25.05.2016: Die Legenden von Karuba

Was kann man alles spielen?
Den strammen Max, den wilden Mann, den großen Herren, den Heiligen, die gekränkte Unschuld, den Anstandswauwau, die Vorreiterrolle, die zweite Geige, einen bösen Streich, eine Vermittlerrolle, die Hauptrolle, die beleidigte Leberwurst, den Verrückten.
Man kann mit dem Feuer spielen, mit dem Gedanken, mit jemandes Gefühlen, mit Worten und mit seinem Leben.
Spielen lassen kann man Beziehungen und seine Muskeln.
Das Ganze ergibt dann ein leichtes Spiel, ein doppeltes Spiel, ein falsches Spiel, ein abgekartetes Spiel. Ein gutes oder ein böses Spiel. Zu letzterem macht man dann eine böse bzw. eine gute Miene. In jedem Fall wird dabei viel aufs Spiel gesetzt.
Und daneben gibt es noch hunderttausend Brettspiele. Fangen wir an.

1. “The Legends of Helionoor”

In acht Schatzgruben wird nach Schätzen gegraben. Schätze sind Siegpunkt-Chips in einer Stückelung von 1 bis 10. Die höherwertigen Chips sind allerdings mit einen „Fluch“ belegt, wir müssen sie erst mittels niederwertigen „Heils-Chips“ oder durch andere aufwändige Prozeduren entfluchen, bevor wir ihre Siegpunkte aufs Konto kriegen.

Graben tun wir mit Grabkarten, die es in vier verschiedenen Farben und einer „Tiefe“ von 1 bis 10 gibt. Jeder Spieler hat acht Karten davon auf der Hand. Er „gräbt“, indem er eine oder beliebig viele Grabkarten zu einer der acht Schatzgruben legt. Die erste Karte dort bestimmt die Farbe, die alle weiteren Karten haben müssen, die er oder seine Mitspieler dorthin legen. Die „Tiefe“ gibt an, wie tief man bereits gegraben hat; alle nachfolgend angelegten Karten zu einer Grube müssen den gleichen oder einen höheren Tiefenwert haben.

In einer Runde dürfen wir alle acht unserer Grabkarten verspielen, wir dürfen uns aber noch welche aufbehalten und schon früher passen. Danach dürfen wir beliebig viele Karten abwerfen und für die nächste Runde unsere Kartenhand wieder auf acht Karten auffüllen.

DiggersGewertet werden in einer Runde zwei vorbestimmte der acht Schatzgruben. Es werden nur solche Gruben gewertet, bei denen mindestens vier Grabkarten angelegt wurden. Zur Wertung werden eine Anzahl Siegpunkt-Chips verdeckt aus einem Säckchen gezogen. Die Anzahl ist einerseits abhängig von der Anzahl der Spieler, die sich hier beim Graben beteiligt haben, und andererseits von ausgewählten Grabkarten, nach denen hier noch weitere „Schätze“ zutage gefördert werden. Von den ausliegenden Siegpunkt-Chips darf sich der Spieler, der als erstes hier zu graben angefangen hat, den ersten Schatz aneignen; dann kommt der zweite Spieler dran usw.; wenn alle Grabungsteilnehmer durch sind, und noch weitere Schätze offern liegen, darf wieder der erste Spieler zugreifen.

Nach sechs Runden ist das Spiel zu Ende, die verfluchten Siegpunkte sind geheilt oder nicht, je nachdem zählen sie zur Beute oder nicht. Der Spieler mit den meisten Siegpunkten hat gewonnen. (Wer hätte das gedacht?)

Allein dieser Ablauf ist schon taktisch genug. Doch das Spiel bietet ein ganze Reihe weiterer „nicht-linearer“ (euphemisch ausgedrückt) Elemente, die die taktische Ausrichtung aufweichen und das spielerische Element fördern. So kann man sich mittels bestimmter Grabkarten auch als Zu-Spät-Gekommener an einer Schatzgrube zum ersten Auswähler machen; man kann statt der beiden Schatzgruben, die für die nächste Wertung vorbestimmt sind, die nächsten beiden Schatzgruben werten lassen. Und ähnliches. Eine sehr gelungene Mischung von Zufallseinflüssen mit reichlich (aber nicht überreichlich!) gebotenem Denken und Taktieren in einem Höchstmaß an Interaktion und mit einem klaren spielerischem Gesamteindruck …

Was ich hier beschrieben habe, gibt es noch nicht zu kaufen. Wer feine Ohren hat, (mindestens so fein, dass er damit das Gras wachsen hört), konnte allerdings heraushören, dass es sich hier um Aarons „Diggers“ handelt. Schon am 30. Januar 2013 lag das Spiel in einem bereits spielbaren Zustand zum ersten Mal bei uns auf dem Tisch. Schon damals war es reizvoll in Geschwindigkeit und Taktik. (OK, die Geschwindigkeit hat jetzt etwas nachgelassen, es ist ja jetzt auch ein ausgewachsenes Brettspiel und kein reines Kartenspiel mehr.) Jetzt hat es einen gut drei Jahre dauernden Reifeprozess durchgemacht. Aus der Urversion, einem reinen Planspiel war es in Kooperation mit nördlichen Glücksrittern zwischenzeitlich zu einem reinen Chaosspiel ausgeartet, bis es mit Hilfe von kompetenten Köpfen aus dem „What’s your game“-Verlag die heutige gelungenen Balance gefunden hat. In Essen 2016 wird es erscheinen! Der Name ist noch offen, „Diggers“ wird es nicht heißen, eher etwas wie „Die Legende von …“ Ich habe hier in eigener Regie ein Kunstwort aus dem sonnigen Helios und dem berühmten Koh-i-noor eingefügt. Viel Erfolg!

Noch keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Entwicklungsphase.

2. “Karuba”

Ein realer Titel, ohne die fiktiven „Legenden“. Geschaffen von Rüdiger Dorn, ausgewählt unter die Kandidaten zum „Spiel des Jahres 2016“.

Jeder Spieler hat ein Dschungel-Areal aus fünf mal sechs wegelosen Rechtecken vor sich, durch das er vier Wege von jeweils einem Pöppel-besetzten Ausgangspunkt bis zu einem vorgegebenen Zielpunkt bahnen soll.

Karuba„Gebahnt“ wird, indem verdeckt Wegeplättchen gezogen werden, die entweder eine grade Strecke, eine Kurve, eine Wegegabelung oder eine Kreuzung beinhalten. Dieses Plättchen darf der Spieler auf ein beliebiges Rechteck in seinem Dschungel legen. Bestrebung ist es natürlich, die Plättchen so zu legen, dass ein möglichst effizientes Wegenetz entsteht, in dem auf möglichst kurzer Entfernung möglichst alle vier Zielpunkte angelaufen werden können.

Laufen muss man natürlich auch noch. Jeder Spieler darf das aktuell gezogene Wegeplättchen abwerfen und stattdessen mit einem seiner vier Pöppeln auf einem bereits von ihm gebahnten Wegstück ein paar Schritte in Richtung Ziel zurücklegen. Die Anzahl der erlaubten Schritte wird durch die Anzahl von Wege-Enden auf dem abgeworfenen Wegeplättchen bestimmt: eine einfache Strecke erlaubt 2 Schritte, eine Kreuzung deren gleich 4. Da heißt es ein bisschen abzuwägen, ob eine Kreuzung jetzt als ideal-passend für das Wegenetz eingelegt wird, oder lieber für vier Laufeinheiten abgeworfen wird.

Das ist aber noch nicht alles, was es zu bedenken gibt. Auf den Wegeplättchen sind Diamanten eingezeichnet, die ein Pöppel – als Siegpunkte – einsacken kann, wenn es daran vorbeikommt. Ein Argument mehr, das Plättchen für das Wegenetz und nicht für die Bewegung zu nutzen. Diamanten dürfen aber nicht „en passant“ einkassiert werden, auf ihnen endet die Vorwärtsbewegung eines Pöppel. Es nutzt also nichts, mit einer Kreuzung vier Schritte gehen zu dürfen, wenn nach einem einzigen Schritt bereits ein Diamant liegt, den man gerne auflesen möchte. Die Wegeplättchen mit Diamanten sollten also in solchen Entfernungen zueinander in das Dschungel-Areal gelegt werden, dass ein Pöppel effiziente Schrittfolgen zurücklegen kann.

Wer eine der vier vorgeschriebenen Strecken vollständig gebaut und mit seinem Pöppel durchschritten hat, bekommt eine erhebliche Siegpunkt-Prämie, die umso höher ist, je früher er vor seinen Mitspielern das Ziel erreicht hat. Es gilt also, ein ganze Reine von topologischen, metrischen und ökonischen Rahmenbedingungen unter einen Hut zu bringen.

Bemerkenswert ist, dass alle Spieler die gleichen Start- und Zielpunkte miteinander verbinden müssen, und alle bei jedem Zug das identische Wegestück nutzen müssen. Da könnte man doch vermuten, dass alle Spieler das gleiche tun. Damit würde sich das Spiel in einem total-symmetrischen Aktionismus verlaufen. Bei uns kam diese Symmetrie allerdings nicht vor, und auch der Autor Rüdiger Dorn hat uns glaubhaft versichert, dass er in seinen umfangreichen Testrunden „noch nie(!) am Ende des Spiels identische Wegenetze auf verschiedenen Spielertafeln gesehen“ hat. Offensichtlich sind die Menschen doch zu individuell in ihrem Denken und sehen gefühlsmäßig unterschiedliche Vorgehensweise als das für sie “Optimale” an. Zumindest liegt Plättchen-für-Plättchen die optimale Vorgehensweise nicht klar auf der Hand. Es gibt genügend Spielraum für ein gefühlsmäßiges bzw. spielerisches Optimieren. Dies ist einer der vielen Vorzüge dieses schnellen, kreativen, konstruktiven Spielchens.

Wir wünschen Rüdiger Dorn viel Glück in der Endausscheidung der Jury SdJ.

WPG-Wertung: Aaron: 7 (einschließlich 1 Rüdiger-Punkt, nette Taktik-Mischung für Risiko eingehen und Risiko auflösen), Günther: 7 (locker, leicht), Walter: 8 (einschließlich 1 Rüdiger-Punkt: rund und schnell, es gibt viele Schienen, große Zugfreizeit. Man kann immer denken, aber in einem so wohlabgesteckten Rahmen, dass daraus keine lästigen Wartezeiten entstehen. Zudem denken alle Spieler gleichzeitig.)

3. “3 sind eine zu viel”

Klingt auf den ersten Blick wie die Hälfte von „6 nimmt“, spielt sich auf den ersten Blick auch so. Jeder hat eine Anzahl von Handkarten mit Zahlen zwischen 1 und 89 auf der Hand. Jeder spielt reihum eine Karte davon aus und legt sie an die aus der Wertigkeit seiner Karte definierte Stelle in einer der drei offen ausliegenden Kartenstapeln auf dem Tisch. Enthält der betroffene Kartenstapel danach erst maximal drei Karten (plus die festbleibende Basiskarte 0, 30 oder 60), so passiert nichts. Ist die angelegte Karten die vierte Karte, so muss der Spieler von diesem Stapel alle Karten nehmen, die höher sind als seine Karte; ist die angelegte Karte die höchste Karte, so muss der Spieler die kleinste Karte nehmen.
Drei Unterschiede beim Kartenablegen im Vergleich zu „6 nimmt“

  1. Die Spieler ziehen und spielen reihum einzeln nacheinander ihre Karten, und ziehen sie nicht alle auf einmal.
  2. Kleinere Karten werden einfach an die zugehörige Position innerhalb eines Stapels gelegt, ohne dass man dafür gleich einen ganzen Stapel kassieren muss.
  3. Man “muss” (falls man muss) nicht den ganzen Stapel nehmen, sondern nur eine kleine, teilweise sogar auswählbare Portion davon. Es gibt kein Pulsieren zwischen total leeren und sich langsam füllenden Kartenstapeln auf den Tisch, die Stapel sind mehr oder weniger ständig gefüllt.

Die entscheidendsten Unterschiede gegenüber „6 nimmt“ ergeben sich aber aus der Siegpunkt-Wertung. Hier sind die Unterschiede allerdings so gravierend, dass sich ein total anderes Spielen und Spielgefühl ergibt:

  1. Die Spielkarten enthalten keine “Hornochsen” mit Strafpunkten, wenn man eine solche Karte abräumen musste
  2. Die Spielkarten sind in sieben verschiedenen Farben gehalten. Von jeder Farbe darf jeder Spieler straflos eine oder zwei Karten einkassieren. Sie bringen keine Minuspunkte, ganz im Gegenteil, sie sind 1 bzw. 5 Pluspunkte wert, wenn man sie bei Spielende besitzt.
  3. Wenn man von allen sieben Farben jeweils eine oder zwei Karten sammeln konnte, erhält man die gewaltige Siegpunktprämie von 10 Punkten.
  4. Erst wenn man von einer Farbe drei oder mehr Karten einstreichen musste, wird die gesamte Farbe temporär eliminiert, zählt auch nicht mehr für die Siegpunktprämie, und jede Karten bringt einen Strafpunkt ein. (Im weiteren Spielverlauf darf man natürlich wieder neu anfangen, diese Farbe zu sammeln.)

Alte „6-nimmt“-Hasen (wir) fangen „3 sind eine zu viel“ zunächst mal ganz falsch an. Sie versuchen auf Teufel komm’ raus zu vermeiden, dass sie überhaupt Karten einkassieren müssen. Erst nach einer Weile erkennen sie, dass einkassierte Karten ja zunächst mal Pluspunkte bedeuten. Dann versuchen sie auf Teufel komm’ raus möglichst viele Karten zu ergattern und damit verschiedene Farben-Pärchen zu bilden. Die Strafpunkte, die man bekommt, wenn ein Pärchen unglücklicherweise noch ein Kind bekommt, sind gering im Vergleich zu den Siepunkten für reine Pärchen.

WPG-Wertung: Aaron: 6 (nette Alternative zu „6 nimmt“ oder „Abluxxen“, nimmt hier aber – wegen seiner lästigen Art zu denken – erst die dritte Stelle ein. Man hat immer das Gefühl, man kann etwas machen, aber eigentlich kann man nur Fehler machen oder Fehler vermeiden, und zwar triviale bzw. mechanistische Fehler.), Günther: 7 ([zwischen 6 und 7] man könnte es lockerer spielen [als wir es getan haben], das Verleiten zum Ausrechnen der nächsten Züge macht es verkniffen), Walter: 6 (man kann rechnen, man muss rechnen, aber das wird nicht unbedingt auch belohnt).

Nachdem bei „6-nimmt“ schon vor Jahrzehnten unser Thomas d.J. hartnäckig die These vertreten hatte, man kann dieses Spiel auch gewinnen, wenn man seine eigenen Handkarten blind auswählt, haben wir diese Technik sogleich auch mal bei „3 ist eine zu viel“ ausprobiert. Was steht zu erwarten?

Keiner bekommt eine Prämie für den Zwischenbesitz aller sieben Farben. Auch am Ende bekommt keiner eine Prämie für den Endbesitz von sechs oder sieben Farben. Aber erstaunlicherweise konnten ALLE Spieler jeweils ca. 10 ihrer 18 Karten spielen, OHNE dabei eine einige Strafkarte einstecken zu müssen. Erst danach hagelte es ins Kontor. Fazit: Überlegt nicht so lange, wenn ihr euere ersten Karten spielt. Erst nach der Halbzeit spielt das (beschränkte) Kartenmanagement eine Rolle.