05.09.2012: Luminaria eruditio praecox

Kickstarter” ist eine Internetplattform zur Finanzierung von Projekten über das Sammeln von Geldern aus einer breitgetreuten Öffentlichkeit (“crowdfunding”). Die Kapitalsucher, vor allem Künstler und Erfinder, geben eine Mindestsumme vor, die erreicht werden muss, damit ihr Projekt realisiert wird. Ist die Summe beisammen und wird das Produkt – eine Symphonie, ein Film, ein Spiel – hergestellt, so erhalten die Kapitelgeber ein Exemplar davon. (Eine Garantie für die Lieferung der versprochenen Leistungen oder für die zweckgerechte Verwendung des zugesagten Geldes gibt es allerdings nicht.)

Aaron, Günther und Moritz haben sich an Crowdfunding-Projekten für Spiele beteiligt. Moritz war jetzt der erste Glückliche, dessen Projekt verwirklicht wurde. Mit nur minimalen Schwierigkeiten beim Münchener Zoll und mit nicht ganz so minimalen Aufschlägen für Porto und Verpackung konnte er sein subskribiertes „Road to Enlightenment“ in Empfang nehmen. Dazu später.

1. “Bullenparty”
Vorab zum Warming-Up das Hornochsenspiel von letzter Woche. Wir ersteigern Hornochsenkarten, um sie sauber aufsteigend geordnet auf unserem einen Siegpunktstapel abzulegen oder weniger geordnet auf ein bis viele Strafpunktstapel zu verteilen.

Horst als Neuling versuchte sich mit der natürlichen kleckerigen Vorgehenweise, jeweils wenige aber passende Karten zu ersteigern, um möglichst ohne Strafpunkte auszukommen. Die anderen drei hatten schon Günther klotzige Raffstrategie verinnerlicht und nahmen alles mit, was sich anbot, Hauptsache viel. Für eine großen Geist sind die Strafstapel keine Abschreckung.

Günther war trotz der beiden gleichfalls allesfressenden Konkurrenten der weitaus erfolgreichste Bulle. Irgendwie schaffte er es, nicht nur viele, sondern vor allem auch dicke Hornochsen auf seinem Haben-Konto zu verbuchen. Das eigentlich ganz einfache Kartenspiel enthält doch mehr Facetten taktischer Feinheiten als der gesunde Menschenverstand es anfangs vermuten läßt.

Moritz war trotzdem nicht zufrieden: „Das Spiel gefällt mir immer weniger. Man muß einfach dumpf alle Karten nehmen! Das Spiel ist nicht direkt spannend.“ Dass es mit dem dumpfen Kartennehmen allein nicht getan ist, zeigte Güthers deutlicher Sieg. Man braucht auch ein geschicktes Strafkartenstapelmanagement. Für mehr Moritzsche Spannung schlug Günther vor, bei der nächste Auflage Orcs anstatt Hornochsen aufzudrucken. Damit ist allerdings dessen Bedürfnis nach eleganten Kampfwürfeln noch nicht befriedigt.

WPG-Wertung: Horst bliebt mit seinen 6 Punkten weitestgehend im WPG-Durchschnitt.

2. “Road to Enlightenment”
Moritz hatte sich letzte Woche auf dieses sein Kickstarter-Spiel vorbereitet. Für heute hatte er leider schon wieder alles vergessen. Etwas mühselig und beladen schleppten wir uns durch die 11 eng bedruckten Seiten höchst anspruchsvoller Spielanleitung.Road to Enlightenment card

Der Spielplan zeigt Europa nach dem 30-jährigen Krieg. Das malträtierte Deutschland ist zersplittert von Oslo bis Neapel. Kompakt präsentieren sich darum herum die stolzen Nationen wie England, Frankreich, Österreich, Polen, Schweden, und ein bisschen abseits Russland und Spanien. Diese Nationen warten nur darauf, sich das eine oder andere Stück vom Nachbarland unter den Nagel zu reißen. Ganz von der Ferne könnte hier das phantastische „Friedrich“ Inspirationswellen ausgesendet haben.

Der Motor des Spiels sind 134 verschiedene, höchst elegante Kampfkarten, mit Persönlichkeiten aus den Gebieten Militär, Politik, Wissenschaft, Kunst und Religion. Daraus sucht sich jeder frei Hand (aber verdeckt) ein zehnköpfiges Ensemble zusammen, mit dem er in den Ring steigt. Bei jedem Zug darf ein Spieler all seine Kampfkarten ausspielen, entweder in einem oder zwei Angriffen, für Gelderwerb (der Krieg ist teuer und ernährt sich keinesfalls selber) oder für Erfolge in seiner Aufklärung. Ein Spieler darf auch ein paar Karten zurückhalten, um sie später zur Verteidigung einzusetzen, wenn er selber einmal angegriffen werden sollte.

Bei einem Angriff werden die Stärkepunkte jeder gespielten Karte (Werte zwischen 0 und 5) zusammengezählt, dazu noch das Angriffspotential einer Nation (Werte zwischen 4 und 10) und ggf. ein Angriffsbonus seines Maximo Leader (0 bis 2). Für jeden hier aufaddierten Punkt darf man einen eleganten Kampfwürfel in die Hand nehmen und damit um den Sieg würfeln. Schafft man es, mit allen Kampfwürfeln zusammen insgesamt vier Sechsen zu würfeln, so ist die Schlacht gewonnen und die gegnerische Stadt eingenommen. Der Theorie nach sollte man das im Durchschnitt mit vierundzwanzig Würfeln schaffen, wir brauchten heute in der Praxis deutlich mehr und so mancher hoffnungsvolle Angriff versandete in läppischen Zweien und Dreiern.

Road to Enlightenment boardWalters massiver Angriff auf das katholische Schlesien wurde hingegen schon im Entstehen von Moritz mit einer einzigen Kampfkarte abgewürgt: Papst Innozenz XI luchste ihm mittels seiner Finanzkraft mehr als die Hälfte aller Kampfwürfel ab. Das brachte den schwedischen König Karl XII natürlich gewaltig in Harnisch. Sein Wunschtraum, eine Nacht in der Münchener Residenz verbringen zu können, war zerstoben. Am liebsten hätte er das bereits zwei Stunden lang dahindümpelnde Spiel unverzüglich abgebrochen. Doch er fand dafür bei seinen Mitkönigen keine Unterstützung.

„Road to Enlightenment“ ist ja auch kein Kriegsspiel. Moritz betonte es immer wieder und verfolgte in seinem Vorgehen auch eine ganz andere, vielversprechendere Strategie. Er brach keinen einzigen Krieg vom Zaun, dagegen arbeitete er hartnäckig, konsequent und ununterbrochen an seiner Aufklärung. In Wissenschaft und Kunst war er bald auf unerreichten Höhen, und schlußendlich konnte er die Waagschale auch noch zugunsten des Katholizismus kippen lassen. Das brachte ihm den Sieg.

Doch das Spiel funktioniert nicht. Hier nur ein Ausschnitt aus der Mängelliste:

  • Kein Spannungsbogen, von Anfang bis Ende der gleiche, zäh Ablaufmechanismus
  • Für den gleichförmigen Spielverlauf sind drei Stunden Spielzeit – bei nur vier von sieben Mitspielern! – viel zu lange
  • Die militärischen Aktionen sind viel zu aufwendig und viel zu wenig honoriert. Davon sollte man die Finger lassen. Damit aber sind 90% des Spielbretts überflüssig und der ganze Kampf reduziert sich auf ein Herumgeschiebe auf den drei Entwicklungsachsen Religion, Wissenschaft und Kunst.
  • Kein einziges Mal wurde gegen Mitspieler gekämpft. (Alles brotarme Erobern ging gegen das beklagenswerte Deuschland.) Warum sollte man auch zuerst eine teure Diplomatiekarte ausspielen um dann in einen riskanten Mitspielerkrieg zu ziehen, wo man gegen das neutrale Deutschland doch alles viel billiger und sicherer bekommt?
  • Polen focht keinen einzigen Seekampf. Dazu ist seine Hausmacht auch viel zu klein. Warum wird diese Alternative dann aber überhaupt angeboten? England focht ausschließlich Seekämpfe. Notgedrungen. Warum hat es dann aber überhaupt eine (mickrige) Landstreitkraft?
  • Die 134 verschiedenen Kampfkarten sind unnötig kompliziert, mühsam zu händeln und auszurechnen, und doch – außer bei einigen chaotischen Sonderwirkungen – ist ihr Effekt zu monton. Weniger wäre mehr.
  • Der Geldetat der verschienden Nationen ist absolut funktionslos. Bei dem wenigen Krieg, den man sinnvollerweise führen sollte und kann, ist die Kriegskasse immer voll. Man braucht keinerlei Anstrengung auf den Gelderwerb zu verwenden.

Die Ungereimtheiten des Spiels ernteten aber bald kein mißbilligendes Nasenrümpfen mehr, sie wurden eher mit einem schallenden Gelächter quittiert. Moritz fiel dazu eine Situation aus dem englischen Fernsehen ein, die ebenfalls schallendes Gelächter auslöste. Der erste Teil der Pointe war: „Wie kann man sich nur über etwas so Winziges derart freuen!“

Auf der Positiv-Seite sei vermerkt, dass das Spielmaterial höchst professionell hergestellt ist: bester Karton, Hochglanz-Karten, saubere Gulden und griffige Klötzchen in einer stabilen Schachtel. So wird das Material wohl auch in die ewigen Jagdgründe eingehen.

WPG-Wertung: Günther: 2 (der Autor hätte die jahrelange Arbeit, 134 verschiedene Persönlichkeiten zu skalieren, besser in funktionierende Spielmechanismen investiert), Horst 3 (es ist ein Wargame ohne War), Moritz: 4 (für den Entwicklungsaufwand des Autors. Viele hübsche Ideen sind angedacht, doch das Spiel hat Probleme), Walter: 3 (Fleißarbeit in Geographie und Geschichte macht noch kein spielbares Spiel).

Aaron und Günther fiebern schon ihren eigenen Crowdfunding-Spielen entgegen. Jetzt mit noch erhöhter Zitterfrequenz. Moritz freut sich schon darauf, die Kickstarter-Variation für „1830“ in die Pfanne zu hauen.

3. “Trans Europa”
Die Diskussion, ob man beim Bau des Schienennetzes zuerst in seiner eigenen Schwerpunktecke, oder eher im gemeinsamen Zentrum anfangen soll, hat nach wie vor keinen klärenden Abschluß gefunden. Wie sollte man das auch entscheiden?

Walter versuchte es mit folgender Aufgabenstellung: Jeder bekam die gleichen Städte London, Warschau, Riga, St. Petersburg und Sofia zugeteilt und sollte geheim aufschreiben, an welcher Stelle er anfangen würde. Zwei Fraktionen schälten sich heraus: Die „Berliner“ fingen im Zentrum an, die „Warschauer“ auf ihrerer eigenen Seite. Doch welche Fraktion wäre besser aufgestellt gewesen? Kann da jemand Entscheidungshilfe beisteuern?

Kein neue WPG-Wertung.

4. “Bluff”
Keine besonderen Vorkommnisse. Horst konnte die Absackerpartie mit 5:0 für sich entscheiden.

Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

“PS”
1. Nicht Horst’s Nachbar ist abgebrannt, nur dessen Hecke. Es war aber ein beeindruckendes Schauspiel.
2. Hallo Aaron, hast Du die ägyptischen Korallen-Nixen alle selber flicken können und hast Du dazu die Hilfe von Basti in Anspruch nehmen müssen?

2 Gedanken zu „05.09.2012: Luminaria eruditio praecox“

  1. Ah, jetzt verstehe ich Deinen Hinweis auf das fehlende “l”. Hatte mich schon gewundert wieso Du glaubst, dass Koralle mit drei “geschrieben wird. ;-)

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