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9.6.2010: Fressen und Schmieren

Wir sind Doktor! Peter hat grade den Doktortitel erworben. Sein Thema „Philologischer, historischer und liturgischer Kommentar zum 8. Buch der ‚Johannis’ des Goripp nebst kritischer Edition und Übersetzung“. Sein geiles Werk liegt auf Grund zweier grandioser Fehldrucke leider immer noch nicht in Buchform vor, aber den Titel darf er schon führen. Auch Andrea hat dieses Jahr den Doktor gemacht. Und voraussichtlich wird unser Moritz dieses Jahr sogar noch Professor an der Akademie werden. Ohne Doktortitel!
doktorhut
Als Freund vom Wissenquiz kann man daraus natürlich sofort die Frage ableiten: „Was ist im akademischen Bereich höher-rangig: der ’Doktor’ oder der ’Professor’? Obwohl wir gerade Doktor geworden sind, kann ich diese Frage nicht schlüssig beantworten!
1. “7 ATE 9”
Ein kleines Kartenspiel, das Moritz auf der Spiel 2009 schon mit der Autorin Maureen Hiron und Tom Vasel von den Boardgame-Geeks gespielt hatte. Um uns das Spiel noch schmackhafter zu machen, beteuerte Moritz, daß die Autorin eine „bekannte Bridgespielerin“ sei. Diese Finte konnte Walter aber sofort durchschauen. Er kennt alle Top-Bridgespielerinnen der Welt. Wenigstens dem Namen nach! Es sind ja nur 8 1/2.
Beim Auspacken des Kartenstapels erkannte Aaron sogleich, daß es sich bei „7 ATE 9“ um eine Art „Advanced Mau-Mau“ handeln müsse. Moritz unterstrich den „real-time“ Charakter des Spiels. Was ist das? Wir müssen wie bei Mau-Mau aus unserer Kartenhand jeweils eine Karte passend zur letzten Karte auf dem Tisch zugeben, es geht aber nicht geordnet reihum, sondern wer als erster entdeckt, daß er eine passende Karte besitzt, darf sie asynchron sofort auf den Tisch legen.
Da kann doch ein Blinder mit der Krücke sehen, dass dieses unkoordinierte Vorgehen sofort Diskussionen und Rechthabereien darüber auslösen wird, welcher von zwei Spielern zuerst seine Karte hingelegt hat. Diese Blindenvision wurde ignoriert, doch Walter nutzt schon die ersten Kollision, um sich vom Spiel zurück zu ziehen. „Nix für mich, streitet euch ohne mich!“ Aaron war der zweite, der dieses Spielprinzip schon vom Prinzip her nicht akzeptierte. Die anderen drei spielten in weniger als zwei Minuten den Sieger aus. Das war’s dann auch schon.
WPG-Wertung: Aaron: 3 (weil’s funktioniert, ansonsten die nicht beantwortete Frage. „Was ist an dem Spiel gut?“), Loredana: 1 („ist kein Spiel“), Moritz: 5 („für die geforderte schnelle Reaktion“; vielleicht auch in memoriam der besten Bridgespielerin der Welt), Peter: 2, Walter: 2 („kein Spiel für den Westpark“)
2. “Maria”
Das neue Spiel von Richard Sivel. Eine Weiterentwicklung von „Friedrich“, mit den gleichen Kampfmechanismen, einer ähnlichen Geographie von Mitteleuropas und einer modifizierten historischen Grundlage.
Doch wir waren heute zu fünft, und „Maria“ geht nur zu dritt. Leider. Moritz packte das Material bedauernd wieder ein.
3. “Macht$piele”
Dieses Spiel geht mit bis zu 5 Mitspielern; wir haben es am Westpark bisher aber nur zu viert gespielt. Peter und Loredana waren heute die Frischlinge.
Schon während Aarons Erklärung erkannte Peter messercharf: „Das Spiel ist sozialkritisch!“ Nur ob hier die Sicht von „Ihr dort oben“ oder die von „wir hier unten“ zugrunde lag, blieb noch offen.
Bereichsleiter dürfen abdanken. Loredana – noch ist sie keine Deutsche – fragte: „Was heißt ‚abdanken’“?Unisono-Antwort des deutschen Männerquartetts: „Zurücktreten“. Für Sprachetymologen immerhin bemerkenswert, dass im Verb ‚abdanken“ das Wort „Dank“ enthalten ist. Vielleicht kommt das daher, daß in früheren Jahrhunderten die Führer (oder ihr Fußvolk) deutlich honoriger waren als heutzutage und immmer „mit Dank entlassen“ wurden.
Über diesen Bedeutungsklärungen tauchte natürlich sofort die Frage auf: „Hat Köhler abgedankt?“ „Nein, er hat den Schwanz eingezogen!“ (Dieser Satz in diesem Zusammenhang ist nicht meine Wortschöpfung, er ist lediglich ein wörtliches Zitat aus den heutigen Beiträgen. Ich hoffe, dass ich jetzt nicht wegen Verunglimpfung der Ex-Obrikeit belangt werden kann.)
Abgedankte Bereichsleiter haben zwei Verwendungsmöglichkeiten: Entweder gehen sie in den Vorstand, oder sie werden externe Berater. Welche Alternative hat wohl unser Holzkohlenhersteller gewählt?
Als Aaron auf den Punkt „Korruption“ zu sprechen kam, konstatierte Loredana: „Das ist ist Realität!“. Ein Mädchen von knapp über 17, für die das Leben gerade erst angefangen hat! Nach weiteren Details konnte Peter aufklären: „Korruption ist etwas Gutes!“.
Umfangreiche wirtschaftspolitische Kommentare aus mehr als 200 Jahren Gesamtlebenserfahrung begleiteten die Regelerklärung und der Witz der aktuellen Lage ließ manchen Ernst der Macht$piel-Regeln untergehen. So kam es auch gleich in der ersten Runde zu einem neuartigen Spiel-Skandal am Westpark:
Peter hatte für Walters Boss-Privileg 250 Mille Schmiergeld rübergereicht und der hatte sich mit Schmerzen vom Gedanken an die Gründung einer neuen Hauptabteilung getrennt. Da zog Aaron die nächste Ereigniskarte: „Der Boss wird entmachtet.“ Das Privileg ist nichts mehr wert. Walter kassierte als abgedankend-werdender Boss immerhin noch 200 Mille Entschädigung, doch Peter war das Objekt der Begierde unter den Hand zerfallen. Dagegen protestierte er unverzüglich: „Ich habe diese Regel nicht gekannt. Das Boss-Privieg ist das einzige, das per Ereigniskarte neutralisiert wird. Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich niemals dafür etwas geboten.“
Walter wollte natürlich seine 250 Mille nicht wieder rausrücken, höchstenfalls die Hälfte. Doch damit war Peter nicht zufrieden zu stellen. Was tun?
Mit drei weinenden Augenpaaren fingen wir die „Macht$piele“ nochmals von vorne an. Doch Widerwille und Animositäten waren schnell verflogen. Friedlich und fröhlich ging der konstruktive Intrigenkampf über die Bühne, jeder sah den Sieg vor Augen, Peters brach sogar in frühzeitiges Frohlocken aus, doch das Hosianna-Singen mußte er einem anderen überlassen.
Dem Sieger war sicherlich eine glückliche Erzfeindschaft zu gute gekommen. Die gewollte Unsymmetrie bei der Verteilung der Erzfeindschaften erzeugt nämlich bereits in der Startaufstellung ungleiche Siegchancen. Bekommen zwei Mitspieler sich zufällig gegenseitig als Konkurrenten zugeteilt, dann tun sie sich deutlich schwerer, hier den vierten Siegpunkt zu ergattern, als ein Sologänger, der locker und unbemerkt an seine Sonderaufgabe herangehen kann.
Doch Macht$piele ist ein dermaßen gut ausbalanciertes Spiel, so dass wir mit einem berechtigten Urvertrauen uns darauf verlassen wollen, dass Eggert-Spiele an den verschiedenen Einstellschräubchen so lange gedreht hat, bis die verschiedenen Wege zum Sieg nach Menschenvermögen gleich lang sind. Der Rest ist Spiel.
Es war noch nicht zu spät und zum Verifizieren der Chancengleichheit schlug Moritz vor: „Laßt es uns doch einfach nochmals spielen!“ Wir waren fast dazu geneigt. Doch dann pfiff aus der Ferne schon die vorletzte U-Bahn und Peter wollte keinesfalls auf einen Absacker verzichten.
Der bisherige WPG-Durchschnitt von 7,5 Punkten wurde genau gehalten: Loredana: 7 („die erste (abgebrochene) Runde hat mir besser gefallen“), Peter: 8 („nett & spannend“, anschaffenswert, Obletter macht’s möglich)
4. “Bluff”
Aaron stand im Endspiel mit einem Würfel gegen drei Würfel von Moritz. Mit einem Stern unter dem Becher begann er mit 2 mal die Zwei. Moritz hob auf 3 mal Eins! Was jetzt? Aaron probierte es mit 2 mal Stern? 4 mal die Eins wäre es gewesen. Claro. Post mortem!
Peter erlebte „das schönste Endspiel meines Lebens“. Viel Spiele hintereinander konnte er durch die exakte richtige Vorgabe alle seine Gegner gleichzeitig um jeweils einen Würfel kürzen. Bis er alleine übrig blieb.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

20.01.2010: Machtspiele in Karthago

Das Gros der Westparkgamers liebt Spiele mit wohlproportinierten, strategischen Herausforderungen, das Thema ist egal, die Komplexität darf unbegrenzt sein, die Hauptsache ist ein funktionierendes Regelwerk. Abweichend davon ist für Moritz das Thema das wichtigste Qualitätskriterium. Wenn es darum geht, die Geschichte des zweiten Weltkriegs neu zu schreiben oder sogar im dritten Weltkrieg (oder ist es schon der fünfte?) die Weltherrschaft zu erringen, dann dürfen die Regeln auch schon mal windschief sein.
Mit Sven, heute zum ersten Mal am Westpark dabei, hat er jetzt einen Kampfgenossen gefunden. Dessen Lieblingsspiel ist „Axis & Allies“. Er hat eine eigene Spielrunde, die sich fast wöchentlich dieses Spiel reinzieht. Am Westpark lag es noch nie (?) auf dem Tisch, noch keine Rezension, kein Report und keiner von Moritz’ Quickies kündigt davon. Doch es ist ein wesentlicher Bestandteil von Moritz’ Aura. Vielleicht kann er dazu jetzt bei Sven seine ungestillten Gelüste befriedigen.
1. “Porto Carthago”
Bernd Eisenstein hatte uns schon zu seinem “Peloppones” als Beta-Tester eingeladen. Für uns ist es immer eine besondere Freude, Spiele nicht nur zu kritisieren (wenn man sie nicht uneingeschränkt loben kann), sondern auch dabei zu sein, ihnen den letzten Feinschliff zu verpassen. Diesmal ist es seine Neuschöpfung “Porto Carthago”, die in diesem Jahr in Essen erscheinen soll, zu der er uns um unsere Meinung gefragt hat.
Das Thema ist der Seehandel um Carthago, der einmals mächtigsten Handelsstadt am Mittelmeer. Wir erwerben, transportieren und verschiffen die geforderten Waren über die Schiffe der verschiedenen Anrainerstaaten, die in unserem Hafen liegen. Oder wir charten selber Schiffe und bringen unsere Waren irgendwohin in die Welt, wo es ständig Abnehmer gibt.
Abgeschlossene Lieferungen bringen uns Geld und Privilegien ein, die wir in politischen Einfluß umsetzen, um uns damit bei Spielende zum Sieger zu machen. Es gibt sehr viele Rädchen im Regelwerk, die wir in unseren Handelsaktivitäten beachten müssen, wollen wir erfolgreicher sein als unsere Konkurrenten. Alle sind dabei wohlbalanciert, viele Wege führen nach Karthago, keiner davon ist alleinseligmachend. Aber alle sind anspruchsvoll. Und ein bißchen wohldosierter Zufall ist auch eingebaut. Damit neben dem Tüchtigste auch der Götterliebling eine Chance hat.
Trotz intensivster Suche, trotz explizitem Auftrag fanden wir kein Haar in der Suppe. Sogar die Spielzeit ist für ein strategisches Mehrpersonenspiel absolut passend. Einleitung, Detaildiskussionen und philosophische Grundsatzbetrachtungen kosteten eine Stunde. Nach einer weiteren Stunde war das Spiel über die Runde gebracht. Mit Spannung und offenem Ausgang bis zum Schluß.
WPG-Wertung (für die aktuelle Version): Aaron: 7, Sven: 9 (einschließlich Sieger-Euphorie), Walter: 8.
Hoffen wir, daß die Veröffentlichung in diesem Jahr wie geplant stattfinden wird.
2. “Macht$spiele”
Das Spiel ist mit Aarons Rezension für uns am Westpark eigentlich schon abgehakt. Doch Sven kannte es noch nicht, und nach Meinungen im Internet sollte es seine Qualitäten zu dritt am deutlichsten offenbaren. Die ehemaligen Industiemanager und die noch aktiven Werktätigen mit Einblick in die Machtstrukturen von (mitteleuropäischen) Unternehmen amüsieren sich über die Ironie, mit der Firmenpolitik im Regelwerk karikiert wird. Nicht allein die Unvermeidlichkeit und Honorabilität von Bestechung, auch andere gereimte Ungereimtheiten darf man sich auf der roten Zunge zergehen lassen. Abteilungen funktionieren nur mit Mitarbeitern, Hauptabteilungen auch ohne. Da deckt ein Chef den anderen.
Durch kosteneinsparende Maßnahmen der Geschäftsleitung sinkt ständig die Motivation der Mitarbeiter, doch die Bereichsleiter profitieren davon. Je tiefer die Motivation, desto wirksamer die Macht-Privilegien der Manager. Von den geschmierten Bereichsleitern erst recht.
Vor einer Woche wurden Bestechungen um jeden Preis angenommen, weil wir die negativen Begleiterscheinungen der Ehrbarkeit vermeiden wollten. Diesmal wurde fast jede Bestechung abgelehnt, weil die Chefs in anderen Kategorien ihr materielles Heil suchten.
Jeder verfolgte eine eigene Schiene. Daß er es kann, ist einer der Vorzüge des Spiele. Daß wir dies auch taten, ist einer der Vorzüge von uns! Oder die große Chance einer Dreierrunde.
WPG-Wertung: Sven konnte mit seinen 8 Punkten den bisherigen Durchschnitt nicht wesentlich verändern.
3. “Bluff”
Schnell noch als Absacker auf den Tisch gebracht. Im ersten Spiel demonstrierte Walter im Endspiel gegen Sven, wie wichtig gutes Nachwürfeln ist, im zweiten Spiel zog Aaron im 5:4 Endspiel gegen Walter Zug für Zug die Daumenschrauben enger. Bis zur bitteren Neige.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

13.01.2010: Machtspiele bei “Rise of Empires”

Aaron ist ein umwerfender Trouble-Shooter im Computerbereich. Besonders die Ehefrauen lechzen nach seinen Hilfestellungen. Auch meine. Heute war Moritz seine dran. Zur Belohnung erhielt er von ihr einen Bordeaux von Baron Philippe de Rothschild, den er auch gleich zum Westpark mitbrachte und dort kredenzte. Eine vorzügliche Beigabe zum ersten Spielabend im Neuen Jahr.
Wenn Ihr (oder Euere Ehefrauen) ebenfalls in Schwierigkeiten seid, kann ich Euch Aarons Kompetenz nur wärmstens empfehlen. Allerdings solltet Ihr dann ebenfalls einen Lafite Rothschild im Keller haben. Er kann ruhig vom letzten Jahrtausend sein.
1. “Rise of Empires”
Moritz hatte es mitgebracht. „Die Spielregeln kennst Du?“ wurde er gleich mißtrauisch gefragt. „Ich habe sie durchgelesen!“ „Bei mir gerade im Auto? Zu Hause hast Du doch Klavier gespielt!“ Wir wollen dem Wahrheitsgehalt dieser Aussagen nicht weiter auf den Grund gehen, Moritz ist in seinen Stegreiferklärungen ohnehin so gewandt, daß sie fast wie gründliche Vorbereitungen wirken.
Moritz hat zu diesem Spiel auch eine besondere Affinität. Erstens mag er grundsätzlich diese Genres; zweitens hat dieses Spiel eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem Erstlingswerk „Das 20. Jahrhundert“, mit dem er (ohne seine Ehefrau) immer noch schwanger geht, und dem er gerade wieder ein paar neue Überarbeitungsideen einbringt. Und drittens zeichnet für beide Spiele Phalanx Games als Herausgeber.
„Rise of Empires“ besteht aus „Spielmaterial ohne Ende“. Um den Spielplan, der die Mittelmeerregionen darstellt, liegen schichtenweise epochale Plättchen für Städte, Landschaften, Fortschritte, Weltwunder und Eroberungen. Jeder Spieler bekommt haufenweise Volksgenossen und Aktionsmarker, Warenscheiben und Geld. Pro Halb-Epoche darf jeder Spieler sechs Aktionen durchführen: Städte kaufen, die in Siegpunkte umgesetzt werden, Landschaften kultivieren, die Geld, Nahrung und/oder weitere VGs liefern, Tauschgeschäfte tätigen (Warenscheiben in Geld oder Siegpunkte) oder Mehrheiten in Mittelmeerregionen bilden, die nach jeder Halbepoche Siegpunkte und VGs oder Warenscheiben abwerfen.
Das Regelheft ist dick und mühsam, besonders für Learning-by-Doing-Charaktere. Allein die Kurzfassung der Spielregeln umfaßt zwei dicht bedruckte Seiten. Mit Halb- oder Viertelwissen gingen wir das Spiel an und Moritz tröstete „Es wird alles klar werden!“ Doch wie kann man ohne Gesamtvision ein Optimierungsspiel anfangen, bei dem jeder Zug auf den anderen aufbaut, und bei dem falsche Entwicklungslinien später nicht mehr korrigiert werden können? Moritz tönte zwar sehr schnell: „Ich habe schon eine Strategie“, doch es hörte sich mehr an wie Pfeifen im Dunkeln.
Sehr pfiffig ist die Auswahl der Aktionen. In der Hin-Epoche legt jeder Spieler jeweils einen Aktionsmarker auf ein Tableau, in dem die unterschiedlichen Aktionen der Spieler festgehalten werden. In der Rückepoche nimmt er die Marker in einer ausgetüftelten Reihenfolge wieder auf, d.h. er muß a) die gleichen Aktionen ausführen wie in der Hinepoche, aber b) nahezu in umgekehrter Reihenfolge im Vergleich zu seinen Mitspielern. Bis wir hier den richtigen Peil haben und alle Seiteneffekte verstehen und berücksichtigen können, wird noch viel Wasser die Isar herunterfließen.
Eigenartig verläuft die Inbesitznahme der Regionen. Wer mit seiner Aktion eine Eroberung wählt, darf seine VGs auf ein bis drei Regionen verteilen und zusätzlich einige evtl. dort vorhanden VGs der Gegner vom Brett nehmen. Wer zuerst eine Region besetzt, hat natürlich den Nachteil, daß er mangels Masse noch keine Gegner vom Brett nehmen kann. Da aber das nachträgliche Betreten einer Region mit keinerlei Nachteilen, sondern nur mit dem Gegner-Entfernungsprivileg verbunden ist, ist der Erst-Betreter eine Region doch zweifellos der Dumme. Oder? Haben wir hier vielleicht irgend ein Regeldetail nicht richtig verstanden?
Moritz wagte sich tatsächlich als Erster an Land und besetzte mit je einem VG drei Regionen. Prompt zogen seine drei Konkurrenten nach, und gemäß dem Maximum-Damage-Prinzip beseitigte jeder einen von Moritz VGs, so daß nach einer Runde keiner seiner VGs mehr am Leben war. Moritz zog daraufhin nicht etwa den Mechanismen des Spiels in Zweifel, sondern nur die Logik seiner Mitspieler. Doch wenn es darum geht, einen Mitspieler zu schädigen oder nicht, nach welcher Logik sollte man dann auf das Schädigen verzichten? „Ich fühle mich auf jeden Fall noch ungerecht angegriffen.“
Nach einer Stunde Erklärung und weiteren anderthalb Stunden Spielen hatten wir die erste von drei Epochen absolviert. Die ersten zaghaften Anfragen zum Spielabbruch wurden gestellt. Eine Vertröstung auf die neuen Spielelemente in den nächsten Epochen konnte die Erwartungen nicht erfüllen. Die nächsten Plättchen brachten keine neue Qualität mit sich, sondern nur eine leicht gesteigerte Quantität innerhalb der Umtauschverhältnise. Das reichte nicht, um die Begeisterung auf ein Spielende bis weit nach Mitternacht aufrecht zu erhalten. Wir brachen ab.
Das Auswahlverfahren der verschiedenen Plättchen auf dem Spielbrett ist genauso „autistisch“ wie bei „Dominion“. Wer zu erst kommt, mahlt zu erst, das ist alles. Das einzige Element, wo deutlich Interaktion ins Spiel kommt, ist der Eroberungskampf auf den Regionen. Doch gerade hier scheinen die Mechanismen noch nicht ausgereift zu sein. Entschuldigung an den Autor Martin Wallace, falls uns hier unser erster Eindruck getäuscht haben sollte.
WPG-Wertung: Aaron: 4 (viel zu viel Unnötiges), Günther: 5 (die Hälfte der Spielelemente hätte genügt) , Moritz: 7 (die Vielfalt gefällt mir eigentlich), Walter: 7 (mag das Ohne-Würfel-Prinzip).
Moritz schreibt eine Rezension.
2. “Macht$piele”
Im November zum ersten Mal gespielt, drängte Aaron auf eine Wiederholung, um seine geplante Rezension nochmals besser fundieren zu können. Wir arbeiten in einem großen Unternehmen und versuchen mit unseren Einflüssen die verschiedenen Unternehmensbereichen zu dominieren. Gründungen von Abteilungen und Hauptabteilungen, Personalmanagement aber auch simple Insidergeschäfte mit Aktien bringen uns vorwärts.
„Personal ist immer gut. Personal heißt Macht“ wurde Moritz als Neuling belehrt. Das gilt offensichtlich für die internen Diadochenkämpfe im Unternehmen. (In richtigen Leben können man beim externen Aktionsfeld der Unternehmen heutzutage ja eher auf das Gegenteil schließen.)
Bemerkenswert sind die Bestechungsregeln. Ohne zu bestechen und bestochen zu werden, kann man das Spiel nicht gewinnen. Wer eine Bestechung ablehnt, verliert nicht nur einen Einflußpunkt auf der Controlling-Skala, er muß auch noch einen Mitarbeiter entlassen. Walter wurde gleich zu Beginn auf seine Standfestigkeit geprüft. Doch sein Schock bei der Zwangsentlassung seines Mitarbeiters, mit der gleich eine ganze Abteilung über den Jordan ging, hatte ihn schnellstens geheilt. Anschließend nahm er mehr oder weniger blindlinks jede beliebige Bestechungssumme an, und von seinem Beispiel angesteckt hielten es alle anderen Spieler genauso. Diese Inflation an Bestechungswille sorgte dafür, daß generell nur noch niedrigste Summen angeboten wurden. Ist das im Sinne des Spieledesigns oder haben wir wieder ein Regeldetail zu eng (zu weit) ausgelegt?
Moritz nutzte sein Privileg, Mitarbeiter von seinen Konkurrenten abzuwerben, im Sinne eines erfahrenen Wargamers und hatte innerhalb weniger Runden satte Zweidrittel-Mehrheiten in fast allen Unternehmensbereichen. Allerdings münzte er diese Vorteile zu spät um in Punkte auf den verschiedenen Siegpunktskalen. Triviale Kapitaleinnahmen durch frühzeitigen Ankauf renditeträchtiger Aktien und nicht der organische Aufbau einer Hauptabteilung, sondern der simple Zukauf einer solchen gaben den Ausschlag zum Sieg im Sudden-Death. Diesmal nicht von Günther.
WPG-Wertung: Moritz siedelte seine 8 Punkte im oberen Bereich der Westparker an. „Das beste ’Eggert-Spiel’, das ich je gespielt habe!“
Aaron hat seine Rezension schon fast fertig. Er möchte sich verstärkt dem Thema Korruption innerhalb der Machtspiele zuwenden, ohne dabei irgendwelche Erfahrungen aus dem Hause Siemens einfließen zu lassen.

23.11.2009: Spielen mit Michael

Michael Andersch, Profi-Kritiker von “H@LL 9000” war heute unser Ehrengast. Auf der Internet-Seite “www.hall9000.de” findet man von ihm aktuell 795 Spiel-Bewertungen. Wie hat er das nur in seinen noch jungen Jahren geschafft? Ganz einfach: Dreimal die Woche spielen: in einem Brettspiel-Verein, mit seiner nicht-spiel-abgeneigten Ehefrau und in seinem Bekanntenkreis. Es ist seine liebste Freitzeitbeschäftigung.
Damit er für das Brüten über “Agricola” und “Il Principe” aber immer einen klaren Kopf hat, radelt er stundenlang durch die Gegend. Das kostet sogar den größten Anteil seiner Freizeit. Sein meistes Geld hingegen investiert er in Lego-Technik. Seine ferngesteuerten Tieflader und andere Lego-Creationen sind auch auf YouTube zu bewundern. Sucht nur danach!Spielen mit Michael
1. “Machtspiele”
In einem großen Unternehmen ziehen wir die Fäden im Hintergrund. Wir setzen Mitarbeiter ein und entlassen sie wieder. Wir bilden Abteilungen und Hauptabteilungen und strukturieren sie um. Wir reißen uns die Geschäftsbereiche Personal, Entwicklung, Buchhaltung und Kommunikation u.a. unter den Nagel, bringen unsere leitenden Angestellten in den Vorstand und wenn’s hoch kommt, machen wir einen davon zum Boss.
Jeder Bereich, den wir kontrollieren, gibt uns Vorteile für unsere weiteren Aktionen. Wir punkten in den Kompetenzbereichen Einfluß, Aktien, Hauptabteilungen, Erfahrung und Korruption.
Apropos Korruption: Sie ist keineswegs so verpönt, wie man das heutzutage von offiziöser Seite her manchmal liest. Wer sie iniitiiert, bekommt Pluspunkte, wer sie annimmt auch. Nur wer sie ablehnt, weil die gebotene Summe zu gering ist (oder weil er ein Ehrenmann bleiben will), wird bestaft: Er muß einen seiner Mitarbeiter entlassen. Wer kann da schon aus gewissen Gründen ein bißchen Bestechungsgeld ablehnen?
Die Mitarbeitermotivation ist ständig am Sinken. Dafür gibt es vielerlei Gründe. Wie kann man auch nur den Aufenthaltsraum in den Keller verlegen? Bei niederiger Motivation sind unsere Kompetenzen besonders gefragt. Jetzt können wir mit unseren Kunststückchen das Management beeindrucken, und entsprechende Sonderprämien auf unser Konto buchen.
Dabei fordern die “Machtspiele” aber einen klaren Plan. Wer auf jeden Pluspunkt in jeglichem Unternehmensbereich schielt, kann die Siegpunkt-Bedinungen leicht aus dem Auge verlieren. Konzentration auf wenige Bereiche, in denen man am schnellsten die geforderte Grenze überschreiten kann, ist unbedingt zum Sieg erforderlich, und der Schlüssel dazu ist die Kontrolle der Kommunikation. Fast wia im richtigen Leben.
WPG-Wertung: Aaron: 8, Günther: 7, Michael: 6 (im ersten Überschwang eine “klassische” 7, dann Reduktion wegen der Spieldauer, Walter: 8 (viele kreative Handlungsoptionen).
Aaron oder Walter schreiben eine Rezension.
2. “Zapadákov” bzw. “Nowheresville”
Michael hat es aus Essen mitgebracht, weil die ungewöhnliche Aufmachung neugierig machte. Jeder Spieler führt zunächst einen “Banditen”, mit dem er die lokale Bank, die Postkutsche oder die Eisenbahn überfällt, und sich daran bereichert. Wieviel er dabei jeweils erbeutet, ist zufallsabhängig, nur die Anzahl der zu erbeutenden Scheine ist sichtbar, nicht ihr Wert.
Für einen erfolgreichen Überfall benötigt der Bandit eine Mindeststärke, die durch zufällig gezogene Stärkekarten bestimmt wird. Den Rest zwischen aktueller Stärke und benötigter Stärke kann der Spieler versuchen, durch einen guten Würfelwurf zu erzielen.
Wollen zwei Spieler mit ihren Banditen gleichzeitig das gleiche Objekt überfallen, dient als Tie-Break ein Geschicklichkeitswurf auf eine Zielscheibe. Wer eine Scheibe am nächsten in die Mitte wirft, fällt über, der andere fällt aus. Dieser Herausforderungswechsel vom Spiritus der Spielers an ihre Physis ist immerhin eine bemerkenswerte Erfindung in “Nowheresville”.
Als Alternative zur Geldbeute wird das Gefängnis angeboten. Wer hier mit der entsprechenden Stärke plus ergänzendem Würfelwurf auftaucht, kann einen Banditen befreien und zieht jetzt mit zwei Banditen auf Raub aus.
Claro, wer als erster die richtigen Stärkekarten zieht, um einen Überfall auf das Gefängnis verüben zu können, kann als erster zwei Banditen für sich arbeiten lassen und dementsprechend doppelt kassieren. Und sich natürlich auch schneller einen dritten und vierten Banditen-Mitarbeiter zulegen. Gegen dieses exponentiale Davonziehen des glücklichen Banditenführers ist kein Kraut gewachsen. Leider auch keines, das “Zapadákov” zu einem ausbalancierten reifen Spiel macht. Wir brachen ab.
Michaels positivistische Formulierung für diese Art von Spielen: “Wieder ein Spiel, das nicht im Schrank herumliegen muß!”
Zunächst keine WPG-Wertung: Walter vergibt nachträglich 2 Punkte.
3. “Bluff”
Michael brachte zwei neue Varianten mit:

  1. Alternative zur Warmduscher-Variante.
    Wenn die Vorgabe angezweifelt wird und die Würfel stimmen genau mit der Vorgabe überein, geben nicht alle Spieler (außer dem Vorgeber) einen Würfel ab, sondern nur der Anzweifler gibt einen Würfel ab, und zwar nicht in die Schachtel zurück, sondern an den Spieler, der die genau richtige Vorgabe gemacht hat.
    Vorteil: Die “unschuldigen” Spieler werden nicht mit ins Unglück gerissen.
    Nachteil: Die Spieldauer für das super kurzweilige Bluff kann sich verlängern. Worunter besonders diejenigen Spieler leiden, die frühzeitig ausgeschieden sind.
  2. Neues Zählsystem
    Es wird nicht bis zum Endspiel ausgespielt, sondern nur bis die Hälfte der Würfel abgegeben wurden. Dann bekommen alle Spieler soviele Pluspunkte, wie sie noch Würfel besitzen.
    Diese Punkte werden über eine Reihe von Durchgängen addiert und bestimmen zum Schluß den Sieger.
    Vorteil: Es gibt nur einen einzigen Sieger.
    Nachteil: Es gibt nur einen einmaligen Sieger.