09.01.2019: Spiele und Arbeite

Kritik ist oft genug keine Wissenschaft, sondern ein Handwerk, wozu mehr Gesundheit als Geist, mehr Fleiß als Fähigkeit, mehr Gewohnheit als Begabung erforderlich ist.
La Bruyère (1645-1696)

1. “AZUL”

Moritz hatte seinen Sohn Milo mitgebracht, der zwar auch schon für anspruchsvolle Spiele kompetent ist, für den wir heute aber gerne auf Spiele-Klassiker (neuerer Art) zurückgriffen.

„AZUL“ ist so einer. Umwerfend gut. Das Material ist hübsch. Mit den gerade richtig griffigen, gerade richtig bunten Spielsteinen zu spielen, besitzt zweifellos sogar einen psychisch-therapeutischen Effekt. Jede Menge Interaktion. Jede Menge Vorausplanung. Jede Menge Vorsicht und Risiko. Gerade richtig viel Glücksanteil. Jede Menge Schadenfreude beim Hineinreißen eines unbedachten Hasardeurs in eine Fehlfarbe.

Das Spiel sieht ganz einfach aus und ist auch für Wenig-Spieler sofort spielbar. Aber es enthält auch Fallen, die ein Sieger unbedingt vermeiden sollte. Und wenn einer gewinnt, kann er sich berechtigt bei sich und den Seinen mit seiner Übersicht brüsten, während die Zweiten-Sieger mit der gleichen Berechtigung nach Hause gehen können und alles auf den Glücksanteil schieben können.

Ein großer Wurf! Vielleicht der größte innerhalb der letzten paar Jahre.

WPG-Wertung: Milo vergibt 8 Punkte. Walter erhöht seine Punkte von 8 auf 9, fast 10, aber unser abendfüllendes „1830“ soll doch noch einen kleinen Vorsprung behalten.

Heute war ich in einem Buchladen am Marienplatz. Offensichtlich will dieses Geschäft auch vom anhaltenden Spiele-Boom in Deutschland profitieren. In einer Krusch-Ecke neben der Eingangstür lagen ein paar Spiele aus. Direkt ins Auge stechend ein Stapel „Sebastian Fitzek Safehouse“. Das ist nach einem realen Krimi zusammengeschustert und passt in jedem Fall in einen Buchladen. Vielleicht wurden hier aber nur die unverkäuflichen Spiele des letzten Jahres verramscht. Der andere Stapel war „AZUL“. Kann es sein, dass dieses Superspiel des Jahres 2017/18 ebenfalls bereits auf dem Verramsch-Haufen gelandet ist? Oder möchte der Buchladen mit diesem „Spiel des Jahres 2018“ seinen Spieleverkauf ankurbeln. In beiden Fällen scheint mir – unmaßgeblichem Kritiker – die zweite Alternative die richtigere zu sein.

2. “Terraforming Mars: Kolonien”

Milo bei der Kolonial-Arbeit

Nach dem “Spielen” mit “AZUL” war das “Arbeiten” mit Terraforming Mars angesagt. Bei der ersten Begegnung vor anderthalb Jahren mit dem TM-Basis-Spiel gab es nur eine verhaltene Zustimmung, „zu lang, zu breit und zu solitär“ war eine Wertung. Inzwischen ist es – dank Günthers eifrigen Protegierens – mit 9 mal Gespielt-Worden auf den 11. Platz unserer – mehr als eintausend Einträge enthaltenen – ewigen Spiel-Frequenz-Liste angelangt.

Diesmal brachte Günther die “Kolonien-Erweiterung” mit. Anstelle eine der üblichen Karten aufzudecken und zu bezahlen dürfen wir jetzt auch eine „Kolonie“ gründen oder mit einer Kolonie Handel treiben. „Kolonien“ sind abstrakte Gebilde außerhalb des Spielbretts; sie liefern eine einzige, fest vorgegeben Ware, z.B. Eisen, Titan, Pflanzen oder auch Bargeld. Ihre Gründung kostet einen festen Betrag in Geldeinheiten. Das Handel kostet ebenfalls einen fest vorgegebenen Betrag, der aber auch mittels Titan oder Energie-Einheiten entrichtet werden kann.

Effekte:

  • Noch mehr Karten: je nach Vorliebe kann das positiv oder negativ bewertet werden.
  • Größere interne und externe Abhängigkeiten von eigenen und fremden Zügen (Karten): mehr Interaktion, mehr Konkurrenz, was grundsätzlich positiv ist; dafür können einem jetzt die Spieler aber auch besser in die Suppe spucken; das macht höchstenfalls dem Spuckenden Spaß.
  • Mehr Freiheit und Flexibilität innerhalb den Aktionen: uneingeschränkt positiv. (Die zweifellos erhöhte Wartezeit auf das Ende der Zug-Entscheidung eines Spielers wollen wir hier mal außer Acht lassen.)
  • Ein paar der gegen Spielende hin normalerweise nutzlos erzeugten Energieeinheiten kann immerhin noch beim Handeln eingesetzt werden: positiv.

Günther kam diesmal mit seiner Mars-Besiedelung ausnahmsweise nicht aus den Pötten. Dafür bewies er aber bei den Kolonien ein überaus glückliches Händchen. Zugleich konnte er sich konkurrenzlos Massen von siegpunkt-trächtigen Tieren auf seinen Karten aufladen und in der Endauswertung damit ungezählte Schritte nach vorne machen. Moritz hielt schon die Luft an. Er hatte im Prelude mit dem Helion-Konzert ein Super-Start-Unternehmen zugeteilt bekommen. Damit begann er unverzüglich mit einer Wärmeproduktion von 3 Einheiten pro Runde, und durfte zugleich jederzeit Wärme als Geldeinheit benutzen. Das kam schon fast einer Erlaubnis zum Geld-Drucken gleich. Kein Wunder dass er immer warm und flüssig war. Mittels der finalen Auszeichnungen landete er am Ende doch noch knapp vor Günther auf dem ersten Platz.

Vielleicht lag es an Milo, vielleicht am Neuen Jahr: ohne jeglicher Hetzerei oder Ketzerei ging eine friedliche WPG-Session mit Entspannung und konstruktivem Schweiß zu Ende.

WPG-Wertung: Milo vergibt 7,5 Punkte. [Aaron wird sie auf 8 auf- oder auf 7 abrunden müssen].