Archiv der Kategorie: Spieleabende

04.03.2015: Chaos vs. Mitspielerchaos

Das „Gendern“ der Sprache im öffentlichen Raum wird immer emsiger vorangetrieben. So gibt es in NRW ein Gesetz, alle Begriffsbildungen mit „Studenten“ in „Studierende“ zu verwandeln, z.B. wird „Studentenwerk“ zum „Studierendenwerk“. Mein Gott, welch’ ein Fortschritt!

Diese Woche gab es im deutschen Fernsehen eine Podiumsdiskussion, wo sich ein Genderei-Vertreter doch tatsächlich zu der Behauptung verstieg, es gäbe einen BIOLOGISCHEN Unterschied zwischen Mann und Frau! Wo hat er denn diese Weissheit aufgeschnappt? Da bin ich fast 40 Jahre mit einer Frau verheiratet und habe noch nichts davon gemerkt. Der psychische Unterschied zwischen uns wird mir hingegen täglich schmerzvoll bewußt, wenn sich meine Frau über Krümel auf dem Fußboden (nicht auf dem Bettlaken!) aufregt, die ich dann mit dem Staubsauger beseitigen soll … Vive la difference!

Die Genderei hat jetzt auch die Westparker, zumindest unseren Aaron, getroffen. Er hat einen Artikel für das „institut fuer bibliotheksorganisation, bibliotheksentwicklung und lesepaedagogik“ geschrieben und bekam prompt als Antwort zurück: „Gemäß den Vorgaben unseres Trägers, des Landes Steiermark, sind wir dazu angehalten, Texte zu gendern. Ich habe mir daher erlaubt, mit dem Binnen-I bzw. der Anführung der männlichen und weiblichen Form dem Folge zu leisten.“

Dieses Ansinnen und seine Ausführung hat bei ALLEN von uns reichlich Entrüstung ausgelöst. Andrea, eines unserer wenigen Weibchen, brachte es auf den Punkt: „Don’t gender, be original, dear Aaron!“

1. “Nobiles”

Weitere Balancierungsarbeiten an Aarons Eigenentwicklung. Es gibt eine Menge unterschiedlicher Strategien (vielleicht schon zu viele?), die alle erfolgreich sein sollen:

  • Startspieler-Tricksereien vs. letztes Zünglein an der Waage sein
  • Konstruktives Mithelfen vs. destruktive Knüppel zwischen die Beine werfen.
  • frühes oder spätes Politikerwerden, auf Biegen oder Brechen
  • Siegpunkte kaufen statt sie zu erarbeiten oder erpolitisieren.
  • sich total auf den politischen Endkampf in der letzten Runde konzentrieren, wo nochmals die Hälfte aller Siegpunkte ausgeschüttet werden, und davon dem Häuptling der weitaus größte Teil in den Schoß fällt.

Es gibt viel zu denken und zu rechnen. Nicht nur die eigenen Züge müssen langfristig überlegt werden, es gilt auch noch abschätzen, welchen Absichten wohl die Mitspieler verfolgen und in welche Richtung sie ihre Aktivitäten entfalten werden. Die aktuelle Version ist nur bedingt ein Aufbauspiel. Diesmal kamen ihre diplomatischen Seiten deutlich ans Tageslicht. Und am Ende entscheiden ganz wenige, im Details nicht vorhersehbare Gegebenheiten über den Sieg. Walter gebrauchte hierfür etwas abwertend das Wort „Chaos“, was beim Autor natürlich erhebliches Stirnerunzeln hervorrief. Für Günther hingegen ist „Mitspielerchaos“ eine absolut positive Eigenschaft eines Spiels. Die Formulierung „nicht-beherrschbar“ brachte eine tragfähigen Kompromiss.

Keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Entstehungsphase.

2. “Die Staufer”

Fünf Spiele von Andreas Steding gibt es schon in unserer Wertungsliste. Mit „Hansa Teutonica“ hat er auch schon ein „Spiel des Monats“ bei uns gelandet. Jetzt hat unser HiG-minded Günther Stedings erstes HiG-Spiel bei uns lanciert.

Die Staufer
Die Staufer: Der König in Milano

Es wird vielleicht nicht jeder wissen, aber die Könige des Mittelalters hatten keinen festen Wohnsitz, sondern zogen von Pfalz zu Pfalz, von Aachen bis Palermo, und mit ihnen der ganze Hof. So gibt es auch in „Die Staufer“ einen König, der von Pfalz zu Pfalz zieht und sein Gefolge, unsere Pöppel, sind stets um ihn herum. Hier nehmen sie für all ihren Unternehmungen ihren Ausgang. Das zum Thema. Aaron machte uns den Moritz und fand es etwas dünn. Ist aber nicht so wichtig, Hauptsache, die Mechanismen stimmen.

Wir bewegen unsere Pöppel von Pfalz zu Pfalz um die stauferische Welt herum, belegen mit unseren Kavenzmännern die dicken Positionen und mit normalen Pöppeln die Positionen für die Normal-Sterblichen. Für die Bewegung brauchen wir Bewegungspunkte, die uns in Personalunion mit unseren Pöppeln vorliegen, und die uns entsprechend bald ausgehen. So müssen wir bei unseren Zügen ständig darauf achten, neue Pöppel resp. Bewegungspunkte zu rekrutieren. Dies geschieht einmal durch „Schatztruhen“, die jedem Feld, auf das wir unsere Pöppel setzen, beigeordnet sind, und die uns verschiedene Vorteile, u.a. auch neue Pöppel einbringen. Zum anderen geschieht das, indem wir uns gar nicht bewegen, sondern uns stattdessen Nachschub aneignen, der vorzugsweise aus neuen Pöppeln besteht. Wer als Erster an einem Nachschub-Feld andockt, bekommt hier als Prämie auch noch eine Schatztruhe mit weiteren Vorteilen.

Pöppel sind immer knapp. Haushälterisch mit diesen Resourcen umzugehen, ist eine Grundvoraussetzung für gutes Spiel.

Ja, und warum bewegen wir uns in der Stauferwelt? Nach jeweils drei Zügen ist eine Spielrunde zu Ende, und eine definierte Pfalz wird gewertet. Wer hier die meisten oder die höchstrangigen Felder besetzt hat, bekommt eine erkleckliche Anzahl von Siegpunkten. Der Zweite bekommt auch noch was. Der Dritte geht in einer Dreierrunde leer aus.

Neben der definierten Pfalz wird eine weitere, aus dem Spielablauf (Mitspielerchaos) heraus bestimmte Pfalz gewertet, z.B. diejenige, die noch die meisten Schatztruhen enthält, oder diejenige, in der die meisten Pöppel stehen.

Nach fünf Runden ist das gesamte Spiel zu Ende, und jeder Spieler erhält noch Sonderpunkte für drei verschiedene Arten von Aufträgen, die jeder zu Spielbeginn ausgeteilt bekam, z.B. wenn seine Pöppel in einer vorgegebenen Pfalz die meisten / höchstrangigen Plätze besetzen, oder wenn seine Pöppel auf dem Spielfeld in einer bestimmten Konstellation stehen.

„Die Staufer“ bieten reichlich Gelegenheit zu Optimierungsrechnungen. Für die eigenen Ziele muss rechtzeitig das notwendige Potential erworben und folgerichtig eingesetzt werden; zugleich müssen dabei die Möglichkeiten und Absichten der Mitspieler scharf im Auge behalten werden. (Genau wie bei „Nobiles“!) Vielseitig, spielerisch und – fast – unbeherrschbar.

Sehr viele Gedanken hat man sich über die Reihenfolge gemacht, nach der in jeder Runde die Spieler ihre drei Züge machen dürfen. Doch gerade WEIL man sich hierüber Gedanken gemacht und eine neue Lösung angeboten wurde, war Walter aufgebracht über einen grundsätzlichen Konstruktionsfehler. Wer als Erster einen Nachschub-Zug tut, kann sich den besten Nachschub-Zug aussuchen, bekommt obendrein noch eine Schatztruhe und ist in der nächsten Runde wieder Startspieler! Wer also Startspieler ist, darf als Erster den besten Nachschub-Zug tätigen und bleibt deshalb auch noch Startspieler, so dass er in jeder Runde den besten Zug bekommt! Das kann kein gutes Prinzip sein! Dieses Prinzip wäre sogar schlecht, wenn der erste Nachschub-Zug der schlechteste wäre und die anderen der Reihe nach immer besser würden! In diesem Fall wäre der Startspieler in jeder Runde benachteiligt!

Das Prinzip wäre tragbar, wenn die Bewegungszüge deutlich besser wären als die Nachschub-Züge, so dass sich alle Spieler erst mal dort austoben, bis irgendwann mal die Waage kippt, und auch die Nachschub-Züge lukrativ würden. Das ist aber nicht der Fall. Besonders in den ersten Runden ist der Nachschub lebenswichtig und unvermeidbar, so dass sich alle Spieler hier engagieren müssen. Es ist eine logische Fehlleistung, dass hier der erste Bevorrechtigte das ganze Spiel über der erste Bevorrechtigte bleibt. Q.e.d!

Als HiG-Nibelunge musste Günther hier natürlich widersprechen. Er lobte – ganz abstrakt – die Vorteile der Bewegungszüge, als hätte er sie selber erfunden. Nein, meine Lieben, HiG hat hier ganz einfach geschludert. Ich nehme jetzt mal an, dass dieser Zugreihenfolgbestimmmechanismus (ZRBM) im Laufe der Entwicklung vom Verlag, nicht von Autor erfunden wurde!

WPG-Wertung: Aaron: 7 (schöne Elemente, aber nicht ganz mein Spiel: es gibt ZU VIEL zu beachten), Günther: 8 (habe es jetzt zum dritten Mal gespielt, finde es immer noch ein super Spiel; ständige Interaktion, viele Gewinn-Alternativen), Walter: 6 (schönes Spiel, vielseitig und konstruktiv, 1 Punkt Abzug wegen des bescheuerten ZRBM. Ich möchte das Spiel als Letzter in der Zugreihenfolge nicht noch einmal spielen!).

25.02.2015: Petersburger Adel

Risiko – Die Ukraine

Wilhelm und „Der Postillon“ haben es empfohlen (siehe www.der-postillon.com/2015/02/hasbro-bringt-brettspielklassiker.html), und wir haben sofort zugeschlagen: Spiel der Saison 2014/15, die Risiko-Variante „Ukraine“. Entwickelt vom Autoren-Kollektiv Rumsfeld, Gates, Panetta, Hagel und Carter, zur Serienreife gebracht von der bewährten Zugreiftruppe des CIA. Es geht darum, durch Strategie, Tricks, Vortäuschungen und Anschuldigungen die Zustimmung aller Mitspieler zu erhalten, um eine Region unter seinen Einfluss zu bekommen, seinen Nachbarn zu eliminieren und als Alleinherrscher den Rest der Ära zu dominieren.

Ein Spaß für die gesamte Völkerfamilie. Danke, lieber Wilhelm, für Deinen Tipp.

Keine WPG-Wertung für ein globales Kooperationsspiel mit einem individuellen Spieler als einzigem Sieger.

1. “Das neue Sankt Petersburg”

Natürlich wird „Sankt Petersburg“, zur Zeit auf Platz 17 unserer 1000 Einträge umfassenden Rangliste, immer eines der spielerischen Highlights am Westpark bleiben, egal, wie oft es auf den Tisch kommt. Aaron und Günther waren unter den 1262 Unterstützern, die eine Wiederauflage dieses Klassikers ermöglicht haben. Günther ist zudem einer der 279 Tester, die im Regelheft von HiG namentlich erwähnt werden.

Er ist es auch, der die Produkte dieses Hauses bei uns vernehmlich propagiert und den – unbestritten – HiG-minded Tenor unsere Spielergruppe anführt. Doch unbestritten ist die auch Qualität der Produkte dieses Spieleverlages. Wenn hier z.B. 279 Tester aufgeführt werden, dann sind das keine Leute, die mal eben an Holzklötzchen und Schachtel gerochen haben, sondern da steckt ehrliche Auseinandersetzung mit dem Spiel und seinem Regelwerk dahinter. Dies wird später in der bekannten Reife aller Produkte dieses Hauses sichtbar. HiG-minded zu sein, spricht nicht gegen die Objektivität eines Spieler, eher dafür.

Heute haben wir uns nochmals die sechs neuen Module der überarbeiteten Sankt-Peterburg-Version vorgenommen und uns ein ansprechendes Mix daraus ausgesucht.

„Die Hürden“ haben uns letzte Woche schon sehr gut gefallen. Sie zwingen die Spieler zu einer Diversifizierung ihrer Kartenhand. Es genügt jetzt nicht mehr, sich zufällig oder gewollt auf eine einzige Kartenart zu stürzen, die mittels Rabatt dann auch noch immer billiger wird; um bestimmte Siegpunktschwellen überschreiten zu dürfen, muss man jetzt von jeder Kartenart eine Mindestanzahl auf der Hand zu haben.

Günther und Walter vergaßen etwas leichtfertig auf die Upgrader-Hürde bei Punkt 35 zu achten. Vollgespickt mit Siegpunkte-Potential aus ihren erworbenen Bauwerken standen sie dann ohne ausreichende Upgrader vor dieser Schranke, durften nicht darüber, und mußten massig Punkte in den Wind schreiben. Nur Aaron hatte aufgepaßt und zog hier frohlockend davon. Kein Wunder über seine Wertung: “Die Hürden sind das Beste im Spiel.”

Doch bevor Günther in Sankt Petersburg geschlagen wird, muss wohl noch viel Wasser die Isar hinabfließen. Trotz mehrmaligen Fluchens über verpasste Chancen und verfehlte Planungsziele gelang es ihm durch geschicktes Kapital- und Lager-Management am Ende acht verschiedene Adelige auf die Beine zu stellen und mit den daraus resultierenden 36 Siegpunkten seine beiden Mitspieler zu deklassieren.

Zu zwei anderen Modulen: „Die Aufträge“ sind überflüssig. Gezielt oder zufällig bekommt man am Ende für erworbenes Besitztum zusätzliche Siegpunkte. Alle ungefähr gleich viel. Zuviel Aufhebens um zu wenig Effekt. „Die Ereignisse“ hingegen sind gute Effektwandler, die in allen bisherigen Strategien eingesetzt werden können, kurzfristig einen Engpass beseitigen helfen bzw. Schicksalsunbilden abwenden können. Wenn man sie tief verinnerlicht hat, kann man sie sogar planmäßig für taktische Vorteile nutzen, aber soweit waren wir heute noch nicht.

Keine neue WPG-Wertung für ein sehr gutes Spiel.

2. “Nobiles”

Petersburger Adel bei Nobiles
Petersburger Adel bei Nobiles

Aarons Eigenentwicklung stand weiter auf dem Prüfstand. Günther versuchte wieder die Geldschiene, d.h. unberührt von Naturkatastrophen und Politik kaufte er seine Steuervorteile bei der Commerzbank ein. Sehr erfolgreich.

Aaron setzte konsequent auf den Häuptling, der für Erfolg im Kampf gegen Katastrophen fürstlich belohnt wird. Viermal schaffte er es, einmal überließ er Walter das Scheitern des Häuptlings und in der vorletzen Runde durfte kurzfristig Günther mal eine handvoll Lorbeeren ernten. Es reichte zum knappen Zweiten. Wahrscheinlich hätte er Günther die vorletzten Lorbeeren nicht so kampflos überlassen sollen.

Walter schwelgte noch in alten Strategien verflossener Versionen, in dem neu balancierten Räderwerk kam das einem Blindflug gleich. Entsprechend waren seine Ergebnisse. Bei den „Nobiles“ (oder wie immer das Spiel später heißen wird) kommt es nicht darauf an, im ruhigen Fahrwasser mitzuschwimmen, sondern scharf die Quellen für Siegpunkte auszumachen und sich hier ranzuhalten. Das ist auch gut so, vorausgesetzt, im Spiel gibt viele erfolgsversprechende Quellen. Das scheint in jedem Fall gegeben zu sein. Auch wenn bei jeder Umdrehung an den Balancierungs-Rädchen die Quellen an anderen Stellen zu sprudeln beginnen.

Keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Entwicklungsphase.

18.02.2015: Fünfundzwanzig Räume in Sankt Petersburg

Moritz hat dieses Jahr einen leibhaftigen Faschingsorden bekommen. In Bonn, von der dortigen Faschingsgarde (wie immer man sie dort nennt), für die „Rhapsody in Blue“ (von ihm gespielt, nicht komponiert), überreicht vom Oberbürgermeister der Stadt und mit einem Kuß der Faschingsprinzessin garniert. Direkt auf den Mund. Moritz hat seitdem sein Gesicht nicht mehr gewaschen!

Da soll einer nochmal sagen, dass die klassische Musik tot ist. Ist Gershwin etwa kein Klassiker? Und Moritz kein herausragender Exponent der E-Musik?

1. “Das neue Sankt Petersburg – der Markt”

Highlander in Sankt Petersburg
Highlander in Sankt Petersburg

Hans-im-Glück hat für den bereits zehn Jahre alten Klassiker eine komplett überarbeitete Neuauflage herausgebracht. Neben dem bereits in der Original-Version verdienten Bernd Brunnhofer hat sich jetzt auch der geniale „Macher“ Karl-Heinz Schmiel über die Regeln hergemacht.

Geblieben sind die Karten für Handwerker, Bauwerke, Adelige und Upgrader, geblieben sind die Wertungsphasen für Einnahmen und Siegpunkte, die Rabatte bei Kauf von gleichartigen Karten und die enormen – quadratisch wachsenden – Prämien für viele Adelige.

Wesentliche Neuerungen sind:

  • gelbe Marktkarten, die einerseits Geld einbringen, mit denen man sich aber vor allem Majoritäten in fünf verschiedenen Warensorten erwerben kann, die Runde für Runde mit Siegpunkten belohnt werden
  • insgesamt sechs neue “Module”, die in beliebiger Anzahl und Mixtur in den Spielablauf hineingenommen werden können und neue Spielvarianten erzeugen.

Wir spielten mit den „Hürden“: dies sind Kärtchen, die bestimmte Kriterien vorschreiben, die man erfüllt haben muss (z.B. mindestens 2 Bauwerke zu besitzen), wenn man eine definierte Höhe in der Siegpunktleiste überschreiten möchte. Zusätzlich werden für wohldefinierten Besitz an Siegpunkten verschiedentlich Prämien ausgeschüttet, die man bei einer scharfen Kalkulation seiner Geldmittel unbedingt in Ansatz bringen sollte.

Walter bekam gleich in der ersten Runde eine billige gelbe Kohlkopf-Karte, kurz danach auch noch ein paar Tomaten, die ihm sieben Runden lang die Majorität beim entsprechenden Gemüse bescherten, die entsprechenden Siegpunkt-Prämien einbrachten und ihn sechs Runden lang das Feld anführen ließen. In der Schlusswertung schlug „Wer schon?“ mit 6 Adeligen zu, die ihn mit ihren 6 * (6+1) / 2 = 28 Spiegpunkten mit großem Abstand an die Spitze katapultierten.

Das neue „Sankt Petersburg“ ist wie das alte eine gelungene runde Schöpfung. Alle Spieler sind ständig im Spielgeschehen involviert, es ist spannend, konstruktiv, mit dynamisch wachsendem Entwicklungspotential. Es gibt eine Menge Konkurrenz im Einkauf und Besitztum, und es gibt vielerlei ganz unterschiedliche Schienen, um das Spiel zu gewinnen. Und ein wohldosierter Zufall sorgt dafür, dass keine Schiene eindeutig über alle anderen dominiert. Anpassung ist gefragt. Spielerische Anpassung, und das ist doch schon ein erhebliches Qualitätsmerkmal.

Für die Berücksichtigung der neuen Spielelemente in Sankt Petersburg müsste unsere Karten-Analyse www.westpark-gamers.de/Artikel/petersburg_analysis.html total überarbeitet werden. Doch die Analyse war bisher schon reichlich windschief. Wir lassen das.

WPG-Wertung: Aaron: 8 (auch das alte „Sankt Petersburg“ bekommt einen Punkt weniger; noch einen halben Punktabzug für das mickrige Gimmick), Günther: 9 (empfielt zum StP-Einstieg die alte Version, doch wenn man diese bereits hundert Mal gespielt hat [oder mittels Günthers PC-Implementierung www.westpark-gamers.de/download/sp_pc.php bereits tausend Mal], dann bingt die neue Version neuen Spaß und neue Herausforderungen), Moritz: 8 (eine sorgfältige Überarbeitung), Walter: 9 (hat das alte StP bereits hundert Mal gespielt und deshalb noch mehr Spaß am neuen; besonders die „Hürden“ sorgen für mehr Durchmischung innerhalb der bisherigen Vorgehensweisen).

Bei der Herstellung des neuen Sankt Petersburg hat sich HiG das in letzter Zeit popuär gewordene Crowd-Funding Marketing-Modell zu eigen gemacht. Aaron ist als Subsribent eingestiegen und damit bitter enttäuscht worden:

Es war versprochen worden, dass alle Beteiligten vor Essen 2014 ihr Exemplar bekommen. Doch dann traten Produktionsprobleme (oder wurden vorgeschützt), so dass in Essen zwar Hinz und Kunz das Spiel erstehen und gleich nachts im Arosa ausprobieren konnten, alle Subscribenten aber immer noch leer dastanden. Wie absurd: Genau diejenigen, die das Spiel gefördert hatten, sahen in die Röhre. Ernsthafte Verwarnung für HiG.

Kurze Zeit später wurde „Das neue Sankt Petersburg“ zusammen mit „Helios“ im Doppelpak von den Heidelbergern für 25 Euro verkauft; die Subscribenten hatten für das nackte „Sankt Petersburg“ allein 38 Euro hinblättern müssen. Zweite Verwarnung und rote Karte für HiG. Oder werden im Crowd-Funding Modell alle Subscribenten grundsätzlich als selbstlose idiotische Melkkühe angesehen?

2. “Room-25”

Ein Mischung aus Robo Rally, Das verrückte Labyrinth, Puzzle und Memory. Dazu alles noch in Kooperation. Plus einem Verräter!

Wir stehen auf einer Fläche bestehend aus 25 Quadraten unbekannten Untergrundes, bewegen uns einzeln oder getrennt, blind oder sehend, ipso-mobil oder geschubst werdend, vielleicht sogar eine ganze Untergrundreihe rundummadumm verschiebend von Quadrat zu Quadrat und entdecken so Stück für Stück das gefährliche Terrain unter unseren Füßen. „Flutkammern“ blockiern, „Säurebäder“ lösen uns auf, „Todeskammern“ eliminieren uns früher und „Fallenkammern“ später. All diese topologischen Unbilden sollten wir bei unseren Streifzügen vermeiden, bis wir Raum-25 entdeckt haben.

Jetzt bekommt das Spiel eine radikale Wende. Es geht nicht mehr darum, Neuland zu entdecken (zum Glück gibt es auch nicht-tödlichen Untergrund), sondern alle Spieler müssen so schnell wie möglich zu diesem Raum-25 kommen und diesen Raum dann aus dem Spielfeld herausschieben. Innerhalb von fünf Runden muss das geschafft sein, sonst haben alle verloren. Dies ist dann eine verzwickte Puzzle-Aufgabe, bei der alle mitdenken: Wer soll in welcher Reihenfolge wohin gehen, wer soll welche Reihen verschieben, über welche Winkelzüge können wir tödlichen Quadraten ausweichen um das gemeinsame Ziel zu schaffen. Gemeinsames, gründliches Planen und hoffentlich fehlerloses Ausführen.

Doch damit das Ganze nicht zu einem rationalen No-brainer verkümmert, ist einer der Mitspieler der Verräter. Vom Zufall dazu bestimmt gewinnt er, wenn die anderen die Flucht nicht schaffen. In der Entdeckungsphase tut er so unschuldig wie ein Lamm, freut sich über jedes gute Feld und über jedes Entkommen vor einem bösen Feld. Und in der Endphase schiebt er ein einziges Mal die ihm zugewiesene Untergrundreihe in die falsche Richtung, und die gesamte Planung ist im Arsch, die gemeinsame Rettung steht in den Sternen und der Sieg ist beim Teufel.

Zum Glück (d.h. zufälligerweise) war in unserem Spiel keinem die Verräterrollte zugeteilt worden. So konnten wir die Rettungsphase ohne Zwischenfälle durchstehen. Aber jedem war klar, dass jeder der Mitspieler mit einem einzigen Verräterzug unweigerlich alle Guten hätte scheitern lassen können. Das ist die Crux in „Room-25“. Einige hübsche Kooperations-Ideen und Aufgaben, die am Ende aber nicht funktionieren.

WPG-Wertung: Aaron: 4 (Multi-Player-Puzzle, Arbeit und Schweiß, Knobelspiel, aber eines der schlechtesten), Günther: 4 (nur 4, obwohl ich Knobelspiele mag, aber es gibt andere Sachen, die ich lieber knobele), Moritz: 5 (das Spielmaterial ist schön, mir fehlt Flair; auch bei BGG wurde beschrieben, dass die Aufgabe ohne Verräter zu leicht und mit Verräter zu schwer ist), Walter: 4 (eine gewisse topologische Herausforderung, doch es fehlt Reife und Balance).

3. “Bluff”

Im 1:1 Endspiel gegen Moritz gab der Immer-4-Stratege Walter 1 mal die Fünf vor. Moritz zögerte mit seiner Antwort, da deckte Walter – um das Ende abzukürzen – mit der Bemerkung „Ich zweifele jede weitere Angabe an“ freiwillig seinen Becher auf. Wirklich, es war eine Fünf darunter. Moritz druckste noch eine Weile herum, bevor er aufgab.

Günther bezweifelte die Sinnhaftigkeit von Walters Aufdecken. Hatte er damit seine Gewinn-Chancen vermindert?

Mit 2/3 Wahrscheinlichkeit hatte Moritz eine Eins bis Vier unter seinem Becher und damit unweigerlich verloren. Mit 1/3 Wahrscheinlichkeit hat er eine Fünf oder einen Stern unter dem Becher, setzt – einzige sinnvolle Alternative! – auf 2 mal dieFünf und hat damit unweigerlich gewonnen.

Günthers Kritik wurde zurückgewiesen, die Zurückweisung aber noch nicht vollständig eingesehen. Dabei war Walters Vorgehen doch schon exakt in Günthers ureigener Immer-5-Strategie beschrieben worden. Q.e.d.

Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

11.02.2015: Wieder Höflinge in der Eisenbahn

1. “North American Railroad”

Peer Sylvesters Eigenkonstruktion (siehe Bericht von letzter Woche) lag noch einmal auf dem Tisch, diesmal mit dem entscheidenden Regelverständnis, dass jeder Spieler Aktien oder Städte-Verbindungen nicht nur aus der untersten Reihe einer 7 mal 4 Matrix wählen darf, sondern aus den untersten Karten jeder Spalte. (Hätten da erfahrene Spieler nicht von selber draufkommen können …? Bei einem so renommierten Spiele-Autor wie Peer konnte unser voriges Falschverständnis doch wohl nicht wahr sein!)

So gibt es für alle Spieler sehr viel mehr Auswahlmöglichkeiten, und die Reihenfolge, in der die Aktien- und Städte aus den jeweiligen Matrizen abgebaut werden, ist längst nicht so durchsichtig.

Als alter Empire-Builder legte sich Walter sofort für 1000 Dollar eine stolze Linie zu. Ein Signal für die Mitspieler, hier einzusteigen und entweder dem Präsidenten weitere m,äßig-teure Aktien reinzudrücken oder selber mit anerkennenswerten Preisen an einer guten Linie beteiligt zu sein. Noch dazu unter Übernahme der Präsidenten-Gewalt. Leider war das keine gute Taktik.

Sehr viel besser kam Horst weg, der sich für billiges Geld zwei kleine Linien zulegte, die wegen ihrer finanziellen Impotenz von allen Mitspielern mehr oder weniger bemitleidet wurden. Keiner wollte sich hier beteiligen, und wenn unbedingt eine seiner Aktien neu in Umlauf gebracht werden musste, da boten die Mitspieler niedigste Preise, um ja nicht selber daran beteiligt zu werden. So bekam Horst am Ende von beiden Linien je fünf der sechs Aktion für billiges Geld in die Hand. Und als am Ende auch noch der Aktienbesitz – unabhängig vom Streckennetz der Linien – in barer Münze ausgeschüttet wurde, war er der Sieger. (Unter Vernachlässigung der 100 Dollar, mit denen Günther am Ende noch die Nase vorn hatte.)

Ja, was hat Günther richtig gemacht? Zunächst reizte er den Präsidenten Aaron mit angetäuschten Beteiligungen und besserte so seine Kasse auf, bevor er selber ins Geschäft einstieg. Im Mittelspiel war er bei allen nennenwerten Gesellschaften der Mehrheitsaktionär. Der sichere Sieger, wenn nicht, wie gesagt, der lange bemitleidete Horst ihn auf der Zielgeraden noch um Haaresbreite (fast) verdrängt hätte.

Das Spiel ist ein reines Finanzmanagement und thematisch ziemlich trocken, wenn man überhaupt von Thema sprechen kann (Aaron); doch es hat – besonders für Kaufleute! Oder welches ist die Zielgruppe, lieber Peer? – durchaus einen gewissen Unterhaltungsfaktor (Horst). Wesentliches Element ist die Preisknobelei (Günther), ob gut oder schlecht, das sei hier mal dahingestellt. Die hier schlummernden mathematisch-statistischen Geheimnisse (Walter) dürften für eine Weile noch eine lohnenswerte Herausforderung sein.

Eine etwas größere Variabilität (vielleicht sogar etwas mehr Gerechtigkeit!) in den Kosten/Nutzen-Relationen der Städteverbindungen wäre zu überlegen.

Keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Entwicklungsphase.

2. “Nobiles”

Argentum ist bei Aarons „Nobiles“ eingestiegen und hat auch schon ein Reihe von Regeländerungen vorgeschlagen. Wir habe sie getestet. Die Dynamik der Effekte ist deutlich gestiegen. Dem Startspieler bieten sich jetzt eine Reihe von super-guten Zügen (mit zwei- bis dreifachem Ertrag gegenüber den Normal-Zügen), mit denen das Darben in den Materialen wie Geld oder Resourcen wurde deutlich abgemildet wurde.

Bleibt noch auszubalancieren, wie der Knalleffekt, mittels dessen der „Häuptling“ in der letzten Runde mit einem Schlag noch mehr als Hälfte seiner Siegpunkte machen kann, in eine solche Größenordnung dimensioniert wird, dass die anderen, braven, geduldigen Strategien mit den Rahmeneffekten des Spiel nicht allzu sehr in den Hintergrund gedrängt werden.

Keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Entwicklungsphase.

04.02.2015: Sex, sieben, acht

Wie sexy ist Ostfriesland? Aus bayrischer Sicht mindestens so sexy wie Dortmund, das demnächst das größte Zweitligastadion der Welt besitzt. Aber wahrscheinlich bringt selbst das kleinen guten Klang in die Landschaft. „Carcassonne“ in Südfrankreich muss es schon sein, oder „Puerto Rico“ auf den Jungferninseln. Selbst das kalte „Sankt Petersburg“ scheint aus Marketing-Gesichtspunkten heraus sexy zu sein. Warum nennen wir ein Spiel mit Hexawürfeln oder hexa Würfeln nicht direkt gleich „Immer Sex“! Oder, Moritz schlug das vor, weil es einen so schönen Sprachrhythmus hat: „Immer Sex van achteren“. Beeinträchtigt solch ein Titel etwa die Verkaufserfolge in den Vereinigten Staaten?

1. “Nobiles”
AaronMoritzGuentherNobiles
Aarons zweite Eigenentwicklung ist unter Dach und Fach. Der Argentum-Verlag hat wieder zugeschlagen und sich die Rechte daran gesichert. Wenn alles gut geht, sollte es dieses Jahr in Essen herauskommen.

Nur ein knappes Jahr hat Aaron daran gearbeitet. Am 19. Februar 2014 lag es erstmals bei uns am Westpark auf dem Tisch. Damals schrieben wir: „Gegensätzliche Interessen von Bürgern und Nobiles beim Besiegen der Elemente, sowie eine Semi-Kooperation und Semi-Konkurrenz innerhalb der freien Aktionen der Mitspieler sind die Leitmotive des Designs. Doch bis zur gelungenen Balance von Kosten und Nutzen, von Einsatz und Gewinn, Mangel und Überfluss, sowie von Beteiligung und Sabotage ist noch ein weiter Weg.“

Das Leitmotiv des Designs wurde konsequent umgesetzt, an der Balance wird immer noch gedreht. Auch das heutige Spielen am Westpark diente dem Feintuning. Vereinigtes konstruktives Vorgehen sollte von Fall zu Fall von Erfolg gekrönt sein, doch ein durchdachtes, überraschendes Einsetzen des destruktiven Potentials sollte ebenfalls lustvolle Siegpunkte abwerfen können.

Auch das Umschwenken vom Dienst an der Front zum Absahnen in der Etappe sollte nicht allzu leicht vonstatten gehen. Vorausplanung, rechtzeitig ausreichend Mittel ansammeln und sich im Endspurt mit einem Knalleffekt an die Spitze setzen, so sieht der ideale Spielablauf bei den „Nobiles“ aus. Drei Stunden lang haben wir mitgedacht, mitgeplant und kritisiert. Noch ist die Ideallinie nicht gefunden, aber Argentum sucht jetzt mit.

Keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Entwicklungsphase.

2. “North American Railroads”

Als eine „1830“-Variante ohne Strecken stellte Aaron diese Eigenentwicklung von Peer Sylvester vor. Es geht um Aktien von Eisenbahn-Gesellschaften und um den Ausbau ihrer Strecken. Wer dabei am reichsten wird, gewinnt.

Die insgesamt 28 Aktien von fünf Gesellschaften liegen in zufälliger Reihenfolge in vier Spalten zu je sieben Zeilen auf dem Tisch. Wer am Zug ist, darf sich aus der untersten Zeile bedienen. Er wählt davon eine beliebige Aktie aus.

  • Ist von dieser Gesellschaft noch keine Aktie verkauft, so kann er sie für einen beliebigen Preis kaufen und wird damit Präsident der Gesellschaft. Das Geld bekommt die Gesellschaft, um später damit ihr Streckennetz zu finanzieren.
  • Ist von der gewählten Gesellschaft bereits mindestens eine Aktie verkauft, und ist der aktive Spieler selber Präsident dieser Gesellschaft, so kostet die Aktie einen festgesetzten Preis; die Hälfte des Geldes bekommt die Bank, die andere Hälfte die Gesellschaft.
  • Ist ein Mitspieler Präsident der gewählten Gesellschaft, so nennt der aktive Spieler einen beliebigen Preis, den er für die Aktie zu zahlen bereit ist. Der Präsident hat dann die Wahl, die Aktie für den genannten Preis selber zu erwerben, oder er muss sie an den aktiven Spieler verkaufen. In jedem Fall bekommt die Gesellschaft die Hälfte des Verkaufspreises; die andere Hälfte geht an die Bank oder aber an den aktiven Spieler, der als Käufer verschmäht wurde.

Jetzt werden die Städte angeschlossen. Sie stehen ebenfalls in einer zufälligen Auslage von 4 Spalten zu je 7 Reihen zur Auswahl, kosten eine variable Menge Geld und bringen später der Gesellschaft eine ebenfalls variable Menge an Einnahmen. Wie bei den Aktien wählt der aktive Spieler aus der untersten Reihe eine beliebige Stadt und ordnet sie einer der Gesellschaft zu, von der er Aktien hat. Die Stadt gilt sofort als angeschlossen, es werden keine Strecken gebaut oder benötigt.

Als letztes kassiert jede Gesellschaft ein Einkommen, das sich aus den Prämien für die angeschlossenen Städten ergibt. Das Geld wird gleichmäßig unter alle Aktienbesitzer aufgeteilt. Schnell, einfach und einfältig.

Peer hat uns sein Spiel mit der Aufgabe zugeschickt, darin vielleicht eine Killer-Strategie entdecken können. Was ist das? Ist das eine Strategie, die den Gegner killt oder die das Spiel killt? Oder beides zugleich? Setzt „Strategie“ nicht eine gewisse Handlungsfreiheit voraus? In “North American Railroads” müssen wir sowohl bei den Aktien, wie auch bei den Städten eine Karte „aus der untersten Reihe der Auslage“ wählen. Der erste Spieler hat hierbei immerhin eine Auswahl von 1 aus 4. Der zweite Spieler nur noch eine Auswahl 1 aus 3; der vierte Spieler aber nur noch 1 aus 1. Da bleibt nicht mehr viel zu killen übrig. Die geringe Auswahl hat das Spiel von alleine gekillt. Oder haben wir etwas falsch gemacht, lieber Peer?

Keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Entwicklungsphase.

28.02.2015 Egging in the ‘hood

In kleiner Besetzung fand grippebedingt der letzte Spieleabend bei Moritz im Münchner Dreimühlenviertel statt. Dafür war die Altersspannweite der Spieler dort außergewöhnlich hoch: 55% eines ganzen Jahrhunderts!

1. Dragonscroll

Die Essen-Neuerscheinung der Lamont Brothers hatte sich Aaron zugelegt, weil er endlich auch ein Fragor-Spiel besitzen wollte, alleine schon wegen der aufwändig gestalteten Spielfiguren. In Essen gab es wie immer nur die vorbestellten Exemplare, so dass die angereisten Mitglieder der Lamont-Familie bereits am zweiten Tag ohne Spiele da saßen und sich bei schottischem Whiskey auf das Socializing beschränkten.

Wie erwartet, zeigte sich „Dragonscroll“, von der Ausstattung abgesehen, von der spielerisch eher schlichten Seite. Wir ziehen Landschaftskärtchen und erzeugen damit ein Gebiet aus Weiden, Wäldern und Gebirgen in denen sich gefährliche Zauberer, Ritter, Orcs, Elfen, Zwerge und … Ziegen tummeln. Okay, die Ziegen sind nicht wirklich gefährlich, obwohl sie sich als Schafe verkleidet haben und wir dürfen sie daher ohne Kampf einfach so verspeisen.

Beim Kampf dagegen verwenden wir unsere Feuerbälle und versuchen, die Bösewichte damit zu erwischen. Spieltechnisch werfen wir dazu eine Anzahl Holzkugeln (Feuerbälle) in den „Flammenden Turm des Todes“ und hoffen, dass sie auf der Seite des Turms wieder zum Vorschein kommen, auf der unsere Gegner abgebildet sind. Bald zeigte sich, dass bei uns die Vorderseite des Turms deutlich bevorzugt wird und damit die Orcs am einfachsten zu besiegen waren. Erst bei Spielende stellte sich heraus, dass das wohl Absicht ist, denn von den Orcs muss man für die gleiche Siegpunktzahl deutlich mehr besiegt haben als von den anderen Gegnern. Welche Gegner für einen selber besonders interessant sind, legt die zu Beginn des Spiels geheim an jeden Spieler verteilte Schicksalskarte fest.

„Dragonscroll“ spielt sich locker und ist durch seinen hohen Glücksanteil auch familiengeeignet. Leider ist die etwas sperrige Spielregel nicht jedermanns Sache und schreckt sicherlich den einen oder anderen Familienspieler ab. Gefallen hat uns der Mechanismus für die Sonderaktionen in jedem Zug, weniger gut fanden wir, dass die große Anzahl von Schriftrollenkarten im Spiel nicht wirklich von Bedeutung waren, da sie recht selten erfüllbar sind (oder haben wir nur zu viel Pech mit dem Flammenden Turm gehabt?).

WPG-Wertungen: haben wir vergessen zu erfassen

2. Egging

Moritz legte danach das Spiel „Egging“ auf den Tisch, das er von einem seiner Studenten(?) geschenkt bekommen hatte. Etwas skeptisch schauten wir auf das selbstgebastelte Spielmaterial mit Lauffeldern, Würfeln und vielen Karten.Egging

Wie sich schnell herausstellte, ist „Egging“ aber kein „Trivial Persuit“- oder „Mädn“-Klon sondern ein Spiel, das das Leben eines zeitgenössischen Komponisten versucht mit einem Augenzwinkern zu simulieren. Letztendlich geht es darum, bei Spielende die meisten Kompositionspunkte erworben zu haben. Ob das nun durch die Teilnahme an Wettbewerben, dem Veröffentlichen von Experimentalstücken oder dem Schreiben von Streichquartetten oder Opern für die ganz dicken Punkte geschieht, bleibt jedem selbst überlassen. Voraussetzung ist immer der Erwerb von Techniken und das Sammeln von Inspiration, ob nun bei der GEMA(!), im Untergrund oder an der Hochschule. Taktische Optionen gibt es genug.

Wie Moritz versicherte, ist der Autor kein Spieler. Deshalb ist es sehr bemerkenswert, wie hier ein recht kurzweiliges Spiel entstanden ist, das auch noch recht ausbalanciert erscheint. Spaß hat es auf jeden Fall gemacht, auch den Nicht-Komponisten am Tisch.

Ach ja, zum Titel des Spiels: das englische „egging“ bedeutet auf Deutsch in etwa „zu etwas anreizen“ und ist wohl ein stehender Begriff in Moritz‘ Kompositionsklasse mit Anspielung auf dessen Nachnamen.

WPG-Wertungen: haben wir vergessen zu erfassen

3. Lost Legacy: Binbo Tantei to Inbo no Shiro

Diese Doppelausgabe des Spiels konnte Aaron am ersten Tag in Essen noch gerade eben vor dem kompletten Ausverkaufs am „Japon Brand“ Stand erwerben. Ähnlich wie bei „Love Letter“ handelt es sich um ein minimalistisches Spiel mit nur 16 Karten. Jeder Spieler bekommt eine Karte bei Spielbeginn verdeckt auf die Hand und zieht, wenn er an der Reihe ist, eine weitere Karte nach. Dann muss er, genau wie bei „Love Letter“, eine der beiden Handkarten ausspielen und deren Aktion ausführen. Ist der Nachziehstapel aufgebraucht, kommt es zu einer Schlussrunde, in der der Reihe nach jeder Spieler einmal zeigen darf, wo die „Lost Legacy“-Karte mit dem Wert 5 liegt (im verdeckten Ablagestapel oder auf der Hand eines Spielers). „Der Reihe nach“ ist hier das wichtigste Element, denn es wird beginnend mit dem kleinsten Handkartenwert nacheinander jeder Spieler gefragt.

Das Spiel ist nur zu gewinnen, wenn man bei Spielende eine möglichst kleine Karte auf der Hand hat und im Laufe des Spiels die 5 auch schon gesehen hat. Das klingt jetzt ziemlich glückslastig und ist es auch. Aber wie bei „Love Letter“ dauert eine Runde zu wenige Minuten und damit hat das Spiel durchaus Absackerqualitäten.

WPG-Wertungen: haben wir vergessen zu erfassen

Welches Spiel ist das?

Wegen Grippe wurde diese Woche am Westpark pausiert. Moritz lud zu sich ins Glockenbackviertel ein, es hat sich aber noch keine zu einem Session-Report aufgeschwungen.
Dafür wurde über dem großen Teich beim Sohn des Hauses ein Spiel neu aufgelegt, das (fast) alles Westpark-Gamer-Herzen höher schlagen läßt. Frage an alle Ein- und Ausgeweihten: Welches war es?WasWirdHierGespielt

21.01.2015: Der Alchemist

Seit wievielen Jahrzehnten gibt es Neujahrskonzerte? Das Genre erlebt einen unwahrscheinlichen Boom. Das entsprechende Konzert der Wiener Philharmoniker wird mittlerweile bereits in 90 Länder übertragen. Und zweitausend Leute lassen ihre Sylvesterraketen stehen, nur um rechtzeitig um zehn Uhr Musikvereinssaal zu sein. Oder vor dem Fernseher.

Und weil der 1. Januar so kurz ist, und andere Orchester auch noch etwas von der Fernseh- und Publikums-Quote mitbekommen wollen, sind inzwischen auch Sylvesterkonzerte oder Drei-Königs-Konzerte wie Pilze aus dem Boden geschossen. Wer gar ein Neujahrs-Benefiz-Konzert veranstaltet, kann damit bis Ende Februar grassieren.

Was wird geboten? „Die faszinierenden und begeisternden Werken der Strauß-Dynastie“ sowie ihrer Zeitgenossen. So propagieren die Wiener Philharmoniker ihr Programm. Und am Ende steht immer und überall der Radecki-Marsch, bei dem das Publikum mitklatschen darf. Ist das nun „Klassik“? (Was immer man unter diesem Begriff musikalisch verstehen will.)

Muss man ein Philister sein, wenn man hierauf mit einem klaren „Nein“ antwortet? Ich tue es. Ich wundere mich über Orchester und Dirigenten von Weltrang, die den Flohwalzer noch flöhiger darbieten wollen als ihre Vorgänger. Und Moritz tut es auch. Er sagt sogar noch: „Die klassische Musik ist tot.“

1. “Die Alchemisten”

Aaron scannt sein alchemistisches Experiment
Aaron scannt sein alchemistisches Experiment

Die Welt ist aus acht verschiedenen Molekülen zusammengesetzt, nennen wir sie mal M1 bis M8, obwohl sie in der Alchemisten-Wirklichkeit natürlich klingendere Namen haben, wie z.B. Rabenfeder, Alraune oder Krötenbein. Jedes Molekül besteht aus genau je einem Atom von drei verschiedenen Elementen, der Einfachheit halber rot, grün und blau genannt. Jedes Atom ist entweder positiv oder negativ geladen. M1 könnte z.B. bestehen aus rot-plus, grün-plus und blau-minus. Wie Herr Binaeri schon vor 279 Jahren festgestellt hat, kann man aus 3 verschieden Elementen, die genau 2 verschiedene Ausprägungen besitzen – ohne Berücksichtigung der Reihenfolge – genau 23 = 8 verschiedene Moleküle herstellen. Und das sind genau unsere Moleküle M1 bis M8.

Unsere Aufgabe im „Alchemist“ besteht nun darin, herauszufinden, aus welchen Elementen sich jedes der acht angebotenen Moleküle zusammensetzt. Dazu dürfen wir aus jeweils zwei Molekülen ein Getränk brauen und das Ergebnis begutachten. Dazu wird ein Schema mitgeliefert:

  • Ist das Ergebnis z.B. rot und positiv, so waren die roten Atome in den beiden Molekülen positiv und eines groß, das andere klein. (Ach richtig, die Atome gibt es jeweils in großer und kleiner Ausführung, was man mit seinem Massenspektrometer berücksichtigen muss.)
  • Ist das Ergebnis z.B. blau und negativ, so waren die blauen Atome in den beiden Molekülen negativ und ebenfalls eines groß, das andere klein.
  • Alle anderen roten, grünen oder blauen Plus- oder Minus-Ergebnisse kann sich jeder entsprechend logisch herleiten.
  • Kommt als Ergebnis ein stinknormaler Tee heraus, dann haben sich alle Atome gegenseitig neutralisiert. Auch daraus kann man Schlussfolgerungen auf die Bestandteile der Moleküle anstellen. Wea ko dea ko!

Das nur zur eingebauten mathematischen Logik im Alchemisten. Ein unabdingbares intellektuelles Rüstzeug, das man für den Sieg verinnerlicht haben muss. Aaron brauchte knapp zwei (ZWEI) Stunden, um uns das nahe zu bringen. Und selbst dann hatte jeder von uns drei weitere Learning-by-Doing Stunden mit ständigen Rückfragen im Regelheft nötig, um einigermaßen zu wissen, wohin der Hase läuft. Das Ganze ist ja auch noch in ein äußerst solides Brettspiel verpackt, dessen reif durchkonstruierter Workerplacement-Mechanismus über sechs Runden geht:

  • Wir bestimmen in jeder Runde die Zugreihenfolge. Wer zuerst platzieren darf, bekommt am wenigsten Material (Moleküle oder Braugehilfen) mit auf die Reise.
  • Wir suchen uns 0 bis 2 Moleküle für unsere chemischen Brauereien aus
  • Wir verkaufen Moleküle gegen billiges bares Geld
  • Wir brauen aus je zwei Molekülen genau definierte Mixturen, die der Markt fordert und entsprechend hoch honoriert. (Wie bekommen wir nur innerhalb von sechs kurzen Spielrunden heraus, was aus unserem Zutaten entstehen wird?! Wenn die Mixtur nicht stimmt, bekommen wir nämlich gar nichts und sind Worker sowie Moleküle los!)
  • Wir kaufen für bares Geld bare Siegpunkte oder entsprechende Vorstufen dazu.
  • Wir testen, was aus zwei Molekülen entsteht.
    Und das ist ein geiler, neuartiger Gag im Spiel: Mit einer eigenes entwickelten Smartphone App scannen wir die Abbildungen der beiden Moleküle ein und bekommen dann das Ergebnis angezeigt.
    Natürlich ist es etwas umständlich, beim Scannen die beiden Moleküle so zu halten, dass kein Mitspieler sie sehen kann (, sonst würde er mit dem Ergebnis ja auch sein eigenes Wissen vermehren). Aber “Der Alchemist” stattet jeden Spieler mit einem trickreich konstruierten, komplizierten Gestell aus, das eine recht geheime Durchführung unserer Experimente erlaubt.
  • Wir veröffentlichen Analyse-Ergebnisse, d.h. wir behaupten, aus welchen farbigen Plus-Minus-Ladungen sich ein bestimmtes Molekül zusammensetzt.
    Wia im wirklichen wissenschaftlichen Betrieb ist es absolut nebensächlich, ob das Ergebnis stimmt oder nicht. Allein für die Veröffentlichung bekommen wir Geld und Ehre.
  • Wir bestreiten Angaben von veröffentlichen Analyse-Ergebnissen, d.h. wir zeigen an, welche der farbigen Plus-Minus-Ladungen falsch ist.
    Diese Aussage müssen wir jetzt wieder mit der neuartigen Smartphone-App verifizieren lassen und schon bekommt wir Geld und Ehre, während der Falsch-Veröffentlicher reichlich mit Schimpf und Schande bekleckert wird.

Wie schon gesagt, wir brauchten 5 Stunden für unser erstes Spiel, einschließlich Einführung. “Der Alchemist” hat schon etwas Faszinierendes an sich. Die eingebaute Logik ist high-sophisticated stimmig, das Spielmaterial umfangreich und qualitativ hochwertig. Die App für die Auswertung der chemischen Experimente ist witzig und es macht Spaß, sie zu bedienen. Aber das ist nicht alles.

Die Deduktion kommt entschieden zu kurz. Wenn man tatsächlich genau weiß, aus welchen Atomen sich ein bestimmtes Molekül zusammensetzt, dann ist diese Kombination gerade einem falschen Molekül zugeordnet und muss erst freigeschaufelt, d.h. angezweifelt werden. Was erstens Aktionen kosten und zweitens keinesfalls ein sicheres Unternehmen ist. Schlussendlich ist der Lohn einer sauberen Deduktion mit zuviel Workerplacement-Zufall und Chaos überdeckt. Wie sagte schon der Psalmist: „Unser Leben währet sieben Runden, und wenn es hoch kommt, so ist es doch bloß Mühe und Frust gewesen.“

WPG-Wertung: Aaron: 4 (Materiell eine Katastrophe, die Situation beim Veröffentlichen höchst unbefriedigend; das ist doch irre!), Günther: 5 (einschließlich eines Sympathie-Punktes für die App, die sehr schön und sinnig ist. Es fehlt eine Einführung ist die chemische Logik), Moritz: 5 (die Mechanismen sind solide, aber es gibt einfach Schwächen; die Kombination von Worker-Placement mit Deduktion ist nicht gelungen; Wenn wir das Spiel jetzt gleich noch einmal spielen würden, würde ich alles richtig machen, das Spiel würde mir trotzdem nicht gefallen), Walter: 6 (die Ingenieursleistung des Spiel-Autors ist 10 Punkte wert. Wenn man die Logik begriffen hat – habe ich leider erst in der Nach-Mitternacht-Diskussion – , können die verschiedenen Spielmechanismen, einschließlich eines gewissen Bluff-Elementes, ganz hübsch zusammenwirken.)

Warum Aarons Aussage zur „materiellen Katastrophe“: Zum Spielmaterial gehört für jeden Spieler ein Auswertezettel, in dem er sich die Ergebnisse seiner Experimente notieren und daraus Schlußfolgerungen ziehen kann. Dieser Zettel ist vom Farbdruck her sehr schlecht lesbar; alle älteren Semester, und das waren bei uns immerhin 75 % der Mitspieler, haben nach einer Lupe verlangt, um weiße Zahlen auf hellem Grund identifizieren zu können. Auch sonst wird man mit dem Auswertezettel, eigentlich dem Herzstück des Alchemisten, nicht richtig glücklich. Alles ist super, aber das Herz will einfach nicht schlagen.

14.01.2015: Krieg und Frieden

Wasser ist die einfachste chemische Verbindung aus den Elementen Sauerstoff und Wasserstoff, und als Flüssigkeit weitgehend farb-, geruch- und geschmacklos. So steht es bei Wikipedia. Trotzdem wird von Wasserwerken sehr gerne die Qualität ihres Wassers herausgestellt. Kann man die schmecken?

Moritz, der sich immer mehr auf das Sammeln und den Genuss von Whisky verlegt – 80 Flaschen soll er schon in seinem Keller haben – , hat jetzt gelesen, dass man a) guten Whisky nicht mit Wasser verdünnt und b) GUTEN Whisky durch die Zugabe von Highlander-Wasser aber doch noch BESSER macht.

Jetzt hat er sich für teures Geld solches Wasser zukommen lassen und genießt seinen Single Malt mit Wasser verblendet. Angeblich hat sogar ein Doppel-Blind-Versuch die besondere Geschmacksverbesserungskraft des Highlander Wasser bestätigt. Eine entsprechender Verifizierung am Westpark steht noch aus.

1. “Acht Minuten Imperium”

„Erobere die Welt in 8 Minuten“ lautet die Überschrift. Der nächste Satz darunter: „Dies ist das kürzeste Eroberungsspiel und dauert nicht länger als 20 Minuten.“ Herrschaftszeiten, muss man denn auf kürzestem Raum sich selber so schnell widersprechen? Oder sind wir durch permanente öffentliche Lügenberieselung schon so weit abgestumpft, dass uns solche Widersprüche gar nichts mehr ausmachen?

Dabei geht das „Acht Minuten Imperium“ wirklich angenehm schnell über die Bühne. Ob in 8 oder in 20 Minuten ist gar nicht so entscheidend. (Nur die marktschreierische Unwahrhaftigkeit kann das Blut in Wallung bringen.) Sechs Aktionskarten liegen offen aus. Wer am Zug ist, wählt sich eine davon aus, nimmt sie an sich und führt die entsprechende Aktion aus. Sie erlaubt

  • ein bis vier Spielsteine auf das Spielbrett, eine Welt aus Ländern und Kontinenten, zu bringen.
  • eine Stadt zu bauen. (Hier kann man später neue Spielsteine auf das Spielbrett bringen).
  • zwei bis Sechs Spielsteine auf dem Landweg zu versetzen.
  • zwei bis vier Spielsteine auf dem Seeweg zu versetzen.
  • einen Stein eines beliebigen Mitspielers vom Spielbrett zu entfernen.

Die Aktionskarten sind geordnet: die oberste Aktion zu wählen kostet nichts, alle anderen kosten etwas, und zwar umso mehr, je weiter unten eine Aktion liegt. Nach jeder Aktion werden die restlichen Aktionskarten nach oben zusammengeschoben und eine neue Aktionskarte unten angelegt.

Geld wird nicht nachgereicht; mit der Anfangsausstattung muss man über die Runden kommen. Aber bis auf wenige Ausnahmen sind die Aktionskarten gleichwertig; auch mit der obersten kostenlosten Karte kann man gut leben.

Siegpunkte gibt es am Ende nach acht Aktionen pro Spieler für

  • jedes Land, in dem man die Mehrheit hat.
  • jeden Kontinent, in dem man die Mehrheit hat.
  • jedes Set gleichartiger Aktionskarten.

Moritz gewann im Tie-Break als jüngster Spieler das blinde Bieten um den Startspieler. Er griff sofort zum Verschiffen, das kostenlos als oberste Aktionskarte angeboten wurde. Noch eine Stadtgründung auf dem neuen Kontinent, und, weil kein Mitspieler ihm geographisch auf die Pelle rücken wollte, brachten ihm das den unangefochtenen Sieg.

Frage: Ist das frühzeitige Verschiffen tatsächlich der Gewinnzug? Nach einer kontroversen Diskussion darüber und über andere vermeintliche Vorzüge und Nachteile des Spiels wurde zur Verifikation der Thesen ein weiteres Spiel angesetzt. Diesmal ersteigerte sich Walter für teures Geld die Startspielerposition und das erste Verschiffen. Genauso wie Moritz konnte er sich diesmal genüsslich auf dem neuen Kontinent ausbreiten, während die übrigen drei Spieler auf dem alten Kontinent dicht gedrängt sich gegenseitig auf die Füße traten. Wieder leitete das Verschiffen den Sieg ein.

Bis Günther Walter doch noch in die Suppe spucke. Er kam nachgeschifft, zunächst mal wirkungslos, d.h. ohne damit einen einzigen Siegpunkt zu bekommen oder wegzunehmen. Doch als allerletzte Aktionskarte wählte er die Erlaubnis, einen Stein eines beliebigen Mitspielers zu entfernen, und suchte sich dafür Walter als Opfer aus: So machte er ihn von geteilten Ersten zum geteilten Letzten. Kingmaker-Effekte besitzt das Spiel also auch. (Der zweite Letzte war Günther selber! Die King-Makerei wird also auch noch mit Selbstmord belohnt!)

WPG-Wertung: Aaron: 5 (großes Glückselement durch die zufällige Auslage der Aktionskarten), Günther: 6 (kurz, kleine taktische Entscheidungen bestimmen den Spielablauf, für einen richtigen Renner hat es – wahrscheinlich – nicht genug Vielfalt), Moritz: 8 (locker und schnell, für das, was es will, ist es absolut gelungen), Walter: 6 (hübsche Ideen, aber die Balance stimmt nicht: wenige krasse Karten geben den Ausschlag.)

2. “The Manhattan Projekt”

Das Manhattan-Projekt war ein militärisches Forschungsprojekt, in dem während des Zweiten Weltkrieges alle Tätigkeiten der USA zur Entwicklung und zum Bau einer Atombombe ausgeführt wurden.

In gleichnamigen Spiel von Brandon Tibbetts sollen wir diese Dinger nur nachbauen und höchstenfalls zu Testzwecken mal hochgehen lassen. Aber selbst das war Walter zu viel. Wenn Spieler „Amun Re“ boykottieren, weil darin fremden Göttern geopfert wird, darf man auch Spiele boykottieren, die dem gewissenlosen Moloch Militär huldigen. Ohne mich. Leichte Enttäuschung machte sich am Westpark breit, als Günther sein Spiel wieder einpacken musste.

Ist es innerhalb dieser Anti-Atomkriegs-Einstellung ein Widerspruch, kein Problem beim Niederknallen harmloser Holzpöppel oder beim Vernichten ganzer Armeen aus Holzwürfeln zu sehen?

3. “Historia”

HistoriaRecreate the last 12.000 years of history – Rivivi la storia dell’umanitá i 12000 anni – Lasst die letzten 12000 Jahre der Geschichte wieder auferstehen: so wird ein absolut abstraktes Spiel eingeleitet, in dem wir mit einem Set von Aktionskarten, die wir rundum nutzen und dabei geschickt reaktivieren, uns

  • technisch entwickeln
  • militärisch entwickeln
  • geographisch ausbreiten
  • Bonuskarten erwerben und nutzen
  • Nachbarn bekriegen. (Moritz: “Der friedlichste Kampfmechanismus, den ich je erlebt habe!”)
  • Siegpunkte erhandeln
  • Siegpunkte über unser Besitztum herunterregnen lassen

Gutes Spiel besteht darin, die Rundum-Nutzung der Aktionskarten so geschickt zu handhaben, dass man immer die richtigen Karten auf der Hand hat, um seine Zivilisation in die anvisierte Entwicklungsrichtung vorantreiben zu können.

Moritz setzte seinen Schwerpunkt auf die Bonuskarten, hier „Wunder“ genannt. Sie liefern Punkte für Aktionen, Mehrheiten oder Potenz. Auch besitzen sie jeder Menge innerer Abhängigkeit, so dass es eine Herausforderung ist, sich daraus eine Wunder-Maschine zu bauen, die pro Runde praktisch wie ein Goldesel mehr oder weniger jede Menge Siegpunkte auskackt. Virtuos meisterte Moritz diese Herausforderung. Bereits nach der ersten Epoche jonglierte er mit sechs, später mit acht, zehn und mehr Weltwundern herum, so dass den Mitspielern ganz schwindelig wurde. Sicherer Sieger. Etwas verwunderlich, warum Günther nicht auf diese Schiene aufgesprungen war. Bei Aaron und Walter war ja eh klar, dass der Aufbau und die Handhabung solcher Maschinen nicht zu ihren Vorlieben gehören.

Ansonsten besitzt das Spiel einige Geburtsfehler. Z.B. ist die regionale Ausbreitung in der Geographie recht unbefriedigend. Die Spieler tummeln sich hier ohne erkennbare Dominanzstrukturen herum und nehmen sich wollend oder nicht-wollend gegenseitig eine erhebliche Anzahl von Siegpunkten weg. Es ist mehr oder weniger Zufall, wer am Anfang hier ungeschoren davonkommt. Am Ende sind sie ohnehin alle geschoren.

Manche Spielelemente können von der Konstruktion her gar nicht ins Spiel kommen, so z.B. die Krieger der roten, gelben und blauen Fraktion. Es gibt keine Möglichkeit, diese bei Spielbeginn zur Seite gelegte Aktionskarte während des Spiels zu aktivieren.

WPG-Wertung: Aaron: 4 (die Mixtur ist interessant, aber funktioniert nicht), Günther: 5 (zuviel Fummelzeug, das Spiel hätte abgestrippt gehört), Moritz: 8 (viele schöne Ideen; ich werde mir das Spiel unbedingt zulegen), Walter: 5 (repetitiv und viel zu lang; die Gebiete funktionieren nicht, die Wunder mag ich nicht, der Krieger-Technik-Fortschritt ist trivial).

PS: Erneut bestätigte Erkenntnis am Westpark:

  1. Kickstarter-Produkte sind mit Vorsicht zu genießen.
  2. Spiele, die ab 1 (einem!) Spieler spielbar sind, sind ebenfalls mit Vorsicht zu genießen.