22.11.2017: Das Gaia Projekt

Bridge. Offene Bayerische Paarmeisterschaft 2017. Teilnehmen dürfen alle, gute wie schlechte Spieler, und natürlich auch Ehepaare, für die Bridge-Turniere generell eine erhöhte Scheidungsgefahr darstellen, wenn sie diese nicht durch ein in jahrzehnelangem Ehefrust angewachsenes mauerdickes Anti-Frust-Fell wegstecken können.

Das Ehepaar bekommt folgendes Blatt auf die Hand:

Süd (die Frau):
Pik: DB53
Coeur: –
Karo: AKD7653
Treff: D3

Nord (der Mann):
Pik: A62
Coeur: AKDB93
Karo: 8
Treff: AK7

7 SA fallen aus der Hand. Im Skat entspricht das einem Grand-Hand mit Vieren, Schneider-Schwarz angesagt!

Die Reizung ging ohne Feindeinwirkung:
1 Karo (SIE) – 2 Coeur (ER)
2 Pik (SIE) – 4 SA (ER) – pass – pass – pass

Im Skat entspricht das etwa, als ob man mit dem Grand-Blatt bis 46 reizen würde, um dann das Spiel dem Gegner für einen Nullouvert zu überlassen.

Michael, ein Gegenspieler, fragte die Frau nach Abschluss der Reizung, was der Sprung ihres Partners in 2 Coeur bedeutete. Antwort: „10-11 Punkte“. Dann fragte er weiter, was das 4 SA-Gebot bedeutete. IHRE Antwort: „Das will er spielen.“ Jetzt fragte Michael IHN, was sein 4-SA-Gebot bedeutete. Es ist schließlich ein Recht der Verteidigung, sich ein Bild von der Verteilung der Gegner machen zu können, soweit das aus deren Reizung hervorgehen kann. Ein ehrlicher (und guter) Spieler hätte jetzt eine ehrliche Aufklärung über sein Gebot gegeben, das doch zweifellos die As-Frage und nicht „zum Spielen“ war. SEINE Antwort: „Das will ich spielen!“ Nach zwei Stichen wurde auch IHM langsam klar, dass er jetzt jetzt alle 13 Stiche machen würde, und er sagte ziemlich gepresst zu IHR: „Das wollte ich NIE spielen.“ Darauf wandte sich Michael nochmals an IHN, wissend, lächelnd, aber auch vorwurfsvoll ob der ersten Lüge: „Sie haben doch gerade gesagt, das will ich spielen“! SEINE verquälte Antwort: „Das muss ich jetzt spielen!“

1. “Gaia Project”

Beim Aufbau des Gaia-Universums

Wieder so ein Spiel, mit dem sich die Autoren Ostertag und Drögemüller einen Doktorhut, wenn nicht gar den Nobelpreis verdient haben. Tausend Schräubchen haben sie an einer Spiel-Maschine angebracht, an denen wir drehen und ziehen können, um unsere Aktionen zur Besiedlung des Universums zu lenken und zu leiten, um eine strategische Planung umzusetzen und mit flexibler Taktik auf die jeweils neuen Gegebenheiten in der Spielsituation reagieren zu können.

Mehrere abgeschlossene Schwerpunktfelder für Planung und Aktion werden uns bereitgestellt, deren innere Logik wir erfassen und beherrschen müssen, um gegenüber unseren Mitkonkurrenten Erfolg zu haben.

  1. Das Spielbrett mit dem Weltall.
    Hier fliegen die Planeten umher, die wir besiedeln dürfen. Einige sind uns direkt zugeordnet, für andere fehlt uns zu Spielbeginn die Reichweite, wieder andere müssen wir erst mit einem gewissen “Terraforming” beackern, bevor sie für uns bewohnbar werden. Natürlich ackern unsere Mitspieler hier ebenfalls, und wie in vielen Bereichen des richtigen Leben ist es auch hier nützlich der Erste zu sein.
  2. Die Rundenbooster.
    Sie gewähren Vergünstigungen (Rohstoffe bzw. Siegpunkte) je nach den Aktionen, die wir in einer Runde durchführen, bzw. je nach dem Besitzstand, den wir am Ende einer Runde haben.
    Das zwangsweise Wechseln und Neuaussuchen der Booster in jeder Runde ist eine hübsche Erfindung.
    Es ist keine leichte Entscheidung, welches für uns gerade das beste oder wichtigste ist, und auf welche Booster unsere Mitspieler ebenfalls ziemlich scharf sind, so dass wir lange, u.U. sogar bis zum Spielende vergeblich darauf warten müssen, bis sie wieder verfügbar sind.
  3. Das Forschungstableau.
    Hier gibt es sechs Kriterien, in der wir unsere Fähigkeiten (z.B. Reichweite und Navigation) in sechs Stufen verbessern können, wobei wir uns mit jeder Stufe neue Vorteile für die Besiedelung des Universums erwerben.
  4. Basis-Technologien und Ausbautechnologien.
    Insgesamt 51 Kärtchen, davon 23 verschiedene, können wir erwerben, um unsere Aktionen und unseren Spielstand honorieren zu lassen.
  5. Rohstoffe und Potenzen
    Mit jeder Menge an Geld, Erzen, Wissenschaft, Intelligence Cubes, und Machtsteinen müssen wir jonglieren, um unsere Fahrten durch das All bestreiten, bis zu 18 Gebäude von fünf verschiedene Typen (von der einfachen Mine bis zum Regierungssitz) errichten und finanzieren zu können, und sie ggf. noch durch eine Satellitenstraße für weitere Siegpunktprämien zu verbinden.

Ach, was soll ich jetzt die ganzen 24 Seiten schönster Spielregeln referieren. Es ist alles gut beschrieben und auf dem reichlichen Spielmaterial durch Piktogramme bestens visualisiert. Man muss bloß richtig hinschauen. Überall hinschauen! Auf einer Fläche von einem Quadratmeter sind die ungezählten Brennpunkte des Spiels angeordnet, jedes Detail ist wichtig, jedes Detail bringt entweder uns, oder falls wie es übersehen, unseren Konkurrenten Vorteile im Vorwärtskommen. Alles ist rund, alles ist ausbalanziert. Alles muss optimal gehandelt werden. Überall fließt Schweiß. Dreieinhalb Stunden lang. Schönster, lobenswertester Spielerschweiß. Man muss es nur mögen.

Günther hatte auf Wissenschaft gesetzt. Das vermittelte ihm recht bald ein bequemes kostensloses Vorwärtskommen auf allen Leisten der Forschungstableaus. Nicht ohne Neid – wenn sie denn hinschauten – mussten seine Nachbarn diese Gabe der Natur auf ihn herabrieseln sehen. Nur Moritz blieb gelassen. Er hatte in der Startaufstellung die grünen Terraner bekommen. Seine Spezialaufgabe lag darin, die grünen Planeten zu besiedeln. Er absolvierte seine Aufgabe mit Bravour. Am Ende setzte er sich mit 142 Siegpunkten weit vor Günther und meilenweit vor den beiden anderen Mitstreitern ab. Zu Hilfe war ihm dabei gekommen, dass die grünen Planten in dem für die Schlußwertung zufällig gezogenen Wertungsplättchen nochmals honoriert wurden. Allerdings hatte er, nach eigenen Bekunden, schon das verwandte “Terra Mystica” tausendmal im Internet studiert und praktiziert, so dass er im Gaia Project auf bekannten Pfaden wandelte.

WPG-Wertung: Aaron: 7 (1 Punkt mehr als „Terra Mystica“, weil es besser ist und die Regeln griffiger sind), Günther: 9 („Terra Mystica“ war bereits super, „Gaia“ ist noch superer), Moritz: 9 (nicht origineller als „Terra Mystica“, aber besser, logischer und durchsichtiger, es gibt mehrere offene Siegstrategien, die man flexibel handhaben muss), Walter: 7 (für Freaks gewiß 9 Punkte wert, da es keinen Fehl und Tadel aufweist. Aber ist es auch spielerisch, lustig, schadenfreudig, und – abgesehen von der leichten Konkurrenz auch – interaktiv? Für mich nicht).

2. “Startups”

Ein kleines, reizvolles Kartenspiel mit einigen alten, aber auch einer zündenden neuen Idee. Wir ziehen reihum jeweils eine Karte in sechs verschiedenen Farben vom verdeckten Stapel oder von der offenen Auslage (sofern vorhanden) und nehmen diese in unsere Kartenhand auf, dann legen wir eine Karte aus der Hand zurück in die offene Auslage oder vor uns als unsere private Farb-Auslage.

Karten einer Farbe, von der wir mehr Karten in unserer privaten Auslage haben, als jeder andere Spieler, dürfen wir aus der offenen Auslage nicht nehmen. Den ersten beißen die Hunde, die letzten können hier problemlos zugreifen.

Am Ende, wenn der verdeckte Kartenstapel aufgebraucht ist, bekommen die Spieler für die Dominanz einer Farbe in ihrer privaten Auslage von jedem Mitspieler, der ebenfalls Karten dieser Farbe ausgelegt hat, einen dicken Strafzoll. Gleicher Mehrheitsbesitz an Farbkarten pattet sich auch; die Minderheiten müssen dann auch keine Strafzölle bezahlen.

Überraschend, was sich da tut. In fünf Minuten ist ein Durchgang zu Ende. Jeder darf einmal Startspieler sein, fünf mal vier = zwanzig Minuten Logik, Überraschung und Freude. Und auch ein bißchen Pech.

WPG-Wertung: Aaron: 8 (schnell und flüssig), Günther: 7, Moritz: 7 (ganz OK; man muss es locker sehen), Walter: 8 (oder 7; spielerisch, kurzweilig, interaktiv, vom Preis-Leistungsverhältnis her ein Spitzenspiel).

Frage an die Designer: Wenn jeder Spieler reihum die einzige Karten aus der offenen Auslage nimmt und eine andere Karte dafür hinlegt, aber nie eine weitere Karte vom verdeckten Stapel nimmt, dann hat das Spiel NIE ein Ende. Dafür ist in den Regeln nichts vorgesehen. Unnötig? Nie vorgekommen? Oder kein Platz mehr in der Spielanleitung?

3 Gedanken zu „22.11.2017: Das Gaia Projekt“

  1. Gaia Projekt konnte ich schon beim Herner Spielewahnsinn probespielen in einer Vorabversion. Damals war das Material noch etwas zusammengestückelt, das Spiel ansonsten aber vollständig. Leider hat sich der Verlag dazu entschieden, die eigenen drei Rohstoffsorten per Skala umzusetzen und nicht mit Holz- oder Pappmaterial.

    So habe ich allzu gerne bei Terra Mystica haptisch mit meinem Geld und meinen Arbeitern vorausgeplant, kleine Häufchen gebildet und diese hin- und hergeschoben. Solange bis es passte. Gerne auch mal Bluff-Häufchen gebildet, um die Mitspieler im Unklaren zu lassen. Das alles kann ich beim Gaia Projekt nicht mehr. Stattdessen muss diese Vorausplanung komplett theoretisiert im Geiste geschehen, denn am Ende meiner Überlegungen verschiebe ich nur drei Skalenwerte. Von der Haptik der Rohstoffplanung ist nichts mehr übrig geblieben. Aus Kostengründen hiess es damals.

    In Zeiten von Deluxe-Versionen für mich aber eine Fehlentscheidung, die dazu führt, dass ich Gaia Projekt nicht spielen mag. Heutzutage reichen eben schon kleine Dinge aus, um aus einem potentiell sehr guten Spiel, ein nur noch gutes Spiel zu machen. Da es aber ausreichend subjektiv bessere Spiele gibt, brauche ich keine “nur guten” Spiele mehr oder welche, bei denen ich als Spieler selbst nachbessern muss. Wen dieses Manko nicht stört, findet hingegen ein gute Terra Mystica Variante für Fortgeschrittene in dem Spiel.

    Cu / Ralf

  2. Warum “… grüne Terraner…”? -> Die sind blau -> der blaue Planet. Wenn die grün wären, müssten die ja den Gaia-Planet garnicht mehr umwandeln … !?

    Tournesol

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