Schlagwort-Archive: Die Werft

21.04.2010: “Die Werft”

Wieder war die Fußball Champions League keine Alternative zum Westpark. Hans hatte endlich seine Urlaubs-Rückreise aus Südfrankreich erfolgreich beenden können. Fast genauso schnell wäre er mit dem Mannschaftsbus von Olympic Lyon gewesen. Doch dort herrschte ein noch größeres Gedränge als im TGV via Paris nach München.
1. “Die Werft”
Der innovative Spieleverlag Czech Games Edition bleibt am Ball. Von seinen ersten internationalen Erfolgen u.a. mit „Sechsstädtebund“ und „Galaxy Trucker“ ermuntert, tritt er jedes Jahr in Essen mit einem neuen Spiel an. Im letzten Herbst war es „Die Werft“. Günther war vor einem halben Jahr dabei, heute konnte er das Spiel endlich am Westpark auftischen. Wir sind Schiffbauer und sollen in einer gegebenen Rundenzahl die meisten, größten, schnellsten, stärksten und/oder reichsten Schiffe auf Jungfernfahrt schicken.
Gleich beim Öffnen der Schachtel fiel Aaron das „Material ohne Ende“ auf. Allein 20 Minuten brauchten wir für die Verteilung der Karten und Kärtchen zur Startaufstellung. Weitere 10 Minuten brauchte Günther um einen groben Überblick über den Spielablauf zu geben. Das war aber nur die Einleitung. Dann fing er in seiner gewohnten Art die Detailerklärung linear und sequentiell auf Seite 1 des Regelheftes an.
Die Spieler sind nacheinander am Zug und suchen sich damit eine der verfügbaren Aktionen von der Aktionsleiste aus. „Welche verschiedenen Aktionen gibt es?“ wurde Günther natürlich sofort unterbrochen. „Das kriegen wir später.“ Erst mußten Ablauf und Randbedingungen bei der Auswahl einer Aktion ausführlich dargelegt werden. (Wäre es nicht auch anders herum gegangen?)
Insgesamt 8 verschiedene Aktionen gibt es. Eine davon heißt z.B. „Rohstoffe“; dazu setzen wir unseren Pöppel auf ein Aktionsplättchen mit einem Marktsymbol. „Wie funktioniert der Rohstoffhandel auf dem Markt?“ wurde Günther wieder unterbrochen. „Das kriegen wir später!“ Erst mußten die verschiedenen Aktionen genannt und ihre zugehörigen Aktionsplättchen vorgestellt werden. Günther blieb in seiner Regel-Didaktik genauso unbeirrbar wie van Gaal heute in seiner Offensiv-Taktik.
In unseren Aktionen fügen wir Schiffsteile – 1 Bug, 1 Heck und beliebig viele Mittelteile – zu einem Schiff zusammen. Oder wir rüsten das Schiff mit Motoren, Segeln, Schornsteinen und Kanonen aus. Die vielen Zwischenfragen (von allen!) hatten Günther sprachlich in sein oberlippisches Schneckenhaus kriechen lassen. Noch nie sind mir aus seinem Mund soviele „Es-Tes“ aufgefallen wie diesmal bei den Schorn-ßteinen!
Mit anderen Aktionen heuern wir unsere Crew an: ein Kapitän pro Schiff ist notwendig, Mannschaft und Mitfahrer sind Luxus für mehr Siegpunkte. Wenn wir uns „Anwerber“ und „Händler“ zulegen, können wir später leichter unsere Mannschaft rekrutieren und bekommen bei unserem Rohstoffhandel einen höheren Erlös. Für die Jungfernfahrt müssen wir uns rechtzeitig eine Kanalstrecke anmieten, auf der wir unser Schiff präsentieren und je nach Bauart und Ausrüstung zusätzliche Siegpunkte kassieren.
Jeder Spieler erhält noch zwei geheime „Regierungsaufträge“, deren Erfüllung ihm am Spielende zusätzliche Siegpunkte einbringt. Aaron schwante schon Schlimmes: „Das scheint sich allmählich durchzusetzen: am Ende kommt die große Überraschung!“
Günther mußte insgesamt vier Detailierungsebenen des Regelheftes durchgehen, bis wir einigermaßen durch waren. Didaktisch hervorragend, für neugierige Fohlen, die schon mit den Hufen scharren, eine Geduldsprobe. Die Sonderregeln für bestimmte Sonderfälle im Spiel hatten wir uns noch ausgespart. Immerhin waren schon eine Stunde und 45 Minuten vergangen; das Spiel Bayern gegen Olympic hatte gerade angefangen.
Wie bis hierher zu erkennen, geht es in der „Werft“ darum, innerhalb einer sehr großen Handlungsfreiheit eine ganze Latte von Optimierungsaufgaben besser zu lösen als die Mitspieler. Man muß die gerade richtig großen Schiffe aus den besten Einzelteilen bauen, die Mannschaften gerade passend zum Regierungsauftrag zusammenstellen, die Schiffe optimal ausrüsten und die lukrativsten Kanalstrecken für die zu Schiff, Ausrüstung und Auftrag passenden Jungfernfahrten anmieten. Alles ist preisgesteuert. Das jeweils nächstbeste Spielelement kostet nichts, je weiter weg vom nächstbesten Angebot man zugreift, desto mehr muß man berappen.
Günther wurde nach einen Spieltipp gefragt. Doch er mußte passen. Die Tipps aus dem Regelheft wollte er offensichtlich für sich behalten. (?) Und daß man kleine Schiffe bauen soll, wenn man im Regierungsauftrag für jedes einzelne Schiff, unabhängig von seine Größe, belohnt wird, das war ihm wohl zu trivial.
Das Spiel ist in seinen internen Abläufen sehr gut ausbalanciert. Kosten, Erlöse, Vorteile und Siegpunkte halten sich sehr gut die Waage. Immer mal wieder findet ein Spieler einen sehr guten Aufbauzug, muß aber ergänzend dazu immer auch eine Reihe „normaler“ Erwerbszüge tun. Es gibt automatische Bremsen, die das Vorpreschsen von auserwählten Taktiken und Strategien verhindern. Es gibt Engpässen und Mittel dazu, sie zu umgehen. Wichtig ist immer ein bißchen Geld in der Tasche, um im richtigen Augenblick anstatt eines nur mäßigen Zuges, einen vorzüglichen Zug tun zu können.
Direkt gegen einen Mitspieler kann man nicht spielen. Man kann ihm eigentlich nichts wegnehmen und nichts verbauen. Man kann höchstenfalls versuchen, im Windschatten des Vorgängers mitzusegeln: Die Aktion, die er gerade durchgeführt hat, kann man selber im nächsten Zug kostenlos durchführen. In dieser Richtung einen Zug vorausdenken lohnt sich.
Die Spannung steigt gegen Spielende für jeden individuell mit der Frage, ob er seine persönlichen Ziele, inbesondere den Regierungsauftrag noch erfüllen kann. Ist hier keine Frage mehr offen, dann fehlt die Spannung. Das ist sicherlich ein gewisses Manko; wenn das Spiel deutlich kürzer wäre, blieb diese Spannung (relativ) länger erhalten. Am Ende der Bayern-Partie hatten wir gerade erst die Hälfte der „Werft“ bewätigt. Für das gesamte Spiel brauchten wir 3 Stunden. Und nach der Diskussion der Vorzüge und Nachteile nochmals 20 Minuten, um das Spielmaterial wieder ordentlich einzutüten. Für Spielefreaks ist das sicherlich kein Problem, doch so viele von dieser Sorte laufen auf der Welt nicht herum.
Eine deutliche Kritik muß allerdings an den Regierungsaufträgen geübt werden. Aarons Befürchtungen zu Spielbeginn waren absolut berechtigt. Hier fehlt jegliche Balance. Wenn der eine Spieler am Ende maximal 12, der andere aber (mit Glück und Können) 32 zusätzliche Siegpunkte ergattern kann, ist damit schon fast die Unkalkulierbarkeit einer Bananenrepublik erreicht.
Günther erzielte in der Schlußwertung 56 zusätzliche Siegpunkte und konnte Walter damit auf dem (zu) kurzen Siegpunktparcours einmal vollständig umrunden. Er hatte den besten Regierungsauftrag an Land gezogen und ihn mit Konsequenz maximal ausgeschöpft. Sollen mit diesen riesigen (teilweise Zufalls-) Spannen auch die schwächeren Spieler eine Gewinnchance erhalten? Oder sollen die schwächeren Spieler 3 Stunden lang mit Hingabe ihre Siegpunktquellen tröpfeln lassen, und erst bei Spielende erleben, daß sie von den Wasserfall-Koryphäen hinweggeschwemmt werden?
WPG-Wertung: Aaron: 5 (zu viele Elemente, die zu wenig verschiedene Herausforderungen darstellen), Günther 6 (zu lange Spieldauer, viel Material und Regeln), Hans: 6 (plus ist, daß es durch die individuellen Aufgaben verschiedenen Strategien gibt; minus ist, daß es zu den verschiedenen Strategien keine Gegenstrategien gibt), Walter: 7 (honoriert die vielen neuen Spielideen und den großen Handlungsspielraum).
Hans: „Dafür, daß das Spiel so unübersichtlich ist, ist es sehr übersichtlich!“
2. “Bluff”
Hans war der spielentscheidende Spieler. Erst würfelte er zu schlecht und zweifelte zu Recht alle guten Vorgaben an. Dann würfelte er zu gut und zweifelte zu Unrecht die schlechten Vorgaben an. Das Endspiel 1:1 gegen Walter konnte er durch einen ungewöhnlichen Konter für sich entscheiden.
Seine Vorgabe von 1 mal die Zwei hatte Walter mit einem Stern unter seinem Becher befriedigt auf 1 mal die Vier gehoben, mit der Absicht, anschließend alle folgenden Gebote von Hans zu verdoppeln. Jetzt bot Hans 1 mal den Stern! Das folgenden Alles-oder-Nicht-Gebot (welches?) brachte die Entscheidung zu seinen Gunsten.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.