08.10.2014: Spiel, spieler, am spielsten

„Ich trachte danach, auf den Bällen bei Hofe ein Spiel zu finden, da man, um fünf Stunden hintereinander ununterbrochen zusammen zu bleiben, alle Redegewandtheit aufwenden muss, und das schlußendlich doch nicht hinreicht, damit den Abend ohne Gähnen auszufüllen.“ Maria Leopoldine, Bayerns letzte Kurfürstin

1. “Camel Up”

Loredana und das Kamel
Loredana und das Kamel

Günther musste glücklicherweise zuhause bleiben und den Geburtstag seiner lieben Ehefrau feiern, sonst hätte er gegen den heutigen Starter garantiert ein Veto eingelegt. Schon aus seinem diesjährigen Trauncon kam per Mail die Abwertung: „Camel Up: Hat niemandem in unserer Runde gefallen.“ Dieses Urteil haben wir alle übernommen, ohne das Spiel je gesehen zu haben: „Camel up auf der Auswahlliste zum Spiel das Jahres? Oh Gott, was kommt da wieder auf uns zu?!“ Als ambitionierte Spieler kommen wir aber nicht um das “Spiel des Jahres 2014” herum. Aaron hat es sich zugelegt und damit unser heutiges Spielemenu eröffnet.

Fünf jeweils einfarbige Kamele machen ein Würfel-Wettrennen. Gewürfelt wird mit entsprechend farbigen Hexawüfeln, die jeweils nur die Zahlen 1 bis 3 enthalten. Pro Etappe wird genau einmal für jedes Kamel gewürfel. Ein eigens dafür konstruierter Würfelturm (der allein ist schon einen Wertungspunkt wert!) sorgt dafür, dass dies problemlos bewerktstelligt wird – wenn man die mechnische Handhabung erst einmal verstanden hat.

Das Besondere dabei ist, dass Kamele auf gleichen Feldern im Huckepack übereinander positioniert werden, und wenn dann ein unteres Kamel ausgewürfelt wird, muss es die über ihm stehenden Kamele mit-transportieren. Da immer nur kleine Augenzahlen gewürfelt werden, bilden die Kamele meist einen dichten Pulk, und das Übereinander-Stehen und Trittbrettfahren steht auf der Tagesordnung.

Die Kamele gehören allen (oder niemandem) und gewürfelt wird gemeinsam. Die Konkurrenz der Spieler besteht im wesentlichen darin, darauf zu wetten, welches Kamel pro Etappe – nachdem sich jedes genau einmal bewegt hat – an den beiden führenden Positionen liegt. Jeder Wett-Tipp kann nur einmal abgegeben werden. Wer richtig liegt bekommt Geld (= Siegpunkte), wer falsch liegt, muss Geld abgeben.

Jeder Spieler darf in seinem Zug den Kamelen auch noch Steine in den Wüstenweg legen. Wenn ein Kamel darauf triff, muss ein Feld vor- oder zurückgehen. Auf wessen Steine getreten wird, der bekommt ebenfalls einen Siegpunkt. Auch das – freiwillige – Würfeln als Zug wird mit je einem Siegpunkt honoriert. Und warum sollte man diese Zug-Möglichkeit auslassen? Nun ja, mit jedem Würfelwurf wird der Kreis der Kamel-Favoriten enger und u.U. verhilft man mit seinem Würfelzug dem Nebenmann zu einem todsicheren Tipp, der dann gleich das fünffache an Siegpunkten einbringt.

Das Spiel ist lustig, und wir haben dabei viel und fast unbeschwert gelacht. Wie bei einem Mensch-ärgere-Dich-nicht. Leider kann man hier auch noch rechnen und denken, was am Westpark natürlich auch nicht ausgelassen wird. Beispielsweise könnte man sich in einer definierten Spielsituation überlegen: „Zu 50% wird als nächstes das blaue Kamel ausgewürfelt. Zu zwei Dritteln wird dabei eine Zwei oder Drei gewürfelt. Damit wird ein Stolperstein vermieden und das blaue Kamel Etappensieger. Wird für das blaue Kamel allerdings eine Eins gewürfelt, dann muss es wieder einen Schritt zurückgehen und bleibt Vierter. Wie groß ist die Chance, dass das blaue Kamel Sieger wird?“

Das ganze wird natürlich noch komplizierter, wenn das blaue Kamel ein fremdes Kamel im Huckepack trägt, und wenn für beide Kamele noch ein Würfel im Turm liegt. Es ist schon erstaunlich, wie schnell und wie gründlich ein einziger Würfelwurf die gesamte Kamel-Reihenfolge durchmischen kann.

WPG-Wertung: Peter: 4 („Günther hatte recht. Das Spiel ist langweilig. Ich möchte es nicht noch einmal spielen.“ Außerdem mag er nicht, wenn Kamele vögeln!) Aaron: 7 („Auch wenn diese Art von Glücksspielen nicht unbedingt mein Ding ist, würde ich es ohne Probleme nochmals spielen), Loredana: 6 (das Spiel ist lustig und schnell, ich würde es jetzt noch einmal spielen wollen), Walter: 6 (Günther hatte nicht recht: Es ist zwar richtig, dass in einer 6er Runde der letzte Spieler in einer Etappe leer aus geht, bevor er überhaupt einmal am Zug war, wenn die ersten fünf Spieler alle die Würfeloption wählen. Sie bekommen dafür aber gerade mal einen Siegpunkt. Für den Spielausgang sind keinerlei Entscheidungen gefallen, und der sechste Spieler wird neuer Startspieler mit absolut freier Auswahl an Handlungsoptionen. Das Spiel hat eine Reihe hübscher, neuer Wettrennen-Mechanismen, die alle sehr gut ausbalanciert sind. Ein Punktebonus angesichts der leichten, lockeren Spielerfamilien, die an der schönen Ausstattung ihre Freude haben werden.)

2. “Port Royal”

Noch ein Sieger-Spiel: „Sieger 2013 beim Spieleautoren-Wettbewerb“. Bei dieser Veranstaltung unserer östlichen Nachbarn darf jeder (angehende) Autor einen Spiel-Prototypen einsenden. Anonym unter einem Nummerncode, „damit die Jury-Mitglieder unvoreingenommen entscheiden können“. „Das Siegerspiel wird produziert.“ Die Spiele haben also noch nicht den dornenreichen Weg über einen Verlag und seine vielen professionellen Testergruppen zu Reife und Vollkommenheit gefunden. Sie sind eher durch das Hintertürchen an die Öffentlichkeit gelangt, so wie die Amateurköche unter chefkoch.de.

In „Port Royal“ zieht reihum wechselnd der aktive Spieler von einem verdeckten Stapel einzeln (fast) beliebig viele Karten und deckt sie auf. Wenn er genug Karten aufgedeckt, kann er sich eine davon zulegen:

  • Schiffe bringen Geld
  • Personen kosten Geld, bringen Siegpunkte und und verschiedene Vorteile beim Kartenaufdecken und beim Kauf weiterer Karten
  • Expeditionsaufträge werden öffentlich ausgelegt, sie müssen durch den Erwerb von geeigneten Personen erfüllt werden und bringen Siegpunkte
  • Steuererhöhungen treffen diejenigen, die bis dahin sparsamerweise gerade mal zuviel Geld angehäuft haben

Nachdem sich der aktive Spieler bedient hat, dürfen sich auch noch die Mitspieler an den gerade aufgedeckten Karten bedienen. Zu den gleichen Bedingungen wie der aktive Spieler (Geld bekommen oder Geld ausgeben), nur müssen sie zusätzlich dem aktiven Spieler für jede zu erwerbende Karte auch noch eine Geldeinheit zustecken.

Wann hört der aktive Spieler auf, weitere Karten aufzudecken? Erstens, wenn er mit den aufgedeckten Karten zufrieden ist, sich glücklich die beste davon heraussuchen kann, und seinen Mitspieler möglichst keine große Auswahl mehr hinterlassen möchte. Zweitens, um einem eingebauten Risiko zu entgehen: Wer nämlich in seinem Zug zwei Schiffe der gleichen Farbe aufdeckt, muss sofort aufhören und darf sich überhaupt keine der aufgedeckten Karte zulegen. „Can’t Stop“-Prinzip.

Das Aufdecken der Karten ist trivial. Das Angebot ist zufällig. Sich die beste Karte herauszusuchen, ist wiederum trivial. Das zweite gleichfarbige Schiff zu vermeiden, ist wiederum zufällig. Und als erster zwölf Siegpunkte für den sudden death erworben zu haben ist zufällig, zwangsläufig und trivial.

WPG-Wertung: Aaron: 3 (langweilig), Loredana: 4 (langweilig, dauert zu lange), Peter: 3 (weil es schlechter als Camel Up ist), Walter: 3 (macht überhaupt keinen Spaß; die trivialen Entscheidungen sind alle mehr oder weniger vorherbestimmt.).

3. “Tokaido”

Tokaido auf polnisch
Tokaido auf polnisch

Wer sich bei Amazon mit dem Spiel „Tokaido“ eindecken will und im Internet unter dem Namen „Tokaido Gra“ genau die erwartete Schachtel mit dem Titelbild und der passenden Übersicht dazu findet, sollte sich Gedanken machen, warum der Spielname hier noch ein „Gra“ enthält. Aaron hat sich keine Gedanken gemacht, das Spiel bestellt, und war dann baß erstaunt, dass er eine Ausgabe mit lediglich polnischer Spielanleitung bekommen hat. Wie das? Im Online-Angebot auf dem Handy war das nicht zu erkennen. Auf einem PC findet sich unter dem etwas versteckten Menuepunkt „Weitere Produktdetails“ dann die Erklärung:

    Artikelgewicht: 1,1 Kg
    Produktabmessungen: 30,5 x 30,5 x 7,6 cm
    Sprache(n): Polnisch published
    …: …

Ja wenn man mal versuchshalber das „Gra“ dem Spracherkenner vom Bing-Translator übergeben hätte, dann hätte der „Polnisch erkannt“ ausgespuckt. Gra = Spiel. Schlussfolgerung: dann könnte ja vielleicht die ganze Ausstattung polnisch sein! Genau das war’s!

Glücklicherweise gab es irgendwo im Internet auch eine Spielanleitung in Deutsch, so dass auch my Niemcy in die Geheimnisse von Tokaido eindringen konnten.

Der Spielplan zeigt einen wunderschönen verschlungenen Trampelpfad von Edo (dem heutigen Tokio) bis zur kaiserlichen Hauptstadt Kyoto. Jeder Spieler hat einen Pöppel, den er in beliebig großen Schritten vom Start zum Ziel bewegt. Einzige Bedingung, er muss unterwegs an vier Gasthöfen Rast machen und dort auf eine seine Mitspieler warten.

Natürlich wird nicht der schnellste Trampler belohnt, sondern der, der unterwegs am meisten Siegpunkte aufgesammelt hat. An jeder Stelle gibt es was zu holen. Man fühlt sich fast wie an Weihnachten, wenn unter dem Weihnachtsbaum einer vielköpfigen Familie für jeden von jedem die Geschenke liegen. Alles ist kostenlos, alles bringt Geld und/oder Siegpunkte, alles macht glücklich. Konkurrenz: keine. Interaktion: keine. Eitel Großzügigkeit und Freude!

Nicht ganz: Jedes Spielfeld darf nur von einem Spieler betreten sein. Wer auf dem Bauernhof drei Münzen kassiert hat, blockiert dieses Feld für seine Mitspieler. Die müssen halt dann zu den „heißen Quellen“, oder zum „Panorama“ oder zur „Stätte der Begegnungen“ oder zu einer der vielen anderen Orte gehen, wo sie ebenfalls beschenkt werden. Mal mehr mal weniger.

Jeder zieht soweit er will – bis maximal zum nächsten Gasthaus -, muss dann allerdings warten, bis alle Mitspieler an ihm vorbeigezogen sind. Pro Zug den möglichst kürzsten Weg zurückzulegen, an möglichst vielen Stationen anzudocken und sich das dortige Hausgeschenk anzueignen, das ist das große Geheimnis. Oder das kleine Geheimnis. Oder überhaupt kein Geheimnis, lediglich das selbstverständliche triviale Vorgehen auf dem Weg zum Kaiser.

Der 7-Wonders-Autor Antoine Bauza hat uns dieses Vergnügen beschert. Wer die erbauliche, reichlich vergütete Wanderung durch das alte Japan tief in sein metaphysisches Gemüt aufnehmen kann, oder wer wie ein Kind unter dem Weihnachtsbaum mit leuchtenden Augen sich über die vielen Geschenkpäckchen freuen kann, der wird hier glücklich werden.

WPG-Wertung: Aaron: 5 (für die kontemplative Wanderung durch die japanische Landschaft), Loredana: 4 (reines Kinderspiel; die ideale Welt für Menschen, die sich alle liebhaben), Peter: 5 (besser als Camel Up. [offensichtlich heute für ihn das Maß aller Dinge]), Walter: 3 (Zucker mit Honig und Ahornsirup).

4. “Bluff”

„Es kommt nicht mehr zu mir“ war heute jeder zweite Satz. Doch es kam immer noch einmal zu ihr und alle bis auf einen mußten Federn lassen.

Peter stand mit fünf Würfeln gegen Loredana mit einem einzigen Würfel im Endspiel. Einmal die Eins war seine Vorgabe. (Kleine Nebenfrage: Ist es zwangsläufig, dass er bei dem 5:1 Stand die erste Vorgabe machen darf?) Loredana hob auf 2 mal die Eins. Und das war es dann auch.

Frage an die Logiker: Was hatte Loredana unter ihrem Becher? Frage an die Mathematiker: Wieviele Kombinationen gab es für Peters gewinnbringendes Wurfergebnis?

Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

5 Gedanken zu „08.10.2014: Spiel, spieler, am spielsten“

  1. Anbei noch meine Wertung:
    4 Punkte: in großer Spielrunde
    5 Punkte: für 3 bis 4 angeheiterte Spieler
    P.s.: für Aaron ist jetzt Camel Up besser als Amun Re … Herzlichen Glueckwunsch!

  2. Ich stimme häufig mit den WPG überein, diesmal absolut nicht. Port Royal ist ein echtes Juwel und verdient diese Abqualifizierung nicht.

    “Das Aufdecken der Karten ist trivial.” Falsch, es ist spannend und verlangt echte Entscheidungen. Und ist ab den ersten Runden für jeden Spieler anders, abhängig von der Taktik, dem Geldbestand und der Auslage.

    “Das Angebot ist zufällig.” Aber zu beeinflussen, durch Kampfkraft. Und durch Kartenzählen abschätzbar, für den der es mag.
    “Sich die beste Karte herauszusuchen, ist wiederum trivial.” Soso, wenn ihr meint. Ich und meine Mitspieler greifen sehr oft nicht einfach zu. Sondern beziehen die eigene Lage und die der Mitspieler mit ein.

    “Das zweite gleichfarbige Schiff zu vermeiden, ist wiederum zufällig.” Noch falscherer, zu vermeiden und in Maßen abschätzbar.
    “Und als erster zwölf Siegpunkte für den sudden death erworben zu haben ist zufällig, zwangsläufig und trivial.” Ist nur ein Semi-Sudden death weil diese Runde noch zuende gespielt wird. Und wer zuerst 12 Punkte haben will, muss sich die verdienen.

    Port Royal war als Händler der Karibik schon gut und ist jetzt noch einen Tick besser. Die erweiterte Can’t stop-Teil führt zu einer Aufhellung ohne dem aktiven Spieler Entscheidungen abzunehmen. Die nachfolgende Auslageaufnahmerunde verlangt von allen Mitdenken und eigene Überlegungen. Port Royal ist eine gelungene Mischung zwischen Glück und Überlegung, insbesondere für ein Mini-Game.

    Ich empfehle allen sich selbst eine Meinung zu bilden und Port Royal nicht aufgrund dieser Einschätzung zu ingorieren, sondern selbst mehrere Runden zu spielen.

    Sorry WPGler, da liegt ihr total daneben.

    Wolfram

  3. Ich kenne nur die “Händler der Karibik”, und das war vom Spielerlebnis in der Tat so, wie die WPGler “Port Royal” beschreiben. Insofern kann ich Wolfram gar nicht zustimmen. Das Aufdecken der Karten spannend? Naja…
    Heraussuchen der Karten nicht trivial durch Einbeziehung der Spielsituation? Dass die mit einbezogen wird ist doch eh klar. Aber die Spielsituationen sind nun nicht so abartig komplex, dass man hier in Entscheidungsnöte kommen könnte…

    Und auch der Rest – sorry, aber sogar für diesen Preis und diese Spieldauer gibt’s andere Spiele mit deutlich mehr Pfiff…

  4. Oha, dass Micha einen Kommentar absetzen konnte, heißt ja wohl, dass sich das Problem alleine behoben hat.

  5. Ich kann Wolftram hier nur zustimmen und möchte seine Argumente auch nicht wiederholen. Ich möchte sie aber mit den Erfahrungen aus der Umsetzung bei yucata untermauern. Wenn ein erfahrener Spieler z.B. 70% Gewinnquote hat, spricht das nicht für Glück und triviale Entscheidungen. Ich empfehle mal jedem Interessierten bei yucata.de eine Partie gegen einen erfahrenen Spieler zu spielen: Er wird untergehen, weil er zum einen nicht das Gefühl hat wann man riskieren muss und wann man lieber safe spielen sollte und auch kein Gefühl für den Aufbauaspekt des Spiels hat.

    Bei yucata.de ist Port Royal mittlerweile das meistgespielteste Spiel seit Umsetzung und bereichert das allseits beliebte Can’t Stop (was hier wohl auch als trivial abgestempelt werden würde) um eine strategische aufbauende Komponente.

    Warum ich das hier schreibe? Eigentlich aus einem ähnlichen Grund wie oben geschrieben wurde: Ich gehe oft mit den Bewertungen hier konform und hätte mir bei Port Royal eigentlich genau das Gegenteil erwartet: Nämlich dass Port Royal in einer Liga mit Bluff als kurzweiliger, nicht trivialer Absacker, spielt.

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