9.07.2008: “Keltis” mit “Brass”

Aaron kam direkt von einem Kurs für “Model Driven Soltware Design” (MDSD) aus Nürnberg. Er verriet allerdings nicht, wie die Models aussahen, die ihn in seinem Software-Design vorwärts gebracht haben. Günther stellte sich hier so etwas wie Extrem Pair Programming (XP / XPP) vor, d.h. der eine denkt, der andere pixelt. Doch auch er rückte nicht mit der Sprache heraus, als er gefragt wurde, was er mit “pixeln” meinte. Bei den Gartenzwergen im Gartenhäuschen war das alles viel klarer.
1. “Keltis”
Aaron schlug vor, daß wir uns die Spielregeln mittels MDSD erarbeiten sollten, doch bei nur 1 1/2 Seiten Spielregeln ist die Methode wohl etwas oversized.
Zunächst mal vermißten wir die Spielfarben gelb (für Günther), rot (für Walter) und blau (für Aaron), dafür war grau (für unsere Mäuschen) und schwarz (für Peter) vorhanden. Leider waren weder Peter noch Maus da. Und für welchen Spieler braun angemessen wäre, das hat unser Zensor schon wieder weggeschnitten.
Günther führte uns durch die Spielregeln und erklärte, wofür es alles “Siechpunkte” gibt. Die Spieler ziehen Karten, die es ihnen erlauben, ihre Spielsteine auf bis zu fünf verschiedenen Bahnen vorwärts zu bringen. Die Karten müssen in einer monotonen Reihenfolge ausgespielt werden.
Für einen Mathematiker läßt das simple “monoton” eine Menge Varianten offen: die Reihenfolge muß nicht streng monoton sein, sie muß nicht stetig sein, und sie muß nicht aufsteigend sein, aber man darf eine einmal gewählte Zahlenreihenfolge unterwegs nicht umkehren. Nicht-monotone Karten sind für die Katz und müssen ersatzlos abgeworfen werden. Alles klar?
Je weiter ein Spieler seine Spielsteine vorwärts bewegen kann, desto mehr Siechpunkte gibt es. Unterwegs liegen auf der Strecke sogenannte “Wegekärtchen”, die das Vorwärtskommen natürlich noch lustiger machen. Siechpunkt-Plättchen liefern direkt Siechpunkte, Wunschsteine bringen in der Kumulation Siechpunkte und Kleeblätter erlauben ein zusätzliches Vorwärtsziehen. “Man kann hier ja taktieren” meinte ein Skeptiker, “das Spiel ist besser als sein Ruf”.
Aaron wurde von seinem sprichwörtlichen Würfelunglück getroffen. Doch da es in “Keltis” keine Würfel gibt, mußte Fortuna ihm eigens eine Hand voll “Scheißkarten” austeilen. Zum Glück brauchte er sich nur 10 Minuten in seinem Pech grämen, da ist ein Spiel schon vorbei. Wer die passenden Karten gezogen hat, ist glücklich und zufrieden. Wer die falschen Karten gezogen hat, ruft sofort: “Wir spielen das aber gleich nochmals, weil ich sehen will, ob ich nochmals so Scheißkarten ziehe oder ob …”
Natürlich ist es frustrierend, wenn man im Endspiel mit seiner vollen Kartenhand keine einzige monoton-passende Karte mehr spielen kann, das Spiel entsprechend auch nicht beenden kann und hilflos zusehen muß, wie die anderen Schritt für Schritt an einem vorbei ziehen.
Preliminary WPG-Wertung: Aaron: 5, Günther: 7, Hans: 4, Walter 7.
Beim zweiten Spiel wurde Walter gerade soeben noch das oben beschriebene frustrierende Endspiel erspart. Er blieb bei seiner guten Note; jede Frustrunde hätte dem Spiel einen Punkt gekostet. Aaron und Hans wurden in ihrer Notengebung rabiater. Das Spiel hat bei uns offensichtlich ein genauso kontroverses Meinungsbild hinterlassen wie seinerzeit “Zooloretto”, das es nach anfänglicher Kritik schließlich doch noch bis zu unserem “Spiel des Monats” gebracht hat. Wer weiß, welche WPG-Zukunft “Keltis” noch vor sich hat.
WPG-Wertung: Aaron: 3 (nichts entscheidbar, man wird gespielt), Günther: 7 (gediegenes Material, schnell, locker, passend für Wilhelms Runden), Hans: 3 (vermißt Kartenmanagement), Walter 7 (Vorfreude auf die Enkel).
Walter schreibt eine Rezension.
2. “Brass”
Hierbei handelt es sich nicht um Blasmusik aus Tijuana oder um eine Stadt in Nigeria, sondern um schlichtes englisches Messing, das offensichtlich in den Typenschildern an den industriellen Frühwerken enthalten war.
Günther durfte uns als Experte wieder durch die diesmal 11 seitige Gebrauchsanleitung führen. Die erste halbe Stunde machte er es in lockerer Erzählweise nach eigener, nicht immer nachvollziehbarer Systematik, den Rest verteilte er auf die folgenden drei Stunden Spielzeit nach dem Motto “Teaching by doing”. Bei den nachgeschobenen Regelergänzungen wurde ihm ein gewisser Moritz’scher Nützlichkeits-Effekt unterstellt, den er entrüstet zurückwies. Wer weiß schon wirklich, was er alles auf den Tisch legte und bei welchem Detail er sich vornehm zurückhielt?
Es gibt eine Menge zu erklären. Eine ziemlich komplizierte Entwicklungsmaschinerie wird hier in Gang gesetzt. Die Spieler konkurrieren um die industrielle Entwicklung in Mittelengland, sie bauen Kohlegruben, errichten Ölförderpumpen, Baumwollfabriken, Hafenanlagen und Schiffe. Sie verbinden ihre Produktionsstätten entlang einer vorgegebenen Streckenführung mit Kanälen und Gleisen, um darauf Kohle und Eisen zu transportieren. Doch – im Gegensatz zu “1830” – bringt nicht der Transport Einnahmen und Siechpunkte, sondern nur Anzahl und Ausbau der Industrieanlagen.
Eine gut ausgebaute Strecken bringt am Ende natürlich auch ein paar Punkte, doch ihr wesentlicher Vorteil ist die Erweiterung der Freiheiten bei den weiteren Planungen der Spielzüge. Strecken dürfen von allen benutzt werden, unabhängig vom Erbauer, Produktionsanlagen können sich teilweise nur gemeinsam entwickeln. So enthält das Spiel bei allem Wirtschaftsegoismus doch auch ein erhebliches kooperatives Element.
Alles kostet Geld, das immer knapp ist, es sei denn man geht gleich zu Anfang in die Vollen und stopft sich die Taschen mit Krediten voll. Je früher man sie nimmt, desto weniger Verluste muß man dafür in Kauf nehmen. Unsere Standard-Devise “Keep fully invested” sollte hier besser heißen “Keep fully liquid”!
Für mich hat das Spiel keinen Fehler. Es ist voll planbar, wobei selbstverständlich das übliche Mehr-Spieler-Chaos eine eindeutige Gewinnstrategie verhindert. Diese Einschätzung bliebt nicht unwidersprochen. Aber was ist heutzutage schon eine allgemeingültige Wahrheit.
WPG-Wertung: Aaron: 7 (preliminary, mit der gemachten Erfahrung nochmals spielen), Günther: 8 (hat schon drei mal gespielt), Hans: 8 (unser Denker mußte zu lange warten!) , Walter: 9 (voll planbar).
Das Spiel ist eine Rezension wert, doch allein die Spielregel abzuschreiben kostet schon 11 Seiten.