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19.03.2014: Hysterie of the World

Seit dem Friedensdiktat von Versailles jammern wir Deutsche dem uns vorenthaltenen Selbstbestimmungsrecht der Völker hinterher. Wie konnten wir nur den honigtriefenden 14-Punkten von Wilsons Friedens-Programm auf den Leim gehen! Insbesondere dem Punkt 5 der bei allen territorialen Ansprüchen der Herrschaften die Interessen der betreffenden Bevölkerungen („the interests of the populations concerned“) gleichberechtigt berücksichtigt haben möchte.

Jetzt ist Vladimir Putin hingegangen und hat in der seit Urdenken (zumindest soweit meine Ahnentafel zurückreicht) russischen Krim abstimmen lassen, ob sie sich von einer feindlich gesinnten Zentral-Regierung oder lieber von den Brüdern und Schwestern in Moskau regieren lassen möchte. Und der gesamte Westen, alle unsere Massen-Medien ziehen darüber her, als ob Putin der Mephisto und Vitali Klitschko das Gretchen wäre.

Ja wenn das ganze nur ein großes Derblecken wäre! Da könnte man vielleicht noch darüber lachen und auf einen Deus ex Angela hoffen. Doch die Schreiberlinge und Kommentatoren meinen ihre Hetze ernst. Systematisch werden wir mental auf den nächsten Krieg eingestimmt. Verdammte Politik!

Freundschaftliche Stimmung beim Rätsel-Romme
Freundschaftliche Stimmung beim Rätsel-Romme
1. “Mystery Rummy”
Nach dem Regelheft wird uns hiermit „ein absolut neues Spiel-Konzept“ geboten, das „die Machenschaften eines klassischen Detektivspiels“ mit den „traditionellen Strategie-Elementen eines Romme“ verbindet.

Wie von dorther gewohnt werden die Karten werden gemischt und jeder Spieler erhält neun Karten auf die Hand. Wie beim stinknormalen Romme ziehen wir – sofern wir nichts Besseres zu tun haben – jeweils eine Karte vom verdeckten Nachziehstapel auf die Hand und legen eine Karte aus der Hand auf den offenen Ablagelagestapel ab.

Wie beim stinknormalen Romme können wir zusätzlich drei oder mehr passende Karten vor uns ablegen. Der Einfachheit gelten beim „Mystery Rummy“ alle Zahlenkarten einer Kartenfarbe als passend, z.B. bilden also auch die Karten Zwei, Sieben und Zehn ein ablegbares Trio.

Wer Zahlenkarten einer Kartenfarbe auf den Hand hat, von der ein Mitspieler bereits ein Trio vor sich liegen hat, darf diese Karten in beliebiger Stückelung ebenfalls ablegen. Im Gegensatz zum Original-Romme aber nicht an das Trio des Mitspielers, sondern als Einzelkarten vor sich selbst.

Asse, Könige und Damen etc. heißen „Verdacht“, „Opfer“, „Tatort“, „Indiz“ und „Alibi“. Sie erschweren mit diesen Kriminal-Namen aber nur einem biederen Bridgespieler das Verständnis über die trivialen Abläufe und Funktionalitäten. Bilden wir die Karten und ihre Effekte doch besser auf die ganz normalen Romme-Karten ab!

Alle Damen , Buben und Könige können einzeln abgelegt werden. Wer einen Buben ablegt, kann sich die zugehörige Dame, falls sie schon irgendwo auf dem Tisch liegt, angeln und daneben legen. Oder umgekehrt, die Dame angelt den Buben.

Wer ein As ablegt, darf sich aus dem Ablagestapel eine beliebige Karte aussuchen und auf die Hand nehmen.

Sobald ein Spieler alle Karten seiner Hand ablegen konnte, ist wie beim stinknormalen Romme ein Spiel zu Ende. Alle abgelegten Karten geben Siegpunkte, alle noch in der Hand verbliebenen Karten liefern Minuspunkte. Die Kartenfarbe, die am häufigsten auf dem Tisch liegt, zählt doppelt; außer wenn von dieser Kartenfarbe auch der König auf dem Tisch abgelegt wurde.

WPG-Wertung: Es wurde vergessen, die Wertungen abzufragen. Peter hat eine 6 nachgereicht, Moritz grübelt noch, von Walter gibt es eine 5 (für eine funktionierende Romme-Variante).

2. “A Brief History of the World”
Fünf Jahre alt ist dieses schnelle Spiel um den ganz normalen Wahnsinn der Geschichte unserer Menschheit. Über drei Jahrtausende hinweg entstehen Völker in allen Enden und Ecken der Erde, breiten sich aus, schlagen ihre Nachbarn tot, bauen Festungen (um von der nächsten Generation nicht allzu leicht selbst erschlagen zu werden) und errichten Monumente (um über deren Glanz und Gloria wir ein paar Siegpunkte mehr abstauben zu können).

Strategische Herausforderung ist sechsmal die richtige Auswahl 1 aus n (n = Spielerzahl) zu treffen, d.h. aus dem jeweiligen Angebot das schlagkräftigste Volk zu wählen, mit der man möglichst viele Nachbarn totschlagen und möglichst viele Regionen unter die eigene Fuchtel bringen kann. Strategisch ist ebenfalls, die richtigen Nachbarn totzuschlagen. Denn dazu muss man würfeln. Und wenn man in die falsche Richtung würfelt, klappt das mit dem Totschlagen nicht so ratz-fatz, wie man sich das vorgestellt hat.

Intellektuell ist das Wissen um die friedlicheren Teile der Welt. Wer z.B. rechtzeitig in Südamerika ein singuläres Inkareich gründen konnte, das die Spanier auch noch blind links liegen lassen, kann damit eine ganze Weile ganz unbehelligt sein Siegpunktsüppchen kochen. Mit etwas Glück bis in die neueste Neuzeit hinein. Wer weiß, dass Australien nicht im Schwerpunkt der asiatischen Völkerwanderungen liegt, kann auch dort ein paar Langzeit-Homos ansiedeln, die sich zwar nicht vermehren, aber doch regelmäßig Siegpunkte zeugen können.

„Das Spiel ist super! Man wird seine Alltags- und Zukunftssorgen los!“ Diesen Aspekt nehmen wir Westparker leider viel zu selten bis gar nicht in Augenschein. Zweifellos verdient diese unsere Ignoranz ein „Schuldig“ in Namen der großen, weltweiten Spielergemeinde.

WPG-Wertung: Peter gesellte sich mit 8 Punkten („ich mag das“) ganz nahe an Moritz ungebrochene 10 Top-Punkte. Walter erhöhte seine Note aus dem unteren Bereich nochmals um einen Punkt auf jetzt 5 (erstens für die 3er Runde und zweitens eine Honorierung der Fleißarbeit der Autoren über die sachlich richtige Lokalität und Reihenfolge vom Entstehen und Vergehen menschlicher Zivilisationen sowie deren Umsetzung in ein erduldbares Totschlage-Spiel).

3. “Bluff”
Walter war als erster ausgeschieden und konnte das 1:1-Endspiel Moritz gegen Peter beobachten. Peter begann mit 1 mal die Eins, und Moritz hob vorsichtig auf 1 mal die Zwei. Jetzt sprang Peter absolut überraschend auf 2 mal die Vier! Was war das? Hatte er einen Stern unter seinem Becher und versuchte die Flucht nach vorne?

Und Moritz zweifelte nicht an, sondern hob auf 2 mal die Fünf! Hatte er etwa auch einen Stern gewürfelt? Wäre dann nicht 2 mal „Stern“ eine bessere Steigerung gewesen?

Walter kam das alles höchst mysteriös vor. Unerklärlich! Dabei gibt es dafür eine ganz einfache Lösung! Es wird mal wieder eine Flasche Wein für die erste richtige Lösung dieser rätselhaften Setz-Sequenz ausgesetzt! Achtung: Die Lösung liegt weniger auf der logischen, als vielmehr auf einer obskuren Ebene!

Im zweiten Durchgang standen wieder Moritz und Peter im 1:1-Endspiel. Moritz überlegte sehr lange, ehe er 1 mal die Fünf vorgab. Er hatte tatsächlich eine Fünf unter dem Becher und wurde Sieger. Peter wunderte sich: „Warum hast Du so lange überlegt?“ Mit einer gewürfelten Fünf sollte man doch immer mit 1 mal die Fünf anfangen!

Doch nach Günthers ausführlichen spieltheoretischen Rechnereien ist das falsch. Hallo Günther, kannst Du mit ganz simplen Worten einem Laienspieler klarmachen, warum man bei „Bluff“ mit einer Fünf unter dem Becher im 1:1-Endspiel als bester Stratege NICHT IMMER mit 1 mal die Fünf anfängt?
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

30.03.2011: Wasser für die Welt

Können Kinder von Haus aus problemlos verlieren? Moritz macht mit seinem knapp vierjährigen Milo gerade die Erfahrung, dass dies gar nicht so leicht ist. Ich kann mich diesbezüglich an meine eigene Kindheit und die meiner Kinder nicht mehr gut erinnern. Könnte es sein, dass die Leichtigkeit, spielerische Niederlagen zu verschmerzen – oder auch das Gegenteil davon – angeboren ist? Garantiert findet man dazu auch unter Erwachsenen ein extrem weitgestreutes Naturell. Es soll Leute geben, die sogar schon Magenkrämpfe kriegen, wenn sie ein Backgammonspiel verloren haben.
1. “Aqua Romana”
Beim Auspacken des Spielmaterials lacht sofort das alte Eisenbahnerherz: Wie beim guten alten „1830“ kommen Gleisteile mit grader und gebogener Streckenführung, mit Kreuzungen und Doppelschleifen zum Vorschein. Beim näheren Hinsehen sind es allerdings keine Eisenbahngleise, die gelegt werden, sondern Bauteile von städtischen Wasserleitungen im alten Rom. Jeder Spieler hat vier Arbeiter an vier verschiedenen Wassersträngen stehen und muß versuchen, auf dem gemeinsamen Stadtterritorium mit seinen Leuten die in der Summe längste Leitung zu legen.

Die Herausforderung dabei ist, dass man nicht einfach beliebige Bauteile an sein aktuelles Wassernetz anlegen darf, sondern dass dafür der zugehörige Arbeiter in Peilrichtung zu einem passenden der vielen „Baumeister“ stehen muß, die ständig am Spielfeldrand umherlaufen. Zum gewissen Grad ist für ein bis zwei Züge vorhersehbar, welche Baumeister in Reichweite kommen werden, doch das Ganze unterliegt natürlich zum großen Teil auch dem gewöhnlichen Mitspielerchaos. Nicht rechnen, sondern einfach spielen.
WPG-Wertung: Horst: 7 (ein strategisches 2-Personenspiel, in einer 4er Runde zu chaotisch), Moritz: 6 (ganz nett, gutes Dreierspiel, am Design gibt es nicht viel auszusetzen, allerdings keine nennenswerte Interaktion, längst nicht so spannend wie z.B. „Trans Europa“), Walter: 7 (keine große Herausforderung, dafür aber sehr schnell, konstruktiv und spielerisch).
2. “A Brief History of the World”
Von Moritz ein heiß geliebtes 10-Punkte Spiel, Walter dagegen vergab vor einem Jahr lediglich 3 Punkte: “erste Phase kontemplativ, zweite Phase promiskuitiv, dritte Phase mongoloid”. Seine Vorbehalte wurden heute durch die gute Stimmung und durch Horst’s Erwartungen in den Hintergrund gedrängt.
In insgesamt 6 Epochen wählt jeder Spieler jeweils ein Volk aus, das an einer vorgegebenen Stelle des Erdkreises die Weltbühne betritt und und so lange seine Nachbarn niederwürfelt, bis alle Pöppel untergekommen oder bereits im Statu nascendi geschlagen wurden.
Würfel sind das A und O des Spiels. Natürlich dürfen wir uns auch mit Intelligenz und Fingerspitzengefühl das jeweils beste Volk auswählen, das in einer Epoche zur Verfügung steht. Die freie Auswahlaus drei Angeboten – bei drei Mitspielern – hat allerdings nur der Startspieler, d.h. der bisher schwächste in der Runde. Die anderen müssen sehen, was übrig bleibt. Dafür hat der größte Nachseher die freie Auswahl bei den Ereigniskarten, mit denen er sein Volk noch etwas aufpäppeln kann, bevor es in den Überlebenskampf auszieht. Hiervon hat dann der Startspieler keine Alternative mehr.
Kämpfen heißt würfeln. Ausschließlich. Der Neuling darf mit zwei Würfel würfeln, die Alteingesessenen nur mit einem Würfel. Als Ausgleich muß zum Gewinnen der Neuling mit wenigstens einem Würfel höher würfeln als sein Kontrahent. Schafft er das nicht, so ist er einen seiner Neupöppel los. Allerdings bekommt er dafür als Trostpflaster für seinen nächsten Würfelkampf einen Eroberungsbonus. (So etwas könnten die Rebellen in Libyen sicherlich auch gut gebrauchen!) Würfelt er andererseits sehr viel mehr Augen als der Platzhirsch, so kann er die Augenzahl-Differenz auf einem Overrun-Konto gutschreiben lassen und damit mehr oder weniger Blut-Schweiß-und-Tränenlos gleich eine ganze Reihe von Nachfolge-Städten unter seine Kontrolle bringen. (Auch diese Technik wäre im heutigen Libyen von einigem Nutzen.)
Moritz als erfahrener Brief-Historiker gab jedem Mitspieler gemeinnützig die besten Ratschläge. Vorzugweise durch das Vorgeben der Richtung, wo die meisten Siegpunkte zu holen wären. Leider liegen keine statistisch signifikant gesicherten Beobachtungen dazu vor, ob die richtungsweisenden Tips vorwiegend gegen den dritten Spieler gerichtet waren. Honi soit qui mal y pense.
Walter wollte Horst’s Hunnen schon allein aus historischen Gründen gegen Moritz’ Stellungen in Europa lenken, doch Horst ließ sie ganz unhistorisch nach Süden auf die arabische Halbinsel vordringen. Sind sie vielleicht heute immer noch dort? (Verzeihung, für diesen Mangel an political correctness!). Moritz konstatierte dem Spiel eine extrem hohe Thematik, „man lernt die Weltgeschichte“. Es ist ja schließlich egal, wohin die Hunnen wirklich gezogen sind.
„Das Glückselement ist bei drei Spielern deutlich höher als bei sechs!“ Weil die angebotene Völkerauswahl gewaltig streut und man bei weniger Mitspielern Glück haben kann, dass die schärfsten Konkurrenzvölker vielleicht gar nicht auftauchen werden. Bei sechs Mitspielern spielen hingegen alle Völker mit, und durch die individuelle Losschlag-Reihenfolge gleichen sich die unterschiedlichen Eigenschaften stärker wieder aus. Vielleicht.
WPG-Wertung: Horst: 8 (ein sehr gutes Spiel für erfahrene Freaks), Moritz: 10 (bleibt), Walter: 4 (ein Punkt mehr für das umfangreiche Spielmaterial, die gewisse Balance in verschiedenen Elementen, aber keinen Punkt mehr für ein kompliziertes, aber verkapptes reinrassiges Würfelspiel).
3. “Akkon”
Horst hat das Spiel auf dem Flohmarkt billig erstanden. Sein Rittermilieu und das entsprechende Design haben ihn angesprochen. Doch in Realität ist von dem Rittermilieu nicht viel übrig geblieben. „Akkon“ ist ein abstraktes Entwicklungsspiel, das durch unberechenbares verdecktes Bieten auf Entwicklungs- und Ärgerkarten gewonnen wird.
Jeder Spieler bekommt insgesamt 5 Bietsteine mit den Werten 2, 5, 6, 7 und 8, einen Verdoppelungsstein und einen Rabatt-Stein, die reihum verdeckt an sechs verschiedenen Bietplätzen abgelegt werden. An einen Platz dürfen sequentiell beliebig viele Bietsteine placiert werden. Nachdem alle Spieler genügend gesetzt haben, werden die Bietsteine aufgedeckt, und wer dann an einem Bietplatz am meisten geboten hat, bekommt eine offen (wenigstens!) ausliegende Karte, mit der er sein Konto an Glauben, Gold, Macht oder Ansehen erhöhen kann. Meist darf er damit sogar das entsprechende Konto eines beliebigen (Pfui!) Mitspielers erniedrigen. Mit manchen Karten darf man im nächsten Zug zwei oder drei Bietsteine von einem beliebigen (nochmals Pfui!) Mitspieler wegnehmen und sie für seine eigenen hinterlistigen Zwecke mißbrauchen!
Wer am Ende mit der Summe seines niedrigesten und seines höchsten Kontos am besten liegt, hat gewonnen. Ein einstündiger öder Bietkampf ist zu Ende gegangen. Walter bot mehrmals einen Spielabbruch an, doch Moritz fand die monotone Auseinandersetzung mit Bietsteinen um Glaubenspunkte „total spannend“.
WPG-Wertung: Horst: 4 (zäh, zu wenig Kartenvielfalt, hätte auch gerne abgebrochen), Moritz: 5 (fand den Bietmechanismus nicht schlecht), Walter: 3 (für das simple Spielprinzip viel zu lang).
PS
Hallo Hans, wir wünschen Dir, dass es Dir mit Deiner neuen Leber ganz bald wieder ganz gut geht!

10.02.2010: Die Weltgeschichte gerät aus den Fugen

“Das Volkstümliche ist von jeher der befruchtende Quell aller Kunst gewesen, solange als es – frei von aller Reflexion – in natürlich aufsteigendem Wachstum sich bis zum Kunstwerke erheben konnte. In der Gesellschaft, wie in der Kunst, haben wir nur vom Volke gezehrt, ohne daß wir es wußten. In weitester Entfernung vom Volke hielten wir die Frucht, von der wir lebten, für Manna, das uns Privilegierten und Auserlesenen Gottes, Reichen und Genies, ganz nach himmlischer Willkür aus der Luft herab in das Maul fiel. Als wir das Manna aber verpraßt hatten, sahen wir uns nun hungrig nach den Fruchtbäumen auf Erden um und raubten diesen nun, als Räuber von Gottes Gnaden, mit keckem, räuberischem Bewußtsein ihre Früchte, unbekümmert darum, ob wir sie gepflanzt oder gepflegt hatten; ja, wir hieben die Bäume selbst um – bis auf die Wurzeln, um zu sehen, ob nicht auch diese durch künstliche Zubereitung schmackhaft oder doch wenigstens verschlingbar gemacht werden könnten. So räudeten wir den ganzen schönen Naturwald des Volkes aus, daß wir mit ihm nun als nackte, hungerleidige Bettler dastehen.”?
Über diese schwierige und wohl auch schwülstige Passage aus einem Aufsatz von Richard Wagner hatten Moritz und Walter einige kontroverse Mails gewechselt. Künstler und Laie nahmen diametral entgegengesetzte Positionen ein. Die ausgetauschen Attribute reichten von „wunderschön“ bis „zutiefst widerlich“. Welch ein Glück, daß man sich per Emails noch keine Briefbomben zukommen lassen kann.
1. “A Brief History of the World”
Alles schon mal dagewesen. Die älteste bei Luding registrierte Version dieses Eroberungsspiel stammt von Gibsons Games aus dem Jahre 1991. Avalon Hill hat sich im Jahre 1993 daran versucht, Hasbro 2001 und jetzt zur Spiel 2009 in Essen die Ragnar Brothers aus England.
Wir spielen Völker, die sich kriegerisch über die Erde ausbreiten, Städte bauen, Festungen anlegen und Denkmäler errichten. Dann kommen die bösen Nachbarn, schlagen unsere Pöppel tot, zerstören die Städte, schleifen die Festungen und münzen unsere Denkmäler zu ihren eigenen Siegpunkten um. Der ganz normale Wahnsinn um das Aufkommen und den Untergang von Reichen ist das Thema des Spiels. (Das Wort „Zivilisation“ muß einem bei dem ununterbrochenen Totschlagen ja wohl im Halse stecken bleiben.)
Früher dauerte ein einziges Spiel Stunden, um nicht zu sagen Tage. Für manche Freaks ist das gerade lang genug; für die überwiegende Mehrheit der Viel- und Wenigspieler aber viel zu lang. Die Ragnar Brüder sind auf dem Weg zur Spielzeitverkürzung wieder ein paar Schritte vorwärts gekommen. Statt sieben gibt es nur noch sechs Epochen zu bestreiten. Wie üblich setzt sich der Stärkere mit Hilfe besserer Würfelwürfe durch. Der Angreifer bekommt dabei zwei Würfel in die Hand, der Verteidiger nur einen. Bei Gleichheit gewinnt der Verteidiger. Immerhin hat er damit noch eine Überlebenschance von 42%. Doch sollte der Angreifer verlieren, darf er seinen Angriff unverzüglich wiederholen und bekommt dazu noch einen Würfelpunkt gutgeschrieben. Jetzt sind die Chancen des Verteidigers gleich auf 25% gesunken. Und so geht es weiter.
Gewinnt allerdings der Angreifer, so bekommt er die Differenz der Würfelergebnisse als Overkill-Masse angerechnet und kann damit weitere Nachbarregionen ohne Würfelrisiko kampflos erobern. So lange der Overkill reicht. Mit einem einzigen guten Wurf hat sich ein neues Volk etabliert und liefert massig Siegpunkte, mit ein paar schlechten Aaronswürfen kommt man über sein Waterloo nicht hinaus.
Woraus besteht „gutes“ Spiel? Erstens, jeweils das richtige Volk auswählen. Allerdings hat hier nur der Spieler auf dem aktuell letzten Platz die freie Auswahl. Diese Auswahl nimmt sequentiell ab; der bisher Führende kriegt am Ende die letzte Völkerkarte ohne Einspruchsmöglichkeit zugeschustert. Da hätte er halt in den vorhergehenden Runden nicht so eifrig punkten sollen. Das ist ein ganz wichtiges Kriterium für ein erfolgreiches taktische Vorgehen!
Als Ausgleich darf der Führende als erster unter den Sonderprivilegien wählen. Sie alle bringen Vorteile im Vernichtungskampf gegen die Nachbarn. Hier die richtige Auswahl zu treffen, ist die zweite Herausforderung für den Sieg. Allerdings erscheint mir bei der optimalen Auswahl unter sporadischen Hilfsvölkern oder archimedischen Festungsminen auch kein größerer Bedarf an IQ zu bestehen.
Die dritte taktische Großtat besteht im Zugriff auf Sonderpunkte. Hier darf wieder der Startspieler als erster zugreifen. Unter zufällig zusammengestellten Kärtchen für 1 bis 4 Siegpunkte darf er sich das Maximum auf seine Seite ziehen. Wer in der Schule gelernt hat, mit 4 Äpfeln zu hantieren, kann hier keinen Fehlgriff tun. Für den Letzten bleibt in der Regel nur noch ein Apfel übrig.
Bleibt noch die vierte und letzte Herausforderung in der History: Gegen wenn soll man seine Militärpotenz richten? Der Ausgangspunkt eines jeden neuen Volkes ist vorgeschrieben; die Umgebungsfelder mit hohen Siegpunkt-Quoten für erfolgreiche Eroberungen sind leicht abzulesen, die Verteidigungskraft der alteingesessenen Bevölkerung auch, nur der Würfelkampf ist nicht immer vorhersagbar und erfordert Analyse, Kompetenz und Ausdauer.
Die Siegpunktvergabe steigert sich quadratisch. Mindestens. Die Völker der ersten Epoche bestehen nur aus 2 – 3 Kriegern. Blitzschnell haben sie sich auf die 2 – 3 möglichen Regionen verteilt und die paar lumpigen Siegpunkte eingeheimst. In den letzten Epochen kann ein Volk schon mal 15 Krieger auf die Beine stellen. Da auch die Siegpunktquoten für eroberten Regionen erheblich ansteigen, kann ein begabtes Kriegervolk beim Kampfwürfeln allein in der letzten Runde die Hälfte der möglichen Siegpunkte erringen.
Hierbei ist die Spielbalance durchaus problematisch. In den letzten Epochen gibt es Völker, deren Anfangspotential ein Mehrfaches der anderen Völker einer Epoche beträgt. Wer hier das Recht der ersten Wahl hat, kann seinen Mitspieler auf und davon ziehen. Natürlich hatte bei uns Moritz hier das glückliche Händchen. Bis zur vorletzten Runde hatte er sich taktisch ganz geschickt im Hintergrund gehalten, dann bekam er die Mongolen in die Hände und als deren Horden ausgestürmt hatten, hatte er die ganze Welt vom Reich der Mitte bis zum Mittelmehr unter seine Kontrolle gebracht. Schon vor seinem letzten Zug hatte er gewonnen.
Aaron konnte sich dagegen mit seinen Mayas und Inkas gerade noch ein zurückgezogenes Plätzchen an der Sonne in den Anden sichern. Seinen Vorwurf des „Gespielt-Werdens“ konterte Moritz mit der Behauptung, ein gewisser Bruce Monnin habe in den letzten History-of-the-World-Weltmeisterschaften jedesmal gewonnen; ein eindeutiger Beweis für die Intelligenz-Anforderungen des Spiels. Walter konnte darauf nur antworten: „Das glaube ich nicht!“ Es kann nicht sein, und das ist statistisch belegbar, daß ein Spiel, das derart wenige Entscheidungsfreiheiten läßt, das aber solch enormen Zufallseinflüssen bei der unterschiedlichen Ausstattung der Völker und vor allem beim Würfelkampf unterliegt, durch strategische Überlegenheit systematisch gewonnen werden kann. Eine Entscheidung über Wahr-oder-Falsch der Bruce-Monnin-Behauptung durch Nachforschen über Google haben wir uns erspart.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (obwohl man gespielt wird), Moritz: 10 (liebt dieses Genre), Walter: 3 (erste Phase kontemplativ, zweite Phase promiskuitiv, dritte Phase mongoloid).
2. “Opera”
Ein Spiel um die klassische Musikszene in den Opernhäusern der alten Welt. Wir jonglieren mit Beethoven, Händel, Monteverdi, Mozart, Verdi und Wagner. (Nach Moritz hat hier zumindest Rossini gefehlt, und Beethoven hätte besser in ein Spiel namens „Symphonia“ ausgelagert werden sollen. Doch wir wollen den Streit um das Deutschtum in der Musik nicht nochmals aufgreifen.)
Geld regiert die Musikwelt. Wir legen das Budget für unsere Operationen fest und bezahlen damit die Angestellten unseres Musikbetriebes. Der Impressario läßt neue Werke der bekannten Künstler entstehen, der Architekt baut neue Opernhäuser in den Metropolen oder er erweitert bereits bestehende, die Signora verschafft unserem Ensemble Zugang in die Palazzi der Großkopferten, wodurch uns unverzüglich liquide Mittel zufließen, der Maestro zieht durch die Lande und erlaubt doppelte Eintrittspreise, der Critico verschiebt die Wertigkeit unserer Komponisten und der Esperto verschafft uns Extra-Siegpunkte für eine besonders gelungene Intendanz.
Bei der Startaufstellung stand Wagner ganz oben in der Rangliste. Seine Werke waren die teuersten der Welt. Wie im richtigen Leben? Keiner konnte sich den Eintritt leisten. Die Werke landeten unaufgeführt auf dem Müll. Schließlich war Bayreuth ja auch noch nicht erfunden.
Moritz wußte sogleich aus Erfahrung, daß in den privaten Herrenhäusern die Musik abgeht. Mit einer Traviata vor der Fürstin Gloria konnte er auf Anhieb seinen Etat nahezu verdoppeln. Aaron und Walter hatten sich mehr oder weniger zufällig zu einer symmetrischen Allianz in Wien zusammengefunden. Mit ihren Aktionen förderten sie unisono ihre gemeinsamen wirtschaftlichen Interesssen im Wiener Kunstleben, während sich Moritz ganz alleine in Venedig um eine Ankurbelung des Geschäfts abmühen mußte. Seine Solostellung drohte schon in Verbitterung auszuarten. Doch dann baute er mit einem Schlag die Mailänder Scala zu einem riesigen Musikpalast aus und fand auch den Maestro, der die Massen anzog und gewaltige Einnahmeströme in seine konkurrenzlosen Sääle lenkte.
Jetzt schwelgte er in liquiden Mitteln und in Optimierungsrechnungen für die richtigen Angestellten zu den richtigen Künstlern in den richtigen Openhäusern in den richtigen Weltstädten. Eine Schachuhr wäre über seinen paralysierenden Denkvorgängen nahezu geplatzt. So auch Walter. Unter Druck entschied er sich in seiner letzten Aktion für einen suboptimalen Zug … und wurde um Millimeterunterschiede nur Zweiter. Doch das ließ sein Künstlergewissen nicht ruhen. Richtig: wir hatten eine Randbedingung zu seinen Ungunsten übersehen. Am Ende konnten Venedig und Mailand den Tie-Break doch noch für sich entscheiden.
WPG-Wertung: Aaron: 7 (bekannte Spielelemente gut kombiniert), Moritz: 7 (es gibt kritische Effekte, deren Balance problematisch ist), Walter: 7(viele Herausforderungen).