob die klugen Tip-Empfänger daraus auch die richtigen Schlußfolgerungen ziehen, ist der Witz des Spiels.

Moritz: „Als kooperatives Spiel rette ich lieber eine Burg vor Orcs!“

WPG-Wertung: Die Neulinge Horst und Moritz teilten nicht die bisherigen positiven Eindrücke: Horst: 5 (eignet sich vielleicht als Turnierspiel), Moritz: 3 (kein Thema, reißt mich nicht vom Hocker).

Nachdem Horst und Moritz genug gestänkert hatten, ließ sich Aaron zu einem „fucking cooperative“ hinreißen.

3. “Tweeeet”
Moritz bemängelte, dass unsere Session Reports oft genug nicht jugendfrei sind. Doch schon beim Auslegen des Spielmaterials kommentierte er: „Wie Mississippi-Queen mit Vögeln“. Wie recht er hat.
Wir schlüpfen in die Seelen von Rot- und Blaukehlchen und fliegen von unseren Startplätzen über eine mittels Hexagonketten ständig erweiterte Fläche (analog „Mississippi-Queen) bis zum Paarungsgipfel am Ende der Strecke. Für die jeweils zurückgelegte Strecke verbrauchen wir Nahrung; die auf dem jeweiligen Landeplatz liegende Nahrung dürfen wir in unseren Kehlchenvorrat einsacken.

Niedliches Spielmaterial in Tweeeet

Unsere Inkarnation als Rotkehlchen und die Nahrungsteile (Nuss, Erdbeere, Traube, Made, Käfer) sind hübsch anzusehen, ihre unterschiedliche Wertigkeit (von 1 bis 5), ist ihnen aber nicht auf die Stirne geschrieben. Mit dem Bezahlen des Nahrungspreises ist jedesmal eine unhandliche mathematische Aufgabe verbunden: Wieviele Nüsse bekomme ich zurück, wenn ich eine zurückgelegte Strecke der Länge 4 mit einem Käfer bezahle und dort eine fade Made aufnehme?

Das Spiel geht von 7 bis 99 Jahre. Moritz hält es aber bereits für seinen 5 jährigen Milo als angemessen, und dann bis maximal 7 Jahre. Aaron ergänzte: Und dann wieder ab 80! Walter zog den Kopf ein. Horst resignierte: Er hätte das Spiel gerne für seine Frau als Weihnachtsgeschenk unter den Christbaum gelegt, aber „das Spiel spielt nicht einmal Brigit“.

WPG-Wertung: Unsere schwache Punktwertung will ich hier nicht wiedergeben. Es ist nicht Stil unseres Hauses, ein fälschlich in harte Männerfäuste geleitetes Kinderspiel hämisch zu zerpflücken. Aaron: a (einschließlich 1 Punkt für die Niedlichkeit des Spielmaterials), Günther: b (nur wegen des Materials), Horst: c (trotz des Materials), Moritz: d (würde sogar „1830“ noch lieber spielen – fast ein Kompliment), Walter: e (das Material ist wirklich hübsch).

Hübsche chinesische Plastikfiguren machen noch kein gutes Kinderspiel. Klare Abwertung für die unhandliche Käfer-Madenwährung und für die fremden Federn vom Mississippi. Sonst ist in Tweeed nichts drin.

4. “Bluff”
Nichts Neues im Westen. Ein Spieler mußte mal wieder in einer einzigen Runde alle 5 Würfel abgeben. Aber nicht weil er zu hoch gesetzt hatte, sondern schon viel zu früh zu zweifeln anfing.
Könnte man hier den Bluff-Tip Nummer 5321 formulieren: Wenn Du unsicher bist, ob die Würfelvorgabe noch stimmt, dann lieber erhöhen als anzweifeln?

Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

14.11.2012: Noblemen mit fremden Federn

Nicht nur unser Moritz ist auf einer Spielkarte verewigt (siehe Session-Report vom 30.10.12), auch unser

Horst in Tichu
Horst krönt schon seit mehr als 10 Jahren die Jack-Karte eines Tichu-Spiels. Um seine umwerfende Schönheit nicht gemeingefährlich wirken zu lassen, wurden Nase und Kinn vergrößert; Er ähnelt jetzt stark einer Mischung aus Thomas Gottschalk und Wladimir Iljitsch, doch Lächeln, Stirn und Haaransatz sind zweifellos authentisch.
Ein gute Geschenk-Idee für Weihnachten: Alle seine Lieben als Damen, Buben und Könige in einem Skat-Spiel zu vereinen. Unter der Seite www.kartenspieledesign.com wird vom Design bis zur Produktion alles angeboten.

1. “Fremde Federn”
In einer Internetseite zur Erklärung von Redensarten heißt es: “Sich mit fremden Federn und auf Kosten anderer schmücken zu wollen, zeugt von peinlicher Dummheit, blauäugiger Unbedarftheit oder in schlimmen Fällen von aufkeimender krimineller Energie”.

Friedemann Friese hat das bewußt getan, aber mit Geist, mit Kompetenz und in integrem Einsatz für die Spielergemeinde. Aus „Dominion“ hat er die Technik mit dem Kartendeck genommen: Jeder Spieler bekommt zu Spielbeginn das gleiche Kartenset. Daraus zieht er jeweils nach einem wrap-around-Verfahren 5 Karten, mit denen er seine Aktionen gestaltet: neue Karten kaufen, flaue Karten loswerden, Arbeiter, Geldmittel und vor allem Siegpunkte erwerben.

Die Arbeiter plazieren wir nach den Prinzipien von „Agricola“ auf definierten Feldern des Spielbrett, um dafür die entsprechenden Felderträge einzustreichen. Die Methoden, eine gegebene Vielfalt von Betriebsmitteln in eine ständig wachsende Vielfalt von weiteren Betriebsmitteln umzusetzen, stammen aus „Im Wandel der Zeiten“. Diese zentralen Mechanismen bestimmen den Spielablauf. Der Rest ist solides Kunsthandwerk von F.F.
Dabei war Friedemann Friese kein zu Guttenberg (der mit ohne Doktortitel): Er hat vor seinen Ideenanleihen bei den Originalautoren Rosenberg, Chvátil und Vaccarino um Erlaubnis nachgefragt, und die Adaptionen im Regelheft detailiert dokumentiert. Er nutzte sogar noch das Kartenschiebe-Element von „7 Wonders“ (eine Regel, die uns Günther heute vorenthielt! Oder hat sie F.F. bei der Spielumsetzung wieder fallengelassen?) und das Aufwerten von nicht gewählten Aktionen nach „Puerto Rico“.

In jedem Falls ist vom Charakter her ein ganz neues Spiel mit eigenem Spielgefühl entstanden. „Das Spielbrett schaut witzig aus und bringt Stimmung“ meinte Horst. Hier ist sogar bewusst ein Druckfehler entsprechend der Erstausgabe von „Zug um Zug“ eingebaut: In der Zählleiste für die Siegpunkte sind die Zahlen 90-99 verkehrt herum gedruckt. Ein netter Gag innerhalb der Konstruktionsprinzipien von „Fremde Federn“.

Mit Recht kann Friese für sich in Anspruch nehmen, ein Motto von Walter Moers erfolgreich angewendet zu haben:

„Wenn Du schon klaust, dann immer nur vom Besten!“

WPG-Wertung: Günther: 8 (flüssig, gelungen, trotz der Dominion-Anleihen ist keine Dominion-Kopie daraus entstanden), Horst: 8 (hat total Spaß gemacht), Walter: 8 (planerisch, spielerisch, vielseitig, sauber konstruiert).

2. “Noblemen”
Wir sind nicht die „Fürsten von Florenz“, sondern „Mitglieder des britischen Hochadels“ und bauen unsere Ländereien zu prestige- und siegpunktträchtigen Anlagen aus. Quadratische Landschaftsplättchen für Feld, Wald, Wiese und Park sind die Basis, aus der wir unseren Grundbesitz zusammenstellen. Für „Wald“ erhalten wir neue Landschaftsplättchen, für „Feld“ bekommen wir Geld, und für „Park“ steigt unser Prestige, mit dem wir uns bei jedem „Maskenball“ um die Adelstitel von „Baron“ bis „Herzog“ bewerben, und die uns Siegpunkte und finanzielle Vergünstigungen einbringen.

Auf die Felder bauen wir Schlösser, Burgen und Kirchen, die als wohlstrukturiertes Ensemble weitere Siegpunkte abwerfen. Für den Bau von Kirchen bekommen wir „Skandalkarten“, die aber kein „Aufsehen erregendes Ärgernis“ (Wikipedia) auslösen, sondern lediglich Vergünstigungen für unsere weitere Entwicklung gewähren. Ein bißchen Unberechenbarkeit, ein bißchen Schiebung darf schon sein.
Mit zwei Raubrittern können wir in ausgebaute Ländereien der Mitspieler eindringen und uns einen Teil deren Erträge zur Seite schaffen. Auf den ersten Blick liegt darin ein negativer Ärger-Effekt, doch im Spielverlauf entpuppt sich das als gut überlegtes Mitspieler-Chaos-Element, mit einer gelungenen interaktiven Komponente bezüglich Besitzstand und Geschwindigkeit.

Bemerkenswert ist die Rolle der Königin für den Spielfortschritt. Durch verschiedene Aktionen kann man sich die Königin auf die Seite ziehen, und jedesmal wenn man einen Zug beendet und die Königin noch als Gast weilt, ist einer von insgesamt drei mal 9 Spielzügen beendet. Schnell, flott pfiffig.

WPG-Wertung: Günther: 8 (ein Qualitätsunterschied zu Friedemann’s „Fremde Federn“ ist praktisch nicht meßbar), Horst: 8 (ein Klasse Spiel, konstruktiv aber nicht schweißtreibend), Walter: 8 (spielerisch, schnell, wohldosierte Konkurrenz, viele Wege führen zum Sieg).

07.11.2012: Legenden um die Keyflower

Es gibt wenigstens drei verschiedene Möglichkeiten, die biologische Funktion des Spiels richtig zu deuten. Da ist erstens die Auffassung des Spiels als Erziehung: die Katze spielt mit der Maus und erzieht sich dadurch in der Geschicklichkeit, deren es bedarf, um Mäuse zu fangen; alle unsere menschlichen Spiele sind Übungen in Fähigkeiten, die das Leben erfordert, und deshalb fahren wir in England fort, dem Herzog von Wellington den Ausspruch zuzuschreiben, daß die Schlacht von Waterloo auf den Spielplätzen von Eton gewonnen worden sei.

Dann gibt es eine Auffassung des Spieles, nach welcher die überschüssigen Kräfte, die in der praktischen Arbeit des Lebens ungenutzt blieben, in der Kunst verausgabt werden. Diese erweiterte und harmonsierende Funktion des Spiels, die sich auf niederen Stufen im Trivialen erschöpft, führt auf höheren zur Schöpfung der herrlichsten Menschenwerke.

Aber es gibt noch einen dritten Begriff vom Spiel, demzufolge dieses einen unmittelbaren innerlichen Einfluß – gesundheitsbringend, entwickelnd und ausgleichend – auf den Gesamtorganismus des Spielenden selber ausübt. … In diesem Sinne darf man davon reden, daß auch die Sexualität eine Spielfunktion hat. Sie betrifft das Physische und das Psychische zugleich. Sie regt den ganzen komplexen Zusammenhang des Organismus zu gesunder Tätigkeit an. Zugleich befriedigt sie die tiefsten Bedürfnisse des Gefühlslebens und bringt die verschiedenen Triebe des Geistes in Harmonie.
(aus Havelock Ellis: „Liebe als Kunst“)

1. “Die Legenden von Andor”
Trotz des märchenhaften Titels macht der Autor Michael Menzel mit dem Thema seines Erstlingswerk nicht viel Federlesens: „Jeder Spieler schlüpft in die Rolle eines Helden von Andor und erlebt fantastische Abenteuer“ heißt es ganz lapidar. Die Abenteuer erleben wir im Würfelkampf gegen Gors, Skale, Trolle, Wardraks und ähnliche Elemente aus dem schwedischen Wörterbuch.

Das Spielbrett zeigt eine märchenhafte Landschaft aus Burg, Wald und Wiese; hier hat der begnadete Menzel seine Talente als Illustrator gekonnt demonstriert. In der Landschaft stehen verstreut unsere fabelhaften Gegner herum und schleichen (das bezieht sich auf ihre Geschwindigkeit, nicht auf ihre Verstecktheit) auf vorgegebenen Pfaden alle in Richtung Burg. Wenn mehr Fabelhafte in die Burg eingedrungen sind, als dort Platz ist, haben wir menschlichen Teilnehmer verloren. Wir müssen ihnen also mit vereinten Kräften in den Weg treten und sie in einem eleganten Würfelkampf besiegen.

Wenn wir das schaffen, zugleich auch noch den Zaubertrank für den kränklichen König auf die Burg gebracht haben, und rechtzeitig die Festung der Bösen erstürmt haben, sind wir Sieger. Alle zusammen, es gibt keinerlei singuläre Lorbeerblätter für denjenigen, der sich im Würfelkampf besonders ausgezeichnet hat.

Bei Spielbeginn sind wir noch schwach und sollten nicht alleine gegen einen Troll antreten. Aber zu zweit haben wir schon ganz gute Aussichten, unsere eigenen Lebenslichter zu erhalten und diejenigen des bösen Geistes alle auszupusten. Nach jeden Sieg erhalten wir weitere Lebenslichter oder Geld, das wir auf bestimmten Händler-Feldern des Spielbretts in Stärke umwandeln können. Die Stärke ist ein direkter additiver Posten, mit dem wir unsere Würfelergebnisse aufmotzen. Nach ein paar Runden haben wir leicht eine Stärke von 7 oder mehr erreicht und brauchen uns vor niemandem mehr zu fürchten.

In die recht lineare Plattmach-Orgie sind ein paar Überraschungen eingebaut: Sporadisch tauchen auf ausgewürfelten Spielfeldern neue Monster auf, oder wir verlieren bei zufällig unglücklicher Positionierung ein paar Lebenslichter. Doch jeder hat genug davon, um das verschmerzen zu können.

Aarons größte Freude – im gesamten Spiel! – war, auf dem Spielbrett das Feld Nummer 15 zu finden. Die Felder sind nämlich nicht sequentiell durchnummeriert, sondern mit erheblichen Chaos. Feld 15 ist ganz unten versteckt in der Ecke zwischen 7 und 9. Die Felder 73-79 haben wir gar nicht gefunden; vielleicht gibt es sie gar nicht, und die Zauberwelt fängt erst wieder bei 80 an. Herr Menzel wird schon wissen warum das so ist, wir wissen es nicht. Leider kann Aaron diese seine Findefreude nur einmal im Keyflower-Leben genießen.

Die größten Lacher gab es bei Aarons weltbekannt-schlechten Würfelwürfen: Für den Kampf durfte er nacheinander bis zu fünf Hexawürfel werfen und bei einer ihm genehmen Augenzahl aufhören. Und wirklich: Er warf nur Einsen und Zweien. Doch noch bemerkenswerter: Als er später die Fähigkeit erworben hatte, einen beliebigen Würfel auf die Rückseite zu drehen, d.h. aus einer Eins eine Sechs und aus einer Zwei eine Fünf zu machen, würfelte er schlagartig nur noch Dreien und Vieren! Ausschließlich! Ungelogen! Ohne report-dichterische Freiheit hier niedergeschrieben! An seinem Würfelruf scheint doch etwas dran zu sein.

WPG-Wertung: Aaron: 4 (kann dieser Art von Spielen nichts abgewinnen), Günther: 4 (ich bin halt doch kein Rollenspieler), Moritz: 7 (die erste Legende – die er mit seinem 5-jährigen Milo gespielt hat – war interessanter), Walter: 4 (hat das dumpfe Gefühl, dass wir irgendetwas falsch gemacht haben müssen, es gab keine einzige logistische Herausforderung).

2. “Keyflower”
In Essen der Sieger auf der Top-Liste von „Fair-Play“. Ein Ersteigerungsspiel mit den Betriebsmitteln Arbeiter (rote, grüne, gelbe und blaue), Rohstoffe (Holz, Stein, Eisen und Gold) und Werkzeuge (Amboss, Hacke und Säge) um Ackerland zum Gewinnen von Arbeitern, Rohstoffen, Werkzeugen und Siegpunkten.

Auf dem Tisch liegen eine Reihe von hexagonale Ackerflächen, die es zu ersteigern, zu nutzen und zu veredeln gilt. Das Ersteigern erfolgt mittels Arbeitern, die höchste Kopfzahl gewinnt, der Überbotene darf seine Arbeiter abziehen und ihnen neue Aufgabengebiete zuweisen. Bei einer Belegschaft von 10 bis 20 Arbeitern pro Spieler eine ziemlich zähe Angelegenheit.

Diese fingierte Keyflower-Szene enthält mindestens 5 sachliche Fehler. Wer die meisten findet bekommt 1 Flasche Wein!
Zur Nutzung stellt man einen Arbeiter auf eine bereits ersteigerte oder noch öffentlich ausliegende Ackerfläche. Man darf auch auf beliebige Flächen der Mitspieler setzen und damit deren Fähigkeit nutzen. Der Nutz-Arbeiter wandert hinterher allerdings in die Belegschaft der Konkurrenz.

Zur Veredlung muß man Rohstoffe oder Werkzeuge einsetzen und eine Arbeitsfläche vom Typ „Veredelung“ nutzen.

Am Ende sprudeln eine Reihe von Siegpunktquellen für den Sieg, als da sind:

  • die ersteigerten und veredelten Ackerflächen
  • zusammenhängende Wege oder Kanäle auf unserem Ackerland
  • Arbeiter als Einzelpersonen oder in wohldefinierten Brigaden
  • Rohstoffe als Einzelteile oder in wohldefinierten Kombinationen
  • Werkzeuge als Einzelteile oder im Kasten

Die Siegpunktquellen sprudeln aber nicht unisono für alle; sie sind selber Hexateile, die wie Arbeitsflächen ersteigert werden müssen, und nur für den Besitzer je nach seinem Besitztum Siegpunkte liefern. Das bringt natürlich eine positive Vielfalt in die Interessen der Grundbesitzer. Wem z.B: Rohstoffe honoriert werden, engagiert sich in Bergbau, und wem Werkzeuge honoriert werden, engagiert sich in der Schmiede.

Leider ist das nicht ganz so einfach. Denn der Großteil der Hexateile für die Siegpunkt-Kriterien kommen erst in der letzten Runde ins Angebot. Jetzt hängt es stark vom Mitspielerchaos an Besitztum, Interessen, Ersteigerungspotential und Miesnickeligkeit ab, ob man das begehrte Kriterium bekommt oder nicht. Walter wurde in der letzten Runde – mehr oder weniger zufällig – Startspieler und konnte sich einen Rohstoff-Belohner sichern, der ihm 60% seiner Siegpunkte einbrachte. Immerhin der zweite Platz. Jeder andere Mitspieler hätte ihm das begehrte Siegpunkt-Hexateil durch einen einzigen der seltenen grünen Arbeiter wegschnappen können. Das hätte dann weit abgeschlagen den letzten Platz bedeutet.

Die enorme Optimierungsaufgabe, alle etwa 10 öffentlichen und 20 privaten Ackerflächen bei jedem Spielzug genau zu sondieren und daraus das beste an Besitz und Nutzung für sich herauszusuchen, ggf. noch dabei die Biet-Resourcen und Ambitionen der Mitspieler im Auge (im Gedächtnis) zu behalten, paßt nicht zum enormen Zufall, mit dem am Ende die Siegpunktkriterien unter den Spielern aufgeteilt werden.

WPG-Wertung: Aaron: 6 (dauert zu lange), Günther: 7 (überschaubare Komplexität), Moritz: 6 (elegantes, durchdachtes Design), Walter: 6 (zu viele, teils unwägbare Optimierungsaufgaben).

“Gebrechlichkeit in Dativ und Akkusativ”
Manche Westparker werden immer jünger und goldiger, andere dagegen reifer und silberner. Doch auch auf letzteren ruht so mancher wohlgefällige weibliche Blick, gerade wenn der Mens noch sana ist, der Corpor aber schon ziemlich debilis ist, den man vorsichtshalber besser „an die Wand nageln“ sollte. Nach einem frivolisierten Wortgeplänkel im Wasserbad hörte jetzt ein Westparker die durchaus hoffnungsvolle Einschränkung: „Sie müssen mich schon an der Wand nageln.“

31.10.2012: Terra Mystica

Moritz ist schlank geworden. Sehr schlank. Zehn Jahre lang haben wir am Westpark seine künstlerische Persönlichkeitsentfaltung in Richtung Pavarottis Amorphologie verfolgt, dann hat er eine radikale Wendung eingelegt und sein langanhaltendes Crescendo in ein abruptes Diminuendo verwandelt. Von Woche zu Woche ist er dabei jünger, dynamischer und strahlender geworden. Ein schöner Mann!

Coloretto als Caruso

Jetzt wurde seine Person auf einer Spielkarte verewigt. Im gerade gestarteten Kick-Starter-Kartenspiel „Nothing Personal“ trägt die Morris „Egg“ Caruso-Karte seinen Charakterkopf. Vorbild für das Konterfei war das Foto aus unserem Sesssion-Report zu „Coloretto“ (12.03.2003). Wahrlich brav getroffen. Doch was die Jugendlichkeit betrifft: Hi Moritz, vor neun Jahren sahst Du ja noch jugendlicher aus als heute mit Deiner Apollon-Figur!

1. “Terra Mystica”
Schon in seiner Anmeldungsmail hatte Günther ein 2-3 stündiges Marathonspiel angekündigt. Sein Vorschlag für ein halbstündiges Warming-Up wurde abgelehnt, wir waren alle schon heiß genug.
„Terra Mystica“ von Helge Ostertag und Jens Drögemüller im nagelneuen Spieleverlag „Feuerland“ herausgebracht, war das Highlight der diesjährigen Spielemesse in Essen. In allen Bestsellerlisten über all die Tage hinweg lag es auf Spitzenplätzen und wurde allgemein als das beste Spiel angesehen. Komplex ist es allemal. Aus 605 Einzelteilen besteht das Spielmaterial, 20 Seiten fasst das Regelheft, und ein mnemotechnisch perfekt durchkonstruiertes Spielbrett spiegelt die 101 möglichen Zugoptionen sehr gut wieder. Günther brauchte in einem wohlgesetzten Vortrag nur eine gute Stunde, um uns mit allem vertraut zu machen.

Auf einer hexagonalen Landschaft entwickeln wir unsere Völker, die diesmal die mystischen Bezeichnungen Zwerge, Hexen, Riesen oder Halblinge tragen, genauso gut aber mit den abstrakten Farbnamen Rot, Grün, Gelb und Blau bedient wären. Das Thema bleibt an der Oberfläche (wenn überhaupt), auch wenn eine ganze Seite Stimmungsstory dazu geschrieben ist.

Mit den Betriebsmitteln Arbeiter, Geld und Machtpunkten graben wir das Land um, bauen Wohnhäuser und wandeln Gebäude in Kontore, Tempel, Heiligtümer und Festungen um.

And the winner is … Günther

Jedes Besitztum liefert unterschiedliche Erträge, jede Kombination von Besitztum bringt unterschiedliche Prämien und Siegpunkte. Wir erweitern unsere Fähigkeiten zur Besiedelung, wir steigen in die Schifffahrt ein, und wir schicken unsere Priester zu den Zauberspalten, um bei Feuer, Wasser, Erde und Luft der größte zu sein.

„Der größte“ klingt nach Konkurrenz, doch in der Praxis ist davon wenig zu spüren. Wenn ich beim Feuer nicht ankomme, dann versuche ich es eben mit dem Wasser. Gegenüber den paar wenigen Zügen, die im Wettstreit miteinander gemacht werden, gibt es zu viele ertragreiche Optionen, die jeder unabhängig von den anderen abwickelt. Es gibt zu viele Rädchen zum Erfolg. Leider viel zu viele. Überall, woran man klopft, fließt die Manna hervor, überall warten Erträge, Siegpunkte und Privilegien. Für jede Prämie gibt es gleich ein oder zwei Handvoll unterschiedliche Vorschläge, aus denen man sich den Besten aussuchen darf. Alles gut geplant, alles bestens austariert, alles funktional stimmig, eine fantastische Arbeit. Doch wenn Helge und Jens der geniale Amadeus wären, würde ich wie Kaiser Franz kritisieren müssen: „Zu viele Noten!“

Noch dazu hoppelt jeder Spieler mehr oder weniger soliär durch das Serail. Jeder überlegt für sich alleine, wann und in welcher Reihenfolge er sich in welcher Richtung entwickeln soll oder ob er erst seine Fähigkeiten dazu steigern soll. Dazu kann er jede Menge Denkschmalz investieren. Und die Mitspieler dürfen seinen Denkprozess bis zur bitteren Neige mitverfolgen, sprich abwarten. Drei Stunden dauerte dies heute. Kein Unglück in einer harmonischen Runde, aber auch keine spielerische Offenbarung, wenn man vor lauter Rädchen das Uhrwerk nicht mehr sieht.
Wer von Natur aus dafür aber den richtigen Blick mitbekommen hat, und sich mit wachsender Begeisterung stundenlang an den ungezählten Entwicklungsmöglichkeiten erfreuen kann, der ist mit dem mystischen Land sehr gut bedient. Siehe seine positive Resonanz in Essen. Wenn die SdJ-Jury mal wieder einen Sonderpreis für „das komplexeste Spiel“ des Jahres zu vergeben hätte, wäre „Terra Mystica“ ein heißer Anwärter darauf. Doch „komplex“ und „spielerisch“ sind leider keine Synonyme.

WPG-Wertung: Aaron: 5 (total langweilig, ich fand’s einfach öd, ich hasse diese fitzeligen Friemeleien), Günther: 8 (komplexes – das ist hier positiv gemeint – Aufbauspiel), Moritz: 7 („mindestens“, obwohl er dieses Spielprinzip nicht besonders mag; glaubt, dass die spielerische Spannung bei näherem Kennenlernen steigt), Walter: 7 (für die vielen gut umgesetzten und ausbalancierten Mechanismen; bezweifelt einen hohen Wiederspielreiz.)

2. “Love Letter”
Das kleine Absacker-Kartenspiel hatte schon letzte Woche am Westpark für schadenfreudige Lacher gesorgt. In kurzen, mitleidslosen Body-Checks kicken sich die hochadeligen Spieler aus dem Rennen. Wer will, kann versuchen, mit einem ambitionösen Gedächtnis und mittels Deduktionsschlüssen innerhalb unbekannter oder zumindest äußerst vager Informationen, sich Vorteile zu verschaffen. Doch wenn der Prinz die Prinzessin auf dem Kicker hat, geht sie über den Jordan, egal wie intensiv zuvor ihre Techtelmechel mit Reitlehrern und Priestern waren.

Das ganze kann lustig sein, wenn man in lockerer Stimmung herangeht. Doch Schadenfreude kommt in der Regel nicht bei dem auf, der den Schaden erlitten hat. Wessen Kartenhand wurde wohl von Priester Aaron ausgespäht? Wer wurde als Bodyguard von Baron Walter liquidiert? Wer erboste sich über diese Spielzüge und verlautete: „Bei der nächsten Aggression gegen mich verlasse ich den Saal!“?

Keine Änderung der WPG-Wertung für ein fast 7-Punkte-Spiel.

Unser treuer Leser Willi hat uns, bzw. unserem Regelerklärer Günther hier eine – womöglich sogar böswillige – Regelwidrigkeit unterstellt. Zum Prinzen heißt es nämlich in den Regeln: Wenn der Prinz einen Mitspieler zwingt, seine Handkarte abzuwerfen: „Do not apply its effect.“ Bei der Prinzessin heißt es allerdings: Wenn Du die Prinzessin abwirst „no matter how and why“ bist Du draußen. Warum gibt es den expliziten “no-matter” Zusatz? Etwa für Spielverderber, die aus freien Stücken die Prinzessin abwerfen, um danach rechtzeitig zur vorletzten U-Bahn abzudüsen?
Bei Boardgamegeek wurde diese Frage ebenfalls diskutiert und von Herausgeber AEG (Alderac Entertainment Group) entschieden: “The Princess’ effect is always applied, even if discarded by ways of the Prince (Wizard in the Japanese version).“
www.boardgamegeek.com/thread/858554/prince-causing-princess-to-be-discard
Hallo Günther: Hiermit nehme ich den Anfangsverdacht einer möglichen Böswilligkeit in vollem Umfang zurück.

3. “Bluff”
Mit überzeugenden Würfeln Moritz konnte sein heutiges Kampfmotto: „Mich anzweifel, heißt lusen“ unterstreichen. Doch was blieb Aaron übrig, als er von Moritz bei 6 ausstehenden, noch verdeckten Würfeln mit der Vorgabe: “6 mal die Fünf” konfrontiert wurde.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

24.10.2012: Wellen aus Essen

Günthers Bilanz von der diesjährigen „Spiel 2012“ in Essen:

“Es wird immer schlimmer … Die Spielekisten werden jedes Jahr dicker, schwerer und teurer. Passend dazu werden die Tüten immer größer… Gegenüber den Jahrgängen von ’Canyon’ oder ’Samarkand’ haben wir jetzt im Schnitt bestimmt 2-3 mal größere Kisten…. Wer stoppt diesen Trend ???“

Aaron sieht das genauso: „Konsequenterweise laufen immer mehr Leute mit Sackkarren und großen Koffern auf der Messe rum, um ihr Zeug zu transportieren. Und AEG hat diesmal am Stand einen rund 1,5m großen Sack als Tragetasche ausgegeben.“

1. “Love Letter”
In der Volksausgabe ist der 16-blättrige Kartenstapel einen halben Zentimeter hoch. In der Luxusversion gibt es dazu noch einen amourösen roten Lederbeutel mit goldener Aufschrift und Kugeln aus Rubinglas zum Zählen der Siegpunkte.

Jeder Spieler bekommt eine Karte in die Hand und ist damit – in steigender Rangfolge – entweder Guard, Priest, Baron, Handmaid, Prince, King, Countess oder Prinzess. Wenn er am Zug ist, zieht er vom verdeckten Stapel eine Karte nach und muss nun einer seiner beiden Karten ablegen. Dazu muss er eine Aktion ausführen, die mit der abgeworfenen Karte korreliert und deren Hauptziel darin besteht, seine Mitspieler so nach und nach aus dem Rennen zu kicken.

Der Guard darf bei einem beliebigen Mitspieler raten, welche Karte er noch in der Hand hält. Hat er richtig geraten, so ist der Mitspieler draußen. Der Baron darf sich mit einem beliebigen Mitspieler vergleichen. Der rangniedigere von beiden ist draußen. Der Prince kann von einem Mitspieler verlangen, dass er seine letzte Karte abwirft. Falls dies zufällig die Countess ist, ist diese ebenfalls tot. Der Priester schaut in eine fremde Kartenhand und der König tauscht mit ihr.

Nach kurzen zwei Minuten ist eine Runde zu Ende. Entweder ist nur noch einer übrig geblieben, der dann einen Siegpunkt erhält, oder es sind mehrere übrig geblieben, von denen der Ranghöchste gewinnt. Lustig, schnell, schadenfreudig. Die Anzahl der „meaningful decisions“ (Moritz Originalton) ist begrenzt. Man kann auch rausgekickt werden, bevor man auch nur einen einzigen Atemzug getan hat. Begrenzt lustig, aber schnell und schadenfreudig.

Ja, wir haben viel gelacht. Nicht so viel wie Günther auf der Messe in Essen, aber immerhin. Auch wenn dem einen oder anderen (mir) dabei das Messer im Halse stecken geblieben ist.

WPG-Wertung: Aaron: 7 (bei welchem Spiel haben wir schon so viel gelacht?), Günther: 8 (mit minimalem Aufwand viel erreicht), Horst: 7 (locker und leicht wie die Milkyway-Reklame), Moritz: 7 (wegen der reinen Schadenfreude), Walter: 5 (kurzer Zeitvertreib [das kommt bei Birgit einem spielerischen Todesurteil gleich]. Bei „Mensch-ärgere-Dich-nicht“ darf der Letzte wenigstens am längsten spielen).

Walter bemängelte auch einen Geburtsfehler des Spiels: Wenn der Guard die Rolle eines Mitspielers erfragt, darf dieser Spieler ohne jegliche Kontrolle seine Rolle verleugnen. Honorige Spieler tun das nicht, Döddelspieler schon eher, aber da macht es wahrscheinlich auch nichts aus. Doch ein gutes Design läßt diese Möglichkeiten erst gar nicht zu.

2. “Rattus Cartus”
Ja, es geht tatsächlich (auch) um Ratten. Google’s Latein-Übersetzer kennt das Wort zwar nicht, aber bei einer Bildersuche unter dem Stichwort „Rattus“ kommen jede Menge putziger Ratten zum Vorschein.

Jeder Spieler bekommt 10 Rattenpunkte, von denen er bis zum Spielende möglichst viele loswerden soll oder muss. Wer am Ende mehr davon übrig hat, als das Limit erlaubt, hat automatisch verloren. Das genaue Limit ist zunächst unbekannt, jeder Spieler kann aber einen Teil seiner Züge dazu verwenden, das Limit peut-a-peut zu erschließen. Er kann es aber auch darauf ankommen lassen. Doch das Rattus Limitus ist eigentlich nur ein Nebenkriegsschauplatz.

Wir wählen zufällige, offen ausliegende, wechselnde Optionen und dürfen dann zwei, drei oder gar vier „Bevölkerungskarten“ nachziehen. (Entschuldigung: solche Alternativen sind doch bereits ein Scheiß! Da die Bevölkerungskarten der Motor des Spiels und in jedem Fall je-mehr-je-lieber sind, sind dies doch keine echten Alternativen. Was soll das? – Natürlich wird zuweilen auch die Option angeboten, eine Ratte loszuwerden oder sich einen Bruchteil des Rattenlimits anzuschauen, aber leider nur zuweilen.)

Als zweites bieten wir mit unseren Bevölkerungskarten auf die gleichen ausliegenen Optionskarten, die aber diesmal eine andere, von unserer obigen Optionswahl absolut unabhängige Bedeutung besitzen: Der meistbietende bekommt Siegpunkte, weitere Bevölkerungskarten, Sonderkarten (Joker, Schwert, Flöte oder Passen), oder er darf Ratten loswerden. Alle Nicht-Meistbietenden kriegen das gleiche, nur in kleinerem Quantum.

Als Gratifikation für das Bieten darf man in sechs verschiedenfarbigen Zauberspalten nach oben rücken. Für jede eingesetzte Bevölkerungskarte um ein Feld. Am Ende bekommt jeder Spieler für jede Spalte, in der er am höchsten gekommen ist, zehn Siegpunkte. Die Nächstplatzierten deutlich weniger. Ach ja: Zum Bieten auf die farbigen Optionskarten sollte man nur Bevölkerungskarten der gleichen Farbe spielen. Andere Farben sind zwar erlaubt, bringen aber unerwünschte Ratten ein.

Die Sonderkarten (Joker, Schwert etc.) dürfen auf alle Optionskarten gespielt werden. Sie beinhalten zuweilen peinliche Nebeneffekte für die Mitspieler: Meist werden sie dabei einen erklecklichen Teil ihrer Bevölkerungskarten los.

Nach einer guten Stunde Ratten-, Optionen-, Schwerter- und Flötenkampfes prophezeite Moritz: „Ihr werdet am Ende alle lachen. Und dann nicht mehr.“ So war es. Das Rattenlimit lag außerhalb der Drei-Sigma-Grenzen , alle Spieler lagen darüber und hatten automatisch verloren. Nur Aaron überlebte als einziger. Eine ganze Stunde Rattenkampf war für die Katz!

WPG-Wertung: Aaron: 7 (in unserer 5er Runde spielte es sich schlechter als in den Essener 4er Runden), Günther: 5 (man kann sich gegen die mancherlei Unbilden im Spiel nicht wehren), Horst: 7 (zwiespältig – Kommentar b.N.: für „Zwiespältigkeit“ ist 7 doch eine relativ gute Note), Moritz: 7 (das Spiel hat ganz hübsche Mechanismen), Walter: 5 (die Mechanismen sind unausgereift; das Pseudoplanspiel enthält zuviel Chaos und zu krasse Effekte).

PS: Moritz bekannte hinterher, dass er seinen Joker konsequent genutzt habe, um in der Zauberspalte nach oben zu kommen. Aber das ist wohl eine andere Geschichte.

3. “Uchronia”
Carl Chudyk hat vor fünf Jahren mit “Glory to Rome“ eine neue Kartenspielidee auf den Markt gebracht, die am Westpark immerhin mit glatten 6 Punkten bewertet wurde. Diese Spielidee hat er jetzt in einen Jungbrunnen geworfen, um eine neue bezaubernde Jungfrau reinkarnieren zu lassen, es kam aber nur der gleiche alte Drache zum Vorschein. „Uchronia“ ist ein „Rome“ im Sauriermillieu.

Wir spielen Aktivitätskarten für Construction, Production, Exploration, Trade und „Draconians“ (offensichtlich die im Pliozän üblichen Saurieraktivitäten) aus und legen damit Karten von der Hand in die private Dominion, in den privaten Stock oder das öffentliche Forum. Wir erwerben öffentlich ausliegende Gebäude (z.B. Latrine und Bazaar, offensichtlich Saurier-Gebäude), bauen sie aus und nutzen am Ende ihre tausendfältigen kleinen Vorteile für verbessertes Kartenmanagement.

Wir bauen unseren Aktivitätenpool aus, um auch mit weniger oder gar fehlenden Handkarben flüssig zu bleiben oder Mehrfachnutzungen auszulösen. Wer am Ende mit Gebäuden, Aktivitätenpool und Monopol-Bonus als erster 15 Siegpunkte erzielt hat, läutet die Schlußrunde ein.

Walter schielte schon nach wenigen Runden verzweifelt auf die doch „nur“ 6 Punkte für „Glory“ und selbst Aaron fragte öffentlich, ob die 15 Siegpunkte als Spielende-Bedingung nicht etwas zu hoch seien. Doch Moritz sonnte sich mit gefülltem Stock und Pool im Vorgefühl seines Sieges. Es reichte auch zum Einläuten der Schlußrunde, doch dann wurde er auf der Zielgraden noch von Günther überholt.

„Rome“ war schon vom Kartendesign und den Farben her bunter und klarer. Vielleicht sogar etwas konstruktiver. Ein bißchen.

WPG-Wertung: Aaron: 5 (zäh, klein-fummelig mit den vielen Sondereigenschaften), Günther: 6 (das Drum-Herum ist ganz OK), Horst: 5 (kein einziger Lacher), Moritz: 6 („das Spiel ist total gelähmt von den pißgelben Gebäuden“), Walter: 5 (zäh, die Farb-Lähmungen auf dem Forum sind mangelhaftes Spieldesign).

4. “Hanabi”
„Hanabi“ heißt im Japanischen „Feuerwerk“. Mit dem kleinen Kartenspiel sollen wir ein solches an der Himmel zaubern. Das ist etwas zuviel versprochen. Wir können lediglich auf dem Spieltisch in Kooperation miteinander ein patience-artiges Problem lösen.

Immerhin sind dabei neuartige Mechanismen am Werk, die in Essen sehr gut angekommen sind. In den Beliebtheitsskalen war das Spiel ständig unter den Top 10 zu finden. Günther fürchtet allerdings, dass die neuartige Spielidee schnell „ausgelutscht“ sein könnte.

Jeder Spieler bekommt 5 Ziffernkarten von 1 bis 5 in den Farben rot, grün, gelb, blau und weiß in die Hand. Er darf seine Kartenhand allerdings nicht ansehen, sondern muß die Karten mit der Rückseite zu sich halten, so dass nur die Mitspieler seine Karten kennen.

Jeder Spieler zieht nun eine Karte – die er a priori erst mal nicht kennt – aus seiner Kartenhand und gibt dazu an, ob er sie „abwirft“ oder „anlegt“. Abwerfen ist wohl klar, „anlegen“ bedeutet, dass er entweder mit einer Eins einen neuen öffentlichen Stapel anfängt oder mit einer Zahl größer Eins einen bereits existierenden öffentlichen Stapel streng sequentiell erweitert: auf die Eins folgt die Zwei usw.

Wer eine Karte zum „Anlegen“ ausspielt, aber keinen Platz dafür findet, weil kein passender Stapel auf dem Tisch liegt, kassiert für alle Mitspieler einen Strafpunkt. Nach dem dritten Strafpunkt haben die Spieler verloren.

Damit das ganze aber keine zufällige Raterei, sondern eine für alle echte Patience-Herausforderung ist, darf man sich gegenseitig Tips geben: Man bezeichnet einem Mitspieler, welche Karten in seiner Hand von einer bestimmten Farbe oder einer bestimmten Ziffer sind. Auf dem leeren Tisch ist z.B. jede Benennung von Einsen hilfreich, denn damit kann ein neuer Stapel angefangen werden. Die Anzahl der zu gebenden Tips ist begrenzt, man muss sehr sparsam und überlegt damit umgehen. Den Mitspielern die passenden, notwendigen und ggf. auch überflüssigen Karten in der richtigen Reihenfolge zu zeigen, ist essentiell. Bei allen Tips muss man unbedingt auf Grips und Logik der Mitspieler vertrauen und daraus die richtigen Schlußfolgerungen ziehen. Und natürlich sollte man sich die Tips der Mitspieler gut merken und seine Kartenhand möglichst nicht durcheinanderbringen.

Nach dem ersten Spiel – weit nach Mitternacht – waren alle sofort für einen zweiten Durchgang bereit. Das spricht eindeutig für das Spiel. Zumindest für den Essen-Effekt. Die Gefahr des Ausgelutschseins ist damit noch nicht gebannt. Doch in einer vertrauten Knobelrunde sollte das Spiel immer wieder seinen Reiz entfalten.

WPG-Wertung: Aaron: 7 (neuartige Kartentechnik), Günther: 7 (interessantes Knobelspiel), Walter: 7 (funktionierende Kooperation). Horst und Moritz lagen schon in ihren Heiabettchen.

17.10.2012: Nie wieder Schweiz

Unvermutet flatterte am Westpark ein Brieflein der Berner Kantonspolizei ins Haus. So etwas verspricht ja grundsätzlich nichts Gutes. Der Hausherr war sich keiner Schuld bewußt, hatte er doch auf der Durchreise durch die Schweiz mit Gefühl, Verstand und Tempomat eine jegliche Geschwindigkeitsbeschränkung sicher im Griff gehabt, und den Abstecher nach Bern mangels Parkplatz-Fränkli ohne ein einziges Mal stehen zu bleiben wieder abgebrochen.

Doch die Schweizer hatten trotzdem eine Verkehrswiderhandlung entdecken können. Auf der Autobahn bei Frauenkappelen wurde das Münchener Auto statt der erlaubten 120 km/Std mit 128 km/Std gemessen. Nach Abzug der schweizer Präzisions-Sicherheitsmarge ergab das genau 2 (in Worten: zwei) km/Std zu viel. Bussgeldbetrag: 20 CHF oder 17,25 €, zu zahlen auf ein Konto bei der Deutschen Postbank in Karlsruhe.

Könnt Ihr ihm verdenken, dass der Hausherr auf das Überweisungsformular eingetragen hat: „Nie wieder Schweiz“? Der Ausflug mit dem Glacier-Express ist gestrichen, und die nächste Tour nach Südfrankreich geht über Stuttgart, Nancy, Lyon. Hallo Peter Steinbrück, stopp dem Schäuble seinen Schmusekurs!

1. “Helvetia”
Ach, da hat mich die Schweiz doch gleich nochmals erwischt! Horst hatte sich eigens darauf vorbereitet, da konnte ich es ihm nicht abschlagen! Langsam und präzise wie ein Schweizer Gendarm führte er uns in die Spielregeln ein. Acht eng bedruckte Seiten Regelheft gilt es zu meistern. Normalerweise eine Kleinigkeit, aber für einen Berner Blitz…

Wir haben männliche und weibliche Spielfiguren. Wir lassen sie auf unseren eigenen Feldern arbeiten, oder wir verheiraten sie ins Nachbardorf und lassen sie dort arbeiten. Der Arbeitsertrag gehört uns; die Kinder, die sie kriegen, gehören dem Nachbarn.
Fünf Berufe leiten den Spielefortschritt. Beim Kataster kaufen wir neue Felder, der Fuhrmann bringt unsere Erzeugnisse auf den Markt, der Nachtwächter weckt unsere Männer und Frauen aus dem Dornröschenschlaf auf, in den sie unweigerlich fallen, wenn sie eine einzige Arbeit erledigt haben. Der Pfarrer verheiratet Alt und Jung ins Nachbardorf und die Hebamme bringt den Nachwuchs zur Welt, den die Mischehen auf unseren eigenen Feldern gezeugt haben.
Mit bunten klobigen Holzfränkli honorieren wir die Dienstleistungen. Neue Grundstücke zahlen wir mit Naturalien, die wir auf unseren Feldern (oder mit unseren Halbeheleuten in Nachbars Garten) ernten. Zuweilen muss man eine ganze Produktionskette in Gang bringen, um ein veredeltes Endprodukt zu erhalten: Aus Heu mach’ Ziege, aus Ziege mach’ Käse.

Wer ein bestimmtes Produkt auf den Markt bringt, erhält Siegpunkte und zusätzlich Sonderpunkte, wenn er dabei der erste ist. Weitere Siegpunkte gibt es für ausgewählte Zusammenstellungen von gelieferten Produkten, und für eine vollständige Bebauung rund ums eigene Dorf. Temporäre Siegpunkte gibt es für die höchste Zahlung an die leitenden Berufe. Wer in einer Runde am meisten für Kataster, Fuhrmann etc. hingeblättert hat, bekommt dafür je einen Siegpunkt und darf die entsprechende Berufsgruppe in der nächsten Runde noch einmal kostenlos nutzen.

Hübsch ist das Spieltempo organisiert. Jeder Spieler kann seine Holzfränkli peut-a-peut auf die verschiedenen Berufe verteilen, er kann sie aber auch mit einem Schwung auf einen einzige Beruf setzen, z.B. alles dem Pfarrer geben und dann gleich vier Familienmitglieder auf einmal verheiraten. Haben alle bis auf einen Spieler ihre Fränkli gesetzt, ist eine Runde zu Ende. Das Restguthaben des letzten Fränkli-Besitzers verfällt. Dafür wird er Startspieler in der nächsten Runde.

Es gibt eine Menge kleiner Dinge zu überlegen, die ihren Effekt erst mehrere Runden später zeigen:

  • Welche Felder sind zu welchem Zeitpunkt gut und notwendig? Welche ergänzen sich zu Produktionsketten?
  • Welche Produkt-Zusammenstellungen liefern Sonderpunkte; welche davon sind noch zu haben?
  • Lege ich mir einen männlichen oder einen weiblichen Nachwuchs zu (Heiratschancen)?
  • Setze ich alle oder nur wenige Franken ein (Erwägungen zum Rundenende)?
  • Bei welchen Berufen kann ich noch die Dotierungs-Mehrheit erringen.

Glücklicherweise war Günther, unser notorischer Denker, in Essen. Wir nahmen es heute alle sehr spielerisch. Auch wenn die graphische Darstellung von Feldern und ihren Produkten die Abhängigkeiten im schweizer Uhrwerk nicht leicht erkennen ließen, war es eine gute Stunde lockerer, planerischer Unterhaltung.

WPG-Wertung: Chrissi: 8 (strategisch planbar, keine störenden Zufallselemente), Horst: 7 (ähnliches Thema wie „Village“, aber doch eigenständig), Walter: 7 (große Entscheidungsfreiheiten, flüssig und konstruktiv. Wollte allein wegen der eierköpfigen Wegelagerei der Schweizer Beamten nur 2 Punkte vergeben. Ach guter Matthias Cramer, hättest Du Dein Spiel nicht „Norwegen“ nennen können? Auch dort gibt es Berge, Wasser, Kühe und Milch!).

PS: Horst meinte, ein angemesseneres Motto für diese Woche wäre: „Nie wieder Schweden!“ gewesen. Doch die Schweden sind erstens großzügig, gönnen uns genauso viel wie sich selbst, und verpassen dazu Jogi Löw und Genossen eine nützliche Lehre auf dem Weg zur nächsten Weltmeisterschaft. Wir sind schon wieder ein Quentchen klüger geworden. Hoffentlich.
Dagegen ist Oliver Pochers „Nie wieder Vier-Gewinnt!“ eher einer seiner üblichen Kalauer.

2. “Im Wandel der Zeiten Würfelspiel”
Das ordentliche kleine Würfelspiel lag schon vor drei Jahren mit akzeptablem Echo bei uns auf dem Tisch. Wir würfeln um Personal, Nahrung und Einkommen. Mit dem Personal bauen wir Städte (um mehr Würfel nutzen zu dürfen) oder Monumente (für Siegpunkte), mit der Nahrung ernähren wir unsere Städter und mit dem Einkommen kaufen wir uns Errungenschaften, die uns vor Hunger, Durst und bösartigen Würfelergebnissen der Mitspieler schützen.

Gutes Würfeln am Anfang bringt – über die zusätzlichen Würfel – schnelle Vorteile, die im Prinzip nicht wieder ausgeglichen werden. „Ravensburger“ hätte die Spielidee wahrscheinlich als „Kniffel-Variante” abgetan (siehe Spielbericht vom 26.09.2012). Doch „Pegasus Spiele“ hat dem Hoffen und Träumen bei der Kombinierbarkeit von Würfeln mit einer gelungenen Materialausstattung eine Chance gegeben. Schon allein dies und die kurze Spieldauer sind einen Punkt wert.

WPG-Wertung: Chrissi: 7 (ausgewogene Würfeleigenschaften), Horst: 8 (Würfel-Fan; das Spiel kann auch solitär oder als 2-Personenspiel gespielt werden und ist für Gelegenheitsspieler anbietbar), Walter: 6 (bleibt; immerhin für „nur“ ein Würfelspiel!).

10.10.2012: Letzter Schliff vor Essen

Chrissi war mal wieder dabei. Er hat schon gespielt, da gab es den Westpark (den Park!) noch gar nicht. Und er hat bei den Westpark-Gamers schon mitgespielt, da gab es diese Gruppierung noch gar nicht: In einer familiären Runde mit Aaron, Sabina und Walter (und der ach so göttlichen Susanne!) war er eifrig bei „Civilization“ und „1830“ dabei, lange bevor durch den Zuwachs von Moritz und Peter die Westpark-Gamers gegründet wurden.
Später ist er dann sportlich zu Handball und spielerisch zu Texas Hold’em abgedriftet. Ansonsten kommt er nur noch zum Westpark, wenn ein Gourmet-Menu aufgetischt wird. Oder wenn er selber eines zubereitet. Schließlich ist er ja der Sohn des Hausherrn.

1. “Little Devils”
In dem kleinen Stichkartenspiel versucht jeder, möglichst keinen Stich zu bekommen, denn damit hagelt es Minuspunkte. Letzte Woche haben wir es in einer Dreierrunde ausprobiert und Aaron fand es „broken“. Er hegte aber die vage Hoffnung, dass es bei mehr Spielern doch noch eine gewisse Schönheit würde entfalten können.
Ob sich diese Hoffnung heute erfüllt hat, ist umstritten. Man wird immer noch gespielt. Genauso. Wer für einen Stich zufällig keine bessere Karte auf der Hand hat als die Mitspieler, kassiert die Minuspunkte. Ob das jetzt in Konkurrenz zu zwei, drei oder vier anderen Spielern entschieden wird, macht – für manche – das Kraut nicht fett. Allerdings lässt sich über erfüllte Hoffnung genauso wenig streiten wie über guten Geschmack.
Moritzens Strategie-Vorschlag, sich bei jedem Stich von Extremkarten zu trennen, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Der einzige, vielleicht. Die kleinen Teufel bleiben heiß. Oder kalt. Alles ist relativ.
Keine neue WPG-Wertung.

2. “Dash”
Nächste Woche in Essen muss Aaron den Prototyp an Mingde zurückgeben, höchste Zeit, ihn heute nochmals auszuprobieren.
Mit den besten Poker-Kombinationen rasen wir drei mal quer durch die Straßen von Singapur. Zwei Vorrennen bringen Nägel oder Nieten ein, das Hauptrennen bestimmt den Sieger. In beiden Vorrennen können wir komplett hinter dem Ofen sitzen bleiben und Kartenkosmetik betreiben, d.h. billige niedrige Karten loswerden und die Hand mit hohen Kombinationen anreichern. Mit Drillingen und Vierständern aus Zahlen von Zwölf bis Vierzehn in die letzte Runde zu gehen, bedeutet zu dreiviertel den Sieg. Für das letzten Siegviertel braucht man dann nur noch ein ganz kleines bisschen Nachziehglück.
Chrissi verfolgte konsequent diese Strategie. Im ersten Rennen rückte er kein einziges Feld vor und der Vater fragte sich schon, ob sein Sohn das Spiel überhaupt verstanden habe. War aber so, denn im dritten Rennen sah er mit seiner präparierten Kartenhand bald wie der sichere Sieger aus. Er wäre es auch geworden, wenn Aaron ihn nicht mit bösartigen Powerkarten zurückgesetzt, und den mit letzter Lunge daherkeuchenden Günther über die Ziellinie gerettet hätte. Reine Kingmakerei! Moritz kommentierte leicht indigniert: „Du schenkst immer nur Günther den Sieg!“
WPG-Wertung: Chrissis 7 Punkte kamen aus einem überzeugten Pokerherzen.

3. “Bullenparty”
Schon zweimal am Westpark aufgelegt, stand die „Bullenparty“ diesmal explizit auf Aarons Wunschliste. In geringfügiger Konkurrenz und mit zurückhaltenden Vorlieben eignen wir uns offen ausliegende Kartenstapel mit den 6-nimmt-Hornochsenzahlen von 1 bis 104 an. Die ersteigerten Karten müssen wir auf einem (oder beliebig vielen) Privatstapeln aufsteigend ablegen. Ein einziger Stapel davon bringt Pluspunkte, alle anderen Minuspunkte.
Der Wiederspielreiz hielt sich in Grenzen. Es gibt kein Alles-oder-Nichts. Alle Stapel haben Vorteile und Nachteile. Lange können wir darüber sinnieren, welcher Stapel am besten zu unserem aktuellen Kartenstand passt. Und wir können noch länger darüber nachdenken, welche Karten aus unserer zuweilen umfangreichen Kartenhand wir in welcher Weise auf unsere Plus- und Minuspunkt-Stapel ablegen.
Nach einem Durchgang hatte Aaron genug gehört und gesehen; wir verzichteten einvernehmlich auf die süße Neige.
WPG-Wertung: Aaron: 6 (reißt mich nicht vom Hocker), Chrissi: 6, Walter: 5 (2 Punkte weniger als vom ersten Eindruck).

4. “Titan – the Arena”
Ein alter Klassiker aus Moritz’ Schatzkiste. Er hat es sicherlich schon hunderttausend Mal gespielt. Höchst strukturiert konnte er die Spielregeln erklären und erhielt dafür – einmaliger Vorgang am Westpark – Applaus auf offener Szene.
Wir setzen offen und verdeckt unsere fünf Wetteinsätze auf acht Familien verschiedener Monster und versuchen, in einer Kartenspiel-Konkurrenz unsere Favoriten-Familien am Leben zu erhalten. Der Spieler, von dessen Wetteinsätzen am Ende in Summe am meisten übrig geblieben ist, hat gewonnen.
Alleine kann man nicht gewinnen. Möglichst unauffällig an Familien beteiligt zu sein, mit denen auch die anderen Spieler liebäugeln, ist unabdingbar zum Sieg. Aber das ist leichter gesagt als getan. Wenn Aaron dann noch den Tip ausgibt: „Wir vier sollten versuchen, gegen den Moritz zu spielen!“, liegt schon ziemlich fest, wer in der Arena nicht gewinnen wird.
WPG-Wertung: Chrissis 8 Punkte lagen im Durchschnitt der guten WPG-Noten.

5. “Santa Cruz”
Letzte Woche schon lag Casanova-Merkels Frischling auf dem Tisch. In zwei Runden besiedeln wir eine Insel und kassieren in zwischenschaltbaren Wertungen Siegpunkte für unser Besitztum.
Das Bestreben, möglichst schnell an vielseitige siegpunktträchtige Siedlungen heranzukommen, um bei allen Mitspielerwertungen mitzuprofitieren, beißt sich mit dem Wunsch, einseitig in die eigenen Siegpunktquellen zu investieren und hierfür alleine abzukassieren.
Unsere Meinungen gingen darüber auseinander, ob die beiden identisch ablaufenden Spielrunden ein wohldesigntes Spielelement sind, oder eher aus der Not geboren wurden, die Spielzeit von 20 auf 40 Minuten zu verlängern. Für Moritz und Walter ergänzen sich die beiden Runden mit verschiedenen spielerischen Elementen zu einem gefälligen Ganzen: In der ersten Runde dominiert das unbekannte Entdecken, in der zweiten Runde das Ausnutzen bekannter Gegebenheiten an Geographie und himmlischem Segen.
Aaron und Günther dürfen Ihre hierzu gegenteiligen Ansichten als Kommentar hinterlassen. Am besten aber wohl erst, wenn sie sich in Essen bei Herrn Merkle klüger gemacht haben.
WPG-Wertung: Moritz: 6 (erinnerte sich an eine ähnliche Spielidee, mit der er schon einmal schwanger ging), Günther: 6 (obwohl er mit dem 2-Runden-System nicht einverstanden ist).