21.10.2009: Feilen an der weichen Landung

Das Gros der Westpark-Gamer ist auf dem Weg nach Essen. Nur das Urgestein Aaron und Walter trafen sich als frischgebackene Frührentner, um über ihre künftige Zusammenarbeit beim Spieldesign oder Spielredesign zu reden. Die Gemahlin des Gastgebers bot sich sogar noch als dritter Mann für einen Skat an, doch die harte Arbeit an der Zukunft des deutschen Brettspiels ging vor.

1. Soft Landing
Als Objekt für das erste Feilen wurde “Soft Landing” ausgewählt, ein Spiel zum Selberbasteln aus dem Internet. Bei der ersten Begegnung hatten wir durchaus den Eindruck, daß das Spiel gute Ideen enthält, aber noch gewaltig holpert.
In einem Wirtschaftsspiel sollen wir als Global Player Waren produzieren und damit auf dem Weltmarkt Siegpunkte machen. Doch die Produktion ist zähflüssig, die Logistik zwischen Produktionsstätten und Lager unbefriedigend, die Dynamik beim Spielende abgeflacht und der Zufallseinfluß für ein Planspiel viel zu hoch.
Folgende Verbesserungen wurden im Stile eines guten Westpark-Gamers-Design einstimmig beschlossen und getestet:
a) Mehr Spielraum in der Produktion
Die eng begrenzten Lager-Kapazitäten werden aufgehoben. Beliebig viele Waren jeder Sorte können produziert, gelagert und von Runde zu Runde übertragen werden.
b) Eliminiation der Kingmakerei
Mit den Sondereigenschaften darf man nur eigene Spielsteine bewegen, nicht aber die von Mitspielern. Man kann keine fremden Spieler in Katastrophengebieten zusammenziehen, und man darf auch nicht den Lieblingsspieler aus dem Katastrophengebiet retten, während man den Lieblingsgegner dort untergehen läßt.
c) Reduzierter Zufallseinfluß
a) Der Eintritt von Katastrophen ist nicht mehr vom Ergebnis dreier Würfel mit einer Schwankungsbreite von 3 bis 18 abhängig, sondern tritt ganz definiert auf, wenn sich eine feste Anzahl von Spielsteinen im jeweiligen Katastrophengebiet befindet. Angemessen ist dafür bei kleinen Katastrophen die Anzahl der Mitspieler plus 1, und bei großen die doppelte Spieleranzahl.
b) Von den Siegpunkten für die “New Era” profitiert nicht nur der Spieler, der zufällig gerade die meisten Steine in diesem Feld abgelegt hat, wobei hier sogar noch ein additiver Würfelwurf dem Zufall Tür und Tor öffnet, sondern alle Spieler erhalten so viele Siegpunkte, wie sie hier Steine deponiert haben.
d) Keine Dynamikbremse gegen Spielende
– Die Preise für einen Siegpunkt steigen nicht von 1 Ware am Spielanfang bis zu 5 Waren am Spielende, sondern bleiben konstant bei 1 bis 3 Waren.
– Die vergebenen Siegpunkte für das Nutzen von Sondereigenschaften fallen nicht unter ein Minimum, das in der Endphase oft genug bei Null liegt, sondern sie werden zu Begin jeder Runde auf mindestens einen Siegpunkt angehoben. Zusätzlich werden nicht nur Spielerzahl/2 neue Siegpunkte, sondern jeweils Spielerzahl neue Siegpunkte (jeder Spieler legt einen) auf die Attributfelder gelegt.
e) Reduzierung des Behindertenbonus
In der Originalfassung darf allein der am weitesten hinten liegende Spieler die zusätzlichen Siegpunkte beliebig auf die Attributfelder verteilen. Natürlich berücksichtigt er dabei ausschließlich seine eigenen Sondereigenschaften, und da er auch noch in der Zugreihenfolge vorne liegt, ist seine Siegpunktausbeute allein aus diesem “Behindertenbonus” heraus leicht um vier Siegpunkte höher als die seiner Mitspieler. Das ist vom Prinzip her zwar eine gute Idee, in der Ausführung aber viel zu kraß. Der Bonus soll doch die Spielerpositionen nicht völlig auf den Kopf stellen. Nach der Originalregel dümpeln die vorderen Spieler in dieser Phase nur noch vor sich hin und kommen kaum einen Siegpunkt vorwärts.
Von den, bei 4 Spielern, vier neuen Siegpunkten – gemäß Punkt d) – darf jeder Mitspieler einen Punkt auf das Attributfeld seiner Wahl legen. Der letzte Spieler profitiert dann immer noch davon, daß er als erster ziehen darf und pro so Attributfeld die meisten Siegpunkte abkassieren darf.
f) Weniger Denkzeit zwischen den Zügen
Mit diesen Regeländerungen ist das Spiel gerechter und berechenbarer. Da hiermit aber auch die Denkzeit für jeden Spieler steigt, und das den anderen auf die Nerven fallen kann, darf in der Aktionsphase jeder Spieler reihum immer nur einen Zug machen, bis alle passen. Das bringt gleich drei Vorteile mit sich:
– Jeder Spieler braucht bloß den nächsten Zug vorauszudenken und nicht gleich alle seine 10 und mehr Züge in den vier Aktionsphasen Use-special-abilities, Trade, Streß und Purchase.
– Die anderen Spieler kommen schneller wieder an die Reihe.
– Die untragbar extreme Benachteiligung der vorderen Spieler bei den sinkenden Preisen auf den Attributfeldern entfällt.
g) Fazit
Mit diesen Änderungen können vier gründlich planende Spieler in weniger als 2 Stunden ein anspruchsvolles Wirtschaftspiel über die Runden bringen. Über weitere Möglichkeiten der Spielzeitverkürzung wird nachgedacht.

2. Wünnenbergs “Quitt”
Zum Absacken noch ein 2-Personen Strategiespiel aus dem Wünnenberg Verlag Dortmund. Der Verlag hat vor rund einem Jahrzehnt in einheitlicher Aufmachung insgesamt rund 50 solcher “Spiele der Welt” herausgebracht, ist damit aber offensichtlich nicht über die Runden gekommen. Bei Luding ist kein einziges davon rezensiert und Quitt fehlt vollständig.
In “Quitt” wird ein quadratisches 7 mal 7 Felder großes Spielbrett diagonal zwischen die Spieler gelegt. Jeder Spieler besetzt mit seinen 15 Spielsteinen die ihm zugewandte Ecke. Die Spieler ziehen geradeaus oder schräg vorwärts auf benachbarte freie Felder. Steht ein Stein unmittelbar vor einem gegnerischen Stein und ist das dahinterliegende Feld frei, so muß der Gegner diesen Stein schlagen. Wer als erster keine Steine mehr hat, hat gewonnen.
Unklar in den Regeln blieb, ob man auch rückwärts schlagen darf. Wenn das nicht der Fall ist, dann befinden sich früher oder später hinter beiden gegnerischen Reihen Steine, die nicht mehr geschlagen werden können. Das Spielziel, nämlich “der Verlust aller eigenen Steine” ist somit oft genug für keine der beiden Seiten erreichbar. Was dann?
Keine WPG-Wertung

Ein Gedanke zu „21.10.2009: Feilen an der weichen Landung“

  1. Nach den konstruktiven Verbesserungsversuchen jetzt noch ein paar grundsätzliche destruktive Kritikpunkte zu “Soft Landing”:
    1) Beispiel “Marktmanipulation” : Ich kann an 3 Schräubchen drehen, darf aber bloß eine davon nutzen, zwei Schräubchen drehe ich ausschließlich für andere. Damit verbrauche ich unnötig Denkzeit, um mir zu überlegen, wie ich den anderen am meisten schade bzw. ihnen am wenigsten nutze, und deren Effekte in der Summe der Mitspieler noch dazu oft genug unerheblich sind. Konsequenz: Eingeschränkte Zielstrebigkeit, mangelnder Drive.
    Design Regel 1: Konstruiere Dein Spiel so, daß alle Effekte der einzelnen Spielzüge eine klare positive Auswirkung auf Deinen eigenen Spielstand haben und ggf. eine klare negative Wirkung auf den Spielstand anderer. Vermeide Spielzüge, die ausschließlich den potentiellen Wirkungsgrad der Mitspielerzüge nur vage beeinflussen.
    2) Asymmetrische Startaufstellung: Jeder wählt sich zu Beginn eine fixe Wirtschaftsregion mit gegebenen Produktionskonstanten aus, und muß anschließend darin werkeln. Die stark unterschiedlichen Wirtschaftszusammenhänge in Produktion und Sonderereigenschaften in den verschiedenen Regionen stellen jeden vor ein anderes Optimierungsproblem. Der Autor hat hierbei zwar versucht, diese individuellen Optimierungsaufgaben auszubalancieren, doch ob das ganz gelungen ist, mag bezweifelt werden. Jeder muß singulär seine eigene Aufgabe lösen, Wettbewerb und Interaktion sind verschwindend gering.
    Design Regel 2 (geboren aus meinen ureigenen Spielvorlieben): Setze die Spieler nicht a priori unterschiedlichen Mechanismen aus, die sie nicht mehr beeinflussen, und denen sie nicht entkommen können. (Das ist ein deutliches Plädoyer gegen z.B. “Britannia”!) Jeder Spieler soll sich mit seinen Spielzügen flexibel in jede Rolle des Spieldesign hineinmanövrieren können.
    3) Spielerische Linie: Sie fehlt im gesamten Design. Jeder Mitspieler kämpft um die Effizienz seiner Züge, doch gespielt wird eigentlich nirgends. Die Unberechenbarkeit der ausgewürfelten Produktion schafft zwar ein gewisses Chaos, aber noch kein spielerisches Element.
    Frage: Was macht eigentlich eine Brett-Material-Aufbau-und-Manipulierungs-Aufgabe zu einem SPIEL??!!

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