01.10.2014: Erst fing es ganz langsam an

Sechs Tage stand unserer letzter Spielbericht im Internet, und ausschließlich im eigenen Saft haben wir uns mit Kommentaren über stumpfsinnige und blödsinnige Spielweisen bei „Amun Re“ ausgelassen. Dann tauchte aus dem Autorenkreis um „Geheimsache“ als Kommentar der Verdacht auf, wir hätten dieses Spiel vielleicht nicht verstanden oder nicht richtig gespielt. Binnen 24 Stunden wurden 12 Positionen und Gegenpositionen dazu öffentlich in den Ring geworfen. Zusätzlich wurden über den nicht-öffentlichen WPG-Verteiler nochmal geschlagene 43 Mails zu diesem Thema ausgetauscht. Von Aufforderungen zu mehr Freundlichkeit gegenüber Mitspielern und Lesern ging es über die Verteidigung von Deduktionsspielen und die Qualifikation der geheimen Tester bis zur statistischen Analyse der „Wochenpläne“.

Günther war aufgefallen, dass man 5 verschiedene Farben in 120 verschiedenen Reihenfolgen präsentieren kann. „Geheimsache“ enthält aber nur 18 verschiedene Wochenpläne. Da kommen fast 80% der möglichen Kombiationen gar nicht vor. Ist dann wenigstens der Rest ziemlich „gleichverteilt“? Siehe da: überhaupt nicht! Bei mehr als der Hälfte aller Karten gibt es zu einer gegebenen Farbe für Montag und Freitag nur überhaupt ein einziges Exemplar. Damit braucht man nur diese beiden Farben herauszufinden und schon hat man die Lösung komplett. Designfehler, Material-Sparen am falschen Ende oder gewollter Autoren-Trick?

Wer Pech hat, dem wird kein solcher rachitisch-leichter Wochenplan zugeteilt. Er muss sich dann immer noch um die Mittelfarben quälen, während seine Mitspieler schon mit der Lösung triumphieren. Abbitte an „Edith“: Nein, soweit haben wir uns wirklich nicht mit dem Spiel beschäftigt. Aber wenn wir das getan hätten, dann wäre „Geheimsache“ a priori nicht auf unserem Tisch gelandet. Wo aber sonst? Das verrate ich jetzt nicht.

PS: Hallo Horst, diese nerdige Einleitung musst Du leider nochmals über Dich ergehen lassen. Ich hatte sie schon fertig verfasst, als Deine nerdisch-verzweifelte Mail eingetrudelt ist …

1. “Viking Fury”

Moritz erklärt "Viking Fury"
Moritz erklärt “Viking Fury”

Die Wikinger waren nicht nur tumbe Germanen mit Büffelhörnern auf dem Kopf, sie waren um die Wende zum ersten nachchristlichen Jahrtausend auch ein äußerst erfolgreiches Seeräuber-Volk, das rund um das ganze Europa herum alle Meeresanrainer bedrängte, beraubte und vergewaltigte. Und wenn nix ging, dann halt erst mal Handel mit den beliebäugelten Mordopfern trieb.

Dieses „Wikinger Toben“ versuchte eine Gruppe von Autoren um die Ragner Brothers als Spiel nachzustellen. Auf Inseln in der Ostsee rüsten wir unsere Schiffe aus. Wir beladen sie mit Mannschaft und/oder mit Waren und senden sie dann auf Handels-, Besiedelungs- oder Eroberungsreisen aus.

Handel ist immer erfolgreich, allerdings kriegt man im ganzen Spiel pro fremder Stadt nur eine einzige Ware los. Auch der Siegpunkt-Erlös dafür hält sich in Grenzen. Lukrativer ist schon die Besiedelung, allerdings muss man würfeln, wenn sie gelingen soll. An manchen Stellen braucht man schon eine Sechs, um sich hiern niederlassen zu dürfen. Auch für erfolgreiche Eroberungen muss man würfeln. Sie bringen zunächst mal weniger Siegpunkte als Besiedelungen, wenn man damit aber öffentlich ausliegende „Saga“-Aufträge erfüllt, kommt noch mal ein erheblicher Siegpunktbatzen dazu. Ausserdem wird die Summe der erfüllten Sagas am Ende nochmals dicke honoriert.

Beim Ausrüsten eines Schiffes können wir es mit Runen-Zauber eindecken. Der hilft uns unterwegs beim Zuladen von Mannschaft und Ware, vor allem aber erlaubt er uns ein aggressives Vorgehen gegen unsere Mitspieler. Die einzige Art von Aggression! Ansonsten verläuft alles friedlich. Wer zuerst kommt, malt zuerst: wer zuerst handelt, verstopft den Warenfluss, wer zuerst siedelt, hat den einzigen Bauplatz ergattert, und wer zuerst erobert, der hat ohnehin nix nutz- und vögelbares hinterlassen. Etwas wenig Interaktion.

Die aggressiven Runen-Zauber besitzen erhebliche Einschlagskraft. Nicht planbar, nicht abwehrbar, aber krass. Überhaupt sind die ganzen Siegpunkt-Quellen und Senken ziemlich krass. Ein einziger normaler bis guter Würfelwurf hätte Moritz 25 Punkte bringen können (mehr als die Hälfte seines Rückstandes gegenüber dem Sieger Horst). Und mit einer einzigen Runenkarte konnte Peter seinen (konsequent ausgerechnet) schärfsten Konkurrenten Horst um 20 Punkte (16% seiner Gesamt-Siegpunkte) schädigen.

Ein bisschen mehr Balance, ein bisschen mehr Vorhersehbarkeit hätte dem Spiel gut getan. Zumindest nach heutigen Maßstäben. Aber das Spiel ist bereits 10 Jahre alt, einmal wurde es bisher am Westpark, und einmal von Moritz bei den Spuiratzn gespielt und beschrieben. „Super new game by the legendary Ragnar Brothers“ schwärmte Moritz damals in seinem Session-Report. Eine Euphorie, die sich heute nicht so recht einstellen wollte.

WPG-Wertung: Aaron: 5 (4 Punkte für das zu lange dauernde Glückspiel, 1 Punkt für die Wikinger), Horst: 6 (8 Punkte für meinen Sieg und 3 Punkte für die fiese Kingmakerei), Moritz: 8 (hat von seiner früheren Wertung nichts zurückgenommen; das Spiel ist ein Klassiker, die Mechanismen sind OK, trotz der krassen Effekte mag ich dieses Spiel), Peter: 5 (früher 8, das Spiel dauert zu lange, 2 ½ Stunden!), Walter: 6 (Aaron fragte nach: „Willst Du es noch häufiger spielen?“ „Wenigstens einmal noch, mit dem heute besseren Verständnis über die Vergabe von Siegpunkten.“)

Am Westpark besitzt das Spiel leider ein großes Handicap: Das fast 1 qm große Spielbrett besteht aus einem bedrucken Stück weißes Leinen. Äußerst Rotwein anfällig! In der Aufbauphase, während des Spiels, und heute auch in der Aufräumphase …

2. “Koryo”

Moritz musste sich überwinden, diesem Absacker aus der Wilhelminischen Ära nochmals zuzustimmen. „Im ganzen Spiel trifft man genau neun triviale Entscheidungen, die sich quasi aufdrängen.“

Leider verbringt man zudem auch noch die Hälfte der Zeit mit Karten-Mischen und Austeilen. Trotzdem geht alles relativ schnell, und das ist zweifellos einer der Vorzüge des Spiels. Die anderen kommen nur dann zum Tragen, wenn man das Spiel leicht und locker angeht. Keine einfache Übung am Westpark.

WPG-Wertung: Aaron bestätigte mit seinen 6 Punkten Koryo’s Abwärtstrend am Westpark (schnell mit erheblichem Glückseinfluss).

3. “Bluff”

Im Endkampf mit 4 Würfeln gegen 2 von Aaron fing Moritz mit 1 mal die Fünf an. Aaron hob am 2 mal die Fünf und Moritz auf 3 mal die Fünf.

Aaron hatte zwei Dreien unter dem Becher und zweifelte an. Das kostete ihn einen Würfel und besiegelte gleich danach auch sein restliches Schicksal.

Logelei: Moritz hatte mit seiner Vorgabe „3 mal die Fünf“ seinem Kontrahenten drei Bluff-Erhöhungsmöglichkeiten überlassen, die besser gewesen wären. Welche waren das? Welche davon hätte mit großer Wahrscheinlichkeit gewonnen? Mit welche Wahrscheinlichkeit hätte sie – in erster Näherung – NICHT gewonnen?
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

7 Gedanken zu „01.10.2014: Erst fing es ganz langsam an“

  1. Dann versuche ich mich mal an Walters Bluff-Logelei:
    Moritz hatte wohl 4 mal die Fūnf erfüllt, die 3 Gebote müssten dann wohl
    – 2 Sterne
    – 4 Fūnfer
    – 3 Sterne
    sein…
    Ein Gebot von 3 Sternen hätte Moritz mit 25/36 NICHT erhöhen können..

    p.s.: Horst, bitte lõschen!

  2. Hallo Günther,
    super! Alles richtig. Moritz hatte 3 Sterne und eine Fünf. Mit dem Wissen über Aarons beiden Dreien hätte man damit außer den von Dir angebotenen Tipps auch noch 5 mal die Drei bieten können. Aber dazu hätte man wohl Aaron in die Karten schauen müssen.
    Wenn Aaron aber auf 3 mal Stern gesetzt hätte, … ja, was hätte Moritz dann tun können?
    – 4 mal den Stern setzen und nachwürfeln : Chancen = 1/6
    – 6 mal die 3 setzen und nachwürfeln : Chancen = 2/6.
    Bei welchem Gebot Du auf 26/36 kommsts, kann ich allerdings nicht nachvollziehen. Vielleicht kannst Du uns dazu kurz die Idee skitzieren.

  3. 25/36: mit 2 Wùrfeln keinen Stern wūrfeln … Da hatte ich fälschlicherweise dem Moritz 5 Wuerfel gegeben…
    Natürlich hat er nur 4 Wùrfel und damit mit 5/6 verloren.

  4. Moritz’ Verlust-Chance sind noch höher, denn Aaron hätte nach Moritz Konter “4 mal Stern” mit seinen zwei Würfeln ja auch noch einmal nachwürfeln können …

  5. Wenn schon, dann bitte den Sachsenspiegel richtig zitieren: “Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.” Ich bin mir bewußt, das sich die Erlebniswelt der Jugend von heute unterscheidet, man muss es aber nicht auch noch fördern.

    Und ich persönlich finde die Tea towel Spiele der Ragnars insbesondere deswegen sehr gelungen und lege immer wieder gerne einen solchen Plan auf den Tisch. Die kann man wenigstens waschen, im Gegensatz zu Karton.

    Wenn man schon Getränke am Tisch zulässt… da fehlt mir bei den WPGn der Respekt vor dem Spiel. Gut, sind ja wohl hauptsächlich Rezensionsexemplare…

    Wolfram

  6. Wolfram, falsch! Wir spielen so gut wie nie Rezensionsexemplare, weil wir keine anfordern. Ab und zu schickt uns ein Verlag unaufgefordert ein Spiel, das ist aber die Ausnahme. Und dass die Ragnar Brothers ihre Tea Towel Version von Viking Fury als Rezi-Exemplar verschicken, glaubst du ja wohl selber nicht.

Kommentare sind geschlossen.