Können Kinder von Haus aus problemlos verlieren? Moritz macht mit seinem knapp vierjährigen Milo gerade die Erfahrung, dass dies gar nicht so leicht ist. Ich kann mich diesbezüglich an meine eigene Kindheit und die meiner Kinder nicht mehr gut erinnern. Könnte es sein, dass die Leichtigkeit, spielerische Niederlagen zu verschmerzen – oder auch das Gegenteil davon – angeboren ist? Garantiert findet man dazu auch unter Erwachsenen ein extrem weitgestreutes Naturell. Es soll Leute geben, die sogar schon Magenkrämpfe kriegen, wenn sie ein Backgammonspiel verloren haben.
1. “Aqua Romana”
Beim Auspacken des Spielmaterials lacht sofort das alte Eisenbahnerherz: Wie beim guten alten „1830“ kommen Gleisteile mit grader und gebogener Streckenführung, mit Kreuzungen und Doppelschleifen zum Vorschein. Beim näheren Hinsehen sind es allerdings keine Eisenbahngleise, die gelegt werden, sondern Bauteile von städtischen Wasserleitungen im alten Rom. Jeder Spieler hat vier Arbeiter an vier verschiedenen Wassersträngen stehen und muß versuchen, auf dem gemeinsamen Stadtterritorium mit seinen Leuten die in der Summe längste Leitung zu legen.
Die Herausforderung dabei ist, dass man nicht einfach beliebige Bauteile an sein aktuelles Wassernetz anlegen darf, sondern dass dafür der zugehörige Arbeiter in Peilrichtung zu einem passenden der vielen „Baumeister“ stehen muß, die ständig am Spielfeldrand umherlaufen. Zum gewissen Grad ist für ein bis zwei Züge vorhersehbar, welche Baumeister in Reichweite kommen werden, doch das Ganze unterliegt natürlich zum großen Teil auch dem gewöhnlichen Mitspielerchaos. Nicht rechnen, sondern einfach spielen.
WPG-Wertung: Horst: 7 (ein strategisches 2-Personenspiel, in einer 4er Runde zu chaotisch), Moritz: 6 (ganz nett, gutes Dreierspiel, am Design gibt es nicht viel auszusetzen, allerdings keine nennenswerte Interaktion, längst nicht so spannend wie z.B. „Trans Europa“), Walter: 7 (keine große Herausforderung, dafür aber sehr schnell, konstruktiv und spielerisch).
2. “A Brief History of the World”
Von Moritz ein heiß geliebtes 10-Punkte Spiel, Walter dagegen vergab vor einem Jahr lediglich 3 Punkte: “erste Phase kontemplativ, zweite Phase promiskuitiv, dritte Phase mongoloid”. Seine Vorbehalte wurden heute durch die gute Stimmung und durch Horst’s Erwartungen in den Hintergrund gedrängt.
In insgesamt 6 Epochen wählt jeder Spieler jeweils ein Volk aus, das an einer vorgegebenen Stelle des Erdkreises die Weltbühne betritt und und so lange seine Nachbarn niederwürfelt, bis alle Pöppel untergekommen oder bereits im Statu nascendi geschlagen wurden.
Würfel sind das A und O des Spiels. Natürlich dürfen wir uns auch mit Intelligenz und Fingerspitzengefühl das jeweils beste Volk auswählen, das in einer Epoche zur Verfügung steht. Die freie Auswahlaus drei Angeboten – bei drei Mitspielern – hat allerdings nur der Startspieler, d.h. der bisher schwächste in der Runde. Die anderen müssen sehen, was übrig bleibt. Dafür hat der größte Nachseher die freie Auswahl bei den Ereigniskarten, mit denen er sein Volk noch etwas aufpäppeln kann, bevor es in den Überlebenskampf auszieht. Hiervon hat dann der Startspieler keine Alternative mehr.
Kämpfen heißt würfeln. Ausschließlich. Der Neuling darf mit zwei Würfel würfeln, die Alteingesessenen nur mit einem Würfel. Als Ausgleich muß zum Gewinnen der Neuling mit wenigstens einem Würfel höher würfeln als sein Kontrahent. Schafft er das nicht, so ist er einen seiner Neupöppel los. Allerdings bekommt er dafür als Trostpflaster für seinen nächsten Würfelkampf einen Eroberungsbonus. (So etwas könnten die Rebellen in Libyen sicherlich auch gut gebrauchen!) Würfelt er andererseits sehr viel mehr Augen als der Platzhirsch, so kann er die Augenzahl-Differenz auf einem Overrun-Konto gutschreiben lassen und damit mehr oder weniger Blut-Schweiß-und-Tränenlos gleich eine ganze Reihe von Nachfolge-Städten unter seine Kontrolle bringen. (Auch diese Technik wäre im heutigen Libyen von einigem Nutzen.)
Moritz als erfahrener Brief-Historiker gab jedem Mitspieler gemeinnützig die besten Ratschläge. Vorzugweise durch das Vorgeben der Richtung, wo die meisten Siegpunkte zu holen wären. Leider liegen keine statistisch signifikant gesicherten Beobachtungen dazu vor, ob die richtungsweisenden Tips vorwiegend gegen den dritten Spieler gerichtet waren. Honi soit qui mal y pense.
Walter wollte Horst’s Hunnen schon allein aus historischen Gründen gegen Moritz’ Stellungen in Europa lenken, doch Horst ließ sie ganz unhistorisch nach Süden auf die arabische Halbinsel vordringen. Sind sie vielleicht heute immer noch dort? (Verzeihung, für diesen Mangel an political correctness!). Moritz konstatierte dem Spiel eine extrem hohe Thematik, „man lernt die Weltgeschichte“. Es ist ja schließlich egal, wohin die Hunnen wirklich gezogen sind.
„Das Glückselement ist bei drei Spielern deutlich höher als bei sechs!“ Weil die angebotene Völkerauswahl gewaltig streut und man bei weniger Mitspielern Glück haben kann, dass die schärfsten Konkurrenzvölker vielleicht gar nicht auftauchen werden. Bei sechs Mitspielern spielen hingegen alle Völker mit, und durch die individuelle Losschlag-Reihenfolge gleichen sich die unterschiedlichen Eigenschaften stärker wieder aus. Vielleicht.
WPG-Wertung: Horst: 8 (ein sehr gutes Spiel für erfahrene Freaks), Moritz: 10 (bleibt), Walter: 4 (ein Punkt mehr für das umfangreiche Spielmaterial, die gewisse Balance in verschiedenen Elementen, aber keinen Punkt mehr für ein kompliziertes, aber verkapptes reinrassiges Würfelspiel).
3. “Akkon”
Horst hat das Spiel auf dem Flohmarkt billig erstanden. Sein Rittermilieu und das entsprechende Design haben ihn angesprochen. Doch in Realität ist von dem Rittermilieu nicht viel übrig geblieben. „Akkon“ ist ein abstraktes Entwicklungsspiel, das durch unberechenbares verdecktes Bieten auf Entwicklungs- und Ärgerkarten gewonnen wird.
Jeder Spieler bekommt insgesamt 5 Bietsteine mit den Werten 2, 5, 6, 7 und 8, einen Verdoppelungsstein und einen Rabatt-Stein, die reihum verdeckt an sechs verschiedenen Bietplätzen abgelegt werden. An einen Platz dürfen sequentiell beliebig viele Bietsteine placiert werden. Nachdem alle Spieler genügend gesetzt haben, werden die Bietsteine aufgedeckt, und wer dann an einem Bietplatz am meisten geboten hat, bekommt eine offen (wenigstens!) ausliegende Karte, mit der er sein Konto an Glauben, Gold, Macht oder Ansehen erhöhen kann. Meist darf er damit sogar das entsprechende Konto eines beliebigen (Pfui!) Mitspielers erniedrigen. Mit manchen Karten darf man im nächsten Zug zwei oder drei Bietsteine von einem beliebigen (nochmals Pfui!) Mitspieler wegnehmen und sie für seine eigenen hinterlistigen Zwecke mißbrauchen!
Wer am Ende mit der Summe seines niedrigesten und seines höchsten Kontos am besten liegt, hat gewonnen. Ein einstündiger öder Bietkampf ist zu Ende gegangen. Walter bot mehrmals einen Spielabbruch an, doch Moritz fand die monotone Auseinandersetzung mit Bietsteinen um Glaubenspunkte „total spannend“.
WPG-Wertung: Horst: 4 (zäh, zu wenig Kartenvielfalt, hätte auch gerne abgebrochen), Moritz: 5 (fand den Bietmechanismus nicht schlecht), Walter: 3 (für das simple Spielprinzip viel zu lang).
PS
Hallo Hans, wir wünschen Dir, dass es Dir mit Deiner neuen Leber ganz bald wieder ganz gut geht!
2 Gedanken zu „30.03.2011: Wasser für die Welt“
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Zu “Akkon”: Wenn ich mich recht erinnere, war doch auch “Doge” von Goldsieber dereinst ganz gut bei Euch angekommen. Es ist zwar durchaus etwas direkter und kürzer als Akkon, dennoch wundert mich die dann doch etwas schlechte Note für letzteres.
Hallo Michael,
ja, Goldsieber hat bei mir einen guten Namen. (Wobei ich letzen Mittwoch Zoch’s sehr gutes „Goldbräu“ fälschlicherweise auch bei Goldsieber angesiedelt hatte.)
Doch Du siehst die beiden “Pfui” in meinem Text: Willkürlich BELIEBIGE Gegenspieler schädigen zu dürfen, riecht für mich immer danach, dass ein Spiel nicht ausbalanciert ist, und man durch solche jeder-gegen-jeden Zugmöglichkeiten den Führenden noch ans Leder kann. MEINE Steine gehören MIR, für die Interaktion muß sich der Autor etwas anders ausdenken. Und bei „Akkon“ hat er sich diesbezüglich nichts und ansonsten auch sehr wenig ausgedacht.
Die Idee, die Bietsteine in der ersten Zughälfte zum Bieten und die zurückbehaltenen Bietsteine in der zweiten Zughälfte zum Einsetzen der ersteigerten Karten zu nutzen, ist hübsch und gibt dem Spiel einen gewissen Piff. Doch eine geschlagene Stunde lang immer nur den gleichen Pfeifton zu hören, geht auch einem ADEvantgardisten auf den Kecks.
Wenn Du zu “Doge” bemerkst, dass es “direkter und kürzer” ist, so liegt genau darin der Unterschied zwischen einem guten und einem mittelmäßigen Spiel.
Gruß Walter