02.07.2014: Schwindel mit dem Schwindel

Aus gegebenem Anlass:
Wenn die schlichtbemittelte Notärztin behauptet, dein plötzlich aufgetretener und leider schon seit Stunden anhaltender Schwindel sei eine Magen-Darm-Infektion, glaube ihr nicht. Lass sie davontraben.

Wenn die professionelle HNO-Ärztin konstatiert, der Schwindel gehe von alleine vorbei, dann hat sie – vielleicht – recht. Wenn sie aber zum leichteren Aushalten der Symptome auch noch ein Anti-Schwindel-Mittel auf narkotischer Basis verschreibt, nimmt es nicht ein. Es ist für die Selbstheilung des Gleichgewichtsorgans kontraproduktiv.

Wenn ein mitfühlender Freund dich beruhigt: „Meine Mutter hat diesen Schwindel seit ca. 10 Jahren, seitdem kann sie nicht mehr alleine gehen!“, vergiss es! Sein nachgeschobener Satz: „Schwindel ist zusammen mit Tinnitus eins der großen Themen in der Medizin bei denen meist völlige Ahnungslosigkeit seitens der Ärzte zutage tritt“ mag zutreffen. Oder auch nicht. Die Hilfestellung dieser Bemerkungen ist unbestritten.

Könnte man mit dem Thema der alltäglichen ärztlichen (Fehl-)Diagnosen nicht ein super Spiel erfinden. Der erst kürzlich inkriminierte Satz aus der Spielbox zu einem Anwärter auf den SdJ-Titel passt wie die Faust aufs Auge: „Das Spiel … hat einen hübschen Spannungsbogen, läßt sich ein klein wenig beeinflussen und hat dennoch einen so großen Glücksanteil, dass es sowohl als Familienspiel wie auch als witzig chaotischer Absacker durchgeht.“

1. “Race for the Galaxy”
Ein Maultier im Pferdegeschirr, will sagen: ein Kartenspiel (und nichts als ein Kartenspiel) in einem ausgewachsenen Brettspielkarton! Das einzige Spielmaterial, das den Rahmen eines normalen Skat-Päckchens sprengt, sind Regelheft und Spielhilfen. Aber das hätte man auch kleiner hinkriegen können.

Das bereits 2007 erschienene Spiel von Tom Lehmann hat einige Ehrungen eingeheimst: Eingereiht in „Top du Classement“ bei TricTrac und auf der „Ewigen Bestenliste“ vom Österreichischen Spielepreis, Nominee für den International Gamers Award 2008 und Dritte bei „Japan Boardgame Prize 2008“. Aaron hatte auch bei BGG viel Gutes darüber gelesen und das Spiel bestellt. Es ist nur noch als englische Ausgabe lieferbar.

Jeder bekommt einen festen Satz von (identischen) Aktionskarten und zieht im Laufe des Spiels massig viele verschiedene Baukarten. Pro Runde wählen wir verdeckt eine unserer Aktionskarten, und alle decken sie gleichzeitig auf. Damit steuern wir, ob wir

  • neue Baukarten vom verdeckten Stapel ziehen und auf die Hand nehmen
  • Baukarten aus der Hand als neue Fähigkeiten auslegen
  • Baukarten aus der Hand als neues Gelände auslegen
  • auf unsere Geländekarten Güterkarten (= Baukarten mit der Rückseite nach oben) legen dürfen
  • Güterkarten gegen Baukarten eintauschen

Fähigkeiten und Grundstücke müssen auch noch mit Baukarten bezahlt werden. Nur militärische Grundstücke kosten nix; um sie auslegen zu dürfen, braucht man aber jeweils eine militärische Mindeststärke, die man allerdings nur peut à peut erwerben erwerben kann.

Alle ausliegenden Karten bringen a) Siegpunkte und b) Vorteile beim Erwerben und Auslegen weiterer Baukarten: Ziehen zusätzlicher Baukarten, billiger bauen dürfen, zusätzliche Militärstärke, besserer Umtauschkurs von Güterkarten in Baukarten und ähnliches. Die Kombinationsmöglichkeiten der unterschiedlichen Vorteile sind ungezählt.

Bemerkenswert ist das Ausspielen der Aktionskarten. Jede Aktion, die ein Spieler gewählt hat, dürfen allen anderen Spieler auch ausführen. Aktionen, die keiner ausgewählt hat, finden nicht statt. In diesem Mechanismus liegt auch eine gewisse (die einzige!) Interaktion des Spiels (wenn man das überhaupt so nennen will!): man darf vorauszuahnen, welche Aktionskarten die Mitspieler wohl auswählen werden, um bei dieser Aktion als Trittbrettfahrer dabei zu sein, eine andere Karte zu wählen und dadurch ein (halbes) Tempo zu gewinnen. Immerhin.

Aaron hatte sich für das Militär entschieden und seine Militärstärke schnell auf ein omnipotentes Niveau gehoben. In der Endphase – wie könnte es bei ihm auch andere sein – zog er allerdings keine weiteren Baukarten mit militärischem Gelände. Sein Overkill-Potential verpuffte im Leerlauf. Günther war auch auf das Militär ausgegangen, er zog dann auch noch die richtigen Entwicklungskarten mit tollen Vorteilen bei Aktionen und Schlußabrechnung. Mit nahezu der doppelten Spiegpunktzahl gegenüber seinen beiden Mitspielern konnte er sich aufs Treppchen schwingen.

WPG-Wertung: Aaron: 6 (Hab mir das Spiel anders vorgestellt, es ist völlig unnötig aufgeblasen), Günther: 6 (das Spiel ist nicht meines, das Aufmotzen der Ideen von „San Juan“ macht kein besseres Spiel), Walter: 4 (sehr subjektiv; mag solche Optimierungs-Irrgärten einfach nicht; die Hoffnung beim nächsten Mal bessere Karten zu ziehen, erzeugt noch lange keinen Wiederspielreiz)

2. “Istanbul”
Vor zwei Wochen lag das gut strukturierte, flotte Spielchen um Wandeln und Handeln auf den Märkten von Istanbul zum ersten Mal bei uns auf dem Tisch. Von Mal zu Mal wird man klüger und kann sich einen besseren Plan für sein Vorgehen zurechtlegen.

Achtet auf die Möglichkeiten, blaue Waren zu bekommen! Es gibt viel mehr davon als nur das Postamt und den Schwarzmarkt. Auch das Ausnutzen spontaner Optionen wie Schmuggler und „andere Familienmitglieder“ gehört dazu, und zu einem erfolgreichen Gesamtplan.

Auch in „Istanbul“ gilt es – wie in „Race for the Galaxy“ -, eine große Vielfalt von Abläufen zu optimieren; doch ich empfinde es fast als Sakrileg, diese beiden Spiele in einem einzigen Atemzug zu nennen. Hier liegt das ganze Optimierungsschema von vornherein offen vor uns, und wird nicht erst durch neue und zufällig gezogene Karten, aufgebaut. Die Abläufe sind überschaubar und durch die graphische Gestaltung des Spielplans mnemotechnisch vorzüglich unterstützt. Dort … ach, was soll ich weiter Mäuse mit Elefanten vergleichen …

Diesmal konnte Aaron das Spiel im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte zu Ende spielen und es gefiel ihm gleich noch besser.

WPG-Wertung: Aaron: 8 (von bisher 7: Das Spiel ist schon sehr schön; wenn dieses Spiel auch noch „Kennerspiel des Jahres“ wird, bin ich versöhnt mit der Wahl von jedem beliebigen S… zum “Spiel des Jahres”), Günther: 8 (bleibt), Walter 8 (bisher 7, das Spiel ist einfach rund, spielerisch, planbar, und enthält wohldosierte Glückseffekte).

“Heimlich & Co” in der Camel-Up-Variante “Up & Co”
“Heimlich & Co” in der Camel-Up-Variante “Up & Co”

3. “Heimlich & Co”

Über das Lamentieren und Schwärmen beim Durchgehen der Liste aller Preisträger von „Spiel des Jahres“ seit 1979 gerieten wir zu diesem Preisträger von 1986. Walter hatte noch ein jungfräulich verschweißtes Original von Ravensburger im Schrank, und alle waren mit Freude zum ersten Spatenstich bereit.

Beim Suchen im Internet nach Informationen zur aktuellen Spielpositionierung stieß Aaron auf die Verkaufswerbung für die Neuauflage von Amigo:

Number of players: 2-7 Playing time people over 8 years old: Age Group: 45 minutes
It is a remake of the game that won the German Game Awards year 1986.
The hidden Supaikoma which they are responsible is whether the which, while to avoid Barre to other players, But we must complete the game score is higher is their last.
Variation two rules is also provided, which is as a rule enjoy a variety with and reasoning in the game the way, and adjustment of difficulty.

Auf eine Rückwärtsübersetzung in gleichgutes Schriftdeutsch wird jetzt verzichtet. Immerhin hat der Google Translator erkannt, dass „Supaikoma“ Litauisch ist und im Deutschen mit dem gleiche Fachausdruck übersetzt wird …

Welch ein schönes Spiel! Welche hübschen Ideen sind hier eingebaut! Würfeln – aber nur spielerisch, ohne essentielle Bedeutung, Bluff und Einfühlungsvermögen, absolut spielimmanente Möglichkeiten zum Beschleunigen und zum Verlangsamen. Aaron: „Es hat schon Charme, mit so wenigen Elementen eine so hübsche spielerische Wirklung zu entfalten.”

WPG-Wertung: Aaron: hob seine bisherigen 6 Punkte auf 7 (Widerlegung unserer Altersdiskussion: es ist keinesfalls so, dass mit steigenem Alter die vergebenen Noten immer schlechter werden), Günther blieb bei 7, Walter bei 8.

4. “Up & Co”
Nach dem ersten Spiel schlug Günther gleich die „Camel-Up“ Version vom „Heimlich & Co“ vor: Die Detektive können huckepack aufsitzen und gemeinsam über den Parcours bewegt werden.

Das Spiel wird noch schneller (weil mehrere zurückgefallene Detektive gemeinsam als Sammelladung wieder Anschluß finden können) und für die Tarnung des eigenen Spielers gibt es mehr Möglichkeiten, weil man sich unter Sammelladungen verstecken kann.

WPG-Wertung: Aaron und Günther geben für die „Up & Co“-Variante jeweils einen – nicht darstellbaren – halben Punkt mehr; Walter bleibt auch hier bei seinen 8 Punkten.