21.06.2017: Balance auf dem Mars

Spielautorentreffen in Ruppichteroth. Zwölf alte Hasen sind angereist, um sich gegenseitig ihre Schöpfungen in statu nascendi zu präsentieren. Die hübsche kleine 10.000 Seelen-Gemeinde liegt direkt vor der Haustür von Köln. Na ja, fast, mit dem öffentlichen Bus braucht man eine Stunde.

Einer der Hasen wollte seine Test-Arbeit mal kurz unterbrechen und einen Abstecher nach Köln machen. „In zwei Stunden bin ich wieder da“ ließ er hoffnungsvoll und tröstend verlauten. Doch Stunde um Stunde verrann. Erst nach fünf Stunden war er – schweißtriefend – wieder zurück? Was war geschehen?

Auf der Rückfahrt hat der öffentliche Bus die hübsche Gemeinde vermieden, ist drum herum gefahren und hat seine Passagiere erst im nächsten Ort, zehn Kilometer weiter ausgeladen? Die Ruppichteroth musste die restliche Strecke zu Fuß zurücklegen. Warum?

In Ruppichteroth war ein Dorffest, und der Gemeinderat hatte doch glatt befürchtet, dass islamistische (oder andere) Terroristen erstens wissen, wo Ruppichteroth liegt, zweitens wann dort das Dorffest ist, drittens wie man dort hin kommt, und viertens, dass sich dort so viele Leute tummeln, dass man reiche Todesbeute bekommt, wenn man mit einem LKW dort ungebremst in die Menge hineinfährt. Die ganze Innenstadt war verbarrikadiert, alle Straßen gesperrt, der Autoverkehr wurde großräumig drum herumgeleitet … !

Da fragt man sich doch, ob Ruppichteroth der allgemeinen Terror-Hysterie unterlegen ist, oder ob es nicht selber ein Erzeuger von solcher Terror-Hysterie ist. Es erinnert fatal an einen sinnigen Spruch, der mal an den Ausfallstraßen der Stadt Freiburg zu lesen war: „Sie stehen nicht im Stau, Sie SIND der Stau!“

1. “Terraforming Mars”

Simultane Ernte beim „Terraforming Mars“

Schon vor zwei Wochen zum ersten Mal am Westpark gespielt. Ein technisch-physikalisch-ökonomisch sehr sauber ausgetüfteltes Spiel um die Bestrebungen, den Mars bewohnbar zu machen. 208 verschiedene Entwicklungs-Karten gibt es, auf denen Erfindungen, Entscheidungen und Ereignisse in Bezug auf diese Zielrichtung aufgezeichnet sind. Jedem Spieler wird eine erkleckliche Menge davon angeboten, die einmal den aktuellen Besitz an Ressourcen (Geld, Energie, Eisen, Titan, Pflanzen und Wärme) in jeweils unterschiedlichen Quanten bringen, aber vor allem – mit viel durchschlagenderem Erfolg die Produktion dieser Ressourcen steigert. Die Karten kosten Geld und Ressourcen oder – peinlich, peinlich – gleich ganze Produktionsmittel für Ressourcen.

Die Herausforderung des Spiels besteht darin, von den Karten, die einem im Übermaß angeboten werden, die richtigen auszuwählen. Man hat sie dann zunächst mal nur auf der Hand. Dann aber muss man die richtige Karte zum optimalen Zeitpunkt ausspielen. Geld ist knapp, der Karten gibt es viele, die Qual der Wahl ist groß. Zu Beginn muss man trivialerweise Karten ausspielen, die die Produktionen steigern, vor allem auch die vom Allheilmittel Geld. Zu irgend einem Zeitpunkt muss man dann aber auf Siegpunkt-orientierte Karten umschwenken.

Zwischendurch darf man auch mal eine Stadt auf dem Mars gründen, eine Grünfläche dazu anlegen und einen See buddeln. Auch das gibt Siegpunkte, vor allem wenn die eigenen Grundstücke in einer günstigen Konstellation zueinander liegen. Aber eigentlich ist diese Tätigkeit nebensächlich. Man kann den ganzen Mars begrünen und wird trotzdem Letzter.

Leider gibt es unter den Karten auch eine Menge – am Westpark absolut verpönte – „Ärgerkarten“, die nicht nur erlauben, das eigene Besitztum vorwärts zu bringen, sondern auch einen BELIEBIGEN Mitspieler um Hab und Gut und Produktionsmittel bringen. Vor zwei Wochen wollten wir die Ärger-Aktionen einfach weglassen. Das geht aber nicht so einfach, denn dann braucht man auch Ersatzlösungen für das Gute im Bösen. Wenn ich z.B. auf Grund einer Entwicklungskarte einem Mitspieler ein Tier wegnehmen und bei mir ansiedeln darf (für einen Siegpunkt), und wir das Wegnehmen streichen, dann hat diese Karte überhaupt keinen Effekt. Gut, man kann sie komplett in den Orkus werfen, aber dadurch bekommt das Spiel eine total andere Balance.

Diese Klauerei hat der Autor sicherlich nicht nur aus Leichtfertigkeit oder als Zugeständnis an Chaoten in das Spiel eingebaut, es ist wohl auch ein wichtiges Korrektiv, um Spieler, die auf Grund günstiger Kartenzuteilung den anderen auf und davon ziehen, damit zu bremsen und wieder einholbar zu machen. Dreimal Freude, einmal Leid.

Man könnte auch im Einzelfall darum verhandeln, wer jetzt geschädigt werden soll und man könnte Rückversicherungsverträge auf Gegenseitigkeit aushandeln. Das verleiht dem Spiel dann schon einen diplomatisch-ökonomischen Anstrich. Manche mögen das.

Heute ging es bei uns diesbezüglich ganz friedlich zu. Nach den ersten kleineren Diebstählen verloren alle, federgeführt von Horst, die Lust an diesem Teil von Terraforming und verzichteten auf den Schadeneffekt: „Ich lasse es gut sein!“ Das zeigt doch ein großes Spielerherz!

Das Ende zieht sich hin, vor allem weil jeder Spieler eine Menge blauer Aktionskarten vor sich liegen hat, die alle pro „Generation“ einmal durchgecheckt und abgewickelt werden wollen. Nach einer knappen Stunde Regeleinführung für den Neuling Horst und nach dreieinhalb Stunden Spielen waren wir durch. Horst war mit viel Geldproduktion schnell aus den Startlöchern gekommen, aber Günther, der in den ersten drei Runden konsequent viel Geld zurückgehalten und nicht für Kinkerlitzchen verpulvert hatte, konnte ihn am Ende mit einer zielstrebig zusammengestellten Siegpunkt-Generierungsmaschine doch noch überholen.

Horst inspiziert seine neuen Karten

WPG-Wertung: Horst: 8 (mit Tendenz zu 9, hervorragend, großer Spielspaß, super ausbalanziert, ständig spannend und konstruktiv. „Ich war richtig neugierig auf die Funktionsweise jede neuen Karte. Ärgerkarten sind in einem so langen Spiel zwar doof, aber man kann sie ja freiwillig einschränken.“), Aaron: reduzierte seine vorherigen 7 auf 6 Punkte (hat das Spiel jetzt zum 4. Mal gespielt und fand es jedesmal schlechter. Die 3 ½ Stunden Spielzeit sind viel zu lang; die Planungsmöglichkeit geht gegen Null, das Ganze ist eher ein Herumirren im Walde), Günther: 8 (bleibt), Walter: erhöht seine bisherigen 6 auf 7 Punkte (das Spiel ist zwar nicht besser geworden, aber das ausgezeichnete Spielmaterial und vor allem die ingenieurmäßig und unternehmerisch überzeugenden Kartennamen und Karteneffekte, sowie die ausgezeichneten Piktogramme, mit denen die unterschiedlichen Effekte auf jeder Karte sichtbar gemacht wurden, rechtfertigen eine bessere Benotung. Zudem habe ich jetzt drei Tage einen Riesenspaß dabei gehabt, die Karten zu analysieren und in einem riesigen Excel-Tableau zum Leben zu erwecken.)

Hier noch eine kleine Kostprobe meiner Excel-Spielereien.

Das Modell ist noch nicht gesichert, die Preise für die Erhöhung der Produktionen und der Wert ihrer Produkte sind höchstenfalls erste Näherung. Der eingesetzte Zinseszins mit seinem gewaltigen Einfluss auf Zeitpunkt und Effizienz einer Investition, steht noch auf wackligen Füßen. Der hohe Anfangswert einiger Produkte, die für andere Produktionen benötigt werden, verfällt bei Überproduktion im Mittelspiel ganz rasant. Diese Dynamik ist in dem Modell überhaupt noch nicht berücksichtigt. Aber immerhin hier ein paar Anfangsaussagen (Hypothesen):

  1. Zugrunde liegt ein Spiel mit 4 Teilnehmern.
  2. Ein Spiel geht über etwa 14 Generationen.
  3. Jeder Siegpunkt hat am Ende etwa 5 M€ gekostet.
  4. Jede Entwicklungskarte kostet im Durchschnitt 15 M€.
  5. Jeder Spieler startet mit Entwicklungskarten im Wert von etwa 150 M€ und einem Einkommen von 20 M€ pro Generation. Wenn er am Ende auf ein Besitztum von etwa 850 M€ gekommen ist, entspricht das einer Zinsrate von 13 Prozent.
  6. Bei einer Zinsrate von 13 Prozent würde jede Einkommens M€, die durchweg in Geld-generierende Karten investiert würde, am Ende den stolzen Betrag von 35 M€ zusammenhäufeln.
  7. Es ist trivial, dass bei einem Produktionsspiel die Produktion-steigernden Karten zu Beginn am wichtigsten sind. In “Terraforming Mars” sind das:
    1. ”Soletta”, mit dem man ohne anderweitigen Einsatz für 35 M€ seine Wärmeproduktion um gleich 7 Wärmeeinheiten steigern kann. Das bringt zwar nicht gleich Geld und Siegpunkte, aber der Besitz von Wärme-Einheiten ist für viele lukrative Karten eine Grundvoraussetzung.
    2. Mittels der “Mohole-Bohrung” bekommt man für 20 M€ eine ebenfalls bemerkenswerte Steigerung der Wärmeproduktion um 4 Einheiten und darf noch dazu ein Grundstück auf dem Mars buchen.
    3. Der “Verglühende Ammoniak-Asteroid” steigert für 26 M€ die Wärmeproduktion um 3 Stufen Einheiten, dazu noch die Pflanzenproduktion um eine Einheit, und wenn man bereits einen Stall für Mikroben besitzt, darf man ihn mit 2 Mikroben zusätzlich bevölkern.
  8. Wenn man in Wärmeproduktion schwimmt, kann man das “Tropische Urlaubsparadies” errichten und dort die Urlauber mit 3 M€ pro Generation zur Kasse bitten. Das mag ein ganz neuer Geschäftszweig sein, wenn man, wie gesagt, Wärmeproduktion im Überfluss hat und nicht weiß, wohin damit. Geht man damit allerdings gleich zu Beginn des Terraforming in die Tourismus-Branche, wird man wohl als Schlusslicht enden.
  9. Auch die “Isolierung” ist so ein Geldräuber. Eine Wärmeeinheit für eine Geldeinheit einzusetzen, ist nur sinnvoll, wenn man damit sonst nicht viel anfangen kann.
  10. Die fixen Siegpunkt-Generierer sollte man trivialerweise erst ganz am Ende ausspielen. Etwas anderes sind die variablen Siegpunkt-Generierer, bei denen man Runde für Runde mehr oder weniger kostenlos Siegpunkte dazugewinnt. Einer davon ist der “Physikkomplex”, bei dem man seine erzeugte Energie nicht in – zu diesem Zeitpunkt sicherlich schon überflüssige – Wärme umsetzen muss, sondern in viel edlere Wissenschaftseinheiten mit mehr als doppelter Effizienz für Siegpunkte. Wer nicht weiß, wie er die notwendige Wärme erzeugen kann, sollte mal unter “Hochspannungsnetz” oder “Orbitaler Sonnenspiegel” nachschauen.
  11. Die “Schutzhütte” ist ebenfalls ein konsequenter Siegpunkt-Lieferant, allerdings braucht man dafür eine Titan-Produktion. Die vielfältigen Voraussetzungen und Tücken zur Erfüllung dieses Betriebsmittels sind hier jetzt nicht untersucht.
  12. Bemerkenswert: Der “Investitionskredit” lohnt sich von Anfang an. Man braucht sich vor der zugehörigen Einkommensminderung nicht zu scheuen. Der Anschaffungspreis ist recht niedrig und die Zinseszinsen machen den Verlust bereits in der ersten Generation wieder wett.
  13. Genauso sind die “Arbeitsverpflichteten” geschenktes Geld. 1 Siegpunkt Image-Verlust für 8 geschenkte Leiharbeiter darf man unter ehrenwerten Kapitalisten durchaus in Kauf nehmen.
  14. Eine kleine Nebenbetrachtung: Das “Roboter-Personal” wird effektivsten bei der “Tektonische Energiegewinnung“ eingesetzt.

Das wär’s für heute. Die zugehörige Excel-Tabelle ist ein unerschöpfliches Spielzeug. Und falls hier in meinem Modell grundsätzliche Fehler eingebaut sind, wird es mir eine Freude sein, den entsprechenden Hinweisen darauf nachzugehen und es nachzubessern.

4 Gedanken zu „21.06.2017: Balance auf dem Mars“

  1. Nur eine kleine Anmerkung.

    Eine 4er Partie TFM die 14 Generationen dauert erscheint mir übermässig lang; dies führt möglicherweise auch zu Eurer überlangen Spieldauer

  2. Klaus, wir haben die letzten beiden Male 10 bzw. 11 Generationen gespielt. Ich denke, das ist normal. Ob andere Gruppen das in weniger als 3 bis 3 1/2 Stunden schaffen, kann ich nicht beurteilen.

  3. Das Spiel ist ein solides Design, ist aber langweilig, und nach 4 Spielen habe ich kein Interesse daran, es noch einmal zu spielen. Es bietet zu wenige Kartensynergien, um einen echten Spannungsbogen zu erzeugen. Stattdessen gibt es 3 Stunden lang Mikro-Synergien für Mikro-Fortschritte. So ziemlich immer das Gleiche ohne Herausforderung. Spielerinteraktion gibt es ebenfalls so gut wie keine, mal abgesehen vom thematisch unpassenden und spielerisch frustrierenden Ressourcen/Einkommensdiebstahl und der minimalen und langweiligen Konkurrenz auf dem Spielplan.

    Das Spiel ist kein Engine Builder, sondern ein Income Builder. Der vorgebliche Spaß entsteht durch den Aufbau des eigenen Einkommens, um im Laufe des Spiels mehr und bessere Karten spielen zu können. Aber ohne Engine beschränkt sich das auf die Hoffnung, durch zufällige Kartenzieherei etwas Interessantes mit seinem Geld machen zu können. Der Zufall der gezogenen Karten in Relation zu möglichen Strategien kombiniert mit den lahmen Synergien der Karten, bietet zwar solides Spiel, das funktioniert, aber recht wenig Spaß macht. Die lange Spieldauer gepaart mit dem hohen Zufallsfaktor des Kartenziehens trägt dazu nicht unbeträchtlich bei.

    Ich glaube nicht, dass das Spiel schlecht ist, aber es ist eben nur mittelmäßig als Mehrpersonenspiel.

    (Dieser Text basiert auf einem Kommentar von enzo666 auf BGG)

  4. Hallo Aaron, mit dieser Bewertung hast Du absolut recht: keine Maschine, nur Mikro-Mikro, und minimale bis gar keine Konkurrenz.
    Wenn man alle Karten mit allen ihren Effekten kennete, wenn man ganz genau wüsste, wieviel eine Karte zu welchem Zeitpunkt wert ist, dann wäre das Ganze ein ödes, determiniertes Abspielen der jeweils besten Karte aus der Hand, sowie ein ödes, determiniertes Aufnehmen der vier besten pro Generation neu angebotenen Karten. Da man dies alles aber nicht weiß (selbst nach tagelanger Kartenanalyse habe ich heute noch keine greifbaren Fakten dazu auf der Hand), und da man zudem Generation für Generation auf einem nur einen kleinen Ausschnitt von Karten herumreiten muss, ist das Ganze noch nicht einmal ein Planspiel, sondern ein langweiliges, langwieriges, opportunistisches Ausspielen von 25 Karten in 10 Generationen.

Kommentare sind geschlossen.