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21.12.2011: Zweimal Karten sammeln und auslegen

Kinder, solange sie nicht im Sinne einer Erziehung ver-zogen sind, beherrschen die zwei wichtigsten Lebensregeln perfekt:

  • Sei authentisch!
  • Sei ganz bei einer Sache und tu nicht zwei Dinge gleichzeitig!

Das heißt, sie folgen ihrer Energie spontan und augenblicklich. Wenn sie schreien, schreien sie total. Wenn sie sehen, sehen sie total. Wenn sie spielen, gehen sie vollkommen in ihrem Spiel auf. Daher sind sie unsere Lehrer. Sie beherrschen die Kunst einen erfüllten Augenblick an den anderen zu reihen.
(Irina Rauthmann)

1. “Tournay”
Ein Kartenspiel des belgischen Trios Dujardin – Georges – Orban, erschienen im belgischen Pearl Games Verlag. Jeder Spieler sammelt „Aktivitätskarten“ – 90 verschiedene kennt das Basisspiel – und legt sie in einer 3 x 3 Auslage offen vor sich aus. Welche Karten einem Spieler angeboten werden, hängt zum einen vom Zufall ab, denn die Karten müssen von verschiedenen Stapeln verdeckt gezogen werden, zum anderen davon, welche Karten ein Vorgänger-Spieler nicht gemocht und dewegen offen abgelegt hat.

Das Auslegen kostet Geld und Aktionspunkte. Mit diesen Ressourcen muß ein Spieler haushalten. Die Reihenfolge und Positionierung der Karten in der Auslage hingegen bringt Geld, Aktionspunkte, Vergünstigungen und Siegpunkte. Eine geschickte Auswahl aus dem teil-zufälligen Kartenangebot sowie ein kompetentes-glückliches-systematisches Vorgehen beim Ausbau der Ressourcen- und Siegpunktquellen sind hilfreich für den Sieg.
Leider spielt sich das Spiel nicht so flüssig, wie sich das hier (vielleicht) liest. Wir können nicht in einem Atemzug Karten erwerben und auslegen; sondern müssen gemäß der vorgeschriebenen Zureihenfolge erst eine Karte auslegen bevor wir die nächste Karte in die Hand bekommen. Da geht ein Zug verloren. Und wenn wir gerade mal kein Geld haben, müssen wir wiederum auf (konstruktive) Züge verzichten und unsere Aktionspunkte für den Gelderwerb verplempern. Klare Schlußfolgerung: „Never use the last Drachma!“. Die andere Schlußfolgerung: „Spiele nie die letzte Karte aus der Hand!“ läßt sich leider nicht verwirklichen. Denn der Möglichkeiten, Karten zu erwerben, sind wenige, Karten auszulegen aber viele. „Több nap, mint kolbász“ heißt ein entsprechendes ungarisches Sprichwort (97.400 mal bei Google referenziert).

In unregelmäßigen Abständen prasseln Katastrophen auf uns herein und nehmen uns Aktionsradius weg. Böse Mitspieler können sogar bestimmte Ärgerkarten auslegen und damit ebenfalls unseren Aktionsradius und unsere Spielfreude dezimieren. Ist das nötig? Wäre es spiel-psychologisch nicht schöner, wenn sporadisch mehr Freiheiten dazukämen, anstatt dass sie uns ständig weggenommen werden?

Beim Design der Spieldetails haben sich die Autoren sehr viel Mühe gegeben. Das Spiel ist sehr gut ausbalanciert. Die 90 Aktivitätskarten der Basisversion und die 18 Karten für die Erweiterung verdienen von der Stimmigkeit und Ausgewogenheit höchstes Lob. Doch Stimmigkeit ist nicht alles. Die Karten und die Spielmechnismen balancieren den Spielfluß auf das Tempo hinkender Schnecken herab. Schade! Ganz sicher hätten die Autoren bei ihrer Erfinder-Kompetenz, die in vielen Details zum Ausdruck kommt, dem Spiel etwas mehr Gas geben können. Sie haben offensichtlich einfach nicht daran gedacht.

WPG-Wertung: Aaron: 6 (Probe-Note, er würde es noch einmal ausprobieren), Günther: 6 (ebenfalls zunächst nur eine „pro forma“ Note), Walter: 4 (zäh, Ärger ist die einzige Interaktion).

Bevor wir das Spiel am Westpark noch einmal spielen, wird Aaron die inneren Abhängigkeiten der 90 Aktivitätskarten genau analysieren und ermitteln, welche Karten-Kombination eine „Maschine“ bilden, sozusagen ein Perpetuum Mobile, das mehr Ressourcen generiert als es verbraucht. Wenn wir das Spiel am Westpark noch einmal spielen würden, hätte Aaron dieses sein Vorhaben garantiert nicht ausgeführt, sondern wir würden alle wieder mit dem gleichen Blinde-Kuh-Wissen den Tournayschen Knoten zu lösen versuchen. Oder nicht.

2. “Der letzte Wille”

Der letzte Wille

Für Walter „klangt schon der Titel ganz gut“. Die ständigen Stadt-Land-Fluß-Titel von „Abilene“ über „Bombay“ bis nach „Waterloo“ gehen ihm allmählich auf den Keks. Aaron meinte dieses Gut-Klingen allerdings mit einem gewissen Alter begründen zu können. Tatsächlich: Der Onkel ist gestorben. Er hat in seinem Leben unglaublichen Reichtum anhäufen können und – weil das letzte Hemd keine Taschen hat – alles zurücklassen müssen. Welcher seiner Neffen am schnellsten einen Bruchteil der Erbschaft durchgebracht hat, bekommt als Alleinerbe den gesamten riesigen Rest. Diese Geschichte hat der tschechische Autor Vladimir Suchý seiner Spiele-Erfindung thematisch untergelegt.

Wie bei „Tournay“ müssen wir in „Der letzte Wille“ Karten sammeln und auslegen. Doch welch ein Unterschied! Während wir in Tournay jede einzelne Drachme dreimal umdrehen müssen, bevor wir sie ausgeben, schwelgen wir hier in Geld und freuen uns über jede Gelegenheit, es zum Fenster rausschmeißen zu können. Spielpsychologisch eine viel angenehmere Situation.

Es gibt auch keinen Mitspieler, der uns unser Geld wegnimmt bzw. – was dem Spielziel eher entspricht – der uns welches gibt. Jeder ist alleine seines Glückes Schmied.

Wir kaufen Häuser zu hohen Preisen, lassen sie verkommen, sanieren sie für teueres Geld und verkaufen sie zu einem Schrottpreis weiter. Wir stellen Gesinde ein und legen uns Haus- und Hoftiere zu, nur damit die Renovierungskosten steigen. Wir leisten uns Vergnügungsfahren, Galadinners und Galavorstellungen, mit und ohne Edelanhang, die Hauptsache ist, dass wir unser Geld unter die Leute bringen.

All diese möglichen Aktionen werden ähnlich wie in „Tournay“ als Karten angeboten, die wir uns zulegen. Auch diese Karten sind sehr gut ausbalanciert und wir müssen wirksame Kombinationen herausfinden, die uns zum Sieg bringen. Doch spielt hier der Zufall nur eine sehr geringe Rolle: der größte Teil der Karten liegt offen aus; wir müssen nur schneller zugreifen als unsere Mitspieler.

Dazu spielt natürlich die Zugreihenfolge eine wichtige Rolle. Diese Rolle wird mehr oder weniger versteigert. Wir können wählen, ob wir früh am Zug sein wollen und dafür nur eine beschränkte Anzahl Karten ziehen und nur eine begrenzte Anzahl von Geld-Rauswerf-Aktionen durchführen dürfen. Oder ob wir als Letzter zusehen, was für uns übrig bleibt, uns dafür aber einen größeren Aktionsradius einhandeln.

Im Letzten-Willen krebsen wir natürlich nicht mühsam von Karte zu Karte; ganz im Gegenteil, wir haben die Hand ständig Körbeweise voller Karten und müssen uns nur überlegen, welche davon wir auslegen, welche in der Hand behalten und welche unbenutzt zurückgeben.

Es stellt sich schnell heraus, dass sinnloses Geld-Ausgeben gar nicht so einfach ist. Und manchmal sind die Mitspieler darin einfach geschickter. Doch auch hier gilt die Spiel-Psychologie: es ist leichter zu verlieren, wenn man noch alle seine Bauernhöfe und Herrenhäuser in der Auslage hat, als wenn man von den regelmäßigen Normannenstürmen ständig um sein letztes Hab und Gut gebracht wird.

WPG-Wertung: Aaron: 7 (Thema sehr gut umgesetzt) , Günther: 7, Walter: 7.

Wir wünschen allen Freunden, Lesern, Kritikern und Kommentatoren ein blühendes Weihnachtsfest und ein spielreiches Neues Jahr.

14.12.2011: Flotter Siebener

Nach Peters strikter Vorgabe werden Spielrunden größer als 5 schon im organisatorischen Vorfeld peinlichst vermieden. Heute kamen er und Loredana nach einer mehr als halbjährigen beruflichen Aushäusigkeit im gelobten Land zurück in die weiß-blaue Heimat, und aus der Freude am Wiedersehen wurde die Teilnehmerbegrenzung aufgehoben.

Würfel, Bluff und Wein

Zunächst war geplant, mit einer gemeinsamen Bluff-Runde anzufangen und dann die Gesellschaft auf zwei Tische aufzuteilen. Doch dann fanden Aaron und Günther mit dem WPG-Spielefinder soviele geeignete Viel-Personen-Spiele (und brachten sie mit), so dass wir bis zum Schluß alle zusammenblieben.
1. “Bluff”
Eigentlich ist das Spiel für maximal 6 Mitspieler ausgelegt, doch wenn man die Würfel aus zwei Spielen zusammenlegt, können problemlos 12 Mitspieler teilnehmen. Flott ist es allemal und für die vorzeitig Ausgeschiedenen auch beim Nur-Zuschauen keineswegs langweilig.
Horst konnte beim ersten Durchgang mit 17 mal die Fünf gleich 6 Mitspieler um einen Würfel kürzen. Im zweiten Durchgang wäre ihm das ebenfalls geglückt, wenn er sich getraut hätte, von 13 auf 14 mal die Fünf zu erhöhen. Sein Nicht-Mut kostete ihn genau den Würfel, der ihm später im 1:1-Endspiel gefehlt hatte.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.
2. “The Resistance”
Vor einem halben Jahr hatte das Spiel in einer 5er Runde die Hoffnung geweckt, dass es sich in einem noch größeren Teilnehmerkreis weniger durchsichtig präsentiert. Gilt es doch herauszufinden, welchen der Mitspieler eine „Gute“ und welchen eine „Böse“ Rolle zugedacht ist.
Jeweils ein Spieler stellt als Kapitän ein Team für eine „Mission“ zusammen und alle Mitspieler stimmen mehrheitlich offen darüber ab, ob die Teamzusammenstellung akzeptiert wird. Ist das der Fall, stimmen anschließend die Mitglieder des Team geheim darüber ab, ob die Mission erfolgreich ist. Eine einzige Gegenstimme bringt die Mission zum Scheitern.
Ein „guter“ Kapitän muss also versuchen, eine Mannschaft aus lauter „Guten“ zusammenzustellen. Ein „böser“ Kapitän muss versuchen, wenigstens einen „Bösen“ in die Mannschaft zu schmuggeln. Ist eine Mission gescheitert, dann war mindestens ein „Böser“ dabei. Ist die Mission aber gelungen, dann ist keineswegs gesichert, dass nur „Gute“ dabei waren. Ein Böser kann sich ja getarnt haben. Allerdings für einen hohen Einsatz. Denn er hat eine ganze Mission und damit 33% der Siegbedingungen hergeschenkt.
Übrigens: Nur „Böse“ tarnen sich. „Gute“ müssen mit allen Mitteln versuchen, Klarheit in die moralische Rollenverteilung zu bringen. Warum?
Weiterhin wird ein „guter“ Kapitän auf jeden Fall sich selber in die Mannschaft aufnehmen. Ein „böser“ kann sich da schon mal auslassen. Er muss es sogar tun, wenn er bereits entlarvt ist.
Es könnte eine Menge Rechnerei und Schlußfolgerungen geben, um aus den Ablehnungen von Teams und aus dem Scheitern von Missionen auf die „Bösen“ zu schließen, um am Ende mit den reinen Schäfchen die drei benötigten erfolgreichen Missionen durchzuführen. Allerdings erlaubt die Spielregel ausdrücklich „Diskussionen – und soziale Interaktion“, sprich lautes Gelaber, um die eigene böse Rolle zu verschleiern und den anderen Mitspielern die Schuld am Scheitern einer Mission in die Schuhe zu schieben. Das kann zu den lustigsten Anschuldigungen und zu den beschissensten Offenbarungen führen.
Offensichtlich ist diese Phase der lauten, lauteren und unlauteren Diskussion gewünscht und ein Teil des Spielspaßes. Heute war es das auch. Peter nahm seinen Präcox-Kommentar „Oh Gott, ist das ein Scheiß“ stillschweigend zurück und reihte sich mit seinen 7 Punkten genau im (relativ guten) Durchschnitt der bisherigen Wertungen ein. Loredana auch. Ohne Kommentar.
Hallo Peer, diesmal haben wir mit den Plotkarten gespielt. Ich fand sie aber keineswegs als Bereicherung des Spiels. Wenn ich dadurch meine Identität offenbaren muß, wenn ich eine von Haus aus verdeckte Abstimmung öffentlich mache, wenn ich gar eine ganze erfolgreiche Teamzusammensetzung canceln kann, wird der Logik-Anteil immer mehr zurückgedrängt. Moritz hätte mit einer Plotkarte die letzte Abstimmung ungültig machen können und damit den „Bösen“ die letzte Mission für den Sieg schenken können. Selbst als „Böser“ wollte er aber nicht so böse sein und den „Guten“ damit die gute Laune verderben bzw. sein Spiel in Mißkredit bringen.
WPG-Wertung: Aaron: 7, Günther: 6, Horst: 7, Loredana: 7, Moritz: 8, Peter: 7, Walter: 6.
3. “Zaster”
33 Jahre hat dieses Parker-Spiel auf dem Buckel. Vor 9 Jahres war es zum letzten Mal bei uns auf dem Tisch. Jeder Spieler bekommt 10 Karten von verschiedenen Farben (Zahlen) in die Hand und muß durch verdecktes Tauschen mit seinen Mitspielern erreichen, dass alle 10 Karten seiner Hand die gleiche Farbe aufweisen. Sobald das ein Spieler geschafft hat, ist ein Spiel zu Ende.
Tauschen kann jeder mit jedem und in beliebiger Reihenfolge und Häufigkeit. Zum Tauschen kündet der Tauschwillige eine beliebige Anzahl Karten einer Nomination an und wer das Gebot annimmt, muß eine entsprechend große Anzahl Karten einer beliebigen anderen Nomination dagegen halten. Dieser Vorgang führt zu einem lauten chaotischen Durcheinander-Schreien wie auf der Börse. Wer am lautesten schreit, am häufigsten zum Zuge kommt und somit am öftesten tauscht, hat als erster die Chance auf den Sieg.
WPG-Wertung: Horst blieb mit 6 Punkten nahe beim bisherigen Durchschnitt, Loredana mit 3 und Moritz mit 2 Punkten drückten den Durchschnitt um einen ganzen Punkt nach unten. Wahrscheinlich entgleitet in einer 7-er Runde das Börsen-Schrei-Chaos jeglicher Kontrolle.
4. “Linq”
Ein Partyspielchen für sprachbegabte Verschleierer. Verdeckt werden den Spielern paarweise identische Begriffe zugeordnet, die sie durch zwei Schlagwörter umschreiben müssen. Dann müssen die Spieler auf Grund der genannten Schlagwörter herausfinden, welche Spieler jeweils begrifflich zusammengehören. Finden zusammengehörige Spieler die eigene richtige Zuordnung heraus, bekommen sie Pluspunkte, findet einer von ihnen diese Zuordnung nicht, gehen beide leer aus. Finden Spieler fremde Zuordnungen heraus, so müssen die „entdeckten“ Paare Punkte abgeben. Es kommt also darauf an, für den eigenen Partner eindeutig erkennbar zu sein, für die anderen Mitspieler aber möglichst nicht.
Dabei ist es natürlich hilfreich, wenn man gemeinsame Erfahrungen hat, die sich auf ein einziges Schlüsselwort reduzieren lassen. Walter stand mit seinem „Schiefer“ ziemlich allein dar. Wer weiß denn noch, dass damit eine „Tafel“ gemeint sein kann? Wer hat denn noch in der „Volksschule“ mit dem Griffel auf eine Schiefertafel geschrieben? Loredana gab sich zwar mit „Schokolade“ gleich als Partner zu erkennen, für die Schiefertafel aber war sie 30 Jahre zu jung. Da konnte selbst der „Arthus“ mit seiner Tafelrunde nichts mehr retten.
Dagegen lag Aaron mit „Schmidt“ für „Schnauze“ goldrichtig. Glücklicherweise war hierbei nicht Loredana seine Partnerin sondern unser Oldtimer. Kein anderer in unsere Reihe kannte die Zusammensetzung „Schmidt-Schnauze“. Google findet dazu immerhin 32 Tausend Einträge. Heutzutage wird der alte Schmidt aber nur noch als ausgeschamter Kettenraucher wahrgenommen.
Keine neue WPG-Wertung für ein 7,3 Punkte Spiel.
5. “Choice”
Ein Würfelspiel, bei dem öffentlich jeweils 5 Würfel geworfen werden, die jeder Spieler in zwei mal zwei Paaren plus einen Überbleibsel-Würfel zusammenstellen muss. Das Ergebnis trägt jeder in ein privates Tableau ein. Wer am Ende die lukrativsten Kombinationen zusammenstellen konnte, hat gewonnen.
Wer mehr darüber wissen möchte, kann Moritz’ Spielbericht vom 5. Mail 2002 oder Walters Session-Report vom 20. Juli dieses Jahres (mit Bild) nachlesen.
Bisher waren unsere Kommentar überwiegend positiv. Moritz fand das Spiel damals sogar „Sucht erzeugend“ und Horst ging heute mit „ein tolles Würfelspiel“ durchaus in die gleiche Richtung. Nur Peter fiel meilenweit zurück. Das Spiel ist „komplett öde“. Es besitzt eine „eindeutige Gewinnstrategie“, es ist „wahnsinnig leicht optimierbar“. Es enthält „keinerlei Interaktion“. Im letzten Punkt hat er wohl recht, in den anderen wurde ihm heftig widersprochen. Wir warten auf die Darstellung seiner Lösung.
WPG-Wertung: Der bisherigen Durschnitt von 7,3 wurde zwar nicht von Horsts 8, aber von Peters 3 Punkten deutlich nach unten gedrückt.

07.12.2011: Ratlos auf Hawaii

Was macht der Kassier eines Vereins? Er kassiert die Mitgliedsbeiträge und bezahlt die anfallenden Kosten: Abgaben an die übergeordneten Verbände, Zuwendungen an Funktionäre, monatliche Mieten für die Clubräume, Saalmieten für Sonderveranstaltunen, Weihnachtsfeiern und ähnliches.
Und was passiert, wenn er die Kosten nicht bezahlt? Dann trudeln Mahnungen ins Haus. Zuerst bei ihm und dann beim Präsidenten. Was tut der Präsident mit den Mahnungen? Er leitet sie an den Kassier weiter, zuerst verwundert, dann frustriert, schließlich grollend.
Und bevor die gutgläubigen Club-Gläubiger ihrerseits anfangen zu grollen, bezahlt der Präsident die angemahnten Rechnungen (zunächst mal) von seinem Privatkonto. Schließlich will er die Sääle ja auch für zukünftige Veranstaltungen anmieten und das gute Verhältnis zwischen Club und Verband erhalten.
Wie geht es dann weiter? Ich weiß es selber nicht! Vielleicht habt Ihr, liebe Leser, dazu eigene Erfahrungen, praktikables juristisches Wissen, einen guten Rat! Danke!
1. “Hawaii”
„Die Fischer fischen, die Surfer surfen, die Tänzerinnen tanzen und die Früchte früchteln.“ So heißt es in der Einleitung. Und die Spieler spielen. Ein Teil des Spielspaßes ist das Zusammenbauen des Puzzle-Spielbretts. Dies ist auch eine Intelligenzaufgabe, besonders da man erst herausfinden muss, welche Teile des umfangreichen Materials zum Spielbrett gehören und welche zur Start-Ausstattung der Spieler an Grundstücken und Gebäuden. Erleichtert wird diese Aufgabe durch 3 ½ Seiten des Regelheftes, so dass diese Herausforderung nicht der Grund für das angegebene Mindestalter von 10 Jahren ist.
Es gilt allerdings noch weitere 7 1/5 Seiten Spielregel durchzuarbeiten, um die Aufgabenstellung zu verstehen. Jeder Spieler muss seine kleine Insel zu dem schönsten Paradies der Zivilisation ausbauen. In seinen maximal fünf Dörfern kann er Muschel-, Fuß-, Lang- Tausch- und Speerhütten errichten, Obstplantagen anlegen, und verschiedenartige Attraktionen für die Touristen anschaffen. Weiterhin gibt es KU, KANE, PELE, LONO, LAKA und KANAOLA-Elemente, die er in seine Dörfer einbauen kann, und die alle früher oder später Siegpunkte bei der Dorf-Prämierung abwerfen.
Um ein neues Element in eines seiner Dorf einarbeiten zu dürfen, muss ein Spieler zuerst mit seinem Häuptling zu einem Supermarkt laufen, wo es dieses Element im Angebot gibt. Dann muss er es auch noch bar bezahlen können. Bewegungsradius und Muschiwährung sind die beiden Mittel, mit denen ein Spieler seine Aktionen bestreitet.
Wie bei jeder guten Optimierungsaufgaben gilt es, gegensätzliche Prinzipien in einer wohlbalancierten Weise zu handhaben:

  • Man kann in Masse machen und sich viele billige kleine Bauteile zulegen, braucht dazu aber einen längeren Fußmarsch und bekommt nicht die Sonderprämien für die teuren großen Qualitätsstücke.
  • Man kann sich potenzerweiternde Elemente zulegen, um damit in zukünftigen Aktionen abzusahnen, oder man kann sich gleich auf siegpunktträchtigen Besitzstand konzentrieren.

Ein paar konstruktive Zufallselements sind in „Hawaii“ auch eingebaut. So variiieren Angebot und Preise von Runde zu Runde, und es ist immer von Vorteil, in der Startspielerreihenfolge einen guten Platz zu belegen. So kann man schneller zuschlagen als die Konkurrenz. Dieses Privileg ist käuflich, zwar nicht direkt, aber wer als erster seine Einkaufstour abbricht, darf wählen, in welcher Position er die nächste Runde beginnt.
Bei der Optimierung der Einkaufstouren in Bezug auf Gesamtstrecke und Gesamtausgaben stellt sich die Frage, ist „Keep fully invested“ die richtige Maxime? Soll man sein Potential an Füßen und Muschis pro Runde restlos ausschöpfen? Ganz gewiß nicht. Die Verfügbarkeit voraussetzt, ist es für bestimmte Investitionen absolut gleichgültig, in welcher Runde man sie tätigt. Ein scharfes Kalkulieren des jeweiligen Rundenetats gehört unbedingt zu gutem Spiel. Und verachtet mir den Fischerhafen und die Anlegeplätze für die Inselbesuche nicht. Hier liegen die Siegpunkte mehr oder weniger massig am Kai.
Am Ende lagen wir alle in der Reihenfolge Aaron, Walter, Günther und Horst nur ganze sieben Punkte auseinander. Allerdings hatte Günther dabei alle einmal überrundet. Mit seinen Vergnügungsbooten im Hafen.
WPG-Wertung: Horst: 8 (hat wahnsinnig Spaß gemacht), Aaron: 5 (hat nur durchschnittlich Spaß gemacht, die Frage: „Schaff ich noch das nächste Teil“ erzeugt nur einen begrenzten Spannungsbogen, Günther: 7 (schönes Aufbauspiel), Walter: 7 (vermißt in der Optimierungsaufgabe eine spielerische Linie, für eine höhere Bewertung fehlt eine progressive Steigerung, und zudem ist „Hawaii“ etwas zu solitär)
Es schloß sich eine Diskussion an über die Frage: „Wann funktioniert ein Spiel?“ Für Aaron ist es eine Grundvoraussetzung, damit ein Spiel überhaupt in die Wertung kommt. Doch sicherlich haben wir auch einige Spiele mit 2 oder gar 3 Punkten (wenn nicht gar 10, lieber Moritz!) belegt, die nicht funktionieren. Wie immer man das definieren mag.
„Und wann ist ein Spiel spielerisch?“ Aaron und Horst wollen mit ihren Wertungspunkten grundsätzlich das „Spielerische“, d.h. den Spielespaß eines Spiel benoten. Günther unterscheidet hier noch zwischen Spielespaß und persönlichen Vorlieben. Für Walter ist „spielerisch“ nur eines von vielen Kriterien, die ein guten Spiel haben sollte. Für ihn ist „Mensch ärgere Dich nicht“ deutlicher spielerischer als „Hawai“, obwohl letzteres eine höhere Wertung bekommt.
Bei Woxikon werden zum Wort „spielerisch“ 39 Synonyme in 5 Wortgruppen angeboten:
kinderleicht: unscheinbar, unkompliziert;
unbefangen: unbeschwert, ungebunden, unbelastet;
mühelos: leicht, bequem, einfach, kinderleicht, problemlos, unschwer, spielend;
entspannend: beschwingt, sorgenlos, sorglos, unbefangen
leicht: zart, anmutig, sacht, sorgenlos.
Ist „Hawaii“ jetzt „spielerisch“?
Zur Demonstration des Spielerischen schlug Horst spontan eine Partie „Mensch ärgere Dich nicht vor“ und Walter legte ohne Zögern die Schachtel mit der Ravensburger Spielesammlung auf den Tisch. Doch Aaron winkte entsetzt ab.
2. “Pax”
Ein hübsches kleines Kartenspiel von Bernd Eisenstein, das wir schon in der Endphase seiner Entstehung mittesten durften. Die Spieler ziehen Karten verschiedener Kategorien vom verdeckten Stapel, legen einige davon offen in ihre private Auslage und andere in öffentliche Kaufplätze, von wo sie von den anderen Spielern gegen blanke Münze gekauft werden können.
Je mehr Karten man auslegt, deste teurer wird der Vorgang. Je länger die eigene Auslage in den verschiedenen Kategorien ist, desto höher sind anschließend die Einnahmen. Es gilt also, eine gute Balance zwischen dem Bezahlen beim Auslegen der Karten und dem Kassieren für die lange Auslage zu finden. Im Laufe des Spiels werden die Auslagen natürlich immer länger und die Einnahmen immer höher, so dass man kurz vor Spielende nahezu im Geld schwimmt.
In regelmäßigen Abständen werden die Karten eines Kaufplatz in den Besitz von Rom übergeführt. Bei Spielende wird gewertet, ob Rom oder die Mitspieler in den verschiedenen Kategorien mehr Karten ausliegen haben. In dieser Phase ist das Spiel ein Kooperationsspiel. Man kann sich gegenseitig die notwendigen Karten zuschustern, um gemeinsam die Majoritäten zu erringen. Oder man kann auch absichtlich Rom viele und entscheidene Karten zukommen lassen, nämlich wenn man möchte, dass Rom die Kategorienwertung gewinnt. Denn in diesem Fall gewinn derjenige Spieler das Spiel, der in der Kategorie „Intrige“ die längste Auslage hat.
Ein feiner Kampf um Rom, mit vielen Optionen um Siegpunkte zu machen, mit rasant anwachsenden Betriebsmitteln und mit bis zum Schluß ungewissem Ausgang, ob der Intrigant oder der beste der „seriösen“ Spieler gewonnen hat.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (als notorischer Schlecht-Würfler hat er etwas gegen das Glück beim Kartennachziehen), Günther: 6 (mit Tendenz zu 7), Horst: 7 (hoher Wiederspielreiz, will sich das Spiel sofort kaufen), Walter: 7 (flottes Kartenspiel, überraschende Wendungen, psychologisch gut designedte Überflußwirtschaft).
3. “Bluff”
Günther stand im Endspiel mit einem Würfel gegen drei Würfel von Walter und demonstrierte die Schlagkraft seiner Immer-5-Strategie.
Bei ersten Kampf hatte Walter 4 + 4 + 1 unter seinem Becher. Was sollte er auf Günther’s Vorgabe 1 mal die Fünf antworten? 2 mal die Vier? Naheliegend. Doch Günther hatte mit seinem einen Würfel auch eine Vier und konnte mit 3 mal die Vier seinen Gegner um einen Würfel kürzen.
Im nächsten Kampf hatte Walter 3 + 1 unter seinem Becher? Er kam gar nicht auf die Idee, Günthers 1 mal die Fünf anzuzweifeln, sondern suchte sein Glück in 2 mal die Drei, mit der A-priori-Wahrscheinlichkeit von 1/3. Doch Günther zweifelte erfolgreich an.
Im letzten Kampf 1:1 hatte Walter eine 2 unter dem Becher und zweifelte diesmal Günthers 5-er Vorgabe an. Mit seinem geworfenen Stern konnte Günther den Sack zumachen.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

16.11.2011: Trajan

Ein reicher Kaufmann hatte einen Sohn, der hatte sich allen möglichen Sünden und Lastern ergeben. Unter anderen Greueln fand er auch am Würfelspiel Wohlgefallen. Alle seine Verwandten schämten sich deshalb seiner. Endlich faßte der Kaufmann den Plan, achtzig auf dem Lande aufgewachsene biedere fromme Männer für eine gewisse Zeit mit seinem Sohne in einem Haus zusammenzubringen. So meinte er, ihr Umgang würde auf ihn einen guten Eindruck machen und er von seinem schlechten Wandel ablassen.
Gesagt, getan, der Kaufmann suchte achtzig fromme Männer auf, die er unter tausend Versprechungen reichlicher Belohnung mit seinem Sohne in ein Haus einsperrte, wo man ihnen Speise und Trank von draußen hineinreichte. Um es kurz zu machen: nach siebzig Tagen öffnete man die Tür und forschte nach dem Zustande der Eingeschlossenen. Und siehe da, die Frömmigkeit hatte auf den Burschen keinerlei Eindruck gemacht, aber umgekehrt hatte sein Laster auf die achtzig Frommen eine solche Wirkung gehabt, dass sie samt und sonders zu Würfelspielern geworden waren.
(aus dem tausend-jährigen „Papageienbuch“)
1. “Trajan”
In Essen hatte das Spiel Furore gemacht und stand in allen Bestseller-Listen an der Spitze. Aaron hatte das Spiel deshalb blind gekauft, Günther als Halbblinder. Heute legte er es mit deutlichen gebremstem Schaum auf den Tisch: „Es ist ein 3-stündiges Solitärspiel.“
Nach dem Regelheft befinden wir uns im römischen Imperium auf dem Höhepunkt seiner Macht. Auf 12 klar und massiv bedruckten Seiten wird uns die Aufgabenstellung beschrieben. Dicke, deutlich, didaktisch. 60 Spielfiguren, 4 Feldherren, 4 Trajansbögen, 56 Aktionssteine, 60 Warenkarten, 54 Trajansplättchen und 70 Forumsplättchen sind erst die Hälfte des gebotenen Spielematerials. Wir drehen an ungezählten Rädchen, um im Hafen, im Senat, auf dem Forum, beim Militär, auf dem Markt oder in den Arbeitslagern unsere Potenz zu steigern oder gleich direkt Siegpunkte zu notieren.
Bemerkenswert ist das Auswahlprinzip für unsere Aktionen: Auf einem Rundkurs versetzt jeder Spieler kalah-artig die verschiedenfarbigen Aktionsteine jeweils einer Mulde und bestimmt dadurch seine nächste Aktion.
In “Trajan” hat der Autor Stefan Feld gleich eine ganze Handvoll verschiedener Optimierungsaufgaben zusammengefaßt:

  • Das Kalah-Prinzip, um die gewünschte Ziel-Aktion zu treffen
  • Das Kalah-Prinzip, um in einzelnen Mulden die notwendige Farbkombinationen für die Sondereffekte zu erreichen
  • Diversifizierung und Kumulierung im Arbeitslagen
  • Kleckern oder Klotzen im Senat
  • Transportoptimierung in den Provinzen
  • Sammlung und Nutzung einer effizienten Kombination von gleichen und ungleichen Symbolen
  • und noch viel mehr

Nach 4 Quartalen mit jeweils 4 Großrunden hat ein erfolgreicher Römer ca. 100 Siegpunkten auf die Seite geschafft. Dazu kommen in der Schlußwertung mit Glück nochmals ca. 20 Siegpunkte hinzu. Alles schön konstruktiv und sprudelnd. Eigentlich ein Super-Spiel. Eigentlich! Leider ist es entschieden zu solitär. Wir sitzen zwar zu viert um den Spieltisch, aber miteinander (oder gegeneinander) spielen wir nicht. Jeder könnte (fast) genauso gut alleine in seiner Studierstube sitzen und über seinen Kalah-Steinen brüten, um damit eine Maximalausbeute an Siegpunkten zu erlangen. Hinterher tauscht man die Ergebnisse per Telefon aus. Das bißchen Konkurrenz um den jeweils besten Platz aus lauter guten anderen Plätzen in den verschiedenen Operationsgebieten verdient nicht den Namen Interaktion. Michelin würde deshalb gewiß den zweiten Stern verweigern.
Den ersten Stern kann ein verwöhnter Gourmet auch noch verweigern, weil eine spiel-kulinarische Steigerung fehlt. Nach der ersten halben (von 16) Großrunden hat sich das Spiel eingeschwungen und plätschert dann nur noch mehr oder weniger linear vor sich hin. Der gesamte Spielverlauf für die nächsten zwei bis drei Stunden liegt vor unseren Augen. Ein bisschen zu lang.
Tom Felber, Vorsitzender der Jury Spiel des Jahres schreibt über den Trend bei den Spielen 2011: „Im Vormarsch sind logische Denksportaufgaben unter Zeitdruck und das Element des gleichzeitigen Spielens.“ Wie steht „Trajan“ zu diesem Trend? Es stellt uns zweifellos vor logische Aufgaben: tausend Rädchen im optimalen Takt zu drehen ist schließlich ein anspruchsvoller Denksport. Und wenn man zuvorkommend ist und seine Mitspieler nicht warten lassen will, steht man unweigerlich unter einem erheblichen Zeitdruck. Da in „Trajan“ auch noch die Interaktion fehlt, könnten alle mehr oder weniger gleichzeitig spielen. Fazit: „Trajan“ ist absolut trendy!
WPG-Wertung: Horst: 7 („spannend“, vor allem in Anbetracht der vielen sprudelnden Siegpunkt-Quellen), Aaron: 6 („nicht spannend“, schließlich ist es solitär), Günther: 7 (immerhin wird eine Menge Spiel geboten), Walter: 5 (als Solitärspiel bekäme es 8 Punkte).
2. “Bluff”
Im ersten Spiel schlachtete Günther als Goliath ohne einen einzigen Würfelverlust alle seine Mitspieler ab.
Im zweiten Spiel war er als David mit einem Würfel im Endspiel gegen Goliath Aaron mit dreien. Hier konnte er jetzt dreimal den ungleichen Zweikampf für sich entscheiden. Dreimal mit der Immer-5-Strategie. Sollte hier doch etwas dran sein?
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

19.10.2011 : Kodex vor Essen

Heute kein Spielabend. Die Hälfte der Belegschaft ist bereits in Essen auf der “Spiel 2011”, die andere Hälfte reist am Wochenende nach. Eine gute Gelegenheit für die noch Zurückgebliebenen, in den Archiven der Westparker mal zu graben und herauszufinden, was sich darin über den ominösen Westpark-Gamers Codex findet.
Aus gegebenem Anlaß kam am 11. August 2003 von Moritz per Email die erste, schriftlich nachweisbare Idee dazu: “Ansonsten hätte ich den konstruktiven Vorschlag eines ’Kodexes’, der die Verhaltensweisen bei bestimmten Unklarheiten oder Regelfragen in gewisser Weise reglementiert”.
Hans war sofort Feuer und Flamme; er meldete sich eine Stunde später mit dem Text: “Im Ernst, ich finde das eine tolle Idee”.
Vier Minuten später war auch Aaron dabei, er reklamierte für sich aber zugleich das Erstgeburtsrecht: “Hatte ich, glaube ich, schon mal vorgeschlagen wurde aber abgelehnt.”
Peter, unser Staatswissenschaftler und Philologe, war reserviert: “Ich würde am Mittwoch lieber Spielen statt Legislative spielen. Übrigens ist das alles nicht so leicht. ’Hetzen’ kann unangenehm sein, klar. Mich kann mich ’Arpadieren’ aber mehr nerven als Hetzen (sogar mehr als Hetzen gegen mich selbst).”
Dass ein Friede-Freude-Eierkuchenspruch analog §1 der Straßenverkehrsordnung:
“Jeder Spieler hat sich so zu verhalten, daß die gemeinsame Spielfreude am besten gefördert und kein Mitspieler mehr als nach den Umständen unvermeidbar gestört, geschädigt oder beleidigt wird.”
nicht ausreicht, zeigen schon die anderen hunderttausend Paragraphen und Strafvorschriften des Straßenverkehrs.
Günther brachte seine Erfahrungen über die Spieler-Moral bei den 18xx-Spielen ein:
“1830 ist wie üblich ein gutes Beispiel – und wird häufig auch mit einem gewissen Kodex gespielt.

  • Eine gewisse ’berechenbare / nachvollziehbare’ Spielweise gehört dazu
  • Bankrotte und damit Spielabbruch passieren schon häufiger mal [sie sind also sozusagen regelgerecht].
  • Klare Absprachen werden IMMER eingehalten
  • Bei Computer-Unterstützung [zur Abwicklung der Geldflüsse] läuft die Zeit immer mit, es gibt Punktabzug bei Überschreitung”

Moritz wollte dann noch ein recht weitgehendes Verbot von Kommentierungen einführen:

  • “Ausser alle erlauben es ausdrücklich vor einem Spiel, sollten keine Kommentare zur Platzierung der Mitspieler und der eigenen Platzierung während des Spiels fallen.”
    Das ging den anderen Spielern aber entschieden zu weit.

Günther steuerte wieder aus seinen reichen Erfahrungsschatz von den 18xx-Spielen bei:
“Es hat sich eingebürgert, im allgemeinen bei den Aktienrunden keine Tipps zu geben, allenfalls positive Tipps, wie: ’Kauf doch noch die letzte Aktie, dann haben wir beide 50% und sind ausverkauft’, etc. Aber nicht sowas wie: ’20% dieser Aktie zu behalten könnte problematisch werden, wenn die Gesellschaft ruiniert wird.’
Auch nicht: ’Schmeiß doch diese blöden Aktien, dann bist du die Gesellschaft los und X ist gelackmeiert !’
Während der Betriebsrunden sind Absprachen und Hinweise im allgemeinen jedoch erlaubt.”

In eine paragraphen-taugliche Form wurden diese Kodex-Beiträge nie gebracht, sie wurden auch nie verabschiedet und keiner mußte einen Eid darauf leisten. Bei Überschreitung der Regeln gibt es auch keine extrinsische Strafandrohung. Bisher hat die Moral mit ihrer quasi intrinsischen Strafandrohung dazu beitragen, diese Benimm-Regeln im allgemeinen einzuhalten. Ausnahmen bestätigen die Regel.

12.10.2011: Konflikt mit Österreich-Ungarn

1. “1824 – Österreich-Ungarn”
Eigentlich stand heute eine „1824 – Österreich-Ungarn“ auf dem Programm. Walter hatte in Liebe zur besten aller ungarischen Ehefrauen (hallo Birgit, gib nicht auf, da ist noch ein Titel frei!) letzte Woche ein Exemplar erstanden und für heute sollte er sich darauf vorbereiten.
Eigentlich ist alles ja ganz einfach und in allen Mitgliedern der 18xx-Familien gleich: In einem Vorgeplänkel (und zum Ausgleich des Zufalls bei der Bestimmung der Spielerreihenfolge) werden Mini-Eisenbahngesellschaften versteigert. Anschließend werden Aktien von „richtigen“ Eisenbahngesellschaften gekauft oder verkauft, Gleisstrecken gelegt oder modernisiert, Züge gekauft oder verschrottet, Betriebseinnahmen kassiert und verteilt. Am Ende gewinnt der Spieler mit dem größten Vermögen.
Diesen gewohnten Ablauf findet man auch im Regelheft zu „1824“ wieder. Doch dann folgen die massigen Detail-Änderungen, mit denen Helmut Ohley den 18xx-Sprößling auf K&K-Tauglichkeit getrimmt hat. Es gibt nicht – wie bei 1830 – nur simple sechs Trivial-Gesellschaften und acht öffentliche Bahnen, es gibt:

  • 7 Vor-Staatsbahnen
  • 4 Gesellschaften mit zugehöriger Kohlebahn, später in Ohne-Kohlebahnen verwandelt
  • 1 Gesellschaft von Haus aus ohne zugehörige Kohlebahn
  • Bergbahnen je nach Anzahl der Spieler
  • 5 Aktiengesellschaften
  • 3 Staatsbahnen

Alle mit unterschiedlichen Start- und Betriebsbedingungen.
Es gibt nicht – wie bei 1830 – nur fünf Lokomotiv-Typen, die sich gegenseitig aus dem Spiel drängen, es gibt gleich sieben „normale“ Lokomotiv-Typen und zusätzlich fünf Sonder-Lokomotiv-Typen, die alle nach unterschiedlichen Kriterien in und aus dem Spiel gebracht werden.

Gleichzeitig kündigten die Mitspieler an, nicht nur flott so mal eben die neuen konstruktiven Elemente des Spiels wirken zu lassen, Linien zu bauen und Dividenden auszuschütten. Nein, zu 101% wollten sie die neuen Gegebenheiten des Spiel auszureizen, selbst bei den Zügen der Mitspieler mitdenken, aus deren Leistungen und Fehlern „doppelt und dreifache Erfahrungen zu dem neuen Spiel“ zu sammeln, um dann mit einer umfassenden stundenlangen Kosten- und Nutzenanalyse von 4 verschiedenen Mitspielern mit 84 Aktien von 24 Gesellschaften aus 6 verschiedenen Betriebsformen und einem Besitz von 56 Lokomotiven von 12 verschiedenen Typenreihen die über 123 Gleisteile von 59 verschiedenen Strukturen über ein Spielbrett aus 99 verschiedenen Hexagons fahren. Walter warf das Handtuch. Für dieses Spiel ist Walter in diesem Leben schon zu alt! „Ich will nicht mehr Präsident der Vereinigten Staaten werden.“
„1824“ ist nicht für Liebhaber und Experten von komplexen Spielen gebaut. Es ist für Quadrat-Freaks der „18xx“-Familie gebaut. Lieber Helmut, Du hast eine tolle Arbeit geleistet und die verworrene Geschichte der Österreich-Ungarischen Eisenbahnen mit Liebe und Genialität in das Regelwerk der „1824“ eingebaut. Hier können die klügsten Köpfe aus Mathematik, Betriebswirtschaft und Finanzwesen ihre Systeme heißlaufen lassen, um noch mehr Gulden aus ihrem Geschäft herauspressen zu können. Doch mit Spielen hat das nichts mehr zu tun. Nicht für mich!
Keine WPG-Wertung.
2. “1830 +”
Hurra, hurra, die Großmutter der 18xx-Spiele-Familie ist wieder auferstanden. Nach vielen Jahren im Nirvana und nach mehreren Jahren Geburstswehen ist es Lookout-Games gelungen, die Reinkarnation wieder ans Tageslicht zu befördern.
Auf einem Spielbrett mit sehr viel mehr geographischer Detailinformation zu Stadt-Land-Fluß, aber mit identischer Struktur und identischer Ausstattung wie beim Original „1830“ können wir ohne jede Veränderung das gleiche alte Spielgefühl wieder aufleben lassen.
Es wird aber noch mehr geboten. Auf der Rückseite des Spielbretts gibt es einen modifizierten Spielplan mit drei zusätzlichen Hexareihen im Süden der USA, mit einer leicht veränderten Struktur von Städten und Wertigkeiten und mit zwei weiteren Eisenbahnlinien. Im Szenario „Gleiche Bedingungen“ sollen nach Angabe des Autors jetzt alle Linien ein vergleichbares Potential haben, die Musik spielt nicht mehr ausschließlich in und um New York. Natürlich lockte uns gleich diese Variante, auch wenn Horst als 18xx-Neuling dabei war und lediglich Erfahrungen aus „Poseidon“ und dem Kartenspiel „Railroad Barons“ mitbringen konnte.
Walter bestand auf der regelkonformen Auslosung der Sitzreihenfolge, er wollte der undankbaren Position hinter dem fehlerlosen Günther entkommen. Doch das Los ersparte ihm dieses Los nicht. Aaron und Horst verzichteten dann auf den ausgelosten Tausch ihrer angestammten Plätze.
Ein langes Palaver entstand um den Verkauf der Privatlinien. Aaron hätte diese Prozedur gerne verkürzt: Jeder kauft, was gerade ansteht. Walter bestand auf einer regelkonformen Versteigerung. Er hoffte durch gezieltes Passen und Bieten, das Erstkaufrecht bei den öffentlichen Bahnen zu erwischen. Nix wars. Zwischen der Alternative, die B&O zu kaufen und dann mangels Masse überhaupt keine echte Linie mehr floaten zu können oder auf die B&O zu verzichten und allen Mitspielern eine höhere Privatbahn-Rendite zukommen zu lassen, entschied er sich für die B&O. Damit war er in den ersten Runden auf Gedeih einem fremden Präsidenten unterworfen.
Horst wählte für sich gleich zu Beginn die PRR. Auch im 1830-Plus-Szenario ist das eine sehr schwierige Anfangslinie. Ihre Dividende kann vielen Runden lange einfach kein Lächeln auf den Gesichtern der Anteilseigner hervorrufen, und bevor sie im Endspiel glänzen kann, haben die erfahreneren Konkurrenten ihre Pfründen längst zerpflückt. Niemand warnte Horst vor seiner Entscheidung. Erstens wußten wir in dem veränderten Spielplan selber nicht, wie der Hase laufen würde, und zweitens gab es zu Spielbeginn gleich eine strikte Abmachung: Niemand durfte ungefragt Horst beraten, denn erfahrungsgemäß erfolgen alle – noch so fürsorglichen – Beratungen von Neulingen niemals ohne Eigeninteresse. Vor allem enthalten sie immer ein gezieltes Spucken in die Suppe der anderen Mitspieler. Schließlich strotzt jedes Mitglieder der 18xx-Familie nur so vor Möglichkeiten, Mitspielern einen Knüppel zwischen die Beine zu werden, wenn nicht gar, ihm gleich ganz den Hals zu brechen. Horst wurde nur beraten, wenn er ausdrücklich darum bat. Doch dazu war er sich aber eigentlich während des ganzen Spiels zu fein.
Aaron floatete die C&O und Günther die NNH. Für Walter reichten die Barmittel nicht mehr für eine eigene Linie, er paßte zunächst und schloß sich dann voll an Günthers NNH ein: Im Orginal ist das ohnehin die beste Anfangslinie und ein Aktionär konnte damit unter Günthers erfahrener Präsidentschaft nur gut fahren. Auch lockte das Steigen des Aktienkurses bei 100% Besitz in den Händen der Spieler. Doch Walter war damit zu gierig und Günther roch den Braten. Anstelle die Linie konstruktiv zu fahren und Walter beim Aktienverkauf einen großen Reibach zu gönnen, strapazierte er das Investitionsvermögen der Linie gleich in der nächsten Betriebsrunde bis auf die nackte Haut: Er kaufte auf Teufel komm’ raus alle billigen Züge, verkaufte ihr für einen Wucherpreis auch noch seine Privatbahn, schmiß in der nächsten Bankrunde alle Aktien auf den Markt und machte Walter zum Präsidenten einer Linie, die schon am Stock ging, bevor er sie erhielt.
Das war der Startschluß zu brutalen Aktien-Manipulationen. Miesnickelig und ungebremst wurden Aktienkurse gedrückt und Linien verscherbelt. Horst verzweifelte: „In diesem Spiel ist ja nichts planbar!“ Heftiger Widerspruch der Mitspieler. Für einen Neuling sieht gewiß alles wie Chaos aus, was hier passiert und natürlich ist man von den Ambitionen der Mitspieler abhängig. Doch die Erfahrenen können diese Ambitionen der Konkurrenten klar voraussehen. Schließlich arbeitet jeder nur an seinem eigenen finanziellen Erfolg. Gute Linien werden gegen bessere vertauscht, und schlechte Linien werden – nach Möglichkeit – abgestoßen. Zudem gilt die Binsenweisheit, dass so manche begehrte Linie, die gerade noch die fettesten Gewinne einstreicht, zwei Runden später durch die Tücken des Objekts bettelarm dastehen kann. Die unausweichlichen wirtschaftlichen Umbrüche in Vorhinein zu erkennen, die vielseitigen Interessen und Manipulationsmöglichkeiten der Mitspieler daraus abzuleiten und sich dagegen zu schützen, und vielleicht selber ein paar Gemeinheiten anzubringen, das macht die ungebrochene Faszination dieser Spiele aus.
WPG-Wertung für die „Gleiche Bedingungen“-Variante: Aaron: 8 (ihm reicht schon die Komplexität des Original 1830), Günther: 8 (warum eigentlich nur 8?), Horst: verzichtete auf eine Wertung, die ganze 18xx-Serie ist ihm zu trocken, er hat sich die 5 ½ Stunden aber keineswegs gelangweilt, Walter: 9 (immer noch ein sehr gutes Spiel, doch das Original 1830 ist kürzer und deshalb besser.)
Zum Schluß eine kleine Kritik am Lookout-Games-Verlag: Das Spielmaterial ist vorzüglich, schöne informative Graphik, Hochglanzpapier für Spielplan, Aktien und Lok-Zertifikate. War es dann nötig, beim Papier zu sparen und die Rückseiten der Privat-Gesellschaften als Diesel-Loks und die Rückseiten der 2er Loks als 5er Loks zu verwenden? Wieviele mehr Geld hätte es gekostet, die 10 zusätzlichen Papier-Karten in den Karton zu stecken? Das Super-Spiel und seine wunderschöne Aufmachung hätten es verdient gehabt.

05.10.2011: Sechs Stunden in Australien

“1848 – Australia”
Die reiferen Spielergenerationen, die uns noch unter dem Namen „1830 and more“ kennengelernt haben, wissen sofort, dass es sich hier um ein Mitglied der 18xx-Eisenbahner-Familie handelt. Helmut Ohley hat es 2007 als 72. Enkelkind gezeugt. Als Vater bzw. Halbvater war er mit den 18xx-Müttern und Töchtern auf vier Kontinenten insgesamt acht mal fruchtbar: von „1844-Schweiz“ über „1862-USA/Kanada“ und „1895-Namibia“ bis zuletzt nach „1848-Australia“.
Es gibt eine Menge Spielmaterial auf dem Tisch auszubreiten (unter anderem Luxus-Ausführungen von Geldscheinen, lieber Bernd!), deshalb ist auch das Spielbrett mit der Geographie Australiens bewußt klein gehalten worden. Von Sydney über Canberra nach Melbourne und Adelaide ist es nur ein Katzensprung. Die hier gegründeten Bahngesellschaften geraten unmittelbar aneinander, wo sie sich mit ihrem Streckennetz wie üblich ergänzen oder behindern können. Zu Spielbeginn sind vereinigten Netze auf jeden Fall ein Vorteil. Daraus folgt für eine 3er Runde die topologische Konsequenz: Schließen alle drei Spieler unverzüglich ihre Netze zusammen, so profitiert der Spieler in der Mitte. Schließen sich nur zwei Spieler zusammen und braut der dritte sein eigenes Süppchen, so kommt der Eigenbrötler lange nicht so gut aus den Startlöchern und muss mehrere Runden lang mit halb so hohen Einnahmen rechnen wie die Gemeinschaftsköche. Dieser Effekt ist beim weiter auseinanderliegenden „1830“ längst nicht so krass. – Wie weit das Eigenbrötler-Dasein später von Vorteil ist, steht auf einem anderen Blatt.
Was gibt es Neues in Australien? McGuffins hat eine Liste mit den Unterschieden zu „1830“ zusammengestellt und kommt dabei auf etwa 60 Punkte. Doch vieles davon ist spieltechnisch Pillepalle. Natürlich haben die Privatgesellschaften in Australien andere Eigenschaften als in den USA. Doch ob ich verbilligt über einen Hügel oder über eine Kaktusstrecke fahren darf, ob ich damit Präsident der Baltimore & Ohio oder der Central Australian Railway werde, ist mehr oder weniger identisch.
Der Kontinent ist in vier Regionen mit unterschiedlicher Spurweite eingeteilt. Der Übergang von einer Spur auf die andere kostet Reichweite. Das spiegelt vielleicht die Realität in der Entwicklung der australischen Eisenbahnen wieder, doch die spielerische Kosten-Nutzen-Relation für dieses zusätzliche Regeldetail ist nicht überwältigend. Auch ein neuer Zugtyp, „The Ghan“, der nicht den Verschrottungsbedingungen und dem Lok-Limit unterliegt, und mit dem man lediglich Alice Spings in Zentral-Australien anfahren kann, ist schön und liebevoll ausgedacht. Doch angesichts der ohnehin schon 32 Seiten Spielregeln wäre für den nüchternen Eisenbahn-Aktionär in jedem Fall weniger gleich mehr.
Ein absolut neues Element, das die wirtschaftlichen Effekte der Eisenbahngesellschaften revolutionär verändert, ist die „Bank of England“. Bei ihr kann jede Linie Geld aufnehmen und braucht es während des ganzen Spiels nicht zurückzuzahlen. Der einzige Nachteil dieser Kredite ist ein Kursverlust der Gesellschaft. Und wenn ihr Kurs unter einen Grenzwert sinkt, so kommt sie unter die Zwangsverwaltung der Bank of England und hat für die Anteilseigener aufgehört zu existieren. Immerhin kann daher durch noch so schlechte Behandlung einer Linie der Präsident oder dessen Nachfolger niemals in Konkurs getrieben werden. Ein klares Bekenntnis für die Empire-Builder und gegen die Finanz-Haie.
„1848“ spielt sich wie die meisten „18xx-Mitglieder: Besitzstand der Spieler und der Gesellschaften wachsen langsam und gleichförmig an (Widerspruch zur oben angedeuteten topologischen Asymmetrie) und die Vorkaufskarte bleibt mehrere Runden in einer Hand. Ist auch nicht so wichtig, da Manipulationen mit Linien und Aktien nicht opportun sind. Dann fängt das Chaos an: Ein begehrtes Gleisteil ist verbraucht, die Züge verschrotten mit atemberaubendem Tempo, die Kurse und das Potential der Gesellschaften verschieben sich durch Verkäufe, 100%-Investition, Einsparungen – und bei „1848“ auch noch durch die Darlehen bei der Bank of England – in einem bunten Gewurl.
Das Streckennetz ist in seinen Gesamt-Effekten nur schwer überschaubar. Für das kleine, enge Australia gibt es zu viele Bahnhofsmarker, mit denen die Gesellschaften ihre Strecken abschotten können. Bei „1830“ ist dies eine Mangelware, in unserer 1848-Runde dagegen hatte fast jede Gesellschaft bis zum Spielende noch mehrere Marker übrig.
Das harte Aktienlimit löst Orgien von Aktion-Umverteilungen aus. Welches sind die besten Linien in der Hand der Konkurrenten? Das ist nicht auszumachen; es liegt völlig in der unkalkulierbaren Ambitionen-Willkür der Präsidenten. In der aller-vorletzten Betriebsrunde kaufte Aaron für seine Federal Territory Railroad noch eine Diesellok, die erste des Spiels, und setzte damit alle 4er-Züge außer Gefecht: „Man muss schließlich mal alle Elemente ausprobieren.“ Dadurch verloren seine eigenen und vor allem Günthers stolze Linien einen erheblichen Teil ihrer Einkünfte; zwei Linien gingen sogar noch in Konkurs und die Bank of England machte glänzende Geschäfte. Unerwartet für Günther, der von vorneherein mit dieser Bank geliebäugelt hatte, sich kurz vor Spielende aber von allen ihren – vermeintlich ausgelutschen – Aktien getrennt hatte.
Bilanz nach sechs Stunden Spielzeit: Aaron hatte (in der allerletzten Betriebrunde) die höchsten Rundeneinnahmen, Günther das meiste Bargeld und Walter das größte Aktienvermögen. In der Summe reichte es für unseren ungekrönten 1830-König Günther. Trotz seiner Fehler. Aber welche König ist schon unfehlbar?
Aarons Understatement am Ende: „1848 – Australia“ ist kein mißratener Sproß der 18xx-Familie.
WPG-Wertung: Aaron: 8 (absolut gesehen eine sehr gute Note, aber eine Reduktion innerhalb seiner 18xx-Wertungen: die zusätzliche Komplexität zahlt sich nicht aus), Günther: 9 (immerhin ein 18xx-Spiel), Walter: 9 (hat dem Spiel nicht angelastet, dass es innerhalb der genialen 18xx-Familie einen schweren Stand hat)
Zum Schluß noch einige Fragen an den Helmut: Wie lange hast Du an „1848 – Australia“ gearbeitet? Welches ist eigentlich Dein innerer Beweggrund, immer wieder viele Wochen, Monate oder gar Jahre an einer neuen 18xx-Variante zu arbeiten? Und die wirtschaftliche Seite: Wieviele Exemplare wirst Du von „1848“ verkaufen? Kommst Du auf einen Stundenlohn von mehr als 1 Euro? Aber die Frage nach dem Stundenlohn dürfen sich wohl 99,9% aller Spiele-Erfinder nicht stellen. Es geht um den Spaß an der Freud!
2. “Brainrun”
So zwischen 1 und 2 Uhr AM stellte Aaron noch eine Essen 2011-Neuheit vor. Ein Wissensspiel nach der Art von „Trivial Pursuit“. Mit ein bißchen Taktik, Technik und Kampf.
Aus verschiedenen Wissensgebieten werden einfache, schwierige, Entscheidungs- oder Schätzfragen gestellt. Zu jedem Wissensgebiet muss man mehrere Fragen richtig beantworten, um das entsprechende Farb-Kärtchen zu bekommen. Mehrere Karten eines Wissensgebietes kann man gegen eine Karte eines anderen Wissensgebietes eintauschen.
Man kann einem Mitspieler den Kampf um eine Karte in dessen Besitz ansagen: Dann wird eine Schätzfrage gestellt (z.B. Wieviele Söhne von Adam und Eva sind in der Bibel namentlich erwähnt?), und wer mit seiner Schätzung am besten liegt, bekommt die Karte. Man braucht also nicht auf alles Wissensgebieten beschlagen zu sein, um das Spiel gewinnen zu können.
Solche mehr oder weniger „Unterhaltungsspiele“ liegen nicht im Zentrum des Interesses am Westpark. Walter wird „Brainrun“ am Wochenende der „Spiel 2011“ zu seinen Verwandten nach Essen mitbringen und unter den dortigen Quiz-Liebhabern austesten, wie diese Prinzipien ankommen.
Keine WPG-Wertung.

28.09.2011: Alte und neue Seefahrer-Kapitale

Horst zieht um. Seit der Geburts seines Sohnes vor einem Jahr ist er einem ständigen Terror seitens eines Nachbarn ausgesetzt. Zu jeder Tages- (!) und Nachtzeit bumbert der beim kleinsten Geräusch an die Wand und schreit: „Könnt ihr euren Sprößling nicht zur Ruhe bringen!“ Birgits Nerven haben das nicht mehr ausgehalten. Der Nachbar muß nervenkrank sein, wenn nicht gar gemeingefährlich. Der Klügere gibt nach. Ab nächster Woche wird eine neue Wohnung in einer neuen Gegend hoffentlich Ruhe und Frieden bringen.
Ein kleiner hämischer Trost für die drangsalierte Spielerfamilie: Der böse Nachbar weiß natürlich nichts von ihrem Umzug und hat sich mittlerweile ebenfalls entschlossen auszuziehen. Seine Wohnung hat er bereits verkauft. Was wird er wohl für Augen machen, wenn am 1. Oktober gleich zwei Umzugswägen vor der Haustür stehen!
1. “London”
Vor einem halben Jahr im Trio zum letzten Mal gespielt, waren heute Aaron und Moritz die Neulinge. Es war zwar Aarons Spiel, das auf den Tisch kam, doch er hatte sich nicht auf die Spielregeln vorbereitet. Günther konnte sich nicht mehr so gut daran erinnern, um freiwillig die Erklärerrolle zu übernehmen und Walter ist diesbezüglich ohnehin off-limits. So durfte Moritz aus dem Stegreif das Regelheft vortragen bzw. wiederholen.
Der Spielplan zeigt im groben Schema den Stadtplan von London. Moritz entdeckte sogleich einen Teil seiner Vergangenheit wieder: „Ich zeig euch gleich mal, wo ich gewohnt habe. Hier unten, rechts von Deptford.“ Aaron kannte sich aus: „Oh, südlich der Themse! Da brennt doch immer mal wieder nächtens ein Auto!“
Nun ja, im Jahre 1891, in dem „London“ spielt, brannte nicht nur ein Auto, sondern gleich die ganze Stadt. Wir müssen sie wieder aufbauen. Das dominiertende Element dabei sind Karten, die Bauwerke der Stadt darstellen. Wir dürfen mit gewissen Freiheiten uns daraus eine erkleckliche Anzahl aussuchen, sie peut-a-peut als „Gebäudeauslage“ vor uns auslegen, sie später aktivieren und damit Geld und Siegpunkte einstreichen.
Regelmäßig steigt bei unseren Gebäude-Aktivierungen die öffentliche Armut. Ihre Bekämpfung ist überhaupt eine der großen Herausforderungen im Spiel. Durch wenige Stapel in unserer „Gebäudeauslage“ und durch wenige Handkarten können wir einen rasanten Anstieg der Armut verhindern, und ein paar wenigen Gebäudekarten erlauben sogar, sie zu verringern. Aber man muß schon rechtzeitig zugreifen und auch einen Batzen Geld opfern, um diese Gelegenheiten wahrzunehmen.
Walter predigte gegen die Armut, ließ sich dann aber vom schnöden Mammon verleiten und bekam am Ende 18 Strafpunkte für die Armen in seinem Stadtviertel. Das reichte zum letzten Platz. Moritz konnte als einziger Spieler die Armut restlos beseitigen; daneben hatte er sich einen gelungenen Mix an Stadtvierteln, U-Bahnlinien und Siegpunkte-Gebäuden zugelegt. Es reichte mit 62 Punkten zum Sieg.
Strategietips für ein gutes Spiel:

  • Erweitere früh und ausgiebig deine Regierung in den Stadtbezirken, gegebenenfalls auch mit Krediten
  • Nimm dir ein Maximum an Stapeln vor, mit denen du arbeiten willst und errichte möglichst schnell vom Start an diese Zahl
  • Belege jeweils alle Stapel mit einer Gebäudekarte und aktiviere jeweils alle Stapel mit einem Schlag
  • In den ersten Runden spielt das Geld natürlich eine wichtige Rolle, doch am Ende zählen nur Siegpunkte und der Abbau der Arbeit. Schalte also rechtzeitig von der Geldpolitik auf ein soziales Mäzenatentum um.

WPG-Wertung: Aaron: 6 (zu solitär), Moritz: 7 (enthält sogar – ausnahmeweise – relativ viel Thema); die anderen blieben bei ihren 7 Punkten.
2. “Porto Carthago”
Letztes Jahr haben wir dieses Spiel in seiner Entstehung begleitet und Aaron hatte es auf Bernd Eisensteins Stand auf der „Spiel 2010“ mit Erfolg präsentieren helfen. Heute durfte er auch bei uns die Erinnerungen auffrischen. Doch ohne Regelheft ging das nicht. Man sieht, selbst eine tagelange Dozentenarbeit mit einem einzigen Spiel brennen die Regeln in unserem Gedächtnis nicht ein. (Wieviel weniger gilt das erst für das bei uns übliche 1-2 malige Spielen!)
„Porto Carthago“ enthält ziemlich viele Spielelemente, die sehr viele verschiedene Schienen zum Sieg eröffnen. In optimalem Timing und in Konkurrenz zu unseren Mitspielern müssen wir dazu unsere Aktionen einsetzen.

  • Einmal pro Runde fahren 4-5 Handelsschiffe in den Stadthafen von Carthago. Wir müssen rechtzeitig hier die Landungsstege besetzen, an denen sie ankommen. Haben wir den Hafenmeister ergattert, können wir uns beim Einlaufen noch ein paar Vorteile verschaffen oder einzelne Konkurrenten benachteiligen.
  • Einmal pro Runde wird der Markt gefüllt, auf dem wir uns mit den Waren eindecken können, mit denen wir die Handelsschiffen beliefern. Hier muß man zugreifen, solange der Vorrat reicht und solange noch Platz in unserem Lager ist. Dies gilt unabhängig davon, ob die vorhandene Warenart von den Schiffen an unseren Landungsstegen aktuell überhaupt benötigt wird.
  • Im Freihafen gibt es eine Reihe von Anlegestellen für außerplanmäßige Schiffe. Die hier verschifften Waren sind nach ihrer Art nicht vorgeben. Hier können wir alle Waren aus unserem Lager loswerden. Allerdings ist die Anzahl der Plätze im Freihafen stark begrenzt. Wer sich nicht rechtzeitig einen Platz gesichert hat, kann ziemlich lange in die Röhre schauen.
  • Gewinnen tut man über den Einfluß im Palast. Den zu erkaufen wird im Laufe des Spiels immer teurer, also muß man sich frühzeitig hier die Zugangsmöglichkeiten eröffnen und Schmiergelder immer fließen lassen, wenn man sie entbehren kann.
  • Der zunächst unscheinbare Intrigenpfad kann bei Spielende auch nochmals reichlich Palast-Einfluß abwerfen. Hier werden in jedem Fall die in der Schlußphase überschüssigen Handelspunkte eingesetzt. Was aber schlußendlich dabei herauskommt – mit erheblichem Einfluß auf die Sieger-Positionierungen – ist stark abhängig von den Ambitionen der Mitspieler. Sich rechtzeitig zu engagieren ist gut, den Intriegenpfad aber zu dominieren ist schlecht, wenn sich dann kein weiterer Spieler mehr beteiligt und der dadurch vergebene Gesamt-Einfluß gering bleibt.

Die vielen Rädchen und Schräubchen, an denen man in „Porto Carthago“ drehen kann, erzeugen jedesmal einen anderen Spielablauf. Teilweise total anders. Heute gab es unerwartet viele Blockaden. Der Markt war immer im Nu leergefegt und viele Handelsschiffe konnten nicht beliefert werden. Keiner nahm es allerdings auf sich, einen Zug zu opfern, um den Markt außerplanmäßig neu zu beschicken.
Der Freihafen wurde 3 Runden lange von Günther vollständig blockiert. Zunächst nicht gerade mit Absicht, mehr aus Frust, weil keine Waren mehr da waren, und dementsprechend auch keine lukrativen Landungsstege winkten.
Walter belegte – ebenfalls mehr der Not gehorchend, weil sein Lager voll und im Freihafen kein Platz mehr war – in den letzten beiden Runden dann alle Landungsstege, die im Stadthafen noch angefahren wurden. Auch wenn er nicht genügend Waren (und Züge) hatte, diese Schiffe alle zu beliefern.
Als Folge dieser Blockaden boten sich überdurchschnittlich oft keine lustigeren Züge als die Notration von 3 Talenten einzustreichen. Trotzdem war es schweißtreibend und spannend. Und jeder kann heute Nacht davon träumen, was er beim nächsten Mal anders machen will. Falls ihn die Mitspieler nicht daran hindern.
Keine neue WPG-Wertung für ein gutes 7,6 Punkte-Spiel.
3. “Bluff”
Nein, heute kein Bluff mehr. Morgen früh geht es auf den Jochberg.

21.09.2011: Riesen und Steuermänner

Als NPC (non-painting- companion) mit der besten aller Ehefrauen zu einem Malkurs in die einsamen Berge des Languedoc. Simon Fletcher hat gerufen und sieben Künstler aus fünf Ländern sind seinem Aufruf gefolgt. NPCs nicht mitgezählt. Aquarell-Kunst wird ganz groß geschrieben, ebenso die Cuisine Française. Doch spielerisch ist es ein ziemliches Ödland. Natürlich haben alle Kursteilnehmer in ihrer Kindheit schon einmal „Monopoly“ gespielt. Die beiden Engländerinnen kennen sogar „Bridge“, das schweizer Brüderpaar war für eine Schachpartie aufgelegt und das Ehepaar aus Egelsbach spielt regelmäßig „Doppelkopf“. Doch von „Settlers of Catan“ hat noch keiner etwas gehört; höchstens etwas von einer „Creme Catalan“! „Carcassone“ als Spiel ist ein Fremdwort, dabei liegt die zugehörige Stadt nur fünzig Kilometer entfernt.
Bevor wir uns zurück in das Eldorado am Westpark aufschwingen, machen wir noch einen Abstecher in die eindrucksvolle Burg der alten Albigenserstadt. Beim Durchstiefeln der wehrhaften Festungsmauern kommt unwillkürlich die Idee, die guten Tummelhofers könnten die 873-ste Erweiterung ihres Paradepferdes doch „Katholiken und Ketzer“ nennen. Doch das heißt offene Türen einrennen: „Carcasson – die Katharer“ gibt es schon seit 2004.
Hallo Benedikt XVI, willkommen in Deutschland! Vielleicht fällt dir auch noch etwas zu den Ketzern ein!
1. “Giants”
Seit vier Monaten liegt das Spiel am Westpark auf dem Sofa herum. Heute kam es endlich zum Einsatz. Die Urlaubssaison ist vorbei, die geeignete 5er Runde war vorhanden, und Horst hatte sich auf die Spielregeln vorbereitet (und das Regelheft nicht zuhause vergessen).
Wir befinden uns zur Steinzeit auf der Osterinsel und heimsen Siegpunkte ein, indem wir in den Steinbrüchen Maoi-Statuen schnitzen und sie an den Zeremonienplätzen („Ahus“) an der Küste aufstellen. Jeder Spieler führt einen Clan, der den Transport abwickelt. Wer die dicksten Maois zu den kapitalistischsten Ahus gebracht hat und sie ggf. auch noch mit Kopfschmuck versorgt hat, ist Sieger.
Das Spiel besitzt eine liebevolle Ausstattung, gefälliges, eigens für „Giants“ hergestelltes Material, von den Würfeln angefangen bis zu den hübschen Plastikfiguren für Häuptlinge, Medizinmänner, Träger und drei Gewichtsklassen von Maois. Ein Maoi hatte bereits seinen Kopfschmuck auf, und Aaron wollte ihn abnehmen. Doch selbst mit vereinten Günther-Moritz-Kräften gelang das nicht. Er saß wie angegossen. War er auch. Es war auch nämlich keiner der üblichen Maois aus dem Steinbruch, es war die Startspielerfigur!
Aaron demonstrierte seine „Rainman“-Fähigkeiten. Mit einem einzigen Blick auf den Haufen mit den streichholzgroßen „Baumstämmen“ (als Transporthilfe zum Rollen der Maois) konnte er erkennen, dass es genau 27 Stück waren. (Beim Schätzen der vollen Schüssel mit Gummibärchen mußte er allerdings passen.)
Auf dem Weg zum Sieg müssen wir mit unserem Aktionen

  • Maois schnitzen (ersteigern)
  • die Anzahl unserer Träger erhöhen
  • eine Reihe von Baumstämmen besorgen
  • den Transport von Maois durchführen
  • ggf. einige bestimmte Zeremonienplätze reservieren.
  • ggf. Kopfschmuck bereitstellen

Die Herausforderung des Spiels ist es, alle diese notwendigen Aktionen in der optimalen Reihenfolge durchzuführen. Wie bei solchen Aufbauspielen üblich, sollte man sich zunächst um die Kopfzahl des eigenen Volkes kümmen. Dazu kommt die Ausstattung des Häuptlings mit Medizinmann-Fähigkeiten, um den Aufbauprozeß zu beschleunigen. Wer ganz langfristig plant, reserviert sich rechtzeitig im Mittelspiel den einträchtigsten Zeremonienplatz. Maois und Kopfschmuck kommen erst ganz zum Schluß. (Erste Näherung)
Doch der Hauptteil des Spiels, die Aufstellung der Maois an der Küste, steckt voller Risiken und Überraschungen. Man darf für seinen eigenen Transport nämlich auch die Träger der Mitspieler benutzen. Und da alle Spieler mit ihre Trägern mehr oder weniger den gleichen Weg vom Steinbruch zur Küste bauen, können praktisch alle Spieler den gleichen Weg nutzen. Jetzt kommt es darauf an, wer in der Transportphase als erster am Zug ist und somit an der Küste den besten Zeremonienplatz belegt. Startspieler-Reihenfolge beachten!
Auch der Aufbau der Trägerkette ist heikel. In der Regel kann man mit seinen eigenen Trägern allein nicht den vollständigen Weg realisieren, man ist auf die Mithilfe der Mitspieler angewiesen. Und wenn in der Strecke eine Lücke bleibt? Dann muß man unter Umständen 20 Siegpunkte in den Wind schreiben. Insofern enthält das Setzen der Träger eine Phase höchster Interaktion. Leider ist damit auch eine erhebliche Kingmakerei verbunden. Ich kann einem Mitspieler uneigennützig zu den 20 Siegpunkten verhelfen. Oder auch nicht. Oder einem anderen.
Moritz jammerte bis zur Schlußwertung (einschließlich), dass er Letzter werde. Doch Sekunden später war er Erster. Ein einziger dicker Maoi an einem punkteträchtigen Ahu brachte ihm mehr als die halbe Miete ein. Und wenn Horst bei seiner Positionierung seines letzten Trägers nicht gewarnt worden wäre (eigentlich ein Verstoß gegen den WPG-Kodex), dann hätte er unfreiwillig Moritz weitere 20 Siegpunkte zugeschustert.
WPG-Wertung: Aaron: 7 (minus 1 Punkt wegen des Spielmaterials: der Plastik-Kopfschmuck paßt nicht auf die Plastik-Maoi-Köpfe), Günther: 5 (das Spiel ist nicht kalkulierbar, das Chaos mit den Trägern dominiert), Horst: 7 (plus 1 Punkt für die gefällige Ausstattung am Spielmaterial), Moritz: 7 (das Spiel ist nicht trocken und das Thema ist gut eingebracht), Walter: 7 (viele neue Ideen, 1 Punkt weniger, wenn man es nicht locker spielt.)
Eine sofortige „Giants“-Wiederholung wurde vorgeschlagen und fast angenommen. Nur Aaron war dagegen.
2. “Navegador”
Als zweiter Gang des Abends wurden abgeleht: „Firenze“ wegen der seiner Ärgerkarten, „Funkenschlag“ weil es zu lange dauert, „Outpost“ wegen seiner vielen Schräubchen und „Small World“ wegen Überfütterung. Das Rennen machte „Navigador“, vor knapp einem Jahr zum letzten Mal gespielt und keinesfalls mit den allerbesten Bemerkungen bedacht (von „gutes Durchschnittsspiel“ bis zu „fehlende Spannung“). Doch das Spiel ist sehr gut ausbalanciert und erlaubt verschiedenste Strategien zu verfolgen, die alle zum Sieg führen können.

  • Als Schiffsstrategen kaufen wir auf Teufel komm’ raus Schiffe und entdecken die Welt, um mit den Entdecker-Prämien den Sieg einzufahren.
  • Als Kolonialherren legen wir uns jede Menge Kolonien zu und lassen dort die Rohstoffequellen zu unserm Reichtum sprudeln.
  • Als Fabrikanten bauen wir vorzugsweise Fabriken und streichen über die Veredelung von Rohstoffen gewaltige Summen ein.

Die gewählte Strategie müssen wir allerdings ganz konsequent verfolgen und alle unsere Handlungsfreiheiten in den Ausbau des zugehörigen Besitzstandes einsetzen. Und nebenbei müssen wir uns natürlich auch um die Privilegien des gewählten Spezielgebietes kümmern, damit wird in der Schlußwertung unser Besitzstand multipliziert.
Unser Schicksal liegt voll in unserer Hand; mit einer frei wählbaren Schrittweite wandern wir mit unserem Aktionsstein um ein vorzügliches „Aktionsrondel“ herum und planen unsere nächsten Schritte über mindestens zwei, drei weitere Züge voraus. Diese völlige Planbarkeit ist allerdings auch ein spielerischer Nachteil; sie geht auf Kosten der Interaktionsmöglichkeiten. Eigentlich spielt jeder mehr oder weniger autonom vor sich hin.
Moritz jammerte wieder, dass das Spiel an ihm vorbeigelaufen sei. Diesmal hatte er recht.
WPG-Wertung: Horst vergab mit 8 Punkten einen ganzen Punkt mehr als der bisherige WPG-Durchschnitt. “Das Spiel ist Klasse. Die Einschränkungen in der Aktionsauswahl machen das Spiel total stressfrei.”
3. “Bluff”
Horst traute sich nicht mehr an seine Sternen-Strategie; und suchte verzweifelt Alternativen. Es gab keine. Günther räumte seine Kontrahenten in der Reihenfolge Horst, Walter und Aaron konsequent und verlustfrei ab.
Im zweiten Spiel nahm Horst seine Sternen-Strategie wieder auf und legte auch gleich die passenden Würfel aufs Parkett. Doch diesmal glaubte er zu sehr an Sternenwürfe auch bei seinen Konkurrenten. Auch sein letzter abgegebener Würfel war ein einsamer schöner runder Stern.
Merke: Sterne würfeln und Sterne vorgeben ist gut; den Mitspielern Stern-Vorgaben zu glauben ist schlecht.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

31.08.2011: Vier Städte

Wo liegen Manhattan-Bridge und Brooklyn-Bridge in einem 90° Winkel nur eine halbe Elle weit auseinander? Ja, genau da!
Es gibt keine Goethestraße und keine Schloßalle, statt dessen eine 5th Avenue und Ellis Eiland. Badstraße und Turmstraße wurden in Little Italy und Chinatown umbenannt (oder war es umgekehrt?), Häuser und Hotels sind Studios und Brownstones (nach LEO sind das Sandsteinhäuser, im damaligen Amerika offensichtlich etwas Großes). Hübsche kleine Zinnfiguren, Apfel, Auto, Hot Dogs und die Freiheitsstatue darstellend, sind die Pöppel, mit denen wir das Carree umrunden. Es geht nicht um Hunderttausende von Dollars, die kleinste Stückelung hat den Nennwert von einem Dollar. Ganz schön bescheiden. (Oder ist der beherrschte Zahlenraum der heutigen Generation geschrumpft?)
„New York“ heißt diese Ausgabe des wohl bekanntesten Brettspiels unserer Zeit. Meine Tochter sowie der spanische Schwiegerfreund haben sie in unserem Familienurlaub am Balaton auf den Tisch gelegt. Zuerst war ich peinlich überrascht, weil ich ein Geschenk befürchtete, aber dann war es doch nur ein Spielvorschlag. Und schon ging es los.
Bekanntermaßen besteht dieses reine Glücksspiel aus zwei Glücksphasen. In der ersten Phase würfelt man hoffnungsvoll um die Gründstücke, die man erwerben möchte. In der zweiten Phase würfelt man ängstlich um die Gründstücke, auf denen man keine Miete bezahlen möchte; dann bleibt man am liebsten im Gefängnis eingesperrt.
Für ganz kluge Köpfe gibt es zwischen diesen Glücksphasen zuweilen für ein paar Sekunden noch eine Handelsphase, wo man die Münchener Straße gegen den Opernplatz vertauscht und ggf. noch etwas drauflegt. Im Spielkreis meines Schwagers wird die erste, etwas langatmige Phase auf Null reduziert, in dem die vorhandenen Grundstückskarten einfach wie beim Skat verteilt werden. Immerhin geht damit kein Stück Taktik oder Strategie verloren, und man spart sich fast eine ganze Stunde Einschwungzeit.
In unserem Dreierkreis hatte Antonio als erster und einziger einen kompletten Straßenzug erwürfelt: die supergeile Parkstraße und Schloßallee, sprich Central Park und Ellis Eiland. Jetzt hätte er nur noch ein stumpfsinniges Dahindümpeln / Würfeln aussitzen müssen, um spätestens eine Stunde später das Feld als Monopolist zu verlassen. Doch aus Gutmütigkeit, Sportsgeist oder Pietät gegenüber dem Schwiegervater in spe tauschte er zwei Pink-Straßen gegen eine Braun-Orange-Straße (meine Lieblingsgrundstücke, die auf den Feldern 6, 8 und 9 hinter dem Gefängnis). Das war sein Tod. Auf Sabina’s Straßenstrich von Chinatown hauchte er seine letzten Dollars aus, ohne daß jemals auch nur ein einziger Flüchtling auf Ellis Eiland seinen Paß vorgezeigt oder im Central Park gelustwandelt hätte.
Bisher noch keine einzige WPG-Wertung für das Spiel der Spiele! Aus Pietät für die Freunde von Würfelspielen vergibt Walter freundliche 6 Punkte. Das Spiel hat eine vorzügliche Balance. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Wenn ihm hier aber einer mit strategischen Fachsimpeleien ankommt, würde er ihm sofort eine 2-3 um die Ohren knallen. Sabina: 5, Toni: 8.
Die weiteren Nostalgienoten der heutigen Westpark-Gamers: Birgit: 5 (OK, aber kein großer Spielreiz), Günther: 5 (für Spielstunden mit Neffen und Nichten), Horst: 5 (mal sehen, wann Sebastian dafür reif ist).


Um die strategische Herausforderung zu potenzieren, spielte ich hinterher mit dem Schwiegerfreund noch einige Partien eines schriftlichen Frage- und Antwortspiels, bei dem ich die spanischen Zahlen von 1 bis 10 und das spanische Alphabet von A bis Chota vertiefen konnte, und bei dem die Antwort „agua“ eine Enttäuschung, die Antwort „tocado y hundido“ aber das reinste Entzücken hervorrief. Was war das?
1. “Firenze”
Abermals ein großer Wurf von Pegasus. Wir sind mal wieder Bauherrn und bauen Geschlechtertürme (bitte mit nichts zu verwechseln!) in einer Stadt. Für jedes fertiggestellte Stockwerk gibt es Siegpunkte und Sonderprämien; wer am Ende die besten siegpunktträchtigen Etagen gebaut hat, ist Sieger.
Jeder Spielzug eines Spielers besteht aus 4 Phasen:

  • Aus einer Reihe von 6 offenen Aktionskarten die optimalste wählen: Der Auswahlmechanismus ist hier ähnlich wie bei „Small World“: Die vorderste Aktionskarte kostet nichts, für jede weiter hinten liegende Aktionskarte muß man auf jede übersprungene Karte einen Obolus legen. So werden auch weniger attaktive Karten im Laufe der Zeit immer wertvoller, bis sich die Waage schließlich doch noch zu ihren Gunsten neigt.
    Der entscheidende Unterschied zwischen den verschiedenen Aktionskarten liegt allerdings weniger in ihrer Funktion (im wesentlichen Siegpunkt- oder Kosten-Modifier), sondern in der Anzahl und Farbe der Bausteine, die ihnen zugeordnet ist, und die es erlauben, an den verschiedenen Geschlechtertürmen mitzubauen.
  • Steine tauschen: Im Verhältnis 3:1 kann man aktuell überflüssige Steine gegen dringend benötigte Steine umtauschen. Damit werden die Unbilden den Zufalls bei der Bausteine-Verteilung gemildert.
  • Türme bauen: Aus den angesammelten Steinen kann man einen oder mehrere farbige Türme errichten oder an bestehenden Türmen weiterbauen. Hier ist eine hübsche Abwägung eingebaut: Fange ich einen neuen Turm an um ihn peut-a-peut fertig zu stellen, oder spare ich die Bausteine auf, um den Turm später auf einen Streich zu bauen? Angefangene Türme haben den Nachteil, dass ich in der Höhe der Türme weniger flexibel bin. Zudem muss ich in jedem Zug an jedem angefangenen Turm weiterbauen, ansonsten wird er als „Bauruine“ abgerissen. Dafür ist es erheblich billiger, einen Turm in kleineren Teilstücken zu errichten als in einer einzigen großen Bauphase.
  • Aufträge erfüllen: Fertige Türme, die in der Etagenhöhe einem noch ausstehenden Auftrag genau entsprechen, werden abgerechnet und man erhält dafür Siegpunkte.

Das ganze ist spannend (Kriege ich die richtigen Bausteine zusammen? Kann ich einen Etagenturm abrechnen, bevor mir ein Mitspieler den Auftrag wegschnappt?), konstruktiv (schließlich werden Türme gebaut), schnell, durchsichtig (sehr wenige, klare und verständliche Regeln) und taktisch-strategisch („Früher Vogel fängt den Wurm“ gegen „Dem Hahn, der zu früh kräht, dreht man den Hals um.“)
Leider gibt es unter den Aktionskarten auch ein paar Ärgerkarten. Der „Saboteur“ entfernt einen Stein von einem Turm eines beliebige Mitspielers und der „Schmuggler“ tauscht einen eigenen Stein gegen den Stein eines Mitspielers (der damit eine bestimmte Etage gerade nicht mehr fertigstellen kann). Muß das sein? Es gibt in „Firenze“ so viel zu planen, zu überlegen und scharf zu kalkulieren, dass solche Ärgermechanismen schlichtweg kontraproduktiv sind. Birgit und Walter sind aus Prinzip gegen diese parteilichen Chaos-Effekte; Günther könnte noch damit leben; Horst könnte ohne diese Effekte sogar besser leben.
WPG-Wertung: Birgit: 6 (vom Thema nicht umgehauen. Einschränkung wegen der Ärgerkarten), Günther 7 (das Spiel ist rund; das ständige Nachschieben und Füllen der Aktionskarten ist allerdings etwas umständlich), Horst: 7 (das Spiel ist solide, Einschränkungen wegen des gewaltigen Siegpunktrausches am Ende), Walter: 7 (ohne die Ärgerkarten wären es 8 Punkte).
2. “Die Speicherstadt”
Letztes Jahr lag dieses Eggert-Spiel von Stefan Feld dreimal auf dem Spieltisch am Westpark. Da sag’ doch mal einer, wir würden alle Spiele nur einmal spielen und dürften uns daraus noch kein Urteil erlauben!
Heute setzte es sich wegen seiner kurzen Spieldauer (45 Minuten) durch, schließlich sollte Sebastians Babysitter spätestens um 23 Uhr abgelöst werden. Für die Alternative, „Strassbourg“, muss man eher die doppelte Zeit ansetzen.
Der neuartige Postenschachermechanismus, mit dem die Spieler ihre Aktionen auswählen, hat nichts von seinem Reiz verloren, auch wenn lange Gesichter bei den Zu-Kurz-Gekommenen immer mal wieder nicht zu vermeiden sind. Das Geld ist äußerst knapp, und wer sein letztes Geld für einen Auftrag, eine Schiffsladung oder einen Feuerwehrmann ausgegeben hat, ist in der nächsten Runde ausrechenbar, und geht mit hohem Risiko ganz leer aus.
Günther hatte den gesamten Spielablauf von langer Hand geplant und tat in der Schlußwertung einen Sprung von Minus-4 auf Plus-27 Punkte. Unangefochten die Spitze.
WPG-Wertung: Birgit und Horst reihten sich mit 8 Punkten in die Spitzengruppe der bisherigen guten WPG-Werter ein.
Von einem drohenen Bluff-Absacker verschreckt, düste Birgit zum mütterlichen Babysitter davon.
3. “Ysphahan”
Das Spiel lag seit seinem Erscheinen im Jahr 2006 bereits fünf mal bei uns auf dem Tisch. Günther hat schon vor Jahren die PC-Fassung für das Spiel gegen den Computer implementiert; vor kurzem hat er auch noch eine Internet-Version geschaffen, mit der man jetzt online gegen entfernt lebende Mitspieler im Netz spielen kann. Natürlich besitzt er auch am realen Brettspiel die größte strategischen Erfahrung.
Ohne echten Gegenspieler schwelgte er in der Supervisor-Strategie. Er baute als erste Gebäude die Karawanserei und das Badehaus, und schickte anschließend bei fast jedem Zug gleich zwei Pöppel in die Karavane und durfte dafür auch gleich noch zwei Bonuskarten ziehen. Am Ende hatte er Horst und Walter nahezu überrundet.
Walter fuhr zwei Runden lang recht erfolgreich die Basarstrategie. Im Besitz von Lastenaufzug und Markt konnte er in der zweiten Runde die gelben Basare vollständig in Besitz nehmen und allein dafür 28 Siegepunkte kassieren. Doch dann verließen sie ihn. Günther’s Supervisor-Strategie erlaubte sogar noch, den Gegnern jeweils die Würfelgruppe zu entwerten, die ihnen am peinlichsten war.
Horst durchlebte die Verwandlung von Begeisterung in Entgeisterung. Fassungslos konnte er nur zuschauen, wie Günthers Siegpunktkonto sturzbachartig anschwoll. Gewiß, in einer 3er Runde kann „Ysphahan“ durchaus die Balance verlieren. Ein Supervisor allein ist wahrscheinlich unschlagbar, und wenn sich zwei Supervisor streiten, dann freut sich das lachende dritte Kamel. Gibt es dazwischen einen Mittelweg, nämlich dem Supervisor an den Karren zu fahren, ohne dabei die Chancen auf den eigenen Sieg ganz fallen lassen zu müssen?
Doch auch ohne Balance ist Ysphahan ein vielseitiges, schnelles, vorzügliches Spiel.
WPG-Wertung: Horsts 8 Punkte blieben diesmal unterhalb des super-guten WPG-Durchschnittes.