30.09.2009: Entdeckungen in Marracash

Aaron und Walter hatten heute beide ihren letzten Arbeitstag. In ihrem Leben!
Wenn dieser Session-Report im Internet steht, fängt das Leben an.
1. “Zeitalter der Entdeckungen”
Ein Wirtschaftsspiel mit Geld, Schiffen, Handel und siegpunkt-trächtiger Beteiligung an Forschungsunternehmen. Die Spieler haben ihr Schicksal vollständig in der Hand. Sie kaufen Schiffe aus der offenen Auslage (große teuere oder kleine billige), erledigen Handelsaufträge aus der offenen Auslage (große oder kleine , kurz- oder langfristige), erzielen Gewinne und kaufen sich wieder neue Schiffe. Irgendwann muß man seine Schiffe aus dem Handelskreislauf ziehen und sie auf Forschungsreisen schicken, denn nur so werden Siegpunkte gemacht.
Für die verschiedenen Spielentscheidungen ist ein wohlproportioniertes Abhängigkeitsnetz aufgebaut: Große Schiffe kosten mehr Geld, können dafür aber ein größeres Handelsvolumen bewältigen; in der Siegpunktwertung auf Forschungsreisen zählen dagegen alle Schiffe gleich viel. Größere Handelsaufträge benötigen höhere Tonnagen, bringen aber auch einen höheren Gewinn ein. Dabei kann frei gewählt werden, ob ein Handelsauftrag in 1, 2 oder 3 Runden abgewickelt wird. Längerfristige Abwicklung bindet Schiffskapazitäten, erzielt am Ende aber auch einen höheren Erlös. Alles rational und stimmig.
Beim Handel ist Interaktion kaum spürbar; sie beschränkt sich auf die wetteifernde Auswahl um die am besten passenden Schiffe und Handelsaufträge.
Hier mußte mutwillig etwas Schmalz dazugegeben werden. Moritz hatte gerade das erste Schiff gekauft, da fuhr ihn Aaron auch schon von der Seite an: “Das war äußerst aggressiv gegen mich!” “Ich habe selten einen unaggressiveren Zug gemacht!” “Ich war aber doch noch gar nicht dran, du Blödmann!” “Sag doch gleich: 'Du W.c.s.r' zu mir!” – Keine Panik, kein Sittenverfall, alles nur Oktoberfeststimmung!
Erst wenn der Run auf die Forschungsaufträge einsetzt, entsteht Konkurrenz, und zwar ziemlich abrupt. Wer sich hier nicht schnell genug engagiert, kann seine teuer erworbenen Schiffe und die damit gewonnenen Barmittel in der Pfeife rauchen. Er bringt sie auf dem begrenzten Forschungsareal nicht mehr unter und kriegt dafür keine Siegpunkte.
Die offen erzielbaren Siegpunkte werden durch eine für jeden Spieler verschiedene Sonderwertung ergänzt: Spieler A bekommt 9 Punkte für jeden Forschungsauftrag, den er ganz alleine durchführt. Spieler B bekommt 7 Punkte für jeden Forschungsauftrag, bei dem er die absolut meisten Schiffe eingesetzt hat. Spieler C bekommt 6 Punkte für jeden Forschungsauftrag, bei dem er mindestens die Hälfte aller eingesetzten Schiffe besitzt. Spieler D bekommt 5 Punkte für jeden Forschungsauftrag, bei dem er mit mindestens einem Schiff beteiligt ist. Diese Punktwerte werden noch mit der Anzahl erledigter Handelsaufträge multipliziert. Dieses ist der einzige Schwachpunkt des Spiels. Kann da nicht bereits ein Blinder mit der Krücke fühlen, daß Spieler D am besten dran ist? Hans war der Glückliche und zog mit 30 Sonderpunkten an die Spitze.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (früher 7. “Das Spiel macht Spaß, die Frustbedingung kommt hinter”), Hans: 4 (“Ohne die Sonderwertung wäre es ein 7 Punkte Spiel”), Moritz: 5 (“So viele Punkte weil’s funktioniert. So wenig Punkte, weil’s beim ersten Mal toller war.”), Walter: 6 (“für die Balance, abzüglich Sonderwertung”).
Walter hat schon eine Rezension geschrieben.
2. “Marracash”
1996 von Kosmos herausgebracht lag das Spiel schon im vorigen Jahrtausend am Westpark auf dem Tisch. Allerdings hatten wir damals noch keine Internet-Seite, und deshalb hat das Spiel noch keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Selbst die Freaks unter uns waren nicht einmal sicher, ob sie das Spiel schon gespielt hatten oder nicht.
Wir ersteigern oder versteigern Läden, bringen Käufergruppen in die Altstadt, führen die Käufergruppen durch die Straßen, wo sie sich in den verschiedenen Läden verlieren. Für ersteigerte Läden zahlen wir viel Geld, für versteigerte Läden bekommen wir Provision. Jeder Kunde in unserem Laden bringt progressive Einnahmen; wurden sie von Mitspielern angeschleppt, müssen wir ihnen Provisionen zahlen. Die Topologie der Straßen von Marracash in Verbindung mit der Verteilung des Ladenbesitzes der einzelnen Mitspieler, die Zusammensetzung und die Größe der vor den Stadtmauern wartenden Käufergruppen und die nur zu ahnenden Ambitionen der Mitspieler stellen eine hübsche Herausforderung dar. Mitspielerchaos eingeschlossen. Immerhin befand unser Hausdenker ziemlich schnell: “Schon lustig, das Spiel!” Klar, für einen Hobbydenker!
Irgendwie lag heute ein bemerkenswerter Spieleifer in der Luft. Versteigerungen um lauter gleichartige Läden wurden mit einer Ernsthaftigkeit durchgeführt, als gelte es die Präsidentschaft der Baltimore & Ohio zu erwerben. Bei einem Aktionspreis von 475 Dirham wurden gewaltige Denkprozesse in Gang gesetzt, nur um zu bestimmen, ob ein Laden nicht doch 500 Dirham wert sei.
Dabei wird das Spiel nicht durch die meisten oder besten Läden entschieden, sondern durch eine gute Mischung aus Geben und Nehmen. Vielleicht kann man sogar ohne eigenen Laden das Spiel gewinnen, wenn man nur immer seinen Mitspielern genügend Kunden zuführt und die Provisionen kassiert. Walter hatte nur einen einzigen Laden, Aaron einen einzigen Laden zuviel ersteigert. Dazwischen lagen die Welten von Sieg und Niederlage.
WPG-Wertung: Aaron: 7 (“flott”), Hans: 7 (“richtiges Timing gefordert”), Moritz: 6, Walter: 7 (“locker”).
3. “6 nimmt”
Dieser frühere Standardabsacker lag vor gut 2 Jahren zum letzten Mal bei uns auf dem Tisch. Bis heute hat er nichts von seinen Qualitäten verloren.
Wir erfanden zwei neue Verteilungsprinzipien:
a) Moritz-Variante : Um mehr Verteilungsgerechtigkeit zu erzielen und die bisherigen Gewinn-Strategien zu erschüttern: Jeder Spieler bekommt aus jedem Zehnerbereich (1-10, 11-20, … , 91-100) genau 1 Karte.
Effekt (statistisch noch nicht gesichert): Die Zahlen in den ausliegenden Stapel liegen deutlich näher beisammen. Die Minuspunkte in der Endabrechnung ebenso.
b) Flaschenteufel-Variante: Die Karten werden normal ausgeteilt, hinterher gibt jeder Spieler an jeden anderen je eine beliebige Karte ab.
Effekt: Extreme Ungleichgewichte in der Kartenverteilung werden ausgeglichen, da ein Spieler mit vielen hohen Karten in der Hand eher ein paar hohe Karten abgibt, und ein Spieler mit vielen niedrigen Karten eher ein paar niedrige. (Statistisch noch nicht gesichert, aber pfiffig.)
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.