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10.02.2010: Die Weltgeschichte gerät aus den Fugen

“Das Volkstümliche ist von jeher der befruchtende Quell aller Kunst gewesen, solange als es – frei von aller Reflexion – in natürlich aufsteigendem Wachstum sich bis zum Kunstwerke erheben konnte. In der Gesellschaft, wie in der Kunst, haben wir nur vom Volke gezehrt, ohne daß wir es wußten. In weitester Entfernung vom Volke hielten wir die Frucht, von der wir lebten, für Manna, das uns Privilegierten und Auserlesenen Gottes, Reichen und Genies, ganz nach himmlischer Willkür aus der Luft herab in das Maul fiel. Als wir das Manna aber verpraßt hatten, sahen wir uns nun hungrig nach den Fruchtbäumen auf Erden um und raubten diesen nun, als Räuber von Gottes Gnaden, mit keckem, räuberischem Bewußtsein ihre Früchte, unbekümmert darum, ob wir sie gepflanzt oder gepflegt hatten; ja, wir hieben die Bäume selbst um – bis auf die Wurzeln, um zu sehen, ob nicht auch diese durch künstliche Zubereitung schmackhaft oder doch wenigstens verschlingbar gemacht werden könnten. So räudeten wir den ganzen schönen Naturwald des Volkes aus, daß wir mit ihm nun als nackte, hungerleidige Bettler dastehen.”?
Über diese schwierige und wohl auch schwülstige Passage aus einem Aufsatz von Richard Wagner hatten Moritz und Walter einige kontroverse Mails gewechselt. Künstler und Laie nahmen diametral entgegengesetzte Positionen ein. Die ausgetauschen Attribute reichten von „wunderschön“ bis „zutiefst widerlich“. Welch ein Glück, daß man sich per Emails noch keine Briefbomben zukommen lassen kann.
1. “A Brief History of the World”
Alles schon mal dagewesen. Die älteste bei Luding registrierte Version dieses Eroberungsspiel stammt von Gibsons Games aus dem Jahre 1991. Avalon Hill hat sich im Jahre 1993 daran versucht, Hasbro 2001 und jetzt zur Spiel 2009 in Essen die Ragnar Brothers aus England.
Wir spielen Völker, die sich kriegerisch über die Erde ausbreiten, Städte bauen, Festungen anlegen und Denkmäler errichten. Dann kommen die bösen Nachbarn, schlagen unsere Pöppel tot, zerstören die Städte, schleifen die Festungen und münzen unsere Denkmäler zu ihren eigenen Siegpunkten um. Der ganz normale Wahnsinn um das Aufkommen und den Untergang von Reichen ist das Thema des Spiels. (Das Wort „Zivilisation“ muß einem bei dem ununterbrochenen Totschlagen ja wohl im Halse stecken bleiben.)
Früher dauerte ein einziges Spiel Stunden, um nicht zu sagen Tage. Für manche Freaks ist das gerade lang genug; für die überwiegende Mehrheit der Viel- und Wenigspieler aber viel zu lang. Die Ragnar Brüder sind auf dem Weg zur Spielzeitverkürzung wieder ein paar Schritte vorwärts gekommen. Statt sieben gibt es nur noch sechs Epochen zu bestreiten. Wie üblich setzt sich der Stärkere mit Hilfe besserer Würfelwürfe durch. Der Angreifer bekommt dabei zwei Würfel in die Hand, der Verteidiger nur einen. Bei Gleichheit gewinnt der Verteidiger. Immerhin hat er damit noch eine Überlebenschance von 42%. Doch sollte der Angreifer verlieren, darf er seinen Angriff unverzüglich wiederholen und bekommt dazu noch einen Würfelpunkt gutgeschrieben. Jetzt sind die Chancen des Verteidigers gleich auf 25% gesunken. Und so geht es weiter.
Gewinnt allerdings der Angreifer, so bekommt er die Differenz der Würfelergebnisse als Overkill-Masse angerechnet und kann damit weitere Nachbarregionen ohne Würfelrisiko kampflos erobern. So lange der Overkill reicht. Mit einem einzigen guten Wurf hat sich ein neues Volk etabliert und liefert massig Siegpunkte, mit ein paar schlechten Aaronswürfen kommt man über sein Waterloo nicht hinaus.
Woraus besteht „gutes“ Spiel? Erstens, jeweils das richtige Volk auswählen. Allerdings hat hier nur der Spieler auf dem aktuell letzten Platz die freie Auswahl. Diese Auswahl nimmt sequentiell ab; der bisher Führende kriegt am Ende die letzte Völkerkarte ohne Einspruchsmöglichkeit zugeschustert. Da hätte er halt in den vorhergehenden Runden nicht so eifrig punkten sollen. Das ist ein ganz wichtiges Kriterium für ein erfolgreiches taktische Vorgehen!
Als Ausgleich darf der Führende als erster unter den Sonderprivilegien wählen. Sie alle bringen Vorteile im Vernichtungskampf gegen die Nachbarn. Hier die richtige Auswahl zu treffen, ist die zweite Herausforderung für den Sieg. Allerdings erscheint mir bei der optimalen Auswahl unter sporadischen Hilfsvölkern oder archimedischen Festungsminen auch kein größerer Bedarf an IQ zu bestehen.
Die dritte taktische Großtat besteht im Zugriff auf Sonderpunkte. Hier darf wieder der Startspieler als erster zugreifen. Unter zufällig zusammengestellten Kärtchen für 1 bis 4 Siegpunkte darf er sich das Maximum auf seine Seite ziehen. Wer in der Schule gelernt hat, mit 4 Äpfeln zu hantieren, kann hier keinen Fehlgriff tun. Für den Letzten bleibt in der Regel nur noch ein Apfel übrig.
Bleibt noch die vierte und letzte Herausforderung in der History: Gegen wenn soll man seine Militärpotenz richten? Der Ausgangspunkt eines jeden neuen Volkes ist vorgeschrieben; die Umgebungsfelder mit hohen Siegpunkt-Quoten für erfolgreiche Eroberungen sind leicht abzulesen, die Verteidigungskraft der alteingesessenen Bevölkerung auch, nur der Würfelkampf ist nicht immer vorhersagbar und erfordert Analyse, Kompetenz und Ausdauer.
Die Siegpunktvergabe steigert sich quadratisch. Mindestens. Die Völker der ersten Epoche bestehen nur aus 2 – 3 Kriegern. Blitzschnell haben sie sich auf die 2 – 3 möglichen Regionen verteilt und die paar lumpigen Siegpunkte eingeheimst. In den letzten Epochen kann ein Volk schon mal 15 Krieger auf die Beine stellen. Da auch die Siegpunktquoten für eroberten Regionen erheblich ansteigen, kann ein begabtes Kriegervolk beim Kampfwürfeln allein in der letzten Runde die Hälfte der möglichen Siegpunkte erringen.
Hierbei ist die Spielbalance durchaus problematisch. In den letzten Epochen gibt es Völker, deren Anfangspotential ein Mehrfaches der anderen Völker einer Epoche beträgt. Wer hier das Recht der ersten Wahl hat, kann seinen Mitspieler auf und davon ziehen. Natürlich hatte bei uns Moritz hier das glückliche Händchen. Bis zur vorletzten Runde hatte er sich taktisch ganz geschickt im Hintergrund gehalten, dann bekam er die Mongolen in die Hände und als deren Horden ausgestürmt hatten, hatte er die ganze Welt vom Reich der Mitte bis zum Mittelmehr unter seine Kontrolle gebracht. Schon vor seinem letzten Zug hatte er gewonnen.
Aaron konnte sich dagegen mit seinen Mayas und Inkas gerade noch ein zurückgezogenes Plätzchen an der Sonne in den Anden sichern. Seinen Vorwurf des „Gespielt-Werdens“ konterte Moritz mit der Behauptung, ein gewisser Bruce Monnin habe in den letzten History-of-the-World-Weltmeisterschaften jedesmal gewonnen; ein eindeutiger Beweis für die Intelligenz-Anforderungen des Spiels. Walter konnte darauf nur antworten: „Das glaube ich nicht!“ Es kann nicht sein, und das ist statistisch belegbar, daß ein Spiel, das derart wenige Entscheidungsfreiheiten läßt, das aber solch enormen Zufallseinflüssen bei der unterschiedlichen Ausstattung der Völker und vor allem beim Würfelkampf unterliegt, durch strategische Überlegenheit systematisch gewonnen werden kann. Eine Entscheidung über Wahr-oder-Falsch der Bruce-Monnin-Behauptung durch Nachforschen über Google haben wir uns erspart.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (obwohl man gespielt wird), Moritz: 10 (liebt dieses Genre), Walter: 3 (erste Phase kontemplativ, zweite Phase promiskuitiv, dritte Phase mongoloid).
2. “Opera”
Ein Spiel um die klassische Musikszene in den Opernhäusern der alten Welt. Wir jonglieren mit Beethoven, Händel, Monteverdi, Mozart, Verdi und Wagner. (Nach Moritz hat hier zumindest Rossini gefehlt, und Beethoven hätte besser in ein Spiel namens „Symphonia“ ausgelagert werden sollen. Doch wir wollen den Streit um das Deutschtum in der Musik nicht nochmals aufgreifen.)
Geld regiert die Musikwelt. Wir legen das Budget für unsere Operationen fest und bezahlen damit die Angestellten unseres Musikbetriebes. Der Impressario läßt neue Werke der bekannten Künstler entstehen, der Architekt baut neue Opernhäuser in den Metropolen oder er erweitert bereits bestehende, die Signora verschafft unserem Ensemble Zugang in die Palazzi der Großkopferten, wodurch uns unverzüglich liquide Mittel zufließen, der Maestro zieht durch die Lande und erlaubt doppelte Eintrittspreise, der Critico verschiebt die Wertigkeit unserer Komponisten und der Esperto verschafft uns Extra-Siegpunkte für eine besonders gelungene Intendanz.
Bei der Startaufstellung stand Wagner ganz oben in der Rangliste. Seine Werke waren die teuersten der Welt. Wie im richtigen Leben? Keiner konnte sich den Eintritt leisten. Die Werke landeten unaufgeführt auf dem Müll. Schließlich war Bayreuth ja auch noch nicht erfunden.
Moritz wußte sogleich aus Erfahrung, daß in den privaten Herrenhäusern die Musik abgeht. Mit einer Traviata vor der Fürstin Gloria konnte er auf Anhieb seinen Etat nahezu verdoppeln. Aaron und Walter hatten sich mehr oder weniger zufällig zu einer symmetrischen Allianz in Wien zusammengefunden. Mit ihren Aktionen förderten sie unisono ihre gemeinsamen wirtschaftlichen Interesssen im Wiener Kunstleben, während sich Moritz ganz alleine in Venedig um eine Ankurbelung des Geschäfts abmühen mußte. Seine Solostellung drohte schon in Verbitterung auszuarten. Doch dann baute er mit einem Schlag die Mailänder Scala zu einem riesigen Musikpalast aus und fand auch den Maestro, der die Massen anzog und gewaltige Einnahmeströme in seine konkurrenzlosen Sääle lenkte.
Jetzt schwelgte er in liquiden Mitteln und in Optimierungsrechnungen für die richtigen Angestellten zu den richtigen Künstlern in den richtigen Openhäusern in den richtigen Weltstädten. Eine Schachuhr wäre über seinen paralysierenden Denkvorgängen nahezu geplatzt. So auch Walter. Unter Druck entschied er sich in seiner letzten Aktion für einen suboptimalen Zug … und wurde um Millimeterunterschiede nur Zweiter. Doch das ließ sein Künstlergewissen nicht ruhen. Richtig: wir hatten eine Randbedingung zu seinen Ungunsten übersehen. Am Ende konnten Venedig und Mailand den Tie-Break doch noch für sich entscheiden.
WPG-Wertung: Aaron: 7 (bekannte Spielelemente gut kombiniert), Moritz: 7 (es gibt kritische Effekte, deren Balance problematisch ist), Walter: 7(viele Herausforderungen).

03.02.2010: Welthandel und Welteroberung ohne Pandemie

Seit seinen Spieltips in Galileo ist Moritz in den öffentlichen Medien auch als Brettspielexperte gefragt. Kürzlich ist Radio Brandenburg an ihn herangetreten, doch ein paar Tips zu „Monopoly“, „4-gewinnt“, und zu „Mensch-ärgere-Dich-nicht“ abzugeben. („Das kennt doch jeder!“) „Und, was hast Du denen gesagt?“ „Ich hab’s halt gemacht!“
Die Radio-Euphorie schoß gleich ins Kraut: „Als Spielexperte können Sie uns dann doch bestimmt auch richtig gute Tips zum Schummeln geben … !“ Das hat Moritz dann aber doch dankend abgelehnt.
Wann die Sendung ausgestrahlt wird, könnt Ihr bei Moritz abfragen. Daß er am Freitag-Abend ein Konzert im Herkulssaal der Münchener Residenz gibt, das life im Bayerischen Rundfunk ausgestrahlt wird, erfahrt Ihr hier von mir: BR 4 Klassic, 4. Veranstaltung der musica viva, 20:05 Uhr.
1. “Porto Carthago”
Letzte Test-Session, diesmal in einer 5er Runde. Mit Übersicht und Kompetenz konnte Aaron den hochbegabten Neuling Moritz in knapp 30 Minuten in das Regelwerk einführen. Wir haben mit dem Author schon ein paar Detail-Korrekturen diskutiert, doch mit gewissenhafter Tester-Ethik hielten wir uns noch an die Originalversion, auch wenn es vielleicht ein bißchen weh tat.
Aaron entschied sich von vornerherein lautstark für das Intrigenspiel, das bei uns bisher noch nicht richtig auf Touren gekommen war. Doch das Schicksal wollte es anders. Am Ende schickte er gerade noch in der letzten Runde einen zaghaften Untertanen auf diese Laufbahn. Daraus konnte er für sich nichts selbst natürlich nichts mehr herausholen.
Sven setzte wie gewohnt auf eine Karriere als Hafenmeister. Allerdings nur bis zur Mitte des Spiels. Dann war der Kulturhafen ausgelutscht und er verlegte sich auf intensive Pöppelwirtschaft. Das bringt das meiste Einkommen, die Startspielerrolle und damit auch die erste Wahl in allen Aktionen einer Runde, insbesondere auf dem Markt.
Günther spielte wie ein guter Go-Spieler: bei sich selbst. Und weil in seiner Ecke die Charterplätze lagen, engagierte er sich als Charterkapitän (das ist notgedrungen auch die Rolle des ersten Startspielers) und brachte mit Beten und Bangen beliebige Waren seiner Wahl in alle Gegenden der damals bekannten Welt.
Moritz hatte zu Beginn unsere Diskussionen über die Intrigenproblematik mitgehört, ohne des Pudels Kern noch richtig zu verstehen. Außerdem klang ihm Aarons diesbezügliche Aktivitäten-Ankündigung noch ihm Ohr, was lag also näher, als hier mitzumischen. Und als niemand Aaron hindern konnte, binnen Minuten klüger zu werden, blieb Moritz allein auf der Intrigenstrecke und seine Palastpräsenz war marginal. Dann gesellte sich Günther mit seinen Erlösen aus dem Charterverkehr hinzu, und am Ende kam auch noch Walter ins Boot. Aaron konnte in seinen letzten Aktionen gerade noch das Kraut fett machen. Aber nicht für sich! Für Moritz!
Moritz erbte in der Schlußabrechnung aus seinem Intrigen-Engagement drei ganze Palastpositionen (das entspricht der Einnahme von 4 erfolgreichen Handelsumsätzen) und wurde damit unvermutet noch auf die Siegerposition gehievt. Ist Moritz ein Blindfluggenie? Oder ist „Porto Carthago“ doch nur ein Glückspiel?
Lassen wir es offen. Noch wird an vielen kleinen Rädchen gefeilt. Es gibt sehr viele Wege nach Afrika. Auf welchem später einmal die Siegespalme verteilt werden wird, das wissen die Götter. Und vielleicht der Bernd Eisenstein.
WPG-Wertung: Moritz fand das Prinzip der Aktionen-Verteilung und Auswahl sehr gut und originell, vermißte allerdings die thematische Stimmung, Sven reduzierte seine anfänglichen 9 auf 8 Punkte, mit Tendenz zu wieder mehr, wenn das Spiel ausgereift ist, die anderen blieben bei ihren Noten zwischen 7-8, ebenfalls mit einen Ausblick auf mehr für das fertige Spiel.
2. “Pandemie”
Ein Kandidat auf der Auswahlliste „Spiel des Jahres 2009“. Die Impfungen für die Schweinegrippe zeigen gerade ihre mittelfristigen Nebenwirklungen, warum sollen wir da nicht versuchen, die Seuchen von „Pandemie“ mit vereinten Anstrengungen durch wirksame Gegenmittel in den Griff zu bekommen.
Leider geht das Spiel nur bis zu maximal vier Mitspieler. Moritz mußte seinen erwartungsvollen Einleitungssermon auf Seite 3 der Spielregel abbrechen. Sicherlich wird es auch in diesem Jahr wieder eine Grippewelle geben.
3. “Magister Navis”
Moritz hatte schon kritische Stimmen zu diesem Spiel gehört, Günther als Spielbesitzer und Vorspieler enthielt sich einer Bemerkung. Also setzte es sich durch.
Nach dem Untertitel geht es um „Handel und Erforschung im 18. Jahrhundert“. Europa ist Zentrum und Ausgangspunkt. Wir besiedeln, besetzen bzw. erobern die verschiedenen Städte auf dem alten und den neuen Kontinenten. Die folgerichtige Entwicklung unseres eigenen Expansionspotentials ist dabei von entscheidender Bedeutung. Pro Runde legen wir uns eine neue Fähigkeit zu, die entweder unsere Mannschaft verstärkt, die Rekrutierungsfrequenz erhöht, lukrativere Architekturen gestattet, den Seeweg in die Welt öffnet oder andere ähnliche Vorteile mit sich bringt. Die richtigen Entwicklungslinien innerhalb der eigenen Fähigkeiten und bei der Erforschung (= Eroberung) der Welt zu erkennen, zu verfolgen und zu verfitzeln (das ganze ist ziemlich fitzelig) ist die Herausforderung des Spiels.
Walter war schon beim Regelerklären überfordert. Danach auch noch strategische Linien zu erkennen war für sein Learning-by-Doing Prinzip einfach das Pferd von hinten aufgezäumt. Wer das Rad nicht erfindet, kann es auch nicht zum Sieg rollen lassen. Entsprechend eng war später sein Handlungsspielraum, und wenn er dann mit seinen rachitischen Zügen daherhumpelte, konnten sich die großen Geister nicht die Bemerkungen verkneifen, er würde mit seiner chaotischen Spielweise ihre schönen langfristigen Welteroberungspläne desauvieren. Chaos-Praxis statt Chaos-Theorie.
Seltsamerweise wurde er noch Dritter. Das strategische Genie Sven konnte sich mit einem Punkt Vorsprung vor dem strategischen Genie Moritz durchsetzen.
WPG-Wertung: Aaron:7 (spannend bis zum Schluß), Günther: 7 (trotz der recht minimalistischen Anfangsfreiheiten), Moritz: 7 (fand es „schocking, daß Walter trotz seines zugegebenermaßen bizarren Spiels noch Dritter wurde“), Sven: 6-7 (Planspiel ohne Glücksfaktor), Walter: 6 (enges symmetrisches Ausgangskorsett, hinterher entscheiden aggressive Kingmakerelemente über Sieg und Plätze).
4. “Bluff”
Aaron fand angesichts der 40% Minderheitsvorlieben für bestimmte Spieltypen eine neue, treffende Beschreibung für „Bluff“: „Es ist wie Axis & Allies: mit viel Würfeln!“
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

PS: Hallo Klaus, „Hansa Teutonica“ kommt bei uns bestimmt nochmals auf den Tisch. Deine und die bei BGG im Internet diskutierten vielfältigen Möglichkeiten zu Punkten zu kommen und ihre Effizienz gegenüber den verlockenden kurzfristigen Muß-Schnäppchen wird bei uns bestimmt noch einmal einer genaueren Analyse unterzogen.

27.01.2010: Der punische Krieg geht weiter

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß zwei willkürlich gewählte natürliche Zahlen gleich sind. Bei der unendlichen Anzahl natürlicher Zahlen ist die mathematische Wahrscheinlichkeit dafür gleich Null. Doch in der menschlichen Realität liegen die Verhältnisse ganz anders. Soll sich ein Mensch eine beliebige natürliche Zahl ausdenken, so wird er selten eine Zahl größer als Hundert wählen. Demnach liegt die Wahrscheinlichkeit für die Gleichheit zweier beliebiger von Menschen ausgedachter natürlichen Zahlen schon deutlich über 1 Prozent. Noch besser ist es, wenn die beiden denkenden Menschen nur bis 3 zählen können.
Walter machte mit Aaron und Günther das Experiment: Jeder sollte verdeckt auf einen Zettel eine beliebige natürliche Zahl schreiben. Haben beide die gleiche Zahl geschrieben, so bekommt jeder einen Euro, haben sie verschiedene Zahlen geschrieben, so muß jeder einen Euro bezahlen. Hättet Ihr bei diesem Experiment lieber die Wettposition von Walter oder von Aaron/Günther eingenommen?
Am Ende schrieben beide die Zahl 0 (Null) auf. Das ist zwar keine natürliche Zahl, aber immerhin waren sie auf dem richtigen Weg. Beide! Das Experiment stammt aus einem kleinen Büchlein von Fredick Mosteller über „Statistische Herausforderungen“. Über die Hälfte seiner Probanten wählten hier die Zahl 1; weitere Favoriten waren die 3 und die 7.
Macht dieses Experiment mal mit eueren geliebten Ehefrauen. Je nachdem, wie lange ihr verheiratet seid, wählen sie entweder eueren Hochzeitstag oder ihren eigenen Geburtstag! Bestenfalls!
1. “Porto Carthago”
Bernd Eisenstein’s Neuentwicklung für Essen 2010 wurde einem erneuten Beta-Test, diesmal in einer 4er Runde unterworfen. Drei Spieler wußten schon, worum es ging und konnten ihr Augenmerk voll auf inneren Abhängigkeiten des Spielablaufs richten.
Wir sind Händler im Hafen von Karthago, kaufen verschiedene Waren, stapeln sie in unseren Lagerhäusern und Speichern, führen Schiffe fremder Kulturen zu unseren Anlegeplätzen, stillen deren Warenbedarf und werden dadurch reich. Doch nicht das meiste Geld bestimmt den Sieger, sondern der größte Einfluß im Königshaus. Regelmäßig müssen wir für unsere Clanmitglieder Plätze im Palast erwerben. Die ersten sind noch relativ billig, die letzten kosten schon 50 % mehr pro Stück. Rechtzeitig zufassen bringt Vorteile. Allerdings werden damit liquide Mittel gebunden, und Spielerpöppel einem anderweitigen Einsatz entzogen.
Fünf Runden dauert ein Spiel. Jeweils 5 Aktionen darf jeder Spieler darin ausführen. Startspieler wird, wer zu Beginn einer Runde die meisten freien Clanmitglieder aufweist. Damit ist zugleich auch das höchste Rundeneinkommen verbunden. Seine Pöppel auf möglichst kurzfristige Aktionen auszuschicken, so daß sie bei Rundenende wieder im Pool zur Verfügung stehen, bringt also Startvorteile und Zusatzeinkommen.
Der letzte innerhalb einer Zugreihenfolge kann am besten abwägen, wieviel Mitglieder er noch im Leuchtturm zur Hafeneinfahrt unterbringt. Wer hier die Mehrheit hat, kann einem beliebigen Schiff die Einfahrt in den Hafen verwehren und so einem Mitspieler einen potentiellen Kunden vermaseln. Dieser Einsatz muß zwar teuer bezahlt werden, zahlt sich in der Regel aber vielfältig aus. Die verschiedensten Vor- und Nachteile aller Aktionen scharf abzuwägen, ist die Herausforderung in “Porto Carthago”.
Günther war Neuling und Startspieler. Er allein konnte sich bei der Startaufstellung keine Ware ergattern, die an seinen Speicherplätzen im Hafen benötigt wurde. Regelbedingt waren alle seine Lagerplätze belegt, so daß er keine neue Ware vom Markt kaufen konnte. Durch die zufällige Verteilung der Aktionskarten hätte er seine Lagerplätze ausgerechnet nur dadurch erweitern können, wenn er eine Ware vom Markte gekauft hätte. Doch genau das konnte er ja nicht. Für diese Dead-lock-Situation gibt es natürlich Ersatzlösungen, doch Günther setzte auf Aussitzen. Leider war ihm Hermes, der Gott der Händler und Diebe, ihm diesmal nicht gewogen.
Sven fuhr die Leuchtturm-Strategie. Er leitete jeweils die ersten einfahrenden Schiffe auf seine Handelspätze und schickte potentielle Kunden seiner Mitspieler brutal in die Unterwelt. Auch bei den Privilegien erfolgreicher Schiffsladungen suche und fand er seinen maximalen Vorteil. Es reichte trotzdem nicht zum Sieg, weil das Zufallsangebot an Waren und Kunden einen seiner Speicherplätze von Anfang an im Stich ließ und er damit nutzlos Ressourcen vergeudete. Außerdem konnte er als Hafenmeister zufallsbedingt gerade seinen schärfsten Konkurrenten am wenigsten schädigen.
Sieger wurde Aaron, der den sparsamsten Pöppel-Einsatz verfolgte, sich im Hafen nur mit wohldosiertem Risiko engagierte und von Sven – wohlkalkuliert oder zufallsbedingt – nur am wenigsten geschädigt werden konnte.
„Irgendwie hat man immer zu wenige Aktionen!“ „Das Spiel hätte eine Runde länger dauern sollen!“ Das waren die üblichen Klagen der Nicht-Sieger. Ein deutlicher Hinweis auf ein kurzweilige, spannende Unterhaltung.
WPG-Wertung: In Günthers 7 Punkten, 1 Punkt weniger als unser bisheriger Schnitt, drückt sich gewiß auch ein gewisser Frust des Neulings aus.
2. “Hansa Teutonica”
Günther hält dieses neue Spiel vom Argentum-Verlag für einen heißen Kandidaten zum „Spiel des Jahres 2010“. In einem kybernetischen Räderwerk mit Pöppeln, Geldmitteln und Privilegien müssen wir unsere Aktionen, bestehend aus Einnahmen kassieren, Pöppel requirieren und setzen, Strecken bauen und Prämien kassieren, so einsetzen, daß wir besser punkten als unsere Mitspieler.
Mit manchen Aktionen erweiteren wir unseren Handlungsspielraum für zukünftige Entwicklungen, oder, alternativ dazu, kassieren wir Siegpunkte. Trivial ist, daß es in der Anfangsphase die Erweiterung des Handlungsspielraums am wichtigsten ist. Die hier gewonnenen zusätzlichen Freiheiten zahlen sich im weiteren Spielverlauf exponentiell aus. Deshalb ist der Run auf die ersten, eindeutig besten Zugmöglichkeiten unumgänglich. Und leider auch ein bißchen determiniert, d.h. einseitig.
Das Hantieren mit dem Spielmaterial hat eine ähnliche therapeutische Wirkung wie das Setzen von Go-Steinen oder das Bewegen der Kugeln einer Komboloi. Das ist doch immerhin etwas.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (wenigstens schnell, aber zu repetitiv), Günther: 8 (flüssig), Sven 4 (zu determiniert, zu billig in der Herausforderung), Walter: 7 (leicht und locker, das richtige Spiel für Willi’s Konsorten).
3. “Bluff”
Im ersten Spiel war Aaron im Nu ausgeschieden. Im zweiten Spiel stand er ebenso schnell mit 5:5 gegen Walter im Endspiel. Mit der taktisch richtigen Behandlung eines 5 mal die Fünf und 5 mal die Zwei konnte er als einer der seltenen absolut-ungeschorenen Sieger die Arena verlassen.
Frage an die Experten: Wie wäret ihr mit einem 5 mal die Zwei-Wurf im 5:1-Endspiel vorgegangen? Es gibt mehr als eine Lösung!
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

20.01.2010: Machtspiele in Karthago

Das Gros der Westparkgamers liebt Spiele mit wohlproportinierten, strategischen Herausforderungen, das Thema ist egal, die Komplexität darf unbegrenzt sein, die Hauptsache ist ein funktionierendes Regelwerk. Abweichend davon ist für Moritz das Thema das wichtigste Qualitätskriterium. Wenn es darum geht, die Geschichte des zweiten Weltkriegs neu zu schreiben oder sogar im dritten Weltkrieg (oder ist es schon der fünfte?) die Weltherrschaft zu erringen, dann dürfen die Regeln auch schon mal windschief sein.
Mit Sven, heute zum ersten Mal am Westpark dabei, hat er jetzt einen Kampfgenossen gefunden. Dessen Lieblingsspiel ist „Axis & Allies“. Er hat eine eigene Spielrunde, die sich fast wöchentlich dieses Spiel reinzieht. Am Westpark lag es noch nie (?) auf dem Tisch, noch keine Rezension, kein Report und keiner von Moritz’ Quickies kündigt davon. Doch es ist ein wesentlicher Bestandteil von Moritz’ Aura. Vielleicht kann er dazu jetzt bei Sven seine ungestillten Gelüste befriedigen.
1. “Porto Carthago”
Bernd Eisenstein hatte uns schon zu seinem “Peloppones” als Beta-Tester eingeladen. Für uns ist es immer eine besondere Freude, Spiele nicht nur zu kritisieren (wenn man sie nicht uneingeschränkt loben kann), sondern auch dabei zu sein, ihnen den letzten Feinschliff zu verpassen. Diesmal ist es seine Neuschöpfung “Porto Carthago”, die in diesem Jahr in Essen erscheinen soll, zu der er uns um unsere Meinung gefragt hat.
Das Thema ist der Seehandel um Carthago, der einmals mächtigsten Handelsstadt am Mittelmeer. Wir erwerben, transportieren und verschiffen die geforderten Waren über die Schiffe der verschiedenen Anrainerstaaten, die in unserem Hafen liegen. Oder wir charten selber Schiffe und bringen unsere Waren irgendwohin in die Welt, wo es ständig Abnehmer gibt.
Abgeschlossene Lieferungen bringen uns Geld und Privilegien ein, die wir in politischen Einfluß umsetzen, um uns damit bei Spielende zum Sieger zu machen. Es gibt sehr viele Rädchen im Regelwerk, die wir in unseren Handelsaktivitäten beachten müssen, wollen wir erfolgreicher sein als unsere Konkurrenten. Alle sind dabei wohlbalanciert, viele Wege führen nach Karthago, keiner davon ist alleinseligmachend. Aber alle sind anspruchsvoll. Und ein bißchen wohldosierter Zufall ist auch eingebaut. Damit neben dem Tüchtigste auch der Götterliebling eine Chance hat.
Trotz intensivster Suche, trotz explizitem Auftrag fanden wir kein Haar in der Suppe. Sogar die Spielzeit ist für ein strategisches Mehrpersonenspiel absolut passend. Einleitung, Detaildiskussionen und philosophische Grundsatzbetrachtungen kosteten eine Stunde. Nach einer weiteren Stunde war das Spiel über die Runde gebracht. Mit Spannung und offenem Ausgang bis zum Schluß.
WPG-Wertung (für die aktuelle Version): Aaron: 7, Sven: 9 (einschließlich Sieger-Euphorie), Walter: 8.
Hoffen wir, daß die Veröffentlichung in diesem Jahr wie geplant stattfinden wird.
2. “Macht$spiele”
Das Spiel ist mit Aarons Rezension für uns am Westpark eigentlich schon abgehakt. Doch Sven kannte es noch nicht, und nach Meinungen im Internet sollte es seine Qualitäten zu dritt am deutlichsten offenbaren. Die ehemaligen Industiemanager und die noch aktiven Werktätigen mit Einblick in die Machtstrukturen von (mitteleuropäischen) Unternehmen amüsieren sich über die Ironie, mit der Firmenpolitik im Regelwerk karikiert wird. Nicht allein die Unvermeidlichkeit und Honorabilität von Bestechung, auch andere gereimte Ungereimtheiten darf man sich auf der roten Zunge zergehen lassen. Abteilungen funktionieren nur mit Mitarbeitern, Hauptabteilungen auch ohne. Da deckt ein Chef den anderen.
Durch kosteneinsparende Maßnahmen der Geschäftsleitung sinkt ständig die Motivation der Mitarbeiter, doch die Bereichsleiter profitieren davon. Je tiefer die Motivation, desto wirksamer die Macht-Privilegien der Manager. Von den geschmierten Bereichsleitern erst recht.
Vor einer Woche wurden Bestechungen um jeden Preis angenommen, weil wir die negativen Begleiterscheinungen der Ehrbarkeit vermeiden wollten. Diesmal wurde fast jede Bestechung abgelehnt, weil die Chefs in anderen Kategorien ihr materielles Heil suchten.
Jeder verfolgte eine eigene Schiene. Daß er es kann, ist einer der Vorzüge des Spiele. Daß wir dies auch taten, ist einer der Vorzüge von uns! Oder die große Chance einer Dreierrunde.
WPG-Wertung: Sven konnte mit seinen 8 Punkten den bisherigen Durchschnitt nicht wesentlich verändern.
3. “Bluff”
Schnell noch als Absacker auf den Tisch gebracht. Im ersten Spiel demonstrierte Walter im Endspiel gegen Sven, wie wichtig gutes Nachwürfeln ist, im zweiten Spiel zog Aaron im 5:4 Endspiel gegen Walter Zug für Zug die Daumenschrauben enger. Bis zur bitteren Neige.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

13.01.2010: Machtspiele bei “Rise of Empires”

Aaron ist ein umwerfender Trouble-Shooter im Computerbereich. Besonders die Ehefrauen lechzen nach seinen Hilfestellungen. Auch meine. Heute war Moritz seine dran. Zur Belohnung erhielt er von ihr einen Bordeaux von Baron Philippe de Rothschild, den er auch gleich zum Westpark mitbrachte und dort kredenzte. Eine vorzügliche Beigabe zum ersten Spielabend im Neuen Jahr.
Wenn Ihr (oder Euere Ehefrauen) ebenfalls in Schwierigkeiten seid, kann ich Euch Aarons Kompetenz nur wärmstens empfehlen. Allerdings solltet Ihr dann ebenfalls einen Lafite Rothschild im Keller haben. Er kann ruhig vom letzten Jahrtausend sein.
1. “Rise of Empires”
Moritz hatte es mitgebracht. „Die Spielregeln kennst Du?“ wurde er gleich mißtrauisch gefragt. „Ich habe sie durchgelesen!“ „Bei mir gerade im Auto? Zu Hause hast Du doch Klavier gespielt!“ Wir wollen dem Wahrheitsgehalt dieser Aussagen nicht weiter auf den Grund gehen, Moritz ist in seinen Stegreiferklärungen ohnehin so gewandt, daß sie fast wie gründliche Vorbereitungen wirken.
Moritz hat zu diesem Spiel auch eine besondere Affinität. Erstens mag er grundsätzlich diese Genres; zweitens hat dieses Spiel eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem Erstlingswerk „Das 20. Jahrhundert“, mit dem er (ohne seine Ehefrau) immer noch schwanger geht, und dem er gerade wieder ein paar neue Überarbeitungsideen einbringt. Und drittens zeichnet für beide Spiele Phalanx Games als Herausgeber.
„Rise of Empires“ besteht aus „Spielmaterial ohne Ende“. Um den Spielplan, der die Mittelmeerregionen darstellt, liegen schichtenweise epochale Plättchen für Städte, Landschaften, Fortschritte, Weltwunder und Eroberungen. Jeder Spieler bekommt haufenweise Volksgenossen und Aktionsmarker, Warenscheiben und Geld. Pro Halb-Epoche darf jeder Spieler sechs Aktionen durchführen: Städte kaufen, die in Siegpunkte umgesetzt werden, Landschaften kultivieren, die Geld, Nahrung und/oder weitere VGs liefern, Tauschgeschäfte tätigen (Warenscheiben in Geld oder Siegpunkte) oder Mehrheiten in Mittelmeerregionen bilden, die nach jeder Halbepoche Siegpunkte und VGs oder Warenscheiben abwerfen.
Das Regelheft ist dick und mühsam, besonders für Learning-by-Doing-Charaktere. Allein die Kurzfassung der Spielregeln umfaßt zwei dicht bedruckte Seiten. Mit Halb- oder Viertelwissen gingen wir das Spiel an und Moritz tröstete „Es wird alles klar werden!“ Doch wie kann man ohne Gesamtvision ein Optimierungsspiel anfangen, bei dem jeder Zug auf den anderen aufbaut, und bei dem falsche Entwicklungslinien später nicht mehr korrigiert werden können? Moritz tönte zwar sehr schnell: „Ich habe schon eine Strategie“, doch es hörte sich mehr an wie Pfeifen im Dunkeln.
Sehr pfiffig ist die Auswahl der Aktionen. In der Hin-Epoche legt jeder Spieler jeweils einen Aktionsmarker auf ein Tableau, in dem die unterschiedlichen Aktionen der Spieler festgehalten werden. In der Rückepoche nimmt er die Marker in einer ausgetüftelten Reihenfolge wieder auf, d.h. er muß a) die gleichen Aktionen ausführen wie in der Hinepoche, aber b) nahezu in umgekehrter Reihenfolge im Vergleich zu seinen Mitspielern. Bis wir hier den richtigen Peil haben und alle Seiteneffekte verstehen und berücksichtigen können, wird noch viel Wasser die Isar herunterfließen.
Eigenartig verläuft die Inbesitznahme der Regionen. Wer mit seiner Aktion eine Eroberung wählt, darf seine VGs auf ein bis drei Regionen verteilen und zusätzlich einige evtl. dort vorhanden VGs der Gegner vom Brett nehmen. Wer zuerst eine Region besetzt, hat natürlich den Nachteil, daß er mangels Masse noch keine Gegner vom Brett nehmen kann. Da aber das nachträgliche Betreten einer Region mit keinerlei Nachteilen, sondern nur mit dem Gegner-Entfernungsprivileg verbunden ist, ist der Erst-Betreter eine Region doch zweifellos der Dumme. Oder? Haben wir hier vielleicht irgend ein Regeldetail nicht richtig verstanden?
Moritz wagte sich tatsächlich als Erster an Land und besetzte mit je einem VG drei Regionen. Prompt zogen seine drei Konkurrenten nach, und gemäß dem Maximum-Damage-Prinzip beseitigte jeder einen von Moritz VGs, so daß nach einer Runde keiner seiner VGs mehr am Leben war. Moritz zog daraufhin nicht etwa den Mechanismen des Spiels in Zweifel, sondern nur die Logik seiner Mitspieler. Doch wenn es darum geht, einen Mitspieler zu schädigen oder nicht, nach welcher Logik sollte man dann auf das Schädigen verzichten? „Ich fühle mich auf jeden Fall noch ungerecht angegriffen.“
Nach einer Stunde Erklärung und weiteren anderthalb Stunden Spielen hatten wir die erste von drei Epochen absolviert. Die ersten zaghaften Anfragen zum Spielabbruch wurden gestellt. Eine Vertröstung auf die neuen Spielelemente in den nächsten Epochen konnte die Erwartungen nicht erfüllen. Die nächsten Plättchen brachten keine neue Qualität mit sich, sondern nur eine leicht gesteigerte Quantität innerhalb der Umtauschverhältnise. Das reichte nicht, um die Begeisterung auf ein Spielende bis weit nach Mitternacht aufrecht zu erhalten. Wir brachen ab.
Das Auswahlverfahren der verschiedenen Plättchen auf dem Spielbrett ist genauso „autistisch“ wie bei „Dominion“. Wer zu erst kommt, mahlt zu erst, das ist alles. Das einzige Element, wo deutlich Interaktion ins Spiel kommt, ist der Eroberungskampf auf den Regionen. Doch gerade hier scheinen die Mechanismen noch nicht ausgereift zu sein. Entschuldigung an den Autor Martin Wallace, falls uns hier unser erster Eindruck getäuscht haben sollte.
WPG-Wertung: Aaron: 4 (viel zu viel Unnötiges), Günther: 5 (die Hälfte der Spielelemente hätte genügt) , Moritz: 7 (die Vielfalt gefällt mir eigentlich), Walter: 7 (mag das Ohne-Würfel-Prinzip).
Moritz schreibt eine Rezension.
2. “Macht$piele”
Im November zum ersten Mal gespielt, drängte Aaron auf eine Wiederholung, um seine geplante Rezension nochmals besser fundieren zu können. Wir arbeiten in einem großen Unternehmen und versuchen mit unseren Einflüssen die verschiedenen Unternehmensbereichen zu dominieren. Gründungen von Abteilungen und Hauptabteilungen, Personalmanagement aber auch simple Insidergeschäfte mit Aktien bringen uns vorwärts.
„Personal ist immer gut. Personal heißt Macht“ wurde Moritz als Neuling belehrt. Das gilt offensichtlich für die internen Diadochenkämpfe im Unternehmen. (In richtigen Leben können man beim externen Aktionsfeld der Unternehmen heutzutage ja eher auf das Gegenteil schließen.)
Bemerkenswert sind die Bestechungsregeln. Ohne zu bestechen und bestochen zu werden, kann man das Spiel nicht gewinnen. Wer eine Bestechung ablehnt, verliert nicht nur einen Einflußpunkt auf der Controlling-Skala, er muß auch noch einen Mitarbeiter entlassen. Walter wurde gleich zu Beginn auf seine Standfestigkeit geprüft. Doch sein Schock bei der Zwangsentlassung seines Mitarbeiters, mit der gleich eine ganze Abteilung über den Jordan ging, hatte ihn schnellstens geheilt. Anschließend nahm er mehr oder weniger blindlinks jede beliebige Bestechungssumme an, und von seinem Beispiel angesteckt hielten es alle anderen Spieler genauso. Diese Inflation an Bestechungswille sorgte dafür, daß generell nur noch niedrigste Summen angeboten wurden. Ist das im Sinne des Spieledesigns oder haben wir wieder ein Regeldetail zu eng (zu weit) ausgelegt?
Moritz nutzte sein Privileg, Mitarbeiter von seinen Konkurrenten abzuwerben, im Sinne eines erfahrenen Wargamers und hatte innerhalb weniger Runden satte Zweidrittel-Mehrheiten in fast allen Unternehmensbereichen. Allerdings münzte er diese Vorteile zu spät um in Punkte auf den verschiedenen Siegpunktskalen. Triviale Kapitaleinnahmen durch frühzeitigen Ankauf renditeträchtiger Aktien und nicht der organische Aufbau einer Hauptabteilung, sondern der simple Zukauf einer solchen gaben den Ausschlag zum Sieg im Sudden-Death. Diesmal nicht von Günther.
WPG-Wertung: Moritz siedelte seine 8 Punkte im oberen Bereich der Westparker an. „Das beste ’Eggert-Spiel’, das ich je gespielt habe!“
Aaron hat seine Rezension schon fast fertig. Er möchte sich verstärkt dem Thema Korruption innerhalb der Machtspiele zuwenden, ohne dabei irgendwelche Erfahrungen aus dem Hause Siemens einfließen zu lassen.