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09.05.2012: Väter und Großkopferte auf dem Lande

Wir sind Vater.
Siri (umgangssprachlich für Sigrid = die schöne Siegerin) Marie (Nebenform von Maria = widerspenstig) Eggert (Abwandlung von Eckehart = starke Waffe) heißt sie, heute, Mittwoch um 14:44 Uhr ist sie zur Welt gekommen und das schönste neugeborene Mädchen der Welt.
Herzlichen Glückwunsch, liebe Andrea und lieber Moritz, von allen Westpark-Gamers, die sich mit großer Freude als ihr Vater (wegen mir auch als ihre Mutter) fühlen möchten oder dürfen.

1. “Village”
Wir sind Oberhaupt einer bis zu elfköpfingen Sippe und müssen unsere Familienmitglieder eifrig und umsichtig durch die verschiedenen Stationen wirtschaftlicher und politischer Betätigung innerhalb eines Dorfverbandes führen.

  • Wir fahren die Ernte in die Scheuer.
  • Wir tauschen Getreide in Pferde, Ochsen, Pflüge, Karren, Schreibwaren oder Geld.
  • Pferde und Ochsen steigern unsere Ernte-Erträge. Außerdem läßt sich das ganze Geraffel auf dem Markt in klingende Siegpunkte umsetzen.
  • Wir steigen in die kommunale Rathauspolitik ein und streichen dafür öffentliche Privilegien ein.
  • Wir gehen auf Reisen und lernen die Welt kennen.
  • Wir heiraten und kriegen Kinder (Andrea hat das vorgemacht; das ist eine der leichtesten Übungen auf dem Lande.)
  • Wir schicken unsere Familienmitglieder zum Beten in die Kirche und lassen uns unsere überirdische Dominanz mit irdischem Segen vergelten.
  • Wir lassen unsere Familienmitglieder altern und sterben, und füllen anschließend mit ihren Heldentaten die Blätter der Dorfchronik.

Die Auswahl unserer Aktionen wird von Aktionssteinen begrenzt, die in jeder Runde auf die dörflichen Tummelplätze ausgelegt werden (Ernte, Handwerk, Markt, Rathhaus, Reise, Hochzeit, Kirche, Chronik und Friedhof). Jeder Spieler wählt aus dem Angebot an Aktionssteinen einen Stein und führt die entsprechende Aktion aus. Wenn der Hochzeitvorrat erschöpft ist, gibt es keine Kinder mehr. Wenn der Kirchenvorrat erschöpt ist, wird die Kirche geschlossen.

Ein neuartiges und sehr gelungenes Element des Spiel ist das Hantieren mit dem Alter. Anstatt auf den dörflichen Aktionsfelder unseren Tauschhandel mit Ware gegen Ware abzuwickeln, können wir fast alle unsere Begehrlichkeiten auch mit Alter bezahlen: Anstatt einen Ochsen zu verkaufen halsen wir lieber unserer Oma ein paar Jährchen auf und schicken sie umgehend über den Jordan. Die Dorfchronik wird sie stets in lebendiger Erinnerung behalten.

Es gibt an vielen Rädchen zu drehen, viele innere Abhängigkeiten und Progressionen sind zu berücksichtigen, um besser zu fahren als unsere Mitspieler. Alles bringt Siegpunkte ein, mal mehr mal weniger, mal schneller mal langsamer.

Walter ging ganz besonders ökonomisch mit seinem Polster an Altersguthaben um. Das war nicht der Hit.

Aaron favorisierte das Herumreisen. Reisen ist angenehm und bildet. Doch der Reiseproviant ist teuer und das Ummünzen der Welterfahrung in Siegpunkte ist limitiert.

Horst schickte Kind und Kegel ganz konsequent in die Kirche. Der Kasten klingelte und die Seele sprang aus dem Fegefeuer in den Himmel. Nur nicht weit genug.

Günther ließ seine Manschgerl sterben wie die Fliegen und füllte mit ihren Untaten Blatt für Blatt in der Dorfchronik. Das reichte zum Sieg.

WPG-Wertung: Aaron: 7 (reizvoller Denksport, viele kleine Baustellen, ohne damit zu überfordern), Günther: 8 (locker, nicht so kniffelig wie „Ora et labora“), Horst: 9 (Optimierungsspiel auf hohem spielerischen Niveau, athmosphärisch sehr schön, hoher Wiederspielreiz), Walter: 8 (sehr rund, sehr schön, allerdings mit einem erheblichen Solitär-Patience-Anteil und gebremster Interaktion).

2. “Handelsfürsten – Herren der Meere”
Seit langem mal wieder ein Knizia-Spiel am Westpark. Jeder Spieler hat zwei Schiffe vor sich liegen, die mit je einem bunten Warenstein (rot, grün, gelb, blau etc.) beladen sind. Jeder Spieler bestimmt die Farben auf seinen Schiffen selber – langsam aber sicher: pro Zug darf er je einen der Warensteine gegen eine beliebige andere Farbe umtauschen.

In der Mitte des Tisches gibt es einen Markt mit sechs Plätzen für bunte „Warenkarten“ in der gleichen Farbe wie die Warensteine. Hierin legen die Spieler reihum Karten aus ihrer Kartenhand ab.

Die Farben kommen auf dem Markt unterschiedlich häufig vor. Es kann sein, dass in einem Augenblick keine einzige rote, dafür aber fünf gelbe Karten dort liegen. Oder umgekehrt.

Wenn ein Spieler eine Karte einer bestimmten Farbe (oder mehrere Karten der gleichen Farbe) auf den Markt gebracht hat, werden alle Warensteine dieser Farbe auf allen Schiffen aller Spieler prämiert: Jeder Warenstein ist soviel Siegpunkte wert, wie insgesamt Warenkarten dieser Farbe auf dem Markt ausliegen. Abstrakt aber fassbar.

Das Betreben jedes Spielers muss es sein, auf seinen Schiffen möglichst viele Warensteine einer bestimmten Farbe zu haben und möglichst viele Karten dieser Farbe auf dem Markt ausspielen zu können.

Die Karten in der Hand bestimmt der Zufall, bei den Farben auf dem Markt haben die Mitspieler ein gewaltiges Wörtchen mitzureden. Sie versuchen ja das gleiche zu tun und die Farben ihrer eigenen Schiffsladungen zur Geltung zu bringen. Im chaotischen Kampf aller gegen alle kommt keiner so recht auf einen grünen Zweig.

Deswegen muß man auch bestrebt sein, ein bißchen Ordnung in das Chaos zu bringen und sich die Farb-Interessen und Farb-Potenzen seiner Mitmenschen zunutze zu machen. Hier zählt insbesondere der Vordermann. Wenn er sich z.B. viel Grün aufgeladen hat und die Farbe Grün mit reichlich grünen Karten auf dem Markt werten läßt, können wir bei einer eigenen Grünorientierung in seinem Zug gehörig mitabsahnen und mit unserm eigenen nachfolgenden Zug die grünen Prämien noch toppen. (Warum wir anschließend allerdings mehr Siegpunkte auf unserem Konto haben sollen als er, das entzieht sich dieser vordergründigen Logik.)

Im Spannungsfeld zwischen eigener Hegemonie und Trittbrettfahrerei bewegt sich der Reiz der Handelsfürsten. Keine tiefschürfende Kalkulation, aber ein flexibles Regieren auf die Farbvorlieben der Mitspieler und die Farbkarten in der eigenen Hand. Zum Aufwärmen gut geeignet.

WPG-Wertung: Aaron: 5 (ein einziges zufälliges Dahinplätschern), Horst: 5 (das Spiel plätschert nicht, man braucht einen „Handelsriecher“), Günther: 4 (fast 5, vermisst die Möglichkeit „to have a plan“), Walter: 5 (schnell, einfach, anspruchslos aber stimmig, enthält einen Schuß Hoffnung und einen Schluß Psychologie, in diesem Sinne ist es besser als „Die Tore der Welt“).

3. “Die Tore der Welt – Das Kartenspiel”
Letzte Woche war unsere Notengebung recht streng bei diesem eigentlich sauberen Kartenspiel um Bausteine, Tücher, Medizin und Frömmigkeit. Unisono nur 4 Punkte für unsere enttäuschten Erwartungen, die sich am großen Brettspiel-Bruder orientiert hatten. Wir vermißten Herausforderung, Engpässe und Dynamik. Beim Kartenspiel ist alles gemäßigter, alles geht konstant aufwärts, ca. 30 Minuten lang mehr oder weniger immer im gleichen Trott.

Heute waren Horst und Günther waren deutlich gnädiger gestimmt: “4 Punkte sind absolut unterbewertet”!

WPG-Wertung: Günther: 5 (weiß nicht, wie er die Steinlastigkeit einordnen soll), Horst: 7 (besser als die „Handelsfürsten“, ein idealer Absacker, danach hat man richtig Lust, ins Bett zu gehen“. Wir haben vergessen zu fragen: „Alleine?“), Aaron bleibt bei seinen 4 Punkten, Walter legt einen Punkt zu.
Das Spiel kostet z.Zt nur 6 Euro beim Hugendubel am Marienplatz. Bei diesen Preis ist es für jede friedliche, konstruktiv eingestellte Familie durchaus empfehlenswert.

4. “Irre genug”
Wie kommt die Erotikdame zur Demokratie? Oder die Koks-Edith mit dem Ampelidiot wer weiß wohin? Günther wußte es und stellte uns auf die Probe. Wer sich für die Auflösung dieser Buchstabenverdrehungen und eine Menge zugehörige Wissensfragen aus Staat und Politik interessiert, wende sich an die Bundeszentrale für politische Bildung. Für 1,50 Euro ist man dabei.

Keine WPG-Wertung für ein nur oberflächlich vorgestelltes Bildungsspiel.