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14.09.2022: Königsmord in der Ägäis

1. “Khôra”

Zwiespältig war der Eindruck, den wir vor zwei Wochen bei der ersten Begegnung mit „Khôra“ hatte. Alles ist gediegen, vom Spielematerial angefangen über die mnemotechnisch gelungenen Symbole bis zu den Regeln, aber … Aber was? Heute sollte Moritz seine Meinung dazu abgeben dürfen.

Walter wählte sich Sparta, mit dem Günther beim letzten Mal einen grandiosen Militär-Sieg herausgeholt hatte. Mit reduzierten Verlusten bei der „Eroberung“ von „Errungenschaften“ (bei der Begriffsbildung hat hier offensichtlich ein Gender-Pazifismus zugeschlagen) sollte man mit seiner Militärmacht doch ein Siegpunkt-Bündel nach dem anderen auf sein Konto bringen können. Doch wie sagte schon Wilhelm Busch: „Ohne die gehörigen Mittel soll man keinen Krieg beginnen“, d.h. ohne sich nicht unverzüglich um seine Einnahmen zu kümmern, kommt man mit seinem Militär weder vorne noch hintern hoch.

Zudem trat vom ersten Augenblick an auch Moritz mit seinem Athen auf dem Plan. Man muss seine Soldaten ja nicht ausschließlich unter seinen eigenen Kindern aussuchen, man kann ja auch Söldner rekrutieren. Moritz verwandte seine attische Handelsüberlegenheit (mittels einer sehr glücklichen Politik-Karte) sogleich auf den Ausbau seines Militärs und errang dort die Überlegenheit, so dass Walter trotz seiner Militär-Ambitionen nicht einmal den Kalamitäten entgehen konnte, die vom bösartigen Spiel-Design für den müdesten Krieger vorgesehen sind.

Den Sieg holte sich aber Günther mit Milet. Ein Hoch auf die Wissenschaft, ein Hoch auf Thales, der mit seiner Philosophie und seiner Mathematik sowohl einem gewieften Geldpolitiker Perikles als auch einem draufhauen wollenden Militär Leonidas XII überlegen ist.

Moritz erkannte auch die Schwäche, von der wir beim letzten Mal nur eine vage Ahnung hatten: Eigentlich haben wir keine freien Entscheidungen, gutes Spiel ist mehr oder weniger vorgegeben. Am Anfang brauchen wir Geld und den dritten Würfel, das bestimmt unsere Entwicklungszüge. Die Aktionen, die wir danach tun MÜSSEN, sind durch die Politik-Karten bedingt, die uns das Schicksal in die Hand spielt oder gespielt hat.

Die Würfel sind total überflüssig. In der Realität kann jeder Spieler jederzeit jede Aktion wählen, nach der ihm der Sinn steht, und wenn man die – lästigen – Würfel weglässt, erkennt man erst, wie – von der jeweiligen Spielsituation – vorgegeben die Aktionen sind, die wir wählen müssen.

WPG-Wertung: Auch Moritz schloss sich mit 6 Punkten der WPG-Mehrheit an (nicht schlecht, aber auch nicht geil, zu simpel sind die zu treffenden Entscheidungen).

2. “Regicide”

Königsmord. Ein kooperatives Kartenspiel für 1 bis 4 Spieler, das wir am letzten Montag online via Board-Game-Arena gespielt hatten. Zum Pech für Autor und Verlag wird für das Spiel lediglich ein stinknormales Rommee-(Canasta/Bridge)-Kartenset benötigt. So etwas gab es selbst in Walters sehr beschränkten Arsenal von Spielen, und wir konnten unsere Online-Erfahrungen vom Wochenanfang heute ohne das Material des Verlags mit unseren eigenen Standard-Karten mit Life-Erfahrungen bereichern.

Regicide – Oberfläche der Implementierung bei BGA

Die Buben, Damen und Könige des Kartenspiels sind „Monster“ mit Stärkepunkten und Schädigungskraft. Jeweils eine Karte davon wird ausgespielt, und wir müssen reihum (oder ein einzelner Spieler als Patience alleine für sich) jeweils eine Karte (As, 2, 3 … bis 10) ausspielen, um die Stärke und/oder Schädigungskraft des Monsters zu reduzieren oder ganz zu beseitigen.

Dazu hat jeder Spieler beim Start 6 Karten auf der Hand. Kreuz-Karten reduzieren die Monster-Stärke doppelt, Pik-Karten reduzieren auch die Schädigungskraft, nach dem Spielen von Karo-Karten dürfen weitere Karten vom Nachziehstapel nachgezogen werden, und mit Herz-Karten werden Karten vom Abwurfstapel auf den Nachziehstapel recycelt.

Die Buben sind noch ziemlich lasche Monster mit 20 Stärke und 10 Schädigungseinheiten, doch wenn wir dann zu den Königen mit 40 Stärke und 20 Schädigungseinheiten kommen, wird es haarig; oft ist der erste König bereits der Tod der Spielerrunde, wenn wir überhaupt so weit kommen.

Viermal haben wir es letzten Montag online in einer Dreierrunde versucht und nicht geschafft, heute im Life-Betrieb haben wir zweimal ebenfalls versagt. Das ließ Moritz keine Ruhe, und wir tüftelten zu dritt an der Solovariante.

Ganz wichtige Spieltechnik: Wir müssen mit einer KARO-Karte das jeweilige Monster GENAU killen. Dann kommt die Monsterkarte nämlich auf den Nachziehstapel, und zwar an oberster Stelle, so dass wir beim durch die Karo-Karte ausgelösten Nachziehen sofort das soeben gekillte Monster nachziehen und nutzen können. Damit können wir die Stärke und/oder Schädigungskraft des neu aufgedeckten Monsters unverzüglich erheblich reduzieren. Eingedenk dieser Technik schafften wir es, auch den letzten König zu besiegen. Es war zwar kein „Gold Victory“ und auch kein „Silver Victory“, weil wir in unserer Schlacht beide Jocker einsetzen mussten, aber es war immerhin ein VICTORY.

Vielleicht hat der eine oder andere von uns jetzt Lust, in einer Mußestunde mit einer Regicide-Solo-Partie seine königsmörderischen Fähigkeiten zu vertiefen.

WPG-Wertung: Noch keine Punktevergabe. Walter findet das Solo-Spiel ganz bemerkenswert, doch eine Dreierrunde, bei der sogar eine Kommunikation über die jeweiligen Kartenhände verboten ist, hat keinen besonderen Reiz.

31.08.2022: Zum Kampf der Wagen und Gesänge

1. “Khôra”

Griechenland. Meistens. Altes. Eh klar. Wir sind Strategen und steigern unser Stadtpotential an Militär, Wirtschaft und Kultur um Eroberungen („Erkundungen“) tätigen zu können, um liquide Mittel zu bekommen und um früher oder später reichlich Siegpunkte über uns hereinbrechen zu lassen.

Material in “Khôra”

Unsere Entwicklungsstufen werden mehr oder weniger zwangsläufig pro Runde erhöht, das sonstige Spielgeschehen wird mittels Würfeln und den zugehörigen Aktionen gesteuert:

• 0 = Philosophie = Steigerung des Stadtpotentials, leicht verzögert
• 1 = Gesetzgebung = Erhalten von „Politkarten“
• 2 = Kultur = Erhalten von Sofort-Siegpunkte
• 3 = Handel = Erhalten von Geld
• 4 = Militär = Erfüllen von Voraussetzungen für unsere Weiterentwicklung
• 5 = Politik = Spielen von Politkarten zum Erhalten von Geld, Militärstärke etc., vor allem aber für Siegpunkte
• 6 = Entwicklung = Ausbau der Stadt zum Erhalten von einmaligen, wiederholten oder finalen Ausschüttungen von Geld, Militärstärke etc., sowie für Siegpunkte.

Jeder Spieler erhält eine eigene Stadt mit unterschiedlichen Aussichten zugeteilt, die ihn leicht in die Schiene drücken, nach denen seine Aktionen ausrichten soll. Wer z.B. mit „Sparta“ vorteilhafte Militäroperationen durchführen kann und am Ende auch noch eine riesige Gewinnausschüttung für seine Eroberungen bekommt, sollte hierauf seinen Entwicklungsschwerpunkt legen. Wer hingen mit „Olympia“ stärker für Kulturleistungen belohnt wird, sollte seine Ambitionen in Kultur austoben und hierin ein ständiges, gleichmäßiges Rieseln von Siegpunkten auslösen. Am Ende kann er dafür auch noch einmal dick absahnen.
Natürlich – selbstverständlich für ein gutes Spieldesign – ist es notwendig, überall ein bisschen mitzumischen, um die notwendigen Mittel und Voraussetzungen für seine anvisierten Entwicklungszüge zu schaffen.

Neun Runden dauert das städtische Gewurle, das ohne viel Interaktion über die Bühne geht. Jeder entwickelt und aktioniert sich entsprechend seiner Mittel und seiner Vorlieben in seine Richtung. Selbst das Würfeln für die Aktionen ist mehr oder weniger ein Fake, den jeder Spieler besitzt – nahezu immer – genügend „Bevölkerung“, mittels der man jeden Würfel auf praktisch jede gewünschte Augenzahl drehen kann. Beim Militär sind die angebotenen “Erkundungen” zwar alle unterschiedlich, und wer zuerst kommt, erkundet zuerst, aber im Prinzip sind sie alle gleichwertig: je mehr Militärstärke man für ein Objekt aufwenden muss, desto höher ist auch der Ertrag. Und es besteht auch keine Möglichkeit, einem Mitspieler ein lebenswichtiges Objekt vor der Nase wegzuschnappen.

Die einzelnen Runden werden durch Rundenereignisse angezeigt, die zum Teil allen Spielern etwas geben oder etwas wegnehmen (akzeptabel), zum Teil aber auch nur dem militärisch Stärksten etwas geben und dem militärisch Schwächsten etwas wegnehmen: pfui! Warum hat man in einem von Spieldesign her hübschen, System solche spielerpsychologischen Ärgernisse eingebaut? Sollen etwa die Militär-Ambitionen angeschoben werden? Ist eine große Militärpotenz nicht a priori von großem Vorteil?

Ansonsten gibt es einige Spielelemente, die – bei uns – kaum zum Tragen kamen. Deren (Design-)Aufwand steht wohl zum Nutzen in keiner günstigen Relation,  weil – wie z.B. beim Würfeln + möglicher Würfelmodifikation – ein gewünschter restriktiver Effekt gar nicht vorhanden ist. Aber wenn eine umfangreiche Maschinerie wie in „Khôra“ schon so viele Rädchen hat, an denen man sinnvoll drehen kann, dann können wir die paar überflüssigen Rädchen leicht tolerieren; das Spielgeschehen als Ganzes ist noch gut überschaubar und beherrschbar.

Was allerdings die optimale Entwicklung ist, darüber können wir höchstenfalls unser Bauchgefühl sprechen lassen. Günther bekam zu Spielbeginn – zufällig – „Sparta“ zugeteilt, entwickelte seinen Militär- und Ruhmlevel, erwarb sich auf Teufel komm‘ raus „Wissensmarker“ und erhielt allein dafür fast 50 Prozent der Siegpunkte, die Aaron und Walter am Ende besaßen. Für Günther war es etwa ein Drittel seiner Gesamtpunktzahl. Wer hat wohl gewonnen?

WPG-Wertung: Aaron: 6 (das Glückselement bei den Politkarten, und überhaupt, ist – für den Charakter eines Planungsspiels – zu groß), Günther: 6 (bis 7; nach den euphorischen Berichten in der Spielbox hätte ich etwas mehr erwartet), Walter: 7 (ein großes, rundes Spiel; für mehr Punkte müsste weniger Entwicklungs-Erbsenzählerei und mehr – spielerische – Interaktion geboten sein).

Bleibt noch zu erwähnen, dass das Spielmaterial sehr vielfältig, funktionell und robust ist, und dass die Spieleschachtel ein sehr – positiv – bemerkenswertes Design hat, in der die vielen Karten, Chips, Pöppel und Marker genau ihren individuellen Platz finden.