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19.10.2022: Schichtwechsel

1. “Schichtwechsel”

Spieleautor Thomas Spitzer ist ein Fan des Ruhrgebietes und seiner Geschichte in der Zeit der Kohleförderung. Ihn faszinieren die Abläufe, die in dieser Schlüsselindustrie zum Erfolg führten. Er modellierte sie in allen seinen abendfüllenden Spiel-Kreationen. Enkel und Urenkel von Ruhrkumpels unter Tage bzw. von Direktoren der Bergämter bekommen vor Augen geführt, mit welche Problemen ihre Ahnen zu kämpfen hatten.

Moritz schwelgt in Kies und Kohle

In „Schichtwechsel“ fördern wir in fünf Runden Kohle. Sofern wir fündig werden. Wieweit das gelingt, entscheidet der Startspieler, ein Privileg, mit dem seine Rolle versüßt wird. Für jeden Mitspieler (einschließlich für sich selber) greift er in ein Säckchen, holt blind drei Einheiten heraus (Kohle, Abraum oder u.U. auch nur Wasser) und verteilt sie nach Gutdünken. Eine schöne Gelegenheit für Seilschaften und Schacherei, die wir leider ungenutzt verstreichen ließen.

Klar, dass jeder Spieler bestrebt ist, selber Startspieler zu werden, eine Rolle, die mit dem ius primae accessis (Peter!) nur Vorteile bringt. Doch hier ist das Design sehr machterhaltend orientiert: Der Startspieler kann sich mit einem ersten Zug  pro Runde sofort wieder die Startspielerrolle für die nächste Runde sichern. Der leichte Verlust (Primärstein anstelle von 2 Aktionssteinen) ist in der Größenordnung dessen, was wir entsprechend unseres jeweils nicht-maximalen Besitzstandes an vielen Arbeitsplätzen erleiden. Und wenn der ausgeloste Startspieler sich diese Rolle über allen Runden hinweg bis zur letzten Runde sichert, bekommt er zusätzlich auch noch 2 Siegpunkte. Schlichtwegs ein MUSS!

Die zugeteilten Nutzeinheiten verteilen wir auf möglichst WENIGE Loren, weil wir an den Arbeitsplätzen für die Förderung nicht Kohleeinheiten, sondern jeweils eine Anzahl Loren ans Tageslicht bringen können. Die Tageslicht-Kohle verteilen wir auf möglichst VIELE Waggons, weil später in der Kokerei nicht jede Kohleinheit, sondern jeder Waggon in eine Kokseinheit umgewandelt wird.
Kokseinheiten werden später verkauft und bringen unverzüglich einen Worker und eine D-Mark (als Super-Worker nutzbar) ein, bei Spielende auch noch jede Menge Siegpunkte.

Die hier angedeuteten Aktionen wie Kohle-Fördern, Kohle in die Kokerei liefern, Verkoken und Verkaufen werden über das Besetzen entsprechender Arbeitsplätze ausgelöst. Alle diese Arbeitsplätze sind in Bezug auf die Quantitäten, die bearbeitet werden können (1, 1 bis 2, 1 bis 3 oder gar 1 bis 4), in Bezug auf Kosten (1 Worker, 2 Worker, den Super-Worker oder 1 DM) und in Bezug auf damit zusammenhängende Vorteile (z.B. Siegpunkte) oder Nachteile (z.B. Wassereinbruch) sehr unterschiedlich. Da die „besseren“ von ihnen pro Runde nur einmal besetzt werden können, erfordert es eine scharfe Rechnung, aus den zu Beginn 20 möglichen Arbeitsplätzen denjenigen herauszusuchen, der für unsere aktuellen Ambitionen der wichtigste ist. Zugleich sollten wir natürlich auch berücksichtigen, welche Arbeitsplätze wir in unseren weiteren Zügen belegen wollen, und ob uns vielleicht unsere Mitspieler hier in die Suppe spucken können und wollen. Wer als Startspieler nur seine ersten beiden Züge und von den Mitspielern nur den ersten Gegenzug optimieren will, der sollte etwa 1.860.480 Arbeitsplatz-Kombinationen abchecken.

Günther verfiel bei seinen Zügen regelmäßig in ein minutenlanges Bartgemurmel „hier kann ich – hier könnte ich – hier kriege ich …“, während von Aaron eher zu hören war „meine Fresse, nix Gescheits“!

Nur nicht verzagen! Neben den selbstverständlichen Bewegungen von Kohle und Abraum (auch Letzteres bringt Vorteile), gilt es auch, die Transportwege via Straße, Schiene und Fluss auszubauen und unseren Obersteiger möglichst die gesamte Zechenrunde drehen zu lassen. Hier warten an allen Ecken und Enden ungezählte Vergünstigungen, Zusatzaktionen, und Siegpunkte auf. Vielleicht kann man dieses Spiel sogar gewinnen, indem man sich ausschließlich auf diesen “Nebenkriegsschauplätzen” betätigt!

Es ist, als ob Thomas Spitzer und seine Spielerfreunde bei jeder Spiel- und Test-Session neue Elemente ins Spiel einbrachten, um die Aktionen noch vielseitiger und die Gesamtherausforderung noch größer werden zu lassen, so dass sie unermüdlich viele Stunden, Tage und Wochen in dieser Szenerie schwelgen konnten. Glück auf!

WPG-Wertung: Günther: 7 (ein super Workerplacement-Spiel; natürlich muss man dabei immer aufpassen, dass man nicht öfters mal zu kurz kommt; vielleicht spielt es sich noch besser in einer Dreier-Runde), Moritz: 7 (sehr gut ausgedacht).

Günther, bist Du zufrieden?

Walters Kurzversion:
Nach unserer Erfahrung mit „Haspelknecht“ hatte ich geschrieben: „Nach „Ruhrschifffahrt“ und „Kohle & Kolonie“ jetzt das dritte Spiel einer Trilogie um Geographie, Geschichte und Technik der Kohleförderung im Ruhrgebiet. Intensiv hat sich der Autor Thomas Spitzer mit den Begriffen und Spezifika des Kohleabbaus beschäftigt und sie in ein Spiel gegossen, das thematisch überzeugt, einen ausgereifen Workerplacement-Mechanismus präsentiert und hohen spielerischen Anforderungen genügt“.

Nach unserer Erfahrung mit „Schichtwechsel“ kann ich jetzt nur schreiben: Thomas Spitzer hat sich ein weiteres Mal um dieses Thema bemüht. Es ist ihm wieder gelungen, ein thematisch fundiertes Worker-Placement-Spiel auf den Markt zu bringen. Wir fördern Kohlen, verkoken und transportieren sie, und wenn sie nicht gestorben ist, dann fördern wir sie noch heut‘. Viele Bäume, wenig Wald.

WPG-Wertung: Aaron: 5 (zu viel Mitspielerchaos in einer Viererrunde; mich regt es auf, wenn ich immer nur den drittbesten Zug machen kann, man hätte streamlinen können/müssen), Walter: 5 (zu viele Engpässe, zu viele Optionen, zu lange Denkzeit für Denker; dieses Spiel würde ich nur dann noch einmal spielen, wenn für jeden Spieler die Denkzeit gemessen würde, und wir hinterher die Siegpunkte durch die Denkzeit dividieren; 7 Punkte für die zweifellos reife Konstruktion, auch wenn ich eine „Linie“ für gutes und richtiges Spiel darin noch nicht entdecken konnte).