Schlagwort-Archive: Brass: Birmingham

8.8.2018: 10 Punkte von den Westpark-Gamers

1. “Sagrada”

Farbenfrohes, solides Material wie bei AZUL. Jede Menge bunter Würfel, neunzig Stück, fühlt sich fast an wie die Spielsteine bei AZUL. Doch ein ganz anderes Spiel! Zwei Würfel pro Spieler plus ein Zusatzwürfel werden pro Zug blind aus einem Säckchen gezogen und alle zusammen ausgewürfelt. Jetzt darf sich jeder Spieler zweimal einen davon für sich auswählen: Der reihum wechselnde Startspieler fängt – wie der Name schon sagt – an und bekommt den ersten und den letzten Würfel. Der zweite Spieler bekommt den zweiten und den vorletzten Würfel, und so weiter; der letzte in der Zugreihenfolge darf dann gleich zweimal hintereinander wählen.

Die Würfel muss jeder Spieler auf seine private 5 x 4 Matrix einordnen. Hier ist für einen erheblichen Teil der Felder vorgeschrieben, welche Farbe oder welche Augenzahl der hier zu platzierende Würfel haben muss; die restlichen Felder dürfen beliebig belegt werden. Mit gewissen Nebenbedingungen.

Ziel des Spieles ist es, seine Matrix vollständig zu belegen und dabei  Siegpunkte für die Erfüllung „öffentlicher Aufträge“ zu erhalten, z.B. für jedes Pärchen von Würfeln mit den Augenzahlen 3 und 4, oder für drei gleichfarbige Würfel in diagonaler Nachbarschaft. Außerdem bekommt jeder Spieler zu Spielbeginn eine Spezialfarbe zugeteilt; Würfel in dieser Farbe werfen ebenfalls Siegpunkte ab.

So weit so gut. Würfeln und kalkulieren, welches der beste erste zu nehmende Würfel ist unter der Berücksichtigung, welcher Würfel dann wohl auf der Rückrunde als zweiter zu nehmender Würfel übrig bleibt, das kann man in einer akzeptabel langen Denkzeit zustande bringen.

Dann aber gibt es noch eine „Werkstatt“, die es gestattet, unter Einsatz eines Obolus die geworfenen oder bereits in die Matrix eingefügten Würfel zu manipulieren. Z.B. darf man einen Würfel auf die Kehrseite drehen oder einen Würfel in der eigenen Matrix versetzen. Jetzt wächst die mögliche Denkzeit ins Gigantische. Stellen wir uns nur vor, wir hätten bereits 10 Würfel platziert. Jeden der 10 Würfel können wir dann auf die restlichen 10 freien Felder der 20-feldrigen Matix versetzen, das sind einhundert Möglichkeiten, die zu überprüfen sind. Werden diese Möglichkeiten auch noch mit den 7 (in einer Dreierrunde geworfenen) neuen Würfeln kombiniert, wobei man noch in Ansatz nehmen muss, dass die neuen Würfel auf die Rückseite gedreht werden können, so kann man in erster Näherung schon 1400 (eintausendvierhundert) Kombinationsmöglichkeiten auf das Optimum abchecken. Ein guter, ehrgeiziger Spieler MUSS das sogar tun, er MUSS doch optimal spielen und vielleicht auch auf diese Weise gewinnen. In jedem Fall leidet das Spielerische gewaltig unter den eigenen, noch mehr aber unter den fremden Denkprozessen in dieser Kombinier-Richtung.

WPG-Wertung: Aaron: 6 (AZUL ist lockerer, spannender, Sagrada ist knobeliger [WS: was hier nicht als Vorteil angesehen wird]; es gibt viele Fehlermöglichkeiten für unzulässiges Platzieren. Auch ist das Material nicht funktionell, z.B. sieht man nicht, welche Kritierien UNTER einem zu versetzenden Würfel erfüllt sind), Günther: 8 (Sagrada ist anders als AZUL, hat aber einen schönen Knobelcharakter [WS: was hier als Vorteil angesehen wird]), Walter: 6 (hübsches Legespiel, das relativ schnell über die Bühne geht; ohne die „Werkstatt“ bekäme es mindestens einen Punkt mehr. [Man kann sie ja weglassen!]).

PS: Nach welchen Designer-Überlegungen wurde die Leiste zum Zählen der Siegpunkte farblich und topologisch gestaltet? Wer mir hier (als erstes) einen mathematisch-logisch überzeugenden Grund mitteilt, bekommt eine Flasche Rotwein, einen “Barbazul” aus Andalusien.

2. “Brass: Birmingham”

Tolle Chips und mickrige Farben in “Brass”

Das gleich Blech, das bereits vor 11 Jahren auf den Markt kam, und das wir am 10.7.2008 zum ersten Mal beschrieben haben. Nur diesmal in Grün. Damals von Marin Wallace erfunden, heute zusammen mit Matt Tolman und Gavan Brown weiterentwickelt.

Nachdem wir uns im Laufe des Spielens so peu a peu an die alten Mechanismen erinnerten, blieb nichts mehr übrig, was uns nicht von anno dazumal hätte bekannt sein können.

Unverändert gilt: „Eine ziemlich komplizierte Entwicklungsmaschinerie wird hier in Gang gesetzt. Die Spieler konkurrieren um die industrielle Entwicklung in Mittelengland, sie bauen Kohlegruben, errichten Ölförderpumpen, Baumwollfabriken, Hafenanlagen und Schiffe. Sie verbinden ihre Produktionsstätten entlang einer vorgegebenen Streckenführung mit Kanälen und Gleisen, um darauf Kohle und Eisen zu transportieren.“

Immer noch wird zweimal gebaut, zweimal gewertet und dazwischen ein Großteil der Investitionen wieder abgebaut. Immer noch bringt der Ausbau der Industrieanlagen – kein Privat- sondern Gemeineigentum – mit dem eigenen Netz, das sie verbindet, die meisten Siegpunkte.

Hat das Spiel etwa einen (kleinen) Kingmaker-Effekt, weil ich bei der Nutzung von Eisen einen beliebigen Mitspieler bevorzugen kann? Dürfen wir bei einem so begnadeten Spieleautor wie Martin Wallace es ist, darüber hinwegsehen und müssen wir es ihm gerade wegen seine genialen Kreativität ankreiden?

Auch das Kartenhandling, das den Ort für und die Art von zu bauenden Industrieanlagen steuert, ist schwerfällig, fehleranfällig und ineffizient. Ansonsten ist das Spiel rund und schön (bis auf die sehr reduzierte und damit unfunktionelle Farbgebung). Es ist rein planerisch und enthält kein einziges Zufallselement. [WS: Das ist eindeutig positiv!].

Nach der Wiedereinführung in das Regelwerk brauchten wir 1 Stunde und 10 Minuten für die erste Phase. Dann verzichteten wir weise (friedlich und leise) auf den weiteren Teil der Reise.

WPG-Wertung: Aaron: 8 (1 Punkt mehr als vor 10 Jahren), Günther: 8 (bleibt), Walter: 8 (1 Punkt weniger als vor 10 Jahren).

3. “Ernst von Mansfeld”

Nicht zu verwechseln mit „Erich von Manstein“ oder „Günther von Manteuffel“: Wir befinden uns nicht im 2. Weltkrieg, sondern ein paar Jahre früher im 30-jährigen Krieg. In der ersten Spielphase rekrutieren wir zunächst mal Soldaten bzw. Kampfkarten. Mit einem pfiffigen Würfel-Mechanismus.

Jeweils eine feste Anzahl von Kampfkarten (eine weniger als Mitspieler) mit „Kosten“ zwischen 5 und 18 Einheiten wird offen ausgelegt, die müssen wir uns erwürfeln. Um eine davon zu bekommen, muss man mit beliebig vielen Würfeln durch Addition beliebiger Augenzahlen auf genau die definierten Karten-Kosten kommen. Jeder gibt verdeckt vor, mit wievielen Würfeln er hier ins Rennen gehen möchte. Der Knackpunkt: Je mehr Würfel man wählt, desto später kommt man dran, oder umgekehrt, je weniger Würfel man einsetzen möchte, desto früher darf man versuchen, eine der Kampfkarten zu erwürfeln. Natürlich hat man Pech und geht leer aus, wenn mit den Minimal-Würfeln keiner der ausliegenden Karten-Kosten-Werte genau erreicht werden kann. Umgekehrt geht der letzte Spieler trotz einer Würfel-Potenz von massig Super-Würfeln leer aus, wenn alle Spieler vor ihm je eine Karte bekommen haben und die Auslage leer ist.

Pferdefuß: Es dürfte ziemlich häufig vorkommen, dass mehrere Spieler die gleiche Anzahl Würfel gewählt haben. Dann bekommt der Jüngste von ihnen den Zuschlag. So haben wir den Tiebreak gelöst, und das kam uns ziemlich dröge vor. Günther durfte immer triumphieren und Walter konnte ohne nennenswerte Chancenminderung immer die Höchstzahl an Würfeln wählen, er kam ohnehin immer als Letzer dran.

Das war nicht regelgerecht. Der gute „Ernst“ hat noch mehr Regeln für den Tiebreak definiert. Aaron fand es erst am nächsten Morgen im privaten post mortem. „Bei einem Gleichstand der Kartenzahl wählt derjenige zuletzt, der die teuerste Karte auf der Hand hat; bei weiterem Gleichstand der jüngste Spieler zuerst.“

Noch ein Pferdefuß: Das Karten-Erwürfeln bringt dem erfolgreichen Kartenersteigerer zahlreiche progressive Vorteile: Nachdem ein Spieler eine Kampfkarte mit Ersteigerungsbonus erwürfelt hat, bekommt er beispielsweise alle weiteren Karten billiger, oder er darf die Augenzahlen zum Erzielen der Kombination für die Kosten auch abziehen oder er gewinnt grundsätzlich den Tiebreak. Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen. Aber doch nicht ein seriöser Spieleautor!

Nachdem alle Kampfkarten erwürfelt wurden, beginnt die zweite Phase des Spiels. Wir setzen unsere Kampfkarten gezielt ein, um damit Siegpunkte zu ersteigern. Dazu werden sechs Würfel mit den Augenzahlen 1 bis 6 ausgelegt; zu jedem dieser Würfel wird ein weiterer Würfel mit zufälliger Augenzahl daneben gelegt. Jedes dieser Würfelpaare bringt dann die Summe der Augenzahlen an Siegpunkten. Die eingesetzen Kampfkarten – sowohl des Siegers wie diejenigen aller Verlieren – sind nach jeder Versteigerung ersatzlos weg!

Hier haben wir einen zweiten, entscheidenden Fehler gemacht, den uns Aaron ebenfalls erst am nächsten Morgen mitgeteilt hat: Wir haben alle 6 Würfelpaare gleich zu Beginn der zweiten Phase ermittelt. Jetzt war es für den Spieler mit den meisten Kampfkarten recht leicht, sein Potential auf genau die paar Würfelpaare zu konzentrieren, die ihm den Sieg garantieren. Nach dem Regelheft wird jeweils nur ein einziges Würfelpaar gebildet und versteigert. Damit wird dem Soldatenkönig ein bisschen Vorausplanung genommen und allen Spielern wird ein deutlicher Zufallsanteil geschenkt. Immerhin könnte der Spieler mit den wenigsten Kampfkarten jetzt für sich noch eine Siegeschance sehen. Sehen kostet ja nichts!

WPG-Wertung: Aaron: 3 (da stimmt was hinten und vorne nicht! [WS: Richtig, siehe seine nachgereichten Korreturen]), Günther: 3 (2 oder 3, das ist hier die Frage), Walter: 3 (nicht ausgereift, funktioniert nicht, reines Chaos; wenn das Spiel nach der ersten Phase zu Ende wäre, hätte es mehr Punkte verdient).
9 Punkte von der Westpark-Gamers! Wenn Aaron auf Grund der Regelkorrekturen noch einen Punkt drauflegt, dann sind es sogar 10! Zusammen!

PS: Wie angezeigt, haben wir hier eine Reihe wichtiger Regeln überlesen. Nostra culpa! Entschuldigung an den Autor. Wenn der Autor allerdings in seinem Regelheft die komplette Beschreibung der Kampfkarten vergessen hat und diese erst per Internet nachreicht, dann sollte er jetzt mit dem Steine-Werfen zurückhaltend sein.