25.03.2015: Kuren in Orleáns

Jeden Samstag verschickt Walter eine Einladungsmail an die Westpark-Gamers: „Wer ist am kommenden Mittwoch dabei?“ Spätestens bis zum Sonntag Abend trudeln die Antworten ein. Manche lauten lapidar: „Ich“! Zuweilen wird auch der Name genannt: „Aaron“! Andrea meldet sich meist zaghaft: „Ist zufällig noch ein Plätzchen frei, ich könnte nämlich dabei sein“, obwohl die Plätze grundsätzlich nach dem „first in“-Prinzip vergeben werden und bei einer oberflächlichen Auszählung der Antwort-Mails die freien Plätze offensichtlich sein sollten. Moritz gebraucht ebenfalls sehr gerne den Konjunktiv: „Ich würde kommen“ schreibt er, ohne dass es bei ihm einen Grund für das „würde“ gibt; ohne Wenn und Aber heißt das geradewegs: „Ich komme“.

Unser Sprachengelehrter Peter hat uns heute erklärt, dass diese – eigentlich – überflüssige „würde“ ein Modalwort ist, mit denen die deutsche Sprache reichlich gesegnet ist. Wie keine weitere Sprache der Welt (außer unserem holländischen Dialekt). Das „würde“ ist überflüssig, drückt aber ein gewisse Höflichkeit oder sogar eine Emotionalität aus. Wenn die Mutter das Kind beim Abschied fragt: „Hast Du auch nichts vergessen?“, so liegt in diesem Satz durch das „auch“ viel mehr Anteilnahme drin, als ohne es. Wie drückt man das im Englischen aus? Der seelenlose BING-Übersetzer vereinfacht die Frage zum „Did you forget anything?“ Aber da fehlt doch was!

Ich habe in meiner Sammlung von Grimms Märchen in verschiedenen Sprachen nachgeschaut, wie professionelle Übersetzer im „Tischlein deck dich“ die besorgte Frage des Vaters übersetzen: “Ziege, bist Du auch satt?“ Den Engländern fällt hier wiederum nichts anderes ein als “Goat, hast thou had enough?”. Hübsch, aber das „auch“ fehlt. Ebenso bei den Franzosen: “Chèvre, es-tu repue?”.

In einer wunderschön bebilderten, aber sprachlich eher mageren ungarischen Ausgabe lautet die Frage sogar ganz unverschämt kurz: „éhes?“ (hungrig)? Und die Antwort „rettenetesen!“ (schrecklich)! So kann „man“ mit unserem wunderschönen Verslein „Ich sprang nur über Gräbelein und fand kein einzig Blättelein“ auch umgehen. – Es lebe das schöne deutsche Modalwort!

1. “Orléans”

Rainer Stockhausen ist ein fleißiger Spieleautor. Bei Luding findet man von ihm vierzehn verschiedene Spiele, allein aus diesem Jahrtausend. Am Westpark haben wir erst zwei von ihm gespielt. Mit „Orléans“ lag diesmal das dritte, sein neuestes Werk bei uns auf.

Peter in Orléans
Peter in Orléans

Im Regelheft wird kein einziges Wort über den geschichtlichen Hintergrund verloren. Das ist auch gut so. Es ist eh alles Schmarren, was die Redakteure hier zusammenfaseln. Der Name Orléans bürgt für sich, und die drei Personen auf dem Titelbild, Mönch, Ritter und Bauernmagd, ebenfalls.

Jeder Spieler platziert die eigenen Arbeiter (in der Startaufstellung hat jeder vier, im Laufe des Spiels werden es immer mehr und immer verschiedenere) auf die unterschiedlichen Wirkstätten in seinem persönlichen Spielertableau und läßt sie werkeln:

  • Ein Schiffer und ein Handwerker erzeugen eine Bauernmagd
  • Ein Händler, ein Handwerker und eine Bauernmagd erzeugen einen Gelehrten
  • Ein Händler und ein Gelehrter erzeugen einen Mönch
  • Ein Schiffer, ein Handwerker und eine Bauernmagd erzeugen einen Schiffer, einen Handwerker oder eine Bauernmagd
  • Und was dergleichen Homo-, Hetero- oder Polygenesen mehr sind.

Mit neuen Mitarbeitern gewinnen wir nicht nur mehr Arbeitskraft, mit ihnen sind auch erkleckliche Nebenvorteile verbunden, u.a. gehört dazu ein schnelleres Recyclen unserer Arbeiter, sowie ein Fortschreiten auf der Faktor-Leiste, nach der am Ende unser Besitz an Häusern in Siegpunkte umgerechnet wird.
Die Herausforderung des Spiels besteht darin

a) mit dem richtigen Timing neue Mitarbeiter der richtigen Qualifikation zu erzeugen, um damit

b1) mehr Geld (= Siegpunkte) zu bekommen und/oder

b2) eine Effizienz-Steigerung seiner Aktionen zu erzielen und/oder

b3) sich zu bewegen und dann

c1) siegpunktwerte Rohstoffe von der Strecke aufzulesen und/oder

c2) siegpunktträchtige Häuser zu bauen.

Überall sprudeln Siegpunkt-Quellen. Als Anfänger steht man vor dem Spiel wie ein Lucullus in der Pralinenabteilung vom Dallmayr. Als Fortgeschrittener steht man immer noch da. Es gibt zu viel, und es ist nicht zu überblicken, welche Weichenstellung uns die besten Strecken eröffnet. Bemerkenswert, dass unser professioneller Orléanist Günther nur ganz knapp gewann und dass Peter, unser zweites Denkergenie, unter uns restlichen drei Anfängern der Letzte wurde.

Überall ist ein bißchen Konkurrenz verbunden. Wenn die Mitarbeiter einer Sorte aus sind, gibt es keine mehr; vor allem können dann auch keine Vorteile in den Nebenstrecken mehr erworben werden. Gerade richtiger Zufall ist ebenfalls eingebaut. Einzelne Arbeitsplätze werden für eine Runde geschlossen, für aktuelles Besitztum werden Prämien gezahlt oder Abgaben fällig oder man verliert Arbeiter oder. Günther traf es gleich am Abend zweimal hart, und er verlor seinen klügsten und tüchtigsten Nachwuchs, sonst hätte er wohl höher gewonnen.

Das Spielmaterial ist gefällig, alles funktioniert, alles ist gut abgestimmt, alles greift ineinander, alles ist konstruktiv. Alles. Ja, alles, leider! Zu konstruktiv und zu gleichförmig konstruktiv!

WPG-Wertung: Aaron: 6 („Es reißt mich nicht vom Hocker), Günther: 7 (gegenüber den Rosenbergschen Aufbauspielen ein bißchen klarer), Peter: 7 (unterhaltsam, wenn auch kein Spitzenspiel), Walter: 6 (eigentlich alles rund und schön, aber bei der Vielzahl gleichmächtiger Siegpunktquellen stellt sich keine richtige Spielspannung ein)

2. “Pandemic: The Cure”

Mal wieder ein Kooperationsspiel, diesmal mit tausenden von Würfeln. (Genauer gesagt: mit 85 Stück.) Das bemerkenswerte Aaron-6-Punkte-Karten-Brettspiel „Pandemie“ wurde mit „The Cure“ zu einem WPG-4-Punkte Würfel-Brettspiel „heruntergedampft“.

48 der 85 Würfel sind ganz normale Hexa-Würfel in vier Grundfarben stellen Krankheiten dar. Regelmäßig werden drei bis fünf Stück von ihnen ausgewürfelt und auf insgesamt sechs Regionen verteilt, die den Augenzahlen zugeordnet sind. Sobald auf einer Region von einer Farbe mehr als drei Würfel liegen, bricht eine Epidemie aus, die sich unverzüglich auf die Nachbarregionen ausbreitet, und wenn dort auch schon genügend Würfel der infizierten Farbe liegen, geht es so weiter, bis entweder die Infektionswelle gebrochen ist oder die Spieler das Spiel verloren haben.

Jeder Spieler hat fünf bis sieben individuelle Spezialwürfel, mit denen er die Krankheiten bekämpfen kann / muss. Die verschiedenen Würfelseiten erlauben ihm,

  • sich in eine beliebige der sechs Regionen zu bewegen, wo er seine weiteren Aktionen durchzuführen gedenkt
  • einen Krankheitswürfel zu kurieren (zurück in den Tausend-Würfel-Vorrat)
  • einen Krankheitswürfel in den zentralen Behandlungsraum zu transportieren
  • einen Krankheitswürfel aus dem zentralen Behandlungsraum in sein privates Forschungslabor zu bringen.

Unabhängig von unserem Würfelergebnis dürfen wir weiterhin:

  • die Krankheitswürfel aus unserem Forschungslabor an einzelne Mitspieler weiterreichen
  • mit ausreichend vielen Krankheitswürfeln in unserem Forschungslabor versuchen, ein Heilmitteln gegen die Krankheit auszuwürfeln.

Gelingt es uns, gegen alle vier Krankheiten ein Heilmittel auszuwürfeln, bevor achtmal eine Epidemie ausgebrochen ist, haben wir – alle – gewonnen. Andernfalls verloren. Auf jeden Fall endet das Spiel. Gott-sei-Dank. Walters einziger teilnahmsloser Genuss war es, sich zu vorgerückter Zeit von Peter spielen zu lassen. (Hallo Peter, das war jetzt wirklich absolut positiv gemeint!)

WPG-Wertung: Aaron: 5 (mag keine Kooperationsspiele, doch wenn sie relativ kurz sind, kann er so ein Spiel tolerieren), Peter: 6 („Es ist ein gutes Spiel, weil es knapp ist“, würde es aber nicht häufiger spielen wollen), Günther: 4 (es ist nicht wirklich gut, eher öde; vielleicht als Solospiel geeignet), Walter: 3 (eindimensionaler, dröger Würfelrausch ohne jeglichen Pfiff)

3. “Bluff”

Günther war mit einem Würfel im Endspiel gegen Aaron mit deren zwei. Er hatte einen Superwurf, einen Stern unter dem Becher. Was und wie sollte er damit anfangen?

Unser Immer-5-Stratege sah nur die beiden Möglichkeiten „1 mal die Fünf“ oder „2 mal die Fünf“! Mit seiner – gar nicht so schlechten! – Immer-5-Strategie hätte diesen Durchgang sogar gewonnen. Doch er wurde übermütig. Oder wollte er nur den Stier bei den Hörnern packen? Jedenfalls war seine Vorgabe „2 mal die Fünf“ genau das, was es – diesmal nicht nur wegen Aarons magerer Zwei und Vier unter dem Becher – ist: ein frivoler Selbstmord!

Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

9 Gedanken zu „25.03.2015: Kuren in Orleáns“

  1. 1) Nicht “Modalwort”, sondern “Modalpartikel”: http://de.wikipedia.org/wiki/Modalpartikel

    2) “auch”, “ja”, “aber” sind gute Beispiele für Modalpartikeln. Aber “würde” nicht! “Würde” ist ein Hilfsverb, das zur Bildung des Konjunktivs dient; und alles, was ich behauptet habe, ist, dass der Konjunktiv in besagtem Satz nicht eine Möglichkeit ausdrückt, sondern allein der Höflichkeit dient. Mit Modalpartikeln hat das indes nichts zu tun.

  2. @Pandemic. the cure:
    Tatsächlich sind alle Würfel Sonderwürfel, bei denen keine Normalverteilung der Ergebnisse vorhanden ist. Nicht jede Farbe hat die Seiten 1-6 gleich verteilt. Manchmal sollte man seine Hausaufgaben auch machen…
    Mir fehlt auch die Erwähnung des Push-your-Luck-Mechanismus, d.h. ich kann Würfel meines Wurfes nachwürfeln. Wenn man das ins Spiel wie vorgesehen integriert, sollte es auch für die WPG als Spiel interessanter werden.

  3. Hallo Tassilo, Du hast Recht, die farbigen Hexawürfel für die Krankheiten haben jeweils eine besondere Verteilung der Augenzahlen 1 bis 6 (nicht alle vorhanden), plus einem Kreuz. (Vielleicht war das sogar der Grund dafür, warum Aaron DIESMAL beim Erfinden von Heilmitteln seine gewohnt schlechten Würfelergebnisse hingelegt hat.) Ich betrachte es nicht als meine Hausaufgabe, alles Spielmaterial genauer unter die Lupe zu nehmen, besonders wenn mir ein Spiel schon vom seinem grundsätzlichen Ablauf her nicht zusagt.
    Mit entschiedener Sicherheit habe ich allerdings vom ersten Augenblick an festgestellt, dass “The Cure” in jedem Fall ein mechanistisches Auswürfeln (und NACH-Würfeln! Danke für Deinen Hinweis!) von Plus-Minus-Ergebnissen ist, was mir nicht einmal als Solitärspiel gefallen würde, geschweige denn in einer vertrauten Runde aufgeweckter Spieler. Host mi?

  4. Walter: “besonders wenn mir ein Spiel schon vom seinem grundsätzlichen Ablauf her nicht zusagt”
    Das ist natürlich eine wunderbare Voraussetzung für eine einigermaßen neutrale Besprechung…. Dazu hilft dann auch, dass man einfach mal falsche Behauptungen veröffentlicht. Chapeau!

  5. Hi Tassilo, woraus schließt Du eigentlich auf eine „einigermaßen neutrale Besprechung“? Sind wir denn ein öffentlich-rechtliches Test- und Bewertungsforum, das zu Objektivität verpflichtet ist?! Nein, wir sind ein subjektiver Haufen, der nach ganz persönlichen, nicht rechenschaftspflichtigen Kriterien die Spreu vom Weizen trennt! Bevor Du Dich mit solchen Leuten einlässt, solltest Du Dich erst mal vergewissern, mit wes Geistes Kind Du es zu tun bekommst!
    Nimm’ doch Deinen Hut! 

  6. Tassilo, du darfst hier gerne Kommentare zum Spiel abgeben. Natürlich auch solche, in denen du uns heftigst widersprichst, weil ein Spiel, das wir nicht so gut finden, von dir geliebt wird. Gerne auch mit einer Begründung, was dir denn so gut gefällt. Und sei es nur, dass es deiner Frau, deinen Kindern, deiner Geliebten oder deiner Omma auch ganz doll gefällt. Alles okay. Was aber gar nicht geht ist, wenn du hier statt des Spiels einen von uns angreifst und dazu noch mit falschen Annahmen und Unterstellungen. Denk mal drüber nach.

  7. @Aaron: Mir kann PtC noch nicht gefallen, da ich es noch nicht gespielt habe. Deswegen kam ich ja hierher. Um mehr zu erfahren.
    Ich habe mir nur auch erlaubt anzumerken, dass ein IMO wichtiger Regelmechanismus unerwähnt geblieben ist. Ob dass der Kürze des Kommentars oder einer Regelschwäche geschuldet war, war für mich nicht ersichtlich. Zudem wurde das Spielmaterial signifikant falsch dargestellt. Auf beides wollte ich hinweisen. Mehr nicht.
    Persönliche Wertung enthält mein erster Beitrag also nur soweit als ich meine Hoffnung ausgedrückt habe, dass, so beide Korrekturen erfolgt sind, das Spiel vieleicht besser bei den WPG ankommt.

    @Walter: Zu den emotionalen Anteilen deiner Kommentare äußere ich mich nicht, um bewußt zu deeskalieren.
    Und natürlich erwarte ich keine absolut neutrale Darstellung eines Spiels. Aber großer Einfluss bedeutet auch großer Verantwortung. Ob gewollt oder nicht, ob bewusst oder unbewusst, eure Veröffentlichungen haben Reichweite und Gewicht. Ist es deswegen vermessen, ein wenig Sorgfalt zu erwarten? Mit Urteilen, die scheinbar Lücken in der Begründung haben, besteht die Gefahr, dass ihr euch disqualifiziert.

    Ich habe bisher gerne die WPG-Seite besucht, um mich zu informieren und zu unterhalten. Ich würde es bedauern, sollte sich das ändern.

  8. @Tassilo: Mein letzter Kommentar liest sich im Nachhinein aggressiver als er gemeint war. Sorry. Ich kann dir übrigens versichern, dass wir bereits während des Spiels erkannt hatten, dass die Verteilung auf den 6er-Würfeln unterschiedlich ist und ebenso haben wir häufig genug nachgewürfelt und den Push-your-luck-Effekt ausgekostet. Die Ungleichverteilung der Würfelwerte haben wir dann im Spiel meistens nicht weiter beachtet und ob das unseren Spielspaß negativ beeinflusst hat, sei mal dahingestellt. Dass Walter das Nachwürfeln im Spielbericht nicht erwähnt hat, halte ich für eine lässige Sünde, denn das wirkt sich m.E. nicht so gravierend auf das Spielgefühl “Würfelorgie” aus (auch wenn es manchmal wichtig ist, dass das überhaupt möglich ist).

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