09.12.2015: Deutscher Adel

Ein chinesischer Pastorensohn hat vor achtzig Jahren in Amerika eine Formel für den Nationalcharakter von Völkern entwickelt. Aus den Elementen R (= Realitätssinn), T (= Träumerei bzw. Idealismus), H (= Humor) und S (= Sensitivität), zusammen mit dem Mengenbezeichnungen 4 = ungewöhnlich stark, 3 = stark, 2 = durchschnittlich und 1 = schwach hat er für DIE Deutschen herausgefunden:

deutsch = R3T4H1S2

Fast so ein Bullshit, wie ihn Goldhagen sechzig Jahre später auf seine Art verzapft hat. In dreißig Jahren werden sich eine halbe Millionen eingeflüchteter, heimisch gewordener Syrier unter diese Formel beugen müssen!

Wir haben ja schon unlösbare Schwierigkeiten, die deutschen Spieler, eine kleine Teilmenge von R3T4H1S2 unter einen Hut zu bringen. Die einen wollen in ihrem Spielvergnügen eine reine, klare, logische Spielidee meistern, die anderen brauchen dazu mindestens noch einen Würfel, etwas Chaos und viel Glück, und die dritten benötigen drum herum ein Brimborium von Lametta und nach Möglichkeit auch noch einen Eimer voll Dreck, mit dem sie ihre Mitspieler ideell bewerfen können.

Solange wir nur Spieler sind, können wir uns als Mitspieler Gleichgesinnte heraussuchen und mit ihnen dem Spielvergnügen frönen, das alle für gut und schön empfinden. Sind wir aber Spieleautoren, die nicht nur für ihren eigenen kleinen Kreis Spiele erfinden, sondern am Markt eine gewisse Akzeptanz suchen, dann müssen wir schon eine Menge Kompromisse machen mit dem, was wir selber für gut und richtig halten und dem, was Markt und (Verlags-)Meinung uns aufs Auge drückt. Aaron weiß ein Lied davon zu singen.

1. “Celestia”

Eine Weiterentwicklung bzw. eine simple Expansion von „Cloud 9“ vom gleichen Autor Aaron (ein anderer) Weissblum. Wir sitzen im gleichen Ballon wie von „Cloud 9“; der pro Fortschritt wechselnde Pilot würfelt mit zwei bis drei Würfeln die Unbilden des Wetters aus und muss sie mit den ihm zugeteilten „Ausrüstungskarten“ meistern. Wer fürchtet, dass der Pilot die aktuellen Herausforderungen nicht schafft, darf aussteigen und bekommt eine Siegpunktkarte gemäß seinem Ausstiegspunkt. Schafft der Pilot es tatsächlich nicht, so stürzt der Ballon ab und alle übrig gebliebenen Passagiere einschließlich Pilot bekommen gar nichts. Schafft es der Pilot, so rückt der Ballon auf das nächste, an Siegpunkten progressiv ertragreichere Feld vor.

Der simplen Idee von „push your luck“ bzw. „Can’t stop“ sind in „Celestia“ noch ein paar „Machtkarten“ hinzugefügt worden, mit denen man in den normalen Spielablauf eingreifen kann:

  • Mit dem “Raketenrucksack” überlebt ein Passagier auch einen Ballon-Absturz und bekommt die Siegpunkte entsprechend dem letzten Aufstiegspunkt. – Für Warmduscher.
  • Mit dem “Unfreiwilligen Aussieg” darf jeder Passagier willkürlich einen anderen Mitspieler aus dem Ballon drängen. – Für Miesnickel und Kingmaker!
  • Die “Alternative Route” erlaubt dem Kapitän, seine Wetter-Würfel nochmals neu zu würfeln. Der “Kaputte Antrieb” zwingt ihn dazu, seine Wetter-Würfel neu zu würfeln – Das eine ist gut gegen schlechte Würfe, das andere, eher in der Hand von bereits ausgestiegenen Passagieren, gut gegen gute Würfe.
  • Mit dem “Magischen Fernglas” kann der Kapitän unabhängig von seinen Ausrüstungskarten alle über ihn hereingebrochenen Wetterunbilden meistern.

Der Kapität MUSS die Wetterunbilden meistern, falls er die entsprechenden Ausrüstungskarten hat. Jokerkarten DARF er dabei beliebig einsetzt, muss aber nicht. Der Geburtsfehler von „Cloud 9“, dass der Pilot nicht beweisen muss, dass er die benötigten Ausrüstungskarten nicht besitzt, ist auch in „Celestia“ nicht beseitigt.

WPG-Wertung: Aaron: 6 (eigentlich ein 5er Spiel, aber mit schöner Grafik), Günther: 5 (so richtig hat es mich nicht begeistert), Moritz: 5 (repetitiv, die Situationen im Spiel sind alle sehr ähnlich, die statistischen Erfolgs-Chancen sind nicht abzusehen), Walter: 4 (ohne „Machtkarten“ wären es 5, aber die Machtkarten machen das bisschen statistisch-psychologische Hoffnung kaputt und fördern dazu noch bösartige Mitspieler-Willkür – igittigitt!)

2. “Nobiles”

Nobile: Der Vater und sein Kind
Nobile: Der Vater und sein Kind

Unter der Woche hatten Aaron und Walter daran gearbeitet, in Aaron’s Neuentwicklung ein paar Weichen neu zu stellen, das heutige Quartett sollte das Ergebnis begutachten.

Die reine Spielidee ist der Kampf um Unterstützung oder Verweigerung bei der Bekämpfung von Natur-Katastrophen an Frieslands Küste (oder wo auch immer), den jeder Mitspieler mit sich selber auszufechten hat. Wird der Kampf gewonnen, bekommen alle Mitspieler viele Siegpunkte und der Häuptling am meisten. Wird der Kampf verloren, so bekommen ein paar wenige Mitspieler wenige Siegpunkte, andere gar nichts.

Fazit: Die Balance zwischen den Erträgen für Häuptling und Fußvolk, zwischen Aufwand und Ertrag, sowie innerhalb der Belohnungen bei Erfolg oder Misserfolg ist schon sehr gut eingestellt. Die einen mögen jetzt noch mehr Lametta, die anderen mehr Zufall und die dritten eine stärkere Konzentration auf des Pudels Kern. Und der Autor möchte noch dazu, dass das Spiel schneller über die Bühne geht. Eine nur schwer lösbare Aufgabe innerhalb von R3T4H1S2, die nur mit Kompromissen und Enttäuschungen in die eine oder andere Richtung zu bewältigen ist.

Keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Entstehungsphase.

3. “New York 1901”

Das Spiel hat letzte Woche mit 5,5 Punkte nur begrenzte Zustimmung gefunden. Allerdings hatten wir uns da noch eine falsch verstandene Bau-Fessel angelegt. Heute, nachdem drei der vier Mitspieler sieben Tage lang die Abläufe überschlafen und verinnerlicht hatten, bekam es noch eine Chance, und Moritz sollte Oberschiedsrichter sein.

Günther hatte insbesondere den Bronze-Meister zutiefst verinnerlicht und ließ sechs seiner Bronze-Wolkenkratzer bis zum Schluss unüberbaut stehen. Mit den dafür erzielten 15 Bonus-Punkten schoss er vom letzten Platz auf den ersten Platz vor. (Frage: Wie groß war maximal der Punktabstand zwischen dem ersten und dem letzten Spieler bei Spielende?)

Moritz war mit dem Spielausgang sicherlich nicht ganz zufrieden, auf jeden Fall aber mit dem Spiel. Beim nächsten Mal würde er einiges anders machen. Wenn es denn – für “New York 1901” – am Westpark ein nächstes Mal gibt.

WPG-Wertung: Aaron: 6 (bleibt, obwohl er diesmal noch mehr das Gefühl hatte, dass er gespielt wird. „entweder wurden mir alle begehrten Baupläne vor der Nase weggenommen, oder sie tauchten überhaupt nicht erst auf), Günther: 6 (bleibt), Moritz: 7 (flott, nicht überbrainy, ziemlich OK), Walter: 6 (ein Punkt mehr; auch wenn es nicht vom Hocker reißt, ist es doch eine recht saubere Konstruktion)