21.09.2010: Buße für den Dammbruch

Andrea ist katholische Kölnerin und assoziiert mit Protestanten (igitt!) die sauertöpfischen Nichtlacher aus Europas Norden. Walter stammt aus protestantischem Hause in Franken und assoziiert mit Katholiken die Drauflos-Lebenden, die sich niemals um die (In-)Konsistenz zwischen Lehre und Leben geschert haben: Wallfahrten und sündigen, in jeder beliebigen Reihenfolge.
Warum diese Einleitung? Nun ja, das Schlüsselspiel des heutigen Abends drehte sich um das Gut- und Böse-Sein. Und auf diesem Gebiet besitzen die Vertreter der beiden großen deutschen Volkskirchen garantiert keine gemeinsamen Gene.
1. “Das kalte Herz”
Moritz’ aktuelle Spielentwicklung hat die nächste Umdrehung in einer nach oben offenen Spiralbewegung zurückgelegt und wurde erneut zur Begutachtung aufgetischt. Wir sind immer noch Holzfäller und Flößer frei nach Wilhelm Hauffs gleichnamiger Erzählung.
Wesentliche Änderungen gegenüber der Vorgängerversion (siehe Spielbericht vom 8. September diesen Jahres):
a) In der Startaufstellung gibt es bereits ausreichend Holz vor der Hüttn bzw. in der Nagold.
b) Alles Holz gehört jedermann und kann von allen für den gleichen Erlös bewegt, entstaut und geflößt werden.
c) Geld und Siegpunkte sind während des Spiels nicht ineinander konvertierbar. Nur am Spielende liefert das Restgeld einen additiven Siegpunkt-Betrag.
d) Die individuellen Ereigniskarten sind verschwunden. Dafür gibt es jetzt für alle Mitspieler gültige Saisonkarten, die den Spielraum innerhalb der Aktionen einer Runde bestimmen.
e) Die Arbeiter können an jeder beliebigen Stelle des Spielbrettes eingesetzt werden.
f) Alle Aktionen (Holz fällen, Stämme bewegen, Staudämme öffnen, Flöße binden und Flöße verkaufen) können jetzt auch ohne Arbeiter ausgeführt werden.
g) Man kann immer noch beten. Doch steigt man dafür nicht linear auf der Frömmigkeitsskala, sondern bekommt Ablaßzettel, die erst als Bündel in Frömmigkeit umgesetzt werden können.
Nach der Quintessenz von Hauff’s Märchen sind wir sind immer noch gut und böse und können böse Aktionen durchführen, die uns in den Sündenpfuhl drücken, oder Ablaß erwerben, um uns wieder daraus zu erheben.
Dieser typisch katholische Mechanismus löste zwischen Andrea und Walter eine fortwährende konstruktive Diskussion aus, welche Spielzüge protestantisch und welche katholisch sind. Buße tun, um das kalte Herz zu erwärmen, ist protestantisch. Buße tun, um in der Frömmigkeitsskala nach oben zu steigen, ist katholisch. A priori Buße-Tun ist protestantisch, hat doch schon Luther in seiner ersten These formuliert, daß das ganze Leben der Gläubigen eine stete Buße sein soll. Hingegen aus einem wohldefinierten Grund Buße zu tun hat, ist katholisch. Schließlich hat man bei Spiel und Tanz, wenn nicht gar auf dem Oktoberfest, erst einmal gehörig gesündigt. Und schließlich will man sich damit einen klar quantifizierten und ausgewiesenen Zeitanteil Seelenpein im Fegefeuer ersparen. Katholiken tun Buße, weil sie gut werden wollen. Protestanten tun Buße, weil sie gut sind. Oder weil sie böse sind von Jugend auf. Usw.
Auch wenn diese Diskussion nur ganz leise und in einer abseitigen Tischecke geführt wurde, wurde sie von Aaron deutlich kritisiert. Als Unhöflichkeit gegenüber dem Autor. Walters Einwand: Das Spiel bietet zu wenig Motivation etwas zu tun. Alle Aktionen, die man tun darf, kosten a) Geld und b) bringen vor allem unmittelbar dem Nachfolger etwas ein. Ein eigener Nutzen ist erst mit weiterer unfreiwilliger und nicht vorhersehbarer Anschiebhilfe durch die Mitspieler zu erzielen.
Moritz sah das sofort ein: Er schlug einen neuen Spielanfang vor mit einer ad hoc-Modifikation der Spielregeln.
a) Die einzelnen Aktionen dürfen (wieder) erst nur dann getan werden, wenn man einen Arbeiter zur Stelle hat. (Allerdings ist die Beweglichkeit der Arbeiter noch sehr hoch. Diese Einschränkung des Aktionsspielraums muß noch weiter verstärkt werden.)
b) Die Baumstämme in den Flüssen bewegen sich automatisch, d.h. jeder Spieler darf / muss standardmäßig pro Zug eine Portion Stämme bewegen.
(Frage: Warum bilden die Holzstämme immer noch so dicke Pakete. Warum schwimmen auf den einzelnen Flußabschnitten nicht immer nur einzelne Baumstämme die Nagold hinab?)
Jetzt war die allgemeine Dammbewegung gestoppt und jeder Spieler mußte Arbeiter bringen, um aktiv ins Spielgeschehen eingreifen zu können. Dammbrüche erfolgten nur noch mit manuellem Zutun. Auch die Buß-Diskussion war unverzüglich gestoppt. Schließlich gab es jetzt genug eigene Züge zu planen und fremde Züge zu beobachten, um am Damm zu bleiben. Doch noch immer ist man nur begrenzt seines eigenen Glückes Schmied. Immer noch braucht man die Hilfe der Mitspieler um die Dämme oder die Flösselände voller Baumstämme zu bekommen und damit lukrativ handeln zu können.
Doch immerhin gab es zum ersten Mal, seit wir am kalten Herzen operieren, reichlich Flöße mit üppigen Erträgen, die strahlende Mienen bei den glücklichen (oder fähigen) Holzhändlern hervorriefen. Doch es gibt noch viel zu balancieren. Nach 4 Stunden eifriger Holzfällerei waren wir alle erst einmal gründlich geschafft.
Fazit:
Moritz war mit der Spiellänge zufrieden. Es hat sich viel bewegt und alle Spielelemente waren angesprochen worden.
Aaron vermißte noch eine gehörige Portion Interaktion. Streckenweise war die unvermeidliche Denkzeit auch über Gebühr lang.
Andrea war mit der gelungenen Themenumsetzung beim Gut-Böse-Prinzip zufrieden. Ihr gefiel auch das Kosten-Steigerungsprinzip bei den Saisonkarten.
Hans setzte seine Kritk an den Geschwindigkeitsverhältnissen im Spieldesign an: z.B. sind die Arbeiter zu langsam und die Flüsse zu schnell.
Walter spielte nicht gerne den Schmied vom fremden Glück.
Noch keine WPG-Wertung.
2. “R-Öko”
Die mentale Energie reichte mit „R-Öko“ nur noch zu einem leichten Absacker-Kartenspiel, das am Westpark schon zweimal gefallen konnte.
Jeder hat 1-5 Karten in den Farben rot-grün-gelb-blau der Hand und legt davon pro Zug 1-5 Karten einer Farbe an die „Müllseite“ des passenden gleichfarbigen Stapel in der Mitte des Tischen und bekommt dafür die Karten von der „Recycling“-Seite dieses Stapels. Liegen mindestens 4 Karten auf der Müllseite, bekommt man die oberste Karte des Stapels, die Plus- oder Minuspunkte in der Endabrechung bedeuten.
Kartenpflege (durch Ablegen am „richtigen“ Stapel zum Aufnehmen der „richtigen“ Recycling-Karten) ist durchaus interessant, doch was letztendlich in der Auslage geboten ist, wird stark vom Kartenzufall bestimmt.
Moritz schätzte den „Glücksfaktor“ auf 60-70%. Womit er sicherlich ganz gut liegt. Wobei wir aber immer noch nicht wissen, wie der „Glücksfaktor“ überhaupt definiert ist.
WPG-Wertung: Andrea (7), Hans (6) und Moritz (6) blieben mit ihrern Noten ganz nah am aktuellen Notendurchschnitt.

Ein Gedanke zu „21.09.2010: Buße für den Dammbruch“

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