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29.06.2011: Freuden mit den Spielen des Jahres

Schelte an den Entscheidungen der Jury zum „Spiel des Jahres“ sind an der Tagesordnung. Durch Sonderpreise für Spiele, die beim Normalverbraucher grundsätzlich nicht punkten können, z.B. für „Caylus“ und „Agricola“ als „komplexestes Spiel des Jahres“, wurde ein bißchen Unmut ausgebremst. Dieses Jahr wurde mit „Kennerspiel des Jahres“ erstmalig eine ganz neue Preiskategorie geschaffen, in der anspruchsvollere Spiele honoriert werden können.
Dass das relativ elementare Kartensammelspiel „7 Wonders“ nur in dieser Randkategorie gewinnen konnte, war überraschend. Denn das Spiel ist einfach genug und hätte auch in der Hauptkategorie konkurrieren können. Sind denn in der Hauptkategorie nur noch Kinderspiele prämierfähig?
Für Aarons Seufzer: „Die Jury enttäuscht mich von Jahr zu Jahr mehr“ fand Horst die Begründung: „Das Bildungsniveau der Bevölkerung nimmt ja auch von Jahr zu Jahr ab“. Demnächst wird bei uns in Bayern ja die Hauptschule abgeschafft. Damit ist dann gewährleistet, dass wir in kürzester Zeit eine Abiturientenquote von 100% bekommen werden.
1. “Qwirkle”
Zum Warming-up sollte der Preisträger zum Spiel des Jahres 2011 am Westpark auf jeden Fall geeignet sein. Auch wenn die aktuell vorherrschende Lästerstimmung eher kontraproduktisch war. Günther erkannte in den Regeln noch relativ ernsthaft ein „Genial light“, der Rest eher ein „Scrabble für Analphabeten“: Anstelle von Buchstaben müssen wir Bausteine mit farbigen Symbolen ablegen. Anstatt mit unseren Buchstabensteinen gültige Duden-Wörter zu bilden, müssen wir unsere Bausteine in gleichfarbigen oder gleichsymboligen Ketten ablegen, und zwar genauso wie bei „Scrabble“ anschließend an die Muster, die auf dem Spielbrett bereits ausliegen.
Die Jury von „Spiel des Jahres“ hat dazu angemerkt: „Einfache und logische Regeln bestimmen dieses nahezu selbst erklärende Legespiel, das einen sofort gefangen nimmt. Das Kombinieren von Farben und Formen erfordert neben ein bisschen Glück auch Voraussicht und taktische Überlegungen. Die griffigen und farbig bedruckten Holzsteine haben einen hohen Aufforderungscharakter, so dass oft eine Partie der nächsten folgt. Zudem spricht Qwirkle alle Generationen gleichermaßen an.“
Wenn ich wüßte, was ein „Aufforderungscharakter“ ist, hätte ich dieser Begründung nichts mehr hinzuzufügen.
Aaron erfand aus dem Stegreif die Bluff-Variante von „Qwirkle“: Jeder Spieler legt seine Steine verdeckt an und der Nachfolger darf glauben oder anzweifeln, ob die geforderten Anlegeregeln auch eingehalten wurden.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (vermißt Kreativität in seinen Zugoptionen), Günther: 7 (klare, solide Mechanismen), Horst: 7 (besser als „Dixit“, unterhaltsam und spannend), Walter: 6 (bestens geeignet für Willis Nicht-Spieler-Runden.)
2. “Lancester”
Ein weiteres Spiel, dass es in diesem Jahr bis in die Endrunde zum „Kennerspiel des Jahres“ gebracht hat. Zur Einleitung versprach Horst „einfache Regeln“, was in Kennerkreisen natürlich ein bißchen komplizierter sein darf. Es ist ein Aufbauspiel, das die Autoren in die Zeit des hundertjährigen Krieges gerückt haben. Jeder Spieler erhält eine Reihe von „Rittern“ unterschiedlicher Stärke, die er reihum auf verschiedene Orte im „County“, im „Castle“ oder im „Konflikt“ placiert, um damit ortsspezifische Vorteile einzuheimsen, z.B. Adelsplättchen, Geld, Knappen, neue Ritter oder Ritter-Upgrades.
Geld wird benötigt, um im „County“ zusätzliche Vorteile finanzieren zu können, Knappen sind Hilfen im Kampf um die Placierung im County, wenn man Mitspieler-Ritter verdrängen will oder sich gegen Verdrängt-Werden schützen will. Adelsplättchen bringen Vorteile bei Abstimmungen in der Gesetzgebung und am Ende eine progressiv steigende Anzahl von Siegpunkten. Neue oder stärkere Ritter sind überhaupt der Motor, der in „Lancester“ zum Sieg führt. Hier frühzeitig seine Entwicklungsschwerpunkte zu setzen, trägt reichlich Früchte ein.
Die Ritter im „Castle“ sorgen für eine relativ ungestörte Vermehrung von Geld und Knappen, die Ritter auf den Konfliktfeldern bringen zusätzliche Entwicklungsvorteile (wer zuerst kommt, kassiert zuerst) und in zweiter Linie Siegpunkte (wer zuletzt kommt, kassiert zuerst) ein.
Das Regelwerk ist (für Kenner) tatsächlich nicht allzu kompliziert, aber die vielfältigen Abhängigkeiten von Besitzstand und Placierungseffekten, und die große Auswahl an Zugfreiheiten erfordert doch ein genaues Hinsehen, um lukrative Entwicklungsmöglichkeiten nicht zu verpassen. Fehler sind nicht zu vermeiden, wahrscheinlich auch nicht für erfahrene Spieler, wovon wir noch meilenweit entfernt sind.
90 Minuten dauerte bei uns ein 4-Personenspiel. Dabei kam jedem die Zeit relativ kurz vor. Jeder hatte seine eigene Entwicklungsvision im Kopf, da wurde auch schon die letzte Runde eingeläutet. Das spricht für ein kurzweiliges Spiel. Vielleicht waren wir aber auch von dem komplexen Regelräderwerk, das in „Lancester“ geboten wird, derart gefangen genommen. In jedem Fall muß nochmals verifiziert werden, ob die vielen Interaktionen mit den Ambitionen und Entscheidungen der Mitspieler zu beherrschen sind, oder ob schließlich allein ein unberechenbares Mitspielerchaos den Sieger bestimmt.
WPG-Wertung: Aaron: 7 (hat sich keine Sekunde gelangweilt) , Günther: 7 (ist sich noch unsicher über das Gewicht vom Mitspielerchaos), Horst: 8 (für diesen Spieltyp war die Spielzeit nicht zu lang), Walter: 8 (große Vielfalt, keine Schwächen).
3. “Störtebeker”
Schon vor 11 Jahren von „Hans im Glück“ in Essen vorgestellt. Ein reinrassiges Karten-Würfelspiel, thematisch angesiedelt beim berühmten Seeräuber an der Nordseeküste, von dem wir aber nicht viel zu sehen bekommen.
Auf dem Tisch liegen vier Schiffe aus, die unterschiedliche Mengen (2-4) von unterschiedlichen Proviants (rot und grün und gelb und blau) laden können. Jeder Spieler muß ein Schiff komplett beladen und darf es dann kapern. Dazu hat er eine Anzahl zufällig verteilter „Aktionskarten“ auf der Hand, die entweder den verschiedenfarbigen Proviant darstellen oder Piraten, die ein Schiff kapern helfen.
Der Kaper-Vorgang wird mit zwei Würfeln abgewickelt. Wenn der Wert der ausliegenden Piratenkarten plus die gewürfelte Augenzahl größer ist, als der Wert der Schiffskarte, so war das Kapern erfolgreich. Zunächst wenigstens, denn anschließend dürfen noch reihum die Mitspieler versuchen, das Schiff ebenfalls zu kapern, d.h. aus ihren Handkarten den geforderten Proviantbedarf zu decken und mit den zwei Würfeln eine höhere Augenzahl zu erzielen als die Vorgänger. Die höchste Augenzahl gewinnt, alle anderen haben das Nachsehen und sind sowohl die investierten Proviantkarten als auch ihre Piraten los.
Klar ersichtlich: „Störtebeker“ enthält eine Menge Frustpotential: Erst zieht man nicht die richtigen Proviantkarten, und es ist kein Trost, dass man mit einem gewissen Schlupf seine Handkarten gegen Karten aus dem offenen Ablagestapel austauschen kann. Dann würfelt man um das Kaperergebnis und hat mit hoher Wahrscheinlichkeit entweder viel zu viele Piratenkarten unnötig verschleudert oder gerade eine Piratenkarte zu wenig und das Kapern mißglückt. Sollte bis dahin aber alles geklappt haben, dann kommt ein Mitspieler daher und würfelt eine höhere Augenzahl, mit der er uns die Schiffsbeute vor den Augen wegschnappt.
„Störtebeker“ enthält noch zwei Farbwürfel, mit denen man Mitspielern Proviantkarten abknöpfen kann. Doch auch hier liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Treffer in der Regel deutlich unter 50%, und wenn das zufälligerweise doch einmal gelingt sollte, dann ist auf der anderen Seite der Mitspieler frustriert, dem die Proviantkarte angeknüpft wird. Oder soll man alle diese Frust-Effekte einfach als Lustspiel des Zufalls wegstecken? Erstaunlich, dass solche spielpsychologischen Fehlleistungen einem solch großen Spieleverlag wie „Hans im Glück“ nicht aufgefallen sind. Oder besaßen vor zehn Jahren die Autoren, Verlage und die Käufer etwa ein deutlich reduzierteres Bildungsniveau?
WPG-Wertung: Aaron: 4 (das Spiel plätschert so vor sich hin, keine Steigerung), Günther: 4 (mit HiG-Bonus), Horst: 5 (mit Erinnerungsbonus), Walter: 4 (chaotisches Glücksspiel)
4. “Bluff”
Ehrenrettung für Günthers Immer-5-Strategie. Im heutigen 1:1-Endspiel konnte sie ihren einzigen Minivorteil demonstrieren. Nach Günther’s Vorgabe 1 mal die Fünf war Walter mit einem Stern unter dem Becher angeschossen. Oder besser: er war gleich abgeschossen. Zweimal die Fünf war nicht der Sieg. Welche Antwort hätte den Sieg gebracht? Fünfmal dürft ihr noch raten!
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.