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20.12.2017: Die wohlgebaute Venus

„Nichts ist tapferer als die Kühnheit. Wer kämpft wohl mit größerer Kühnheit, als der Liebende für den Geliebten? Die übrigen Götter übertrifft Mars an Tapferkeit, weil er die Menschen tapferer macht. Ihn aber bezähmt Venus.
Wenn nämlich Mars im zweiten oder achten Haus der Naivität steht, so droht er den Neugeborenen mit Unheil. Venus aber besänftigt zuweilen seine Bosheit, und zwar wenn sie zu ihm in Konjunktion oder Opposition, im Gedritt- oder Sextilschein steht.
Mars aber bezwingt niemals die Venus. Wenn Mars zu ihr in Konjunktion tritt, so macht er durch seine Hitze das Ungestüm der Venus nur noch glühender.“

Marsilio Ficino : De amore

1. “Terraforming Mars: Venus Next”

Terraforming Mars – Venus Erweiterung

Schon vor einem halben Jahr lag die Urversion von „Terraforming Mars“ zum ersten Mal bei uns auf, und schon damals tat es mir von Herzen leid, dass ich all die reichen Ideen, die wunderschönen Gaben, die harmonische Balance, das konstruktive Spielgefühl auf meine alten, spielerischen Tage nicht mehr so richtig schätzen konnte.

Hallo Günther, willst Du Dich nicht mal erbarmen und einen richtig geilen Spielbericht über TM schreiben?

Heute ging es um die „Venus Erweiterung“. Für die Freaks reicht es ja nicht, wenn sie mit 150 Entwicklungskarten kämpfen, hier kurz- mittel- und langfristig die besten für sich heraussuchen und im geeigneten Moment (bei entsprechend gefüllter Börse) zur Wirkung bringen. Sie wollen auch nicht ständig immer nur auf der Vorderseite des Mars nach Wasser graben, Grünflächen anlegen und früher oder später Städte bauen. Sie möchten auch in mehr als fünf Meilensteinen und in mehr als fünf Auszeichnungen sich mit ihren Mitspielern messen. Auf alle diese Wünsche geht die Venus ein. Dazu bringt sie einen weiteren globalen Parameter, die „Venus-Bereitschaft“, den es zu entwickeln und zu nutzen gilt.

Walter meinte, mit diesen zusätzlichen Elementen sei das Spiel (noch) komplexer geworden. Günther roch hierin die Kritik heraus und legte eifrig Widerspruch ein. Die Gesamtzahl der Karten, die wir im gesamten Spielverlauf erwerben, habe sich durch die Erweiterung wohl kaum geändert. Und wenn wir von der Hand in den Mund leben, d.h. die Karten in ihrem Gesamtzusammenhang sowieso nicht richtig einschätzen können und bei jeder Karte, die uns angeboten wird, ohnehin wie ein Ochs vorm Berg stehen, dann hat er vielleicht recht. Wenn wir „komplex“ aber in der Bedeutung von „verflochten, vielschichtig, zusammenhängend“ betrachten, dann ist TM mit der Venus-Erweiterung verflochtener, vielschichtiger, zusammenhängender, mit anderen Worten: komplexer.

Aaron suchte ohne eine vorgefasste Strategie das jeweils Beste aus den angebotenen Karten zu machen. Flexibilität ist in TM immer lohnenswert. Es reichte – trotz später nachlassender Leidenschaft – fast zum Sieg.

Walter sprang früher oder später auf die Energieschiene. Konsequent betrieben mag das erfolgreich sein, doch er hatte sich gleich in den ersten Zügen mit Nebensächlichkeiten verzettelt, z.B. eine ganze Energieproduktion für den miesnickeligen Hacker-Zug verschenkt. Letzter!

Moritz hatte jede Gelegenheit genutzt, seine Kartenhand zu füllen. Per Aktionskarten durfte er jede Runde eine Zusatzkarte für 2 statt 3 Gulden erwerben, und er konnte regelmäßig die oberste Karte vom Nachziehstapel anschauen und sie sich bei Gefallen zulegen. Doch in Summe kam bei ihm nicht das erhoffte Kartenensemble zusammen. Die erhöhte Komplexität der Venus ist hier noch schwerer zu bändigen als die 150 Karten der Basisversion. Zwischen Aaron und Walter.

Sieger wurde natürlich Günther, der sich – gewollt? gekonnt? zufällig? flexibel? probehalber? – auf Städte und Grünflächen spezialisierte und in der Endwertung damit noch einmal gehörig absahnen konnte.

WPG-Wertung: Aaron: 6 (bleibt), Günther: 8 (bleibt, „der gleiche Stiefel“), Moritz: 9 (bleibt), Walter: 7 (bleibt, wohlwollend; die Venus bietet keinen Mehrwert für einen braven Normalspieler).

2. “Startups”

Vor einem Monat schrieben wir: „Ein kleines, reizvolles Kartenspiel mit einigen alten, aber auch einer zündenden neuen Idee.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Vielleicht noch Moritz’ Bemerkung: „Vielleicht ist Mau-Mau taktischer, aber als Mini-Game ist „Startups“ OK.

WPG-Wertung: Keine Reduzierung (!) der hohen Punktevergabe mit einem Schnitt von 7.5.

Wir wünschen allen Westpark-Gamers, unseren Freunden, Lesern und Kritikern sowie allen Brettspielern dieser unserer Welt ein gesegnetes Weihnachtsfest.

22.11.2017: Das Gaia Projekt

Bridge. Offene Bayerische Paarmeisterschaft 2017. Teilnehmen dürfen alle, gute wie schlechte Spieler, und natürlich auch Ehepaare, für die Bridge-Turniere generell eine erhöhte Scheidungsgefahr darstellen, wenn sie diese nicht durch ein in jahrzehnelangem Ehefrust angewachsenes mauerdickes Anti-Frust-Fell wegstecken können.

Das Ehepaar bekommt folgendes Blatt auf die Hand:

Süd (die Frau):
Pik: DB53
Coeur: –
Karo: AKD7653
Treff: D3

Nord (der Mann):
Pik: A62
Coeur: AKDB93
Karo: 8
Treff: AK7

7 SA fallen aus der Hand. Im Skat entspricht das einem Grand-Hand mit Vieren, Schneider-Schwarz angesagt!

Die Reizung ging ohne Feindeinwirkung:
1 Karo (SIE) – 2 Coeur (ER)
2 Pik (SIE) – 4 SA (ER) – pass – pass – pass

Im Skat entspricht das etwa, als ob man mit dem Grand-Blatt bis 46 reizen würde, um dann das Spiel dem Gegner für einen Nullouvert zu überlassen.

Michael, ein Gegenspieler, fragte die Frau nach Abschluss der Reizung, was der Sprung ihres Partners in 2 Coeur bedeutete. Antwort: „10-11 Punkte“. Dann fragte er weiter, was das 4 SA-Gebot bedeutete. IHRE Antwort: „Das will er spielen.“ Jetzt fragte Michael IHN, was sein 4-SA-Gebot bedeutete. Es ist schließlich ein Recht der Verteidigung, sich ein Bild von der Verteilung der Gegner machen zu können, soweit das aus deren Reizung hervorgehen kann. Ein ehrlicher (und guter) Spieler hätte jetzt eine ehrliche Aufklärung über sein Gebot gegeben, das doch zweifellos die As-Frage und nicht „zum Spielen“ war. SEINE Antwort: „Das will ich spielen!“ Nach zwei Stichen wurde auch IHM langsam klar, dass er jetzt jetzt alle 13 Stiche machen würde, und er sagte ziemlich gepresst zu IHR: „Das wollte ich NIE spielen.“ Darauf wandte sich Michael nochmals an IHN, wissend, lächelnd, aber auch vorwurfsvoll ob der ersten Lüge: „Sie haben doch gerade gesagt, das will ich spielen“! SEINE verquälte Antwort: „Das muss ich jetzt spielen!“

1. “Gaia Project”

Beim Aufbau des Gaia-Universums

Wieder so ein Spiel, mit dem sich die Autoren Ostertag und Drögemüller einen Doktorhut, wenn nicht gar den Nobelpreis verdient haben. Tausend Schräubchen haben sie an einer Spiel-Maschine angebracht, an denen wir drehen und ziehen können, um unsere Aktionen zur Besiedlung des Universums zu lenken und zu leiten, um eine strategische Planung umzusetzen und mit flexibler Taktik auf die jeweils neuen Gegebenheiten in der Spielsituation reagieren zu können.

Mehrere abgeschlossene Schwerpunktfelder für Planung und Aktion werden uns bereitgestellt, deren innere Logik wir erfassen und beherrschen müssen, um gegenüber unseren Mitkonkurrenten Erfolg zu haben.

  1. Das Spielbrett mit dem Weltall.
    Hier fliegen die Planeten umher, die wir besiedeln dürfen. Einige sind uns direkt zugeordnet, für andere fehlt uns zu Spielbeginn die Reichweite, wieder andere müssen wir erst mit einem gewissen “Terraforming” beackern, bevor sie für uns bewohnbar werden. Natürlich ackern unsere Mitspieler hier ebenfalls, und wie in vielen Bereichen des richtigen Leben ist es auch hier nützlich der Erste zu sein.
  2. Die Rundenbooster.
    Sie gewähren Vergünstigungen (Rohstoffe bzw. Siegpunkte) je nach den Aktionen, die wir in einer Runde durchführen, bzw. je nach dem Besitzstand, den wir am Ende einer Runde haben.
    Das zwangsweise Wechseln und Neuaussuchen der Booster in jeder Runde ist eine hübsche Erfindung.
    Es ist keine leichte Entscheidung, welches für uns gerade das beste oder wichtigste ist, und auf welche Booster unsere Mitspieler ebenfalls ziemlich scharf sind, so dass wir lange, u.U. sogar bis zum Spielende vergeblich darauf warten müssen, bis sie wieder verfügbar sind.
  3. Das Forschungstableau.
    Hier gibt es sechs Kriterien, in der wir unsere Fähigkeiten (z.B. Reichweite und Navigation) in sechs Stufen verbessern können, wobei wir uns mit jeder Stufe neue Vorteile für die Besiedelung des Universums erwerben.
  4. Basis-Technologien und Ausbautechnologien.
    Insgesamt 51 Kärtchen, davon 23 verschiedene, können wir erwerben, um unsere Aktionen und unseren Spielstand honorieren zu lassen.
  5. Rohstoffe und Potenzen
    Mit jeder Menge an Geld, Erzen, Wissenschaft, Intelligence Cubes, und Machtsteinen müssen wir jonglieren, um unsere Fahrten durch das All bestreiten, bis zu 18 Gebäude von fünf verschiedene Typen (von der einfachen Mine bis zum Regierungssitz) errichten und finanzieren zu können, und sie ggf. noch durch eine Satellitenstraße für weitere Siegpunktprämien zu verbinden.

Ach, was soll ich jetzt die ganzen 24 Seiten schönster Spielregeln referieren. Es ist alles gut beschrieben und auf dem reichlichen Spielmaterial durch Piktogramme bestens visualisiert. Man muss bloß richtig hinschauen. Überall hinschauen! Auf einer Fläche von einem Quadratmeter sind die ungezählten Brennpunkte des Spiels angeordnet, jedes Detail ist wichtig, jedes Detail bringt entweder uns, oder falls wie es übersehen, unseren Konkurrenten Vorteile im Vorwärtskommen. Alles ist rund, alles ist ausbalanziert. Alles muss optimal gehandelt werden. Überall fließt Schweiß. Dreieinhalb Stunden lang. Schönster, lobenswertester Spielerschweiß. Man muss es nur mögen.

Günther hatte auf Wissenschaft gesetzt. Das vermittelte ihm recht bald ein bequemes kostensloses Vorwärtskommen auf allen Leisten der Forschungstableaus. Nicht ohne Neid – wenn sie denn hinschauten – mussten seine Nachbarn diese Gabe der Natur auf ihn herabrieseln sehen. Nur Moritz blieb gelassen. Er hatte in der Startaufstellung die grünen Terraner bekommen. Seine Spezialaufgabe lag darin, die grünen Planeten zu besiedeln. Er absolvierte seine Aufgabe mit Bravour. Am Ende setzte er sich mit 142 Siegpunkten weit vor Günther und meilenweit vor den beiden anderen Mitstreitern ab. Zu Hilfe war ihm dabei gekommen, dass die grünen Planten in dem für die Schlußwertung zufällig gezogenen Wertungsplättchen nochmals honoriert wurden. Allerdings hatte er, nach eigenen Bekunden, schon das verwandte “Terra Mystica” tausendmal im Internet studiert und praktiziert, so dass er im Gaia Project auf bekannten Pfaden wandelte.

WPG-Wertung: Aaron: 7 (1 Punkt mehr als „Terra Mystica“, weil es besser ist und die Regeln griffiger sind), Günther: 9 („Terra Mystica“ war bereits super, „Gaia“ ist noch superer), Moritz: 9 (nicht origineller als „Terra Mystica“, aber besser, logischer und durchsichtiger, es gibt mehrere offene Siegstrategien, die man flexibel handhaben muss), Walter: 7 (für Freaks gewiß 9 Punkte wert, da es keinen Fehl und Tadel aufweist. Aber ist es auch spielerisch, lustig, schadenfreudig, und – abgesehen von der leichten Konkurrenz auch – interaktiv? Für mich nicht).

2. “Startups”

Ein kleines, reizvolles Kartenspiel mit einigen alten, aber auch einer zündenden neuen Idee. Wir ziehen reihum jeweils eine Karte in sechs verschiedenen Farben vom verdeckten Stapel oder von der offenen Auslage (sofern vorhanden) und nehmen diese in unsere Kartenhand auf, dann legen wir eine Karte aus der Hand zurück in die offene Auslage oder vor uns als unsere private Farb-Auslage.

Karten einer Farbe, von der wir mehr Karten in unserer privaten Auslage haben, als jeder andere Spieler, dürfen wir aus der offenen Auslage nicht nehmen. Den ersten beißen die Hunde, die letzten können hier problemlos zugreifen.

Am Ende, wenn der verdeckte Kartenstapel aufgebraucht ist, bekommen die Spieler für die Dominanz einer Farbe in ihrer privaten Auslage von jedem Mitspieler, der ebenfalls Karten dieser Farbe ausgelegt hat, einen dicken Strafzoll. Gleicher Mehrheitsbesitz an Farbkarten pattet sich auch; die Minderheiten müssen dann auch keine Strafzölle bezahlen.

Überraschend, was sich da tut. In fünf Minuten ist ein Durchgang zu Ende. Jeder darf einmal Startspieler sein, fünf mal vier = zwanzig Minuten Logik, Überraschung und Freude. Und auch ein bißchen Pech.

WPG-Wertung: Aaron: 8 (schnell und flüssig), Günther: 7, Moritz: 7 (ganz OK; man muss es locker sehen), Walter: 8 (oder 7; spielerisch, kurzweilig, interaktiv, vom Preis-Leistungsverhältnis her ein Spitzenspiel).

Frage an die Designer: Wenn jeder Spieler reihum die einzige Karten aus der offenen Auslage nimmt und eine andere Karte dafür hinlegt, aber nie eine weitere Karte vom verdeckten Stapel nimmt, dann hat das Spiel NIE ein Ende. Dafür ist in den Regeln nichts vorgesehen. Unnötig? Nie vorgekommen? Oder kein Platz mehr in der Spielanleitung?