19.12.2012: Vor dem nächsten Weltuntergang

Die Welt ist nicht untergegangen. Der aus dem Maya-Kalender für den 21.12.2012 herausgelesene Weltuntergang hat trotz reichlich Brimboriums in der esoterischen Welt nicht stattgefunden. Dabei war dieses Herauslesen nach Ansicht von Mayaforschern – wie für einen nüchternen Betrachter ja wohl selbstverständlich – „inhaltlich völlig unzutreffend“. Korrekt war lediglich, dass an diesem Datum der Zahlenwert des Tages gemäß der verschiedenen zyklischen Maya-Tageszählsysteme wieder bei Null anfing.

Was soll’s! Der Session-Report blieb mir vorauszusehenderweise nicht erspart.

1. “Tzolk’in – der Maya-Kalender”
Rechtzeitig zum Weltuntergang haben die Italiener(innen?) Daniele Tascini und Simone Luciani bei Czech Games ein Spiel zum Maya-Kalender herausgebracht, an dem wir wohl noch lange nach dem Weltuntergang unsere Freude haben werden. Es wird keine große Geschichte von Göttern, Gräbern und Gelehrten vorgegaukelt, wir sind einfach Spieler, die ihre Pöppel in das wundervolle Räderwerk des Maya-Kalenders einsetzen und dort die Abwechslung von Saat und Ernte über uns ergehen lassen.

Geiler Maya-Kalender in Tzolk'in
Geiler Maya-Kalender in Tzolk’in

Für jeden Zug steht eine Unmenge von Optionen zur Verfügung. Zunächst mal geht es um Nahrungsmittel, Baustoffe und höherwertige Ressourcen. Wir können unsere Fähigkeiten und die Ausbeute bei der Rohstoffbeschaffung erhöhen, wir können uns weitere Pöppel zulegen und wir können uns beim Tempelbau die Gunst der Götter erwerben. Schlußendlich dreht sich aber alles um die Siegpunkte, für die es ebenfalls ungezählte Quellen gibt, die vorausschauend erschlossen oder opportunistisch genutzt werden können.

Mais als Nahrung und Währung ist das bestimmende Element im Spiel. Es ist lebensnotwendig für die Ernährung der Pöppel, vor allem aber erlaubt es, die Menge der Zugoptionen effizient zu nützen und bei Saat und Ernte gleich einige Perioden zu überspringen.

Viele, nicht unbekannte, aber sehr gut funktionierende Spielelemente sind zu einer neuen, sehr gelungenen Mixtur zusammengebraut. Es gibt genug zu denken und zu planen und sehr viele Freiheitsgrade beim konstruktiven, schöpferischen Optimieren. Natürlich muß man dabei denken und das kostet auch Zeit. Doch jeder Spieler ist irgendwie an jeder Aktion, auch der Mitspieler beteiligt, und selbst das Verfolgen von deren Denkprozessen ist spannend.

Dass Günther bei „Tzolk’in“ gewinnen würde, war bei diesem Spieltyp schon vorprogrammiert. Bemerkenswert ist die Art, wie er es geschafft hat. Nach 26 von 28 Runden lag er mit 2 Siegpunkten einsam an letzter Stelle. Die anderen hatten schon 30 und mehr auf ihrem Konto. Doch er hatte weitschauend in die Zukunft geplant. In den letzten beiden Runden schoß er auf 83 Siegpunkte hoch, keiner seiner Konkurrenten kam auf mehr als 50. In diesem Hochschießen könnte ein Balance-Problem liegen. Doch man muß ein Günther sein, um das so reichhaltig zu seinen eigenen Gunsten auszunutzen.

WPG-Wertung: Aaron: 8 (alles stimmt), Günther: 7 (fürchtet noch, dass es eine eindeutige Mais-Gewinnstrategie gibt), Horst: 8 (endlich mal viel Zeit und Gelegenheit für Strategien), Walter: 8 (schon die Mechanik des Planetengetriebes auf dem Spielbrett ist geil)

2. “Incubator”
Aaron brachte ein zweites Mal seine „neuen Mechanismen“ (siehe Session-Report vom 5.12.2012) zum Testen auf den Tisch. Seine Neu-Erfindung hat jetzt bereits einen Arbeitsnamen: „Incubator“. Damit ist nicht die deutsche Death-Metal-Band angesprochen, sondern (bei Wikipedia mit „k“ anstelle von „c“ geschrieben) eine Versorgungseinrichtung für die Versorgung von Früh- und Neugeborenen. Eigentlich geht es auch nicht um die bereits Geborenen, sondern erst um zu die noch zur Welt zu bringenden, und dabei im Besonderen um Spiele.

In diesem Kartenspiel investieren wird in die Zeugung und Austragung von Zwei-bis-Drei-Jahres-Kinder. Je früher wir uns beteiligen, desto höher ist die Vaterschafts- bzw. Hebammen-Prämie. Doch das Kind sollte auch stark und lebensfähig sein, bei unglücklichem Timing investieren wir in Totgeburten und gehen leer aus.

Gegenüber dem letzten Test hatte Aaron am Beteiligungs- und Prämiensystem gedreht. Auch Mehrfachgeburten wurden diemal a priori unterbunden. Es läuft schon ganz schön run. Schnell, taktisch und schadenfreudig, sogar spannend. Es könnte ein guter Wurf werden.

Keine WPG-Wertung für ein Spiel in statu nascendi.

3. “Express 01”
Das bereits incubierte Kartenspiel um Eisenbahnnetze und Eisenbahnaktien, das nach der ersten Begutachtung bereits so gut wie gestorben war, sollte nur noch ordentlich zu Grabe getragen werden. Mit Günther als Trauerredner, doch ohne Rücksicht auf das lateinische „de mortuis nihil nisi bene“.

Der verwachsene Organismus, das Atmen, der Blutkreislauf und die Verdauung via eines einzigen Herz-Lungen-Darm-Traktes stieß erneut auf heftige Kritik. Der himmlische Schöpfer hat diese Funktionen auch nicht alle in einem einzigen Baustein realisiert.

Günther beteiligte sich sofort an Aarons gelben Verkehrsadern und Walter fürchtete schon, im Zwei-gegen-Eins-Frontenkrieg keine Chance zu haben. Da fand er sich plötzlich als alleiniger Besitzer von vier blauen Adern, die sogar schon über zwei Knoten verfügten und säckelte im Gedanken auf seinen nächsten Zug acht Organe ein, mehr als alle anderen besaßen. Doch inzwischen hatte sich die Geburtshelferreihenfolge geändert. Mit Übersicht und Miesnickeligkeit konvertierte Günther einen von Walters blauen Knoten in einen gelben, und in Nibelungentreue konvertierte Aaron den zweiten blauen Knoten in einen grünen. Walters Adern besaßen schlagartig nicht einmal mehr Schrottwert! Kann das sein?

Keine Organe mehr im Portfolio, kein Blut in den Adern, keine Kraft in den Beinen und keine Lust im Herzen! Aarons Analogieschluß zu „1830“, dem angeblichen Vorbild von „Express 01“ „Du hast halt als Startlinie die Erie“ gekauft“ war nur ein schwacher Trost.

Günthers Leichenrede endete mit den Worten: „Ich sehe auch nicht wirklich, wie es hätte überleben können!“

WPG-Wertung: Aaron: 4 (es funktioniert, aber es macht keinen Spaß und alle müssen warten. Das Kartenstapel-Durcheinander könnte sogar zu Streit führen), Günther: 4 (leicht verärgert), Walter: 3 (bleibt).

4. “Bluff”
Horst stand mit zwei Würfeln im Endspiel gegen Walters drei Würfel und fing mit zwei mal die Eins an. Walter hatte eine Eins, Zwei und Drei geworfen, wie sollte er nun reagieren?
Post mortem war klar, dass Horst keine einzige Eins unter seinem Becher haben sollte? Warum? Psychologische Logiker sind gefragt!

Ante mortem war das nicht so klar! Horst konnte siegreich das Feld für sich behaupten.

Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

Ich wünsche den Westpark-Gamers und unserem Leserkreis fröhliche Weihnachtstage und ein glückliches Neues Jahr. Bis zum nächsten Weltuntergang!

“Noblemen” ist unser Spiel des Monats

NoblemenDwight Sullivan ist einer von uns: ein Hobby-Spieler, der lange und intensiv für sich an einem Spiel gearbeitet hat (nachzulesen hier: http://noblemenboardgame.blogspot.de/) , ohne je ernsthaft an eine Veröffentlichung zu glauben. Dann reichte er sein Design beim Hippodice-Autorenwettbewerb ein, gewann die Aufmerksamkeit des immer besser werdenden Pegasus-Verlags, und nun ist es fertig: sein erstes veröffentlichtes Spiel, und es ist wirklich gut geworden!

Wir sind Adelige die versuchen die Gunst des Königs zu gewinnen, und bauen dazu Kirchen und Schlösser und erweitern unsere Ländereien. Bei den fast rund um die Uhr stattfindenden Maskenbällen benutzen wir unseren Besitz, um in der Adeligen-Rangliste aufzusteigen. All das bringt natürlich Siegpunkte.

„Noblemen“ ist eine wirklich runde Sache geworden – die geografische Platzierung der Ländereien ist ebenso anspruchsvoll wie das sorgfältige Haushalten mit den sehr flüssig zu spielenden Aktionen. Und ein weiterer echter Hit für Pegasus-Spiele!

“Noblemen” is our Game of the Month

NoblemenDwight Sullivan is one of us: a hobby gamer who has worked intensively on a game design without ever believing it would be published (read about it here: http://noblemenboardgame.blogspot.de/). The he entered the Hippodice game design contest and was noticed by up-and-coming boardgame publisher “Pegasus”-Games, and now it’s finished, his first published game! And it’s a swell game, that’s for sure….

We are Noblemen who try to get noticed by the king, building castles and churches and expanding our own personal realm. At the constantly happening costume balls we try to convince the kind to promote us in the noble ranking, of course with the goal to accumulate victory points.

“Noblemen” has been developed into a well-rounded game – the geographical placement of the land tiles is as interesting as the careful planning of the fluidly playing actions. A new hit for “Pegasus”-Games!

12.12.2012: Deutschland, Europa, Afrika

Peter und Loredana sind aus dem gelobten Land zurückgekehrt. In den großartigen historischen und modernen Stätten floß exodus-gemäß Milch und Honig, spielerisch haben sie sich eher in der Wüste gefühlt. Die paar mageren Chassidim-Spiele, mit denen sich die Orthodoxen die Sabbatruhe vertreiben, rissen sie nicht vom Hocker. Dagegen sind die Fleischtöpfe am Westpark, selbst wenn Walters Auswahl abgestanden und beschränkt ist, schon von einem anderen Kaliber. Peter konnte sich gar nicht entscheiden, bei welchen Leckerbissen (Ursuppe, Amun-Re, Modern Art) er zuerst zugreifen sollte.

1. “Trans Europa”
Ein Siebenjähriges zum Aufwärmen. Jeder muss seine fünf Pflichtstädte zwischen Spanien und dem Ural an ein gemeinsam zu bauendes Eisenbahnnetz anbinden. Wer das zuerst geschafft hat, ist Sieger.
Das Spiel ist leicht, flott, konstruktiv. Hölzerne Gleisteilchen in der Hand wiegen und auf ein Spielbrett legen zu können, ist schon von der mechanischen Handhabung her ein psychosomatischer Genuß. Und die professionellen Denker können sich sogar noch überlegen, mit welchem geschickt-geblufften Startpunkt sie ihre Mitspieler für sich (Gleisbau-) arbeiten lassen, während sie ihr eigenes Süppchen kochen.

Peter glaubte, an seiner roten Pfichtstadt London käme ohnehin keiner vorbei und und startete vom blauen Marseille aus Richtung Osten. Das waren Perlen vor seine geliebte Loredana, deren Haupststrang von Bukarest über Sophia nach Barcelona verlief. Mit riesigem Vorsprung konnte sie alle Männer regelrecht deklassieren.

Keine neue WPG-Wertung für ein fast 8 Punkte Spiele.

2. “GIZA – The Great Pyramid”
Der Pharao fürchtet mal wieder seinen frühen Tod und wir bauen mit Hochdruck an seiner großen Pyramde. Stein für Stein muß herangerollt werden und tausende (na ja, von jedem Spieler 8) Arbeiter werkeln am Ziehen und Rückeln und Liften des Materials. Natürlich brauchen so viele Arbeiter auch Nahrung. Ohne Catering-Service läuft gar nichts.

Wir setzen unsere Arbeiter in verschiedenen Betätigungsebenen ein. Was sie dann dort tun dürfen, müssen wir auf einem „Turn Order Track“ ersteigern. Es gibt Fischfang mit mäßigem Ertrag, Landwirtschaft mit gefälligem Ertrag und Fahrkarten für den Transport unserer Arbeiter von und zu den Fischgründen am Nil, zur Kunstschmiede, in den Tempel und zu den vier Schlittenbahnen für den Steintransport.

Um einen Stein ein einziges Feld in Richtung Ziel zu transportieren, müssen wir genügend Fish&Chips zusammenbringen. Jeder, der auf einem Transport-Stein sitzt, darf dazu beitragen. Reicht das Nahrungsangebot nicht, bleibt der Stein stehen und die knickrigen Sklavenbesitzer müssen ihre hungrigen Mitarbeiter in die Kantine am Nil zurücktragen.

GIZA – The Great Pyramid

Wird ein Stein transportiert, so bekommen die Besitzer der Auf-dem-Stein-Hockenden Siegpunkte, und zwar umso mehr, je mehr Hocker sie da oben haben. Das ist ganz unabhängig vom Beitrag zum Catering, der allein über Erfolg oder Mißerfolg in der Transportfrage entscheidet. Eigentlich ein Konstruktionsfehler. Es gibt zu wenig Motivation, sich gewaltig ins Zeug zu legen, um den Stein schnellstmöglich weitmöglichst zu bewegen.

Wurde ein Stein auch nur einen einzigen Meter verrückt, so fallen unverzüglich alle Mitarbeiter von ihm herunter und streichen ihre blauen Flecken mit Nilwasser ein, bevor sie in Eilmärschen wieder zum Stein-Schlitten für den nächsten Transportschritt in Gang gesetzt werden. Auch das wirkt mühselig und beladen.

Zum Glück müssen wir nicht die gesamte Pyramide fertig bauen. Spätestens wenn wir uns zehn Jahre lang mehr oder weniger erfolgreich hier bemüht haben, werden wir entlassen. Peter reichten schon die ersten drei Jahre. Dann schlug er leicht und locker einen Spielabbruch vor. Einsichtsvoll willigten alle ein. Es gibt Schöneres zu spielen und zu arbeiten, als jahrelang nur immer hinter den Steinen am Nil herumzulungern.

Aaron hatte das Spiel erstmals in Essen angespielt. Auch damals brachten sie in den vorgeschriebenen zehn Jahren keine Pyramide zustande. Allerdings war sein Spielgefühl damals ganz anders gewesen. Besser, stromlinienförmiger. Hat jetzt der Peter beim akribischen Nachlesen der Spielregel den Ablauf neu erfunden oder haben wir etwas falsch gemacht? Die einhellige Auffassung, „das Spiel funktioniert nicht“ sollte durch ausgiebiges Regelstudium nochmals überprüft werden.

Bevor das Spiel in auf Nimmerwiedersehen in Aarons Katakomben verschwindet, noch eine einsame Walter-Wertung: 3 (mit der großen Hoffnung auf Regelfehler unsererseits.).

3. “Hanabi”
Es war klar, dass dieses kleine Kartenspiel um das puzzlehafte kooperative Ablegen von Zahlenkarten in einer streng vorgegebenen Reihenfolge unseren Logikern gefallen würde. Tips unterhalb der Gürtellinie („Du hast fast nur Schrott auf der Hand!“) wurde von den gewissenhaften Puzzlern mit strafenden Blicken gewürdigt, ließen sich aber nicht ganz vermeiden. Vor allem weil sie ja auch logisch und lustig sein können.

Mit legalen Tips hauszuhalten ist oberste Maxime. Ein Tip zum Abwerfen von gleich mehreren nicht mehr brauchbaren Karten ist Gold wert, steht aber nicht immer zur Verfügung. Auch die frühzeitige Benennung von 5er Karten hat sich bewährt. Da diese Karten auf jeden Fall gehalten werden sollten, reduziert sich die Anzahl der unkontrolliert abzuwerfenden Karten. Und darunter ist dann garantiert | hoffentlich keine lebenswichtige.

Nach dem ersten Durchgang (oder dem zweiten?) bereitete Peter begeistert sofort den zweiten (oder dritten?) Durchgang vor. Gemeinsam erreichten wir 24 von maximal 25 Punkten.

Der Mainstream der seriösen WPG-Werter wurde von Loredana mit 6 und Peter mit 8 Punkten voll bestätigt.

4. “Bluff”
Nichts Neues im Westen. Das erste Spiel konnte Loredana für sich entscheiden, im zweiten Spiel war sie als erste ausgeschieden. Hier stand Peter ganz nahe vor dem Sieg, als die vorletzte U-Bahn pfiff und er fluchtartig das Lokal verließ.

Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

5. “Express 01”
In trauter, seit 25 Jahren gepflegter Zweierunde machten sich Aaron und Walter zu mitternächtlicher Stunde noch über ein Crowdfunding Spiel her, das als „1830 – Kartenspiel“ propagiert wurde. Bei dieser göttlichen Namensankündigung konnte Aaron sich nicht zurückhalten und ist gleich mit zwei Exemplaren den Förderern beigetreten.

In der Spielanleitung steht, „Express 01“ sei ein „reines Kartenspiel“, das ist aber untertrieben. Die benötigte Spielfläche ist zwar der nackte Tisch, doch dort liegen die Karten gemäß der Geographie Deutschlands wie auf einem richtigen Spielbrett. Und es gibt richtige kleine Holzlocks a la Trans-Europa und Spielbögen zum Verfolgen des Rundenablaufs.

Doch der Rest sind wirklich nur noch Karten. Höchst gediegenes Material, mindestens einen Michelin-Stern wert. Leider besitzen sie eine überstrapazierte Multifunktionalität: Sie sind Geldwährung, Anteilsscheine, Landbesitz und Gleisbaumaterial. Da bleibt der Michelin-Stern gleich im Halse stecken. Zumindest für das Geld hätte man ein paar lumpige Monopoly-Scheine zur Verfügung stellen sollen.

Wir wollten das Spiel ohnehin nur anspielen, haben es nach einer knappen Stunden aber auch mit Überzeugung zur Seite gelegt. Wir müssen uns in einer ruhigen Stunde nochmals gründlich die Spielregeln durchlesen, bevor wir „Express 01“ auf die Menschheit am Westpark loslassen. Hier nur ein paar negative Vorab-Eindrücke, bei denen wir uns von erfahreneren Expressionisten gerne eines Besseren belehren lassen wollen:

  • Die abzählbar endlich vielen Karten sind recht umständlich zu handhaben. Sie müssen vor jedem Spiel in 12 (oder mehr) Häufchen separiert und sortiert werden – mehr oder weniger einzeln. – Hallo Aaron, ich habe die Karten genauso wieder in die Schachtel eingeräumt, wie sie auf dem Tisch herumlagen. Das erneute Sichten und Sortieren wird uns wohl nicht erspart bleiben!
  • Die Gleiskonstruktionen verlaufen am Kartenrand nicht mittig, sondern im Drittel-Abstand. Dadurch passen zwei Streckenkarten nicht a priori zueinander. Das mag zwar später zu einem vielseitigeren Streckennetz führen, erhöht aber den Try&Error-Frust beim Suchen nach passenden Anschlußkarten.
  • Die Zahlenangaben zum Überbauen von Gleisen sind irreführend. Man kann z.B. auf die Gleiskarte 023 nicht wie angegeben die Gleiskarten 501-512 legen, sondern nur solche, die topologisch zum Gleisbau der Umgebung und farblich zum vorhandenen Bahnhof passen. Das sind sehr viel weniger, wenn überhaupt eines paßt! Viel unnötige Sucher- und Probiererei.
  • Das Hin- und Her-Verschieben der Schwarzen Lok wirkt eher stumpfsinnig als dass es funktional Wesentliches zum Spielablauf beiträgt.
  • Auch das Vertauschen der Spielerreihenfolge nach einer Prämienauszahlung ist eher lästig statt lustig; seine magere Funktionaliät rechtfertigt nicht die nackte Existenz dieses Regelelements.
  • Die Ermittlung der „Staatlichen Subventionen“ zu Beginn jeder Runde ist ein leeres Ritual. Die Bilanzierung des Besitztums eines jeden Spielers hat die gleiche Bedeutung wie das sprichwörtliche Fahrrad, das in China umkippt.

Zum Spielverlauf: Es war uns nicht klar, wie die spielerisch unbedingt notwendige Asymmetrie in das Spiel hineinkommt, d.h. wo der Anreiz zum Engagement auf verschiedene Gesellschaftsanteile herkommen soll. Wir engangierten uns mehr oder weniger gleichmäßig bei allen Gesellschaften, erstens aus der gegebenen Kostensituation heraus und zweitens um an den jeweiligen Ausschüttungen – auch der Mitspieler – beteiligt zu werden. Eine miesnickelige Gewinnausschüttung für die mickrige Linie, von der man alleine Anteile in Besitz hat, kann doch wohl nicht der einzige Spielspaß sein.

Aarons Statement zum Abschluß: „1830 erkenne ich nicht wirklich.“

Das Westpark-Schicksal von „Express 01“ wird wohl sein, dass sich ein paar Eisenbahn-Enthusiasten und Analysten allein aus Interesse an dieser Materie nochmals über das Spiel hermachen, um es zu zerpflücken. Das ist die einzige Vorfreude, die ich heute beim Gedanken an eine Spielwiederholung hege.

Vorläufige WPG-Wertung: Walter 3.

05.12.2012: Crux mit den Kickstartern

Bei Kickstarter-Brettspielen haben wir Westpark-Gamers uns schon seit einiger Zeit engagiert, jetzt gibt es auch Kickstarter-Spielprogramme auf iOS-Basis. Moritz war mit 15 Dollars bei „Battle of the Bulge“ dabei; die Entwicklung wurde erfolgreich finanziert und produziert, jetzt geht es ans Ausliefern. Doch da tauchte ein Problem auf: Die Förderer haben für ihr Spiel ja bereits bezahlt, doch das Verschenken eines amerikanischen Produkts an europäische Kunden wird von Apple nicht zugelassen. Diese Weltfirma diktiert sogar die Preisstufen und damit den Minimalpreis für den Download der Applikationen auf iOS-Basis. Wie kommt Moritz – und wie kommen die weiteren 50 Besteller aus dem europäischen Raum – jetzt zum geförderten Spiel, ohne nochmals den vollen Apple-Download-Preis zu bezahlen?

Creative Denker an die Front!

Ganz einfache Lösung: Moritz erhält von der Entwicklungsfirma einen Batzen Geld auf seinem Konto; damit kauft er für alle 50 Besteller bei Apple Gutscheine für den Download, mit diesen Gutscheinen beschenkt er die europäischen Förderer, die damit kostenlos ihr Spielprogramm runterladen können! … Welch ein Glück, dass es nicht 100000 Förderer waren?

1. “Gauntlet of Fools”
Mit „Spießrutenlauf der Narren“ könnte man dieses ebenfalls per Kickstarter-Finanzierung entwickelte Brettspiel übersetzen. Der verdiente Donald X. Vaccarino („Dominion“!) hat es erfunden, Moritz hat es gekauft und heute als Einleitungsspiel vorgeschlagen. Er ließ es sich nicht nehmen, der Runde auch gleich noch einen verbalen Appetizer hinzuwerfen: „Spielt sich wie Can’t Stop“ – immerhin ein 7+ Punkte Spiel am Westpark.

Gauntlet of Fools
Gauntlet of Fools

Jeder ersteigert einen Helden (dem Titel nach wohl eher Narren) und kämpft gegen fortlaufend auftauchende Monster. Ersteigern heißt hier, wir verpassen den einzelnen Heldenfiguren solange Handicaps, bis sie arm am Beutel und krank am Herzen ihre müden Leiber vor die Monster schleppen und kein anderer Mitspieler mehr für sie Sorge tragen will. Kämpfen heißt hier, würfeln und gewürfelt werden, Gold gewinnen und Leben verlieren. Freiheitsgrad: Solange der Vorrat reicht, kann man zum Hackebeil greifen, um die Siegeschancen zu erhöhen. Damit entgeht man aber keineswegs dem Verlust an eigenen Lebenspunkten. Der “Zombie” darf, wenn er bereits tot sich, nach freier Wahl noch gegen zwei Monster antreten, um im Falle eines Sieges seine Geldausbeute zu erhöhen. Zweimal eine Ja/Nein-Entscheidung im 20-Runden Monsterkampf. Der Rest ist Würfel-Prädestination. Gigantisch!

Während das Gros der Mitspieler entgeistert auf den trostlosen Spielablauf schaute, und auf die tausend roten Hexawürfel in der Schachtel, wohlwissend, dass sie ihr letztes Leben wohl ausgehaucht haben würden, bevor auch nur der letzte Würfel gefallen war, weidete sich Moritz an den verschiedenen Abenteurergestalten: “Berserker”, “Necromancer” und “Warlords” geben doch eine Unmenge an Thema und Stimmung her.

Er fand auch noch eine Verteidigung für das öde Dahinschlachten und Dahingeschlachtet-Werden: „Wie bei einem Pferderennen: Man setzt mehr oder weniger blind auf ein Pferd und weiß erst am Ende, wie gut es drauf ist.“ Hallo Moritz, bist Du denn an einem einzigen Pferderennen-Nachmittag zwanzig mal untrennbar an den gleichen Loser-Klepper gebunden? Oder ist dies etwa die Ähnlichkeit mit „Can’t stop“?

WPG-Wertung: Aaron: 3, Günther: 2 (vielleicht auch 3), Horst: keine Note für die Runde am Westpark (für andere Spielkreise glatte 9 Punkte, eines der besten und witzigsten Spiel der letzten Wochen, der Mechanismus hat total Spaß gemacht! Freute sich über das Abmühen der Mitspieler; in dieser Runde ist es wie Perlen vor die Säue werfen [Aaron: Wie Eber-Losung vor die Perlen!], Moritz: 5 (nett, die Aktionsmöglichkeiten sind zugestandenermaßen beschränkt), Walter: 2 (der größte Spielspaß war die private Auszeit, um die beste aller Ehefrauen von der U-Bahn abzuholen).

Endlich haben wir wieder einen „Horst-des-Monats“.
Und die blasphemische Erkenntnis: Wenn ein verdienter Autor eine Idee per Kickstarter lanciert, dann ist seine Idee offensichtlich nicht potent genug, die bewährten Pforten am Autoreneingang von Verlagen zu überwinden.

2. “Noblemen”
Vor vier Wochen in einer Dreierrunde für gut befunden, durften heute auch Aaron und Moritz ihren Senf dazugeben.

Wir bauen als englische Adelsherrschaften unsere Landschaftsgärten aus und beeindrucken mit Wäldern, Wiesen, Feldern und Parks, mit Burgen, Kirchen und Palästen die englische Königin. (Die erste Elisabeth, wohlgemerkt!) Gegenüber den „Spießruten“ sind die Freiheitsgrade ins Unermeßliche gestiegen. Die Auswahl an Landschaftstypen, die vielen und ständig wachsenden Möglichkeiten für Anlegestellen in unserem Grundbesitz, Kauf, Platzierung und Ausbaumöglichkeiten unserer Gebäude setzen unserer architektonischen Kreativität und unseren Ambitionen als Siegpunkt-Scheffler praktisch keine Grenzen.

Das geht noch dazu alles in spannender, spielerischer Konkurrenz und Interaktion von sich. Glücklicherweise ist der Spielspaß dabei so groß, dass selbst am Westpark gespielt und gezogen wird, bevor alle Optimierungsmöglichkeiten analysiert und bewertet wurden. Notfalls kann man sogar auch denken, wenn man nicht dran ist.

WPG-Wertung: Zum bisherigen 8-Punkte Schnitt vergaben ebenfalls Aaron: 8 (rund, spannend, nicht zu lang) und Moritz: 8 (Super-Spiel); Walter erhöht auf 9 Punkte.

Allgemeine Anerkennung vom Westpark: Pegasus, der Verlag von „Noblemen“ hat sich gemausert. Praktisch aus dem Nichts heraus ist er einer der besten deutschen Spieleverlage geworden.

3. “Bluff”
Nichts Neues im Westen. Moritz gewann unspektakulär mit 3 Würfeln Vorsprung.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

4. Neue Mechanismen
In einer Dreierrunde stellte Aaron seine neueste Spielidee vor. Wir investieren in abstrakte Objekte (Kickstarter-Produkte?), die in fünf Jahrgängen fällig werden. Habe sich zum Zeitpunkt der Fälligkeit genügend Interessenten mit genügend Masse angemeldet, gibt es dafür Siegpunkte, gestaffelt nach der Reihenfolge des Engagements. Ein einfaches, aber auf Anhieb bestechendes Spielprinzip.
Natürlich gibt es noch eine Menge alternativer Designentscheidungen auszuprobieren und festzulegen:

  • Werden nahe oder zukünftige Investitionen besser honoriert?
  • Wieviel Investitionsmasse steht zur Verfügung (Gesamt-Kartenanzahl, Größe der Kartenhand)?
  • Wieviele “Investitionsslots” stehen in jedem Jahrgang zur Verfügung?
  • Mit welchen Freiheitsgraden (Menge und Qualität der Investitionskarten) kann man sich an eine bestehende Interessentengruppe anschließen?
  • Staffelung der Siegpunkte?
  • Wie wird das Spielende herbeigeführt?

Aaron wird’s schon richten. Und der Westpark hilft ihm gerne dabei.

21.11.2012: Gingko Biloba

Ginkgo Biloba
Dieses Baums Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Gibt geheimen Sinn zu kosten,
Wie’s den Wissenden erbaut.
Ist es ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt,
Sind es zwei, die sich erlesen,
Daß man sie als eines kennt.
Solche Frage zu erwidern
Fand ich wohl den rechten Sinn,
Fühlst du nicht an meinen Liedern,
Daß ich Eins und doppelt bin.

Dieses Gedichtchen schrieb der 66 Jahre alte Goethe in einem Anfall von Tändelei an eine junge Ehefrau, die 31-jährige Marianne von Willemer. Wer mehr über diese junge Suleika erfahren will, und wieweit sie der alte Hafis noch rumgekriegt hat, der lese die Anmerkungen zu seinem „West-östlicher Divan’’. Vor allem zwischen den Zeilen.

1. “Ginkgopolis”
Der Baum, dessen Blätter Goethe zu tändelnder Philosophie anregten, hat dem Spiel seinen Namen gegeben. Den Versuch des Autors, in das Spiel auch noch eine Gingko-Geschichte einzubauen, kann man vergessen.

Wir fügen quadratische Gebäudeplättchen zur einer gemeinsamen Landschaft in der Tischmitte. Dabei können wir erstens die Landschaft in die Breite erweitern und kassieren dafür – abhängig von der Umgebung, in die wir bauen, Gebäudeplättchen, Pöppel und/oder Siegpunkte (GPS). Wir können auch zweitens in die Höhe bauen, d.h. die Plättchen aufeinander legen; dafür kassieren wir dann GPS abhängig von dem Plättchentyp, das wir legen. Und drittens können wir auch nur „Planen“, d.h. eine „Urbansierungskarte“ ohne Plättchen legen, dann bekommen wir GPS abhängig von …

Ach, es ist schwer zu verstehen, welche Vorteile uns die verschiedenen Aktionen einbringen. Mal zählt die Auslage an „Urbanisierungskarten“ vor jedem Spieler, mal die gespielte Karte, mal die Umgebung, mal der Ort selber, auf den wir bauen. Zwei ganze Seite hat die Spielanleitung zu diesen drei simplen Legemöglichkeiten und dem daraus resultierenden Profit geopfert. Günther hat sie ziemlich radebrechend vorgetragen. Wenn ich mich jetzt in der After-Party-Time bemühe, Günthers Ausführungen und die Erklärungen in der Spielregel auf einen Nenner zu bringen, bin ich nicht sicher, ob ich richtig liege. High-sophisticated bzw. mühselig und beladen; selbst für Freaks eine Herausforderung.

Die zulässigen Aktionen werden durch vier „Urbanisierungskarten“ bestimmt, die jeder Spieler in der Hand hält. Wem seine aktuelle Auswahl nicht gefällt, darf seinen Kartenhand gegen Karten aus dem verdeckten Nachziehstapel austauschen. Gut oder schlecht? Diese Option verzögert den Spielablauf. Jeder Spieler muss zunächst seine Hand analysieren, ob ihm darin eine besonders gute Aktion geboten wird, und ob seine GPS-Mittel dazu ausreichen. Dann muss er abwägen, ob er beim Kartentausch vielleicht vom Regen in die Traufe kommen kann. Und tauscht er schließlich, so fängt die Analyse von vorne an. Nachdem hier grundsätzlich keine Superangebote zur Verfügung stehen, sondern alle Aktionen schlußendlich doch nur mit Wasser kochen, könnte ich sehr gut auf diesen Tausch verzichten.

Um etwas Gerechtigkeit in die Verteilung der „Urbanisierungskarten“ zu bringen, muss jeder Spieler – gemäß dem „7-Wonders“ Prinzip – nach seinem Zug seine restlichen Handkarten an den Nachbarn weiterreichen. Jeder Spieler darf sich dann im Glauben wähnen, er habe sein Schicksal (und das des Nachbarn) wenigstens zu einem gewissen Anteil in der Hand. Wie weit das stimmt, lasse ich mal offen. Zumindest sinkt die Vorausplanbarkeit von Zügen mehr oder weniger auf den Nullpunkt, weil neben der ohnehin nicht überschaubaren Landschaftsentwicklung in der Tischmitte nicht kalkulierbar ist, welche Karten man im nächsten Zug in der Hand hält. Aber vielleicht ist das spielerisch.

WPG-Wertung: Aaron: 6 (eigentlich ein 8-Punkte-Spiel, aber zu fehleranfällig und die Karten passen oft nicht (sic!) zu den Ambitionen, Günther: 6 (man ist ständig mit organisatorischem Klimbim belegt: ungültige Karten heraussuchen, nachmischen …), Horst: 7 (das Spiel-Korsett stimmt, die Mechanismen greifen gut ineinander), Moritz: 6 (man wird ein bißchen gespielt, die Aktionen sind in sich nicht stimmig), Walter: 6 (konstruktiv, aber solitär).

Aaron gibt einen Punkt weniger, weil der, der heute gewonnen hat, den weitaus meisten Alkohol getrunken hat.

2. “Hanabi”
Vor einem Monat in einer 3er Runde angetestet, sollte das Spiel heute seine Vorzüge in einer 5er Runde auf den Teststand bringen. Fünf bis sechs Kartensätze mit den Zahlen 1 bis 5 werden an die Spieler ausgeteilt und die Spieler müssen die Karten aus ihrer Kartenhand in einer solchen Reihenfolge auf gemeinsame Stapel in der Tischmitte ablegen, dass am Ende möglichst alle Kartensätze wohlgeordnet streng aufsteigend auf dem Tisch liegen.

Das Problem dabei ist, dass die Spieler ihre Kartenhand verkehrt herum halten müssen, sie sehen also nicht die eigenen Karten, sondern nur diejenigen der Mitspieler. Wenn ein Spieler einfach blindlings eine Karte aus seiner Hand zieht, um sie an einen Stapel anzulegen, dann paßt sie mit größter Wahrscheinlichkeit nicht dorthin und es gibt für alle empfindliche Minuspunkte.

Damit die Spieler überhaupt eine Chance haben, die gemeinsame Herausforderung zu bestehen, müssen (und dürfen) sie sich gegenseitig Tips über die Qualität (Farbe oder Zahl) von Karten in ihrer Hand geben. Die Anzahl der zulässigen Tips ist eng begrenzt, deshalb ist es notwendig, bei der Tip-Vergabe sehr gut zu haushalten. Und man muß ein intelligentes Urvertrauen in Logik und Gutmütigkeit der Mitspieler haben. Wenn z.B. der weiße Stapel auf dem Tisch aus den Karten 1 und 2 besteht, dann bedeutet der Tip „Dies ist eine weiße Karte“ implizit, dass es eine 3 ist, die zum Stapel paßt. Sind auf dem Tisch aber z.B. alle Farbstapel bis auf einen bereits angefangen und man bekommt den Tip „Dies sind zwei Einsen“, dann sind beide wohl obsolet und können abgeworfen werden. Kein Tip-Geber wird uns dem Risiko aussetzen, nur zu raten, welche Karten gut oder schlecht sind. Die Spannung, ob die klugen Mitspieler auch die nützlichsten Tips finden, und ob die klugen Tip-Empfänger daraus auch die richtigen Schlußfolgerungen ziehen, ist der Witz des Spiels.

Moritz: „Als kooperatives Spiel rette ich lieber eine Burg vor Orcs!“

WPG-Wertung: Die Neulinge Horst und Moritz teilten nicht die bisherigen positiven Eindrücke: Horst: 5 (eignet sich vielleicht als Turnierspiel), Moritz: 3 (kein Thema, reißt mich nicht vom Hocker).

Nachdem Horst und Moritz genug gestänkert hatten, ließ sich Aaron zu einem „fucking cooperative“ hinreißen.

3. “Tweeeet”
Moritz bemängelte, dass unsere Session Reports oft genug nicht jugendfrei sind. Doch schon beim Auslegen des Spielmaterials kommentierte er: „Wie Mississippi-Queen mit Vögeln“. Wie recht er hat.
Wir schlüpfen in die Seelen von Rot- und Blaukehlchen und fliegen von unseren Startplätzen über eine mittels Hexagonketten ständig erweiterte Fläche (analog „Mississippi-Queen) bis zum Paarungsgipfel am Ende der Strecke. Für die jeweils zurückgelegte Strecke verbrauchen wir Nahrung; die auf dem jeweiligen Landeplatz liegende Nahrung dürfen wir in unseren Kehlchenvorrat einsacken.

Niedliches Spielmaterial in Tweeeet

Unsere Inkarnation als Rotkehlchen und die Nahrungsteile (Nuss, Erdbeere, Traube, Made, Käfer) sind hübsch anzusehen, ihre unterschiedliche Wertigkeit (von 1 bis 5), ist ihnen aber nicht auf die Stirne geschrieben. Mit dem Bezahlen des Nahrungspreises ist jedesmal eine unhandliche mathematische Aufgabe verbunden: Wieviele Nüsse bekomme ich zurück, wenn ich eine zurückgelegte Strecke der Länge 4 mit einem Käfer bezahle und dort eine fade Made aufnehme?

Das Spiel geht von 7 bis 99 Jahre. Moritz hält es aber bereits für seinen 5 jährigen Milo als angemessen, und dann bis maximal 7 Jahre. Aaron ergänzte: Und dann wieder ab 80! Walter zog den Kopf ein. Horst resignierte: Er hätte das Spiel gerne für seine Frau als Weihnachtsgeschenk unter den Christbaum gelegt, aber „das Spiel spielt nicht einmal Brigit“.

WPG-Wertung: Unsere schwache Punktwertung will ich hier nicht wiedergeben. Es ist nicht Stil unseres Hauses, ein fälschlich in harte Männerfäuste geleitetes Kinderspiel hämisch zu zerpflücken. Aaron: a (einschließlich 1 Punkt für die Niedlichkeit des Spielmaterials), Günther: b (nur wegen des Materials), Horst: c (trotz des Materials), Moritz: d (würde sogar „1830“ noch lieber spielen – fast ein Kompliment), Walter: e (das Material ist wirklich hübsch).

Hübsche chinesische Plastikfiguren machen noch kein gutes Kinderspiel. Klare Abwertung für die unhandliche Käfer-Madenwährung und für die fremden Federn vom Mississippi. Sonst ist in Tweeed nichts drin.

4. “Bluff”
Nichts Neues im Westen. Ein Spieler mußte mal wieder in einer einzigen Runde alle 5 Würfel abgeben. Aber nicht weil er zu hoch gesetzt hatte, sondern schon viel zu früh zu zweifeln anfing.
Könnte man hier den Bluff-Tip Nummer 5321 formulieren: Wenn Du unsicher bist, ob die Würfelvorgabe noch stimmt, dann lieber erhöhen als anzweifeln?

Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

“Bankraub” – Das 2. Crowdfunding Projekt der Spiele-Offensive

Das im Juli 2012 von der Spiele-Offensive gestartete Crowdfunding Projekt „Express 01“ liegt inzwischen in toller Aufmachung allen Förderern vor. Von diesem Erfolg angespornt hat die Spieleschmiede der Spiele-Offensive seit wenigen Wochen einen Nachfolger gestartet: „Bankraub“. Thema ist diesmal die Planung und Durchführung von Banküberfällen – oder der kooperativen Verhinderung eines erfolgreichen Bankraubs. Autor ist Till Meyer vom Spiele-Entwicklungsteam Spieltrieb. Erste farbigen Spielkarten sowie der kolorierte Cover-Entwurf geben einen Einblick in die ganovenhafte Spielatmosphäre von Bankraub. Unter Spiele-Offensive.de finden Interessierte die neuen Entwürfe.

„Um Bankraub Wirklichkeit werden zu lassen, benötigt Spieltrieb eine Anschubfinanzierung von 18.000 Euro. Für die Unterstützung des Projekts belohnt die Schmiede jeden Förderer mit exklusivem Bonusmaterial, das später im Handel nie wieder erhältlich sein wird,“ so Frank Noack von Spiele-Offensive.de. Aktuell ist das Projekt bereits mit über 14.000€ bereits gefördert und für die verbleibenden 4.000€ bleiben nur noch 25 Tage. Wer also dabei sein möchte, sollte sich beeilen. Alle Details finden sich unter www.Spiele-Offensive.de/Spieleschmiede/Bankraub.

“Santa Cruz” is our Game of the Month

„Discovery“-Games have always been one of the holy grails of game design – how can one design such a game without putting through much stress on luck (when one doesn’t turn over the „right“ discovery tiles)? The new game by Marcel-André Casasola Merkle tries an interesting path here by making the victory conditions variable through cards, but also makes these same cards available for drafting, which can turn the luck of one player against him/herself in the next round. Through this there is more interaction and competition than in other “discovery” games, and also the game length hits a good and comfortable mark. For us this is one of the real “discoveries” of the current games on offer!

“Santa Cruz” ist unser Spiel des Monats

‘Entdecker’-Spiele sind nach wie vor ein heiliger Gral des Spieledesigns – wie kann man ein solches Spiel gestalten, ohne dass das Glück überhandnimmt (wenn man nicht die ‘richtigen’ Plättchen aufdeckt)? Das neue Spiel von Marcel-André Casasola Merkle geht hier einen interessanten Weg, in dem es die Siegbedingungen der Spieler einerseits asymmetrisch macht, andererseits aber auch einen Hauch von ‘card-drafting’ hineinbringt, der das Glück eines Spielers zu seinem Pech umkehren kann. Dadurch gibt es wesentlich mehr Interaktion und Konkurrenz als bei anderen Entdeckerspielen, und die kurze und übersichtliche Spieldauer weiß auch zu gefallen. Für uns eine der echten ‘Entdeckungen’ des aktuellen Spielejahrgangs!

14.11.2012: Noblemen mit fremden Federn

Nicht nur unser Moritz ist auf einer Spielkarte verewigt (siehe Session-Report vom 30.10.12), auch unser

Horst in Tichu
Horst krönt schon seit mehr als 10 Jahren die Jack-Karte eines Tichu-Spiels. Um seine umwerfende Schönheit nicht gemeingefährlich wirken zu lassen, wurden Nase und Kinn vergrößert; Er ähnelt jetzt stark einer Mischung aus Thomas Gottschalk und Wladimir Iljitsch, doch Lächeln, Stirn und Haaransatz sind zweifellos authentisch.
Ein gute Geschenk-Idee für Weihnachten: Alle seine Lieben als Damen, Buben und Könige in einem Skat-Spiel zu vereinen. Unter der Seite www.kartenspieledesign.com wird vom Design bis zur Produktion alles angeboten.

1. “Fremde Federn”
In einer Internetseite zur Erklärung von Redensarten heißt es: “Sich mit fremden Federn und auf Kosten anderer schmücken zu wollen, zeugt von peinlicher Dummheit, blauäugiger Unbedarftheit oder in schlimmen Fällen von aufkeimender krimineller Energie”.

Friedemann Friese hat das bewußt getan, aber mit Geist, mit Kompetenz und in integrem Einsatz für die Spielergemeinde. Aus „Dominion“ hat er die Technik mit dem Kartendeck genommen: Jeder Spieler bekommt zu Spielbeginn das gleiche Kartenset. Daraus zieht er jeweils nach einem wrap-around-Verfahren 5 Karten, mit denen er seine Aktionen gestaltet: neue Karten kaufen, flaue Karten loswerden, Arbeiter, Geldmittel und vor allem Siegpunkte erwerben.

Die Arbeiter plazieren wir nach den Prinzipien von „Agricola“ auf definierten Feldern des Spielbrett, um dafür die entsprechenden Felderträge einzustreichen. Die Methoden, eine gegebene Vielfalt von Betriebsmitteln in eine ständig wachsende Vielfalt von weiteren Betriebsmitteln umzusetzen, stammen aus „Im Wandel der Zeiten“. Diese zentralen Mechanismen bestimmen den Spielablauf. Der Rest ist solides Kunsthandwerk von F.F.
Dabei war Friedemann Friese kein zu Guttenberg (der mit ohne Doktortitel): Er hat vor seinen Ideenanleihen bei den Originalautoren Rosenberg, Chvátil und Vaccarino um Erlaubnis nachgefragt, und die Adaptionen im Regelheft detailiert dokumentiert. Er nutzte sogar noch das Kartenschiebe-Element von „7 Wonders“ (eine Regel, die uns Günther heute vorenthielt! Oder hat sie F.F. bei der Spielumsetzung wieder fallengelassen?) und das Aufwerten von nicht gewählten Aktionen nach „Puerto Rico“.

In jedem Falls ist vom Charakter her ein ganz neues Spiel mit eigenem Spielgefühl entstanden. „Das Spielbrett schaut witzig aus und bringt Stimmung“ meinte Horst. Hier ist sogar bewusst ein Druckfehler entsprechend der Erstausgabe von „Zug um Zug“ eingebaut: In der Zählleiste für die Siegpunkte sind die Zahlen 90-99 verkehrt herum gedruckt. Ein netter Gag innerhalb der Konstruktionsprinzipien von „Fremde Federn“.

Mit Recht kann Friese für sich in Anspruch nehmen, ein Motto von Walter Moers erfolgreich angewendet zu haben:

„Wenn Du schon klaust, dann immer nur vom Besten!“

WPG-Wertung: Günther: 8 (flüssig, gelungen, trotz der Dominion-Anleihen ist keine Dominion-Kopie daraus entstanden), Horst: 8 (hat total Spaß gemacht), Walter: 8 (planerisch, spielerisch, vielseitig, sauber konstruiert).

2. “Noblemen”
Wir sind nicht die „Fürsten von Florenz“, sondern „Mitglieder des britischen Hochadels“ und bauen unsere Ländereien zu prestige- und siegpunktträchtigen Anlagen aus. Quadratische Landschaftsplättchen für Feld, Wald, Wiese und Park sind die Basis, aus der wir unseren Grundbesitz zusammenstellen. Für „Wald“ erhalten wir neue Landschaftsplättchen, für „Feld“ bekommen wir Geld, und für „Park“ steigt unser Prestige, mit dem wir uns bei jedem „Maskenball“ um die Adelstitel von „Baron“ bis „Herzog“ bewerben, und die uns Siegpunkte und finanzielle Vergünstigungen einbringen.

Auf die Felder bauen wir Schlösser, Burgen und Kirchen, die als wohlstrukturiertes Ensemble weitere Siegpunkte abwerfen. Für den Bau von Kirchen bekommen wir „Skandalkarten“, die aber kein „Aufsehen erregendes Ärgernis“ (Wikipedia) auslösen, sondern lediglich Vergünstigungen für unsere weitere Entwicklung gewähren. Ein bißchen Unberechenbarkeit, ein bißchen Schiebung darf schon sein.
Mit zwei Raubrittern können wir in ausgebaute Ländereien der Mitspieler eindringen und uns einen Teil deren Erträge zur Seite schaffen. Auf den ersten Blick liegt darin ein negativer Ärger-Effekt, doch im Spielverlauf entpuppt sich das als gut überlegtes Mitspieler-Chaos-Element, mit einer gelungenen interaktiven Komponente bezüglich Besitzstand und Geschwindigkeit.

Bemerkenswert ist die Rolle der Königin für den Spielfortschritt. Durch verschiedene Aktionen kann man sich die Königin auf die Seite ziehen, und jedesmal wenn man einen Zug beendet und die Königin noch als Gast weilt, ist einer von insgesamt drei mal 9 Spielzügen beendet. Schnell, flott pfiffig.

WPG-Wertung: Günther: 8 (ein Qualitätsunterschied zu Friedemann’s „Fremde Federn“ ist praktisch nicht meßbar), Horst: 8 (ein Klasse Spiel, konstruktiv aber nicht schweißtreibend), Walter: 8 (spielerisch, schnell, wohldosierte Konkurrenz, viele Wege führen zum Sieg).