1. “Anno 1800”
„Anno 1800“ war zuerst ein Videospiel, von Ubisoft entwickelt und 2019 veröffentlicht. Offensichtlich erfolgreich, denn KOSMOS hat den „weltweiten Erfolgsautor für anspruchsvolle Strategiespiele“ Marin Wallace engagiert, um die Mechanismen in ein Brettspiel einzugießen.
Immer noch geht es um die „industrielle Revolution im 19. Jahrhundert“, und wie immer ist das Thema für den Spielablauf absolut schnurz.
In einem reinrassigen Worker-Placement-Spiel setzen wir unsere grünen, blauen und roten Arbeiter ein, um weitere grüne, blaue und rote, und zusätzlich noch lila und blassblaue Arbeiter zu erzeugen. Die werkeln dann an 44 verschiedenen Arbeitsplätzen, um in einem dreistufigen Produktionsprozess Rohstoffe (Holz, Kohle, …), einfache Produkte (Würste, Champagner, …) oder komplexe Produkte (Glühlampen, Kanonen, …) herzustellen.
Wir erzeugen auch „Handelsplättchen“, mit denen wir fremde Produktionsstellen anzapfen können und wir erzeugen „Erkundungsplättchen“, mit denen wir unsere Region erweitern, Doppelzüge bezahlen und andere Aufgaben erledigen.
Wenn unsere Arbeiter „erschöpft“ sind – oder unsere benötigten Produktionsplätze belegt sind, oder warum auch immer -, holen wir sie zurück in die Ausgangsstellungen – jeder Spieler asynchron nach eigenen Gutdünken – und setzen sie anschließend wieder neu ein.
Pro verwendeten Arbeiter bekommen wir auch noch einen Pass, der Siegpunkte einbringt, wenn wir ihn mittels Rohstoffen / Produkten / Plättchen losgeworden sind. Wer alle Pässe losgeworden ist, bekommt dafür noch ein paar weitere Siegpunkte und leitet das Spielende ein.
WPG-Wertung: Aaron: 6-7 (Tüftelei mit fraglichem Wiederspielreiz, der Spannungsbogen stimmt nicht, ein Ticken zu lang), Günther: 5-6 (bemängelte weniger das Spiel als das falsche Spielerverhalten: sie bemühen sich zu wenig, schnell mal eben die Pässe loszuwerden), Walter: 5 (keine aggressive Interaktion, jeder werkelt friedlich vor sich hin; das ständige Scannen der eigenen Möglichkeiten unter Ausnutzung von einträglichem Fremdgehen ist die einzige Herausforderung des Spiels, ora et labora sine gaudio).
Günther spielte überraschend schnell und akzeptierte die Maxime, dass es beim ersten Spielen mehr ums Kennenlernen als um das Gewinnen geht. Deshalb wurde er hinter Aaron auch nur Zweiter. Mal sehen, wann er das nächste Mal diese Maxime akzeptiert. Wir haben trotzdem 2 1/2 Stunden im Jahre 1800 gearbeitet.
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15.05.2024: Unterirdisch
Nach einer Stunde Palavern über das richtige Braten von Rindersteaks, sowie über die Gründung von neuen politischen Gruppierungen mit irrwitzigen Zielvorgaben und über die schwachsinnigen Slogans auf den Wahlplakaten ALLER Parteien, für die sie auch noch Millionenbeträge aus Steuergeldern kassieren, ging es ans Spielen.
1. “Underwater Cities”
Günther durfte eine Stunde lang die Regeln wiederholen, die wir uns vor fünf Jahren schon einmal angetan hatten. (Warum hat es eigentlich so lange gedauert?!) Er hatte das Spiel auch schon im Vorfeld angekündigt und Walter war eingedenk der definitiven Geschmacksänderungen unserer älteren Herren sowie von Aarons damaliger Kritik “das Spiel ist unheimlich zäh, die Langsamkeit hat extrem genervt, diese Herumoptimiererei ist ohnehin nicht mein Fall“) etwas skeptisch. Doch Aaron lenkte ein: „Zu viert, mit zwei Optimierern, reiße ich mich nicht um solche Spiele, zu dritt [mit nur einem Optimierer] ist das alles noch halbwegs erträglich.“
Jeder entwickelt seine Unterwasserwelt, legt Städte an, verbindet sie mit Tunnels (oder zeitlich umgekehrt), bestückt sie mit Fabriken für Brot und Arbeit, upgradet alle möglichen Dinge, und freut sich wenn alles schön grünet und blüht.
Die einzelnen Züge werden über Worker-Placements gesteuert, die jeweils verschiedene Entwicklungsrichtungen zulassen und innerhalb des Spiels eine gewisse (erhebliche) Konkurrenz darstellen. Ohne ein freies Feld für Städtbau oder für Tunnelbau kann ich die entsprechenden Objekte nicht bauen, und bei freien Feldern benötige ich auch noch die für jedes Objekt unterschiedlichen geforderten Ressourcen, die ebenfalls nur auf wenigen definierten Placements zu haben sind.
Zusätzlich zum Platzieren eines Workers darf ich auch noch eine von meinen drei Handkarten ausspielen, die genauso wie die Placements Ressourcen liefern, Bautätigkeit erlauben und ähnlichen Schnickschnack. Hierbei gibt es eine Besonderheit: den Segen einer Handkarte darf man nur nutzen, wenn diese Handkarte die gleiche (abstrakte) Farbe aufweist, wie der (abstrakte) Untergrund des Placements, auf dem ich meinen Worker untergebracht habe. Bei unterschiedlichen Farben verfällt dieser Segen.
Ein Vorteil dieses Mechanismus: Ich brauche für meinen Zug u.U. nicht alle möglichen Placements abzuchecken, sondern nur diejenigen, für deren Farbe ich auch eine Handkarte besitze. Das fördert die Geschwindigkeit mit der Entscheidungen gefällt werden können. Auch unser Optimierer Günther war heute erträglich schnell. In drei Stunden hatten wir in konstruktiver Kontemplation das für 80 bis 150 Minuten vorgesehene Spiel absolviert. Am Westpark fast eine Rekordzeit. Und die Zeit verging wie im Flug.
Spiel-philosophischer Diskussionspunkt bei Spielende: Die Handkarten werden in drei verschiedenen, sich in der Wirkung steigernden Stapeln auf den Markt gebracht. Ist diese Dreistufigkeit jetzt ein „spielmechanisch schwaches Designelement“ oder darf man dieses Detail kritiklos befriedigt zur Kenntnis nehmen? Aaron war der Meinung, dass der – von uns sehr geschätzte – Autor Vladimír Suchý es sich noch etwas mehr Denkschmalz hätte kosten lassen sollen, um Mechanismen zur Steigerung der Dynamik zu erfinden. Günther ist in solchen Diskussionen immer auf der Seite des Autors und verteidigte das in vielen anderen Spielen ebenfalls eingeführte Prinzip. Ist es ausschließlich eine Geschmacksfrage?
WPG-Wertung: Trotz Kritik und Gegenkritik blieben wir alle bei unseren Punkten: Aaron und Walter bei 7, Günther bei 8.“
24.04.2024: Thematisch Silber schürfen
Wann sind Spiele “thematisch”?
Diese Frage kann man natürlich untereinander erörtern, aber warum sollte man dazu nicht eine objektive Instanz fragen? ChatGPT zum Beispiel. Hier die Antwort:
„Natürlich ist die Definition von “thematisch” subjektiv, und jeder Spieler kann dies anders empfinden. Für mich persönlich ist ein Spiel thematisch, wenn der überwiegende Teil der Handlungen und Komponenten im Spiel in Bezug auf das Thema begründbar und korrekt im technischen oder historischen Sinn ist. Dabei geht es darum, dass der Spieleautor ein Thema auswählt, es recherchiert und dann die ausgewählten Aspekte konsequent in einem Spiel umsetzt. Die Mechanismen im Spiel sollten dem Thema folgen und es bestmöglich repräsentieren. Während des Spielens sollten meine Gedanken sich wirklich um das Thema drehen und nicht um abstrakte Abläufe oder Ressourcen. Es geht darum, in die Welt des Themas einzutauchen und sich von den Spielmechanismen mitreißen zu lassen.“
Frage am Westpark: „Ist 1830 thematisch“? Einhelliige Antwort: Ja! Wir fühlen uns als Direktoren und Aktionäre von Eisenbahn-Gesellschaften, wir verbinden Städte, wir freuen uns oder leiden mit dem technischen Fortschritt, der bessere Lokomotiven auf den Markt bringt und unsere alten verschrotten lässt, und wir lauern ständig darauf, wie wir durch Aktivitäten auf dem Aktienmarkt selber reicher werden und eine Konkurrenz ggf. in den Ruin getrieben werden kann.
In diesem Sinne fanden wir unsere letzten Spiele “Bier-Pioniere” oder „Botanicus“ nicht thematisch. Material und einige Abläufe sind zwar aus dem Thema geschöpft, doch unsere Gedanken sind weder beim Bierbrauen noch in der Gärtnerei, sondern wir hantieren mit abstrakten Ressourcen um Siegpunkte.
Wie steht es damit nun in:
1. “Kutná Hora : Stadt des Silbers”
Der anerkannte Verlag „Czech Games Edition“, von dessen zahlreichen Spielen schon vier bei uns den Titel „Spiel des Monats“ bekamen, hat sich für dieses Spiel mit dem Silberabbau von Kutná Hora beschafft.
Wir agieren im Bergbau, graben tiefer und sterniger; wir kaufen Grundstücke, reichen Baugenehmigungen ein und bauen – in Konkurrenz – Gildehäuser sowie öffentliche Gebäude. Wir mehren unsere zünftigen Einkommensquellen, erwerben uns Reputation – damit wir alles billiger erhalten können -, lassen Patrizier singen, bauen am Dom der heiligen Barbara und können alles früher oder später in Siegpunkte ummünzen.
Das Regelheft hat sich viel Mühe gegeben, die einzelnen Aktivitäten thematisch zu begründen, Günther hat sie in seiner wie immer kompetenten ausführlichen Erklärung aber alle überlesen dürfen. Es ist doch egal, vielleicht sogar von selber einsehbar, dass ein tieferes Graben im Bergwerk eine höhere Ausbeute findet und dass unser Gildenhaus mehr einbringt, wenn es neben Bürgermeisteramt und Kirche steht. In jedem Fall sind die Mechanismen und die Siegpunktausschüttungen, mit den wir es zu tun haben, abstrakt, ausschließlich abstrakt. Es ist zwar ersichtlich, dass die Preise steigen, wenn die Bevölkerung wächst und dass sie fallen, wenn die Produktion steigt, aber man staunt nur über darüber, wie diese Effekte ausgelöst werden, und wie so manche brave Aktion eines Mitspielers uns ungewollt-gewollt die Preise verhagelt. Und im Bergwerk finden wir kein Silber, für das wir im nächsten Wirtshaus eine Runde ausgeben dürfen, sondern Einheiten auf unserem Sternenkonto, die erst sich erst am Spielende via Mehrheiten in Siegpunkten auswirken.
Aaron: „Es wäre ein Wunder, wenn es nicht auch noch [abstrakte] Zielvorgaben gegeben hätte.“
Vergessen wir das Thema. Günther: „Alle komplexen Spiele sind gleich!“.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (ich habe selten so ein seelenloses Spiel gespielt; die Preis-Interaktion – für Rohstoffe und Gebäude – ist ungewollt bis zufällig), Günther: 6 (ich bin von diesem Spiel nicht ganz überzeugt), Moritz: 6 (ich hatte keine Strategie und keinen Plan – na ja, ein bisschen Reputation kann ja nicht schaden -, sondern ich habe mich immer nur nach den aktuellen Gelegenheiten gerichtet. [WS: Es hat zum Sieg gereicht.]), Walter: 6 (alles ist rund und schön, aber undurchsichtig und abstrakt; für ein erfolgreiches Spiel ist man davon abhängig, dass Mitspieler ähnliche Interessen verfolgen, aber nicht zu intensiv).
Thema Wartezeit:
Walter bemängelte, dass jeder Spieler beim Schürfen im Bergwerk aus einer Anzahl zufällig gezogener Bergwerksplättchen sich eines aussuchen darf. Das kostet Wartezeit, die alle Mitspieler ertragen müssen. Wartezeig sei grundsätzlich ein negatives Element im Spieldesign. Von Günther kam dazu erheblicher Widerspruch. Er schwelgt ja wo immer es geht in seinen Auswahl- und Optimierungsmöglichkeiten, und dass die Mitspieler darob warten müssen, hat ihn noch nie gestört. Aaron beschwichtigend: „Das Spiel hat ohnehin viele Wartezeiten.“ – Offiziell spielt man die 5 Runden á 5 Entscheidungsmöglickeiten in 2 Stunden. Am Westpark sind das natürlich eher vier…
17.04.2024: Botanici
1. Der jüngere “Botanicus”
Ein neues Spiel von Hans-im-Glück musste sich unser HiG-minded Günther natürlich sofort zulegen. Vielleicht schimmert vom einstigen Glanz dieses Hauses ja noch etwas durch.
Wir sind Gärtner und ziehen Blumen. Pflanzen, Düngen und Gießen sind die wichtigsten Tätigkeiten in unseren Beeten. Dazu müssen wir unseren einzigen Aktionsstein in Konkurrenz zueinander Tag für Tag in eine von vier Workerplacement-Positionen (täglich abwechselnd) bringen und uns damit auf den zugehörigen Entwicklungsschienen vorwärtsbewegen, die uns diese Tätigkeiten erlauben. Mit unterschiedlichen Quantitäten und teilweise auch gemischt.
Beim Pflanzen sind unsere Blumen gelb und bekommen mit jedem Gießen eine andere Farbe, erst rot, dann grün, dann blau. (Eine etwas unlogische Farbgebung: Frisch gepflanzte Blumen sind normalerweise grün und bekommen erst später eine Farbe. Was sich der Graphiker hier gedacht hat, bleibt sein Geheimnis.)
Jeder Spieler hat den gleichen fast-rechteckigen Garten mit fünf bis sechs Beeten pro Zeile und Spalte. Für bestimmte erzielte Blumen-Farbkombinationen in den Zeilen bekommt man während des Spiels Siegpunkte; für vollständig gefüllte Spalten bekommt man am Ende Siegpunkte.
Ein paar Schnörkel für weitere Siegpunkte sind ebenfalls noch eingebaut. Alles brav und schön und als Spielmechanismus mehr oder weniger bekannt. Als Gärtner fühlen wir uns nicht, auch wenn wir eine entsprechende Figur durch unsere Felder bewegen und nur in ihrer unmittelbaren Umgebung gärtnern dürfen.
WPG-Wertung: Günther: 6, Moritz: 6 (ausgereiftes Familienspiel), Walter: 6 (für meine Enkelin geeignet).
2. Der erfahrene “Botanicus”
Kein anderes Spiel, sondern das gleiche „Botanikus“, nur um die Regeln für Fortgeschrittene erweitert. Moritz reagierte zuerst abweisend, als Günther gleich eine Spiel-Wiederholung ansteuerte, aber mit den noch unbekannten Expertenregeln konnte er seiner unersättlichen Neugier doch etwas Nahrung geben.
Jetzt bekommt jeder Spieler einen topologisch anderen, asymmetrischen Garten. Die Bewegung unseres Gärtners – später bekommen wir sogar noch einen zweiten dazu – werden teurer, d.h. wir müssen uns deshalb regelmäßig auch stärker um die Aufbesserung unserer Kasse bemühen. Jeder Spieler erhält zu Beginn und im Laufe des Spiels auch noch Karten mit individuelle Zielvorgaben für eine individuelle Siegpunktausschüttung. Und die tierischen Gartenmitbewohner, die wir in der Familienversion als reine Siegpunktlieferanten betrachten können, bekommen für die Experten noch eine zusätzliche strategische Bedeutung.
WPG-Wertung: Moritz: 7 (die Expertenversion ist viel interessanter; bemerkenswert für HiG, dass sie ein Spiel auf den Markt gebracht haben, das sowohl in der Familie gespielt werden kann, als auch für anspruchsvolle Spieler reizvoll ist; die Spieldauer ist kurz und perfekt), Günther: 7 (ich schließe mich Moritz vollinhaltlich an), Walter: 6 (das Spiel ist nicht besser, nur komplexer geworden; kein einziges spielerisches Element ist dazugekommen, für meine Enkelin aktuell noch nicht geeignet; mein Dabeisein bei den Operation Research Analysten vom Westpark ist nicht erfüllender geworden).
Aaron war heute nicht dabei, aber auf eigene Gefahr und Rechnung würde ich seine Wertung für „Botanicus“ genauo so wie seine von letzter Woche für „Bier-Pioniere” einschätzen: „Keine Wertung für Spiele, die mir überhaupt nicht gefallen, stumpfsinniges Optimierungspuzzle, kein Thema [WS: Zumindest kam wohl bei keinem Mitspieler das Gefühl auf, Gärtner zu sein])“
3. “5 nimmt!”
Vor Moritz‘ vorletzter U-Bahn wollten wir uns noch Irgendeinen kleinen Absacker gönnen. Warum nicht dieses gefällige kleine Spiel, das zu unserem zehn am häufigsten aufgelegten Spielen gehört?
Walter schlug vor, die Expertenversion zu spielen, wo man Karten auch an den Beginn einer Reihe legen darf, ohne gleich die Reihe kassieren zu müssen. Damit wird der Zufall der Kartenverteilung gemildert und jeder Spieler darf sich ein paar mehr Gedanken darüber machen, in welcher Reihenfolge er seine Kartenhand abspielen möchte. Aber Günther ist ein entschiedener Gegner dieser Version und argumentierte mit unserer Absacker-Situation. Kein überflüssiges Denken mehr nach Mitternacht. Auch Moritz schlug in diese Kerbe, dagegen konnte Walter natürlich nicht anstinken.
In unserer 3er Runde zeigte sich aber schon nach zwei Durchgängen die Schwäche des Spiels, nämlich dass man mit einer bestimmten Kartenhand vom Schicksal schwer gebeutelt wird. Friedlich brachen wir ab und entließen Moritz zu seiner U-Bahn.
Keine neue WPG-Wertung für ein hervorragendes 8-Punkte-Spiel. Walter würde seine 9 Punkte aber nur noch für die Expertenversion vergeben.
10.04.2024: Oldtimer
Wann ist ein Spiel ein „Oldtimer“. Bis ins vierte Jahrhundert vor Christus brauchen wir wohl nicht zurückzugehen (wie für „Go“), auch nicht bis ins sechste Jahrhundert nach Christus (wie für „Schach”). Für uns zählen schon die ersten Preisträger vom „Spiel des Jahres“ zu den Oldtimern. Sie haben ein definitiv anderes Design als die Spiele der modernen Modetrends und versorgen uns mit deutlich spartanischerem Spielmaterial. Heute haben wir uns mal wieder zwei dieser Oldtimer zu Gemüte geführt.
1. “Yspahan”
Vor 18 Jahren hat es das Licht der Welt erblickt und bei uns gleich sehr gut gepunktet. Um es genau zu sagen: nach der „Bayesian Wertung“ ist es in der ewigen Bestenliste vom Westpark die Nummer 1.
10 mal lag es bei uns auf dem Tisch, das letzte Mal vor 13 Jahren. Inzwischen ist es der Favorit von meinem Sohn und seiner Familie, inklusive seiner 9-jährigen Tochter. Vom Westpark inspiriert! Ein erfreulicher bleibender Wert unserer Datenbank.
Auch heute hat uns das Spiel um Basare, Kamele, Gold und Siegpunkte sehr gut gefallen. Sehr rund in den Regeln, ausbalanciert in Planung bzw. Strategie und Taktik versus Zufall, übersichtlich und spielerisch.
WPG-Wertung: Auch wenn wir heute nicht mehr alle unisono die hohen 9 Punkte vergeben würden, verdient es doch einen Spitzenplatz unter den guten Spielen dieser Welt.
2. “Wikinger”
Ein Jahr jünger als „die Wikinger“ und nur dreimal bei uns auf dem Tisch, gehört es vom Charakter und Feeling doch in die Reihe der goldenen Spiele aus dem ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts.
Jeder kämpft mit Inselteilchen, einem Anfangs-, beliebig viele Mittel- und einem Endstück, die er in einem topologischen Puzzle so in seine Region einbauen muss, dass er genügend Geld für notwendige Investitionen zusammenbekommt, schlussendlich natürlich die meisten Siegpunkte, aber auch genügend Nahrung (Fische) für sein Volk, Schutz gegen die bösen Wikingereinfälle, und Bootsleute, die seine Nordmänner auf die zugehörigen Arbeitsplätze verteilen.
Bemerkenswert und hübsch ist das Auswahlrondell, nach dem ein jeder Spieler Inselteil und Nordmann-Funktion aussucht.
WPG-Wertung: Die 8 Punkte, die jeder von uns damals vergeben hat, wurden nicht zur Diskussion gestellt.
04.04.2024: Bier Pioniere
1. “Bier-Pioniere”
Wir sind Erfinder neuer Biersorten bzw. Ingenieure für die peripheren Techniken um die Braukunst (die einzelnen Personen sind nicht so wichtig, wir haben sie uns eh nicht näher angeschaut) und machen uns um die Biere dieser Welt verdient.
Wir erfinden Rezepturen, kochen den Sud, lassen das Bier reifen, füllen es ab und verkaufen es. Dazu müssen wir natürlich auch Fässer kaufen und im Braukeller für die Abfüllung vorbereiten.
Wichtig sind mittelfristige Aktionen zur Steigerung der Effizienz unseres Betriebes: Potentere Mitarbeiter, die auch noch Nebentätigkeiten ausführen können, mehr Biersorten, schneller reifende Biersorten, beschleunigte Reifung, größerer Umschlag von Fässern und der generelle Ausbau unserer Brauerei.
Unsere Aktionen werden durch Karten beeinflusst, die unsere Handlungsfreiheit in gewissen Grenzen kanalisieren, aber eine überlebenswichtige Funktion haben sie nicht, wir müssen sie halt in unserem recht großen Handlungsspielraum flexibel berücksichtigen.
Natürlich wäre es schön, wenn wir eine Vision hätten, wie sich unsere mittelfristigen Investitionen auf unser Gesamtergebnis auswirken, aber nach einem einzigen Spiel hatte keiner von uns dazu einen klaren Peil.
Leider – vielleicht auch glücklicherweise – gibt es praktisch keine langfristige Planung: Wenn wir uns eine entsprechende selbstlaufende Maschinerie zusammengebastelt hätten, wäre das Spiel auch schon zu Ende. Es war in etwa genauso schnell zu Ende, wie wir für Günthers kompetente Einführung gebraucht haben (knapp 2 Stunden).
Immerhin, nachdem wir die vielen, vielen Spielelemente alle kennengelernt hatten, hatten wir sie auch schon verstanden und konnten sie durch uns die hervorragende Ikonographie auch merken.
WPG-Wertung: Aaron: 4 (eigentlich keine Wertung für Spiele, die mir überhaupt nicht gefallen, stumpfsinniges Optimierungspuzzle, kein Thema [WS: Zumindest kam wohl bei keinem Mitspieler das Gefühl auf, Bierbrauer zu sein]), Günther: 7 (mir gefallen diese Spiele, das Besondere ist hier speziell noch der Race-Effekt: Wer als erster eine bestimmte Anzahl Siegpunkte verbuchen konnte, ist Sieger und leitet das Spielende ein), Moritz: 8 (viele schöne Elemente, thematisch geglückt, bei vielen Aktionen konnte man sich den zugrundeliegenden Ausschnitt einer Brauerei-Wirklichkeit gut vorstellen), Walter: 5 (eigentlich ist das Spiel in seiner Konstruktion und Stimmigkeit 8 Punkte wert, doch schweißtreibende, wenig spielerische Optimierung ist auch nicht mein Fall).
2. “Flaschenteufel”
Ein Stichkartenspiel mit einer ganz eigenen Charakteristik. Schon 35 mal am Westpark gespielt, das letzte Mal allerdings vor gut 8 Jahren, so dass eine Wiederholung von Regeln und ergonomischer Handhabung notwendig war.
Zusätzlich hatten wir auch die Taktiken für gutes Spiel vergessen. Es war zwar noch klar, welches die „kritischen“ Karten sind, die man rechtzeitig losgeworden sein sollte, aber wie und wann man das am gefahrlosesten tun kann, darüber gab es einige individuelle, und dann natürlich peinliche Missverständnisse.
Schlusssatz von Moritz: „Man müsste es eigentlich häufiger spielen.“ [WS: Nicht zum Lernen, sondern zum Genießen.]
Keine neue Wertung für ein 7,3 Punkte-Spiele. Warum war es bei uns eigentlich nie „Spiel des Monats?“. Vielleicht weil es zu seiner Zeit – 2003 – zu viele gute Spiele gab? Ach richtig, wir haben erst ein Jahr später mit dieser unserer Rubik angefangen.
20.3.2024: Hatte die Arche Noah auch Wassertiere mitgeführt
1. “Arche Nova : Wasserwelten”
Die dicke Maschinerie mit gefühlten tausend Rädern und Rädchen von „Arche Nova“ wurde um ein paar weitere Rädchen erweitert: es gibt jetzt auch ein paar Wassertiere, für die natürlich Wasserbecken bereitgestellt werden müssen. Das Regelwerk dazu brauchte nicht umgeschrieben zu werden.
Wir legen nach wie vor Gehege an (jetzt auch mit Wasser) und platzieren darin unsere Tiere (jetzt auch Fische). Nebenbei fördern wir Forschung und Wissenschaft, spendieren für Naturprojekte und Siegpunkte, und lassen uns Runde für Runde unsere Entwicklungsstand in Geldmittel honorieren.
Günther und Moritz schwelgten in den Möglichkeiten und Aktivitäten individuellen Fortschritts. Sie lieferten sich ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen, loteten pro Zug akribisch ihre jeweils hundert Optionen mit ihren tausend Abhängigkeiten aus und taxierten sich abwechselnd und gegenseitig als den Führenden, bis der Künstler schließlich nach dreieinhalb Stunden – in einer Dreierrunde! – um Haaresbreite über den Wissenschaftler siegte.
Walter verschleuderte seine Barschaft in riesigen Wasser- und Wiesengehegen, die er anschließend mit billigen Blindschleichen bevölkern konnte. Doch „Arche Nova“ ist kein Gießkannenspiel, dass seinen Segen über ad hoc zusammengestellte Spielzüge ergießt. Flexible Anpassung an Tier- und Sponsoren-Karten ist höchstens in der ersten Runde sinnig, wenn überhaupt. Es gilt, zu jedem Zeitpunkt ganz konsequent, lang- und mittelfristige Ziele zu haben und zu verfolgen. Wenn Walter am Ende auch noch auf dem Treppchen landete, dann ist das mehr als euphemistisch ausgedrückt, anstelle von Euphemie wäre eher Kakothanasie angebracht gewesen.
WPG-Wertung: Günther und Moritz blieben bei ihren 8 bis 9 Punkten, Auch Walter findet das Spiel zwar eine großartige konstruktive Leistung, für ihn sind aber zu viele Rädchen daran; 6 Punkte für eine mühsame, solitäre Rechnerei. Hier auch noch Aarons Wertung vom letzten Jahr: „5 Punkte. Mir geht es hier wie bei „TM“: von Mal zu Mal habe ich weniger Spaß daran“.
13.03.2024: Aufstand und Empörung
1. “Dune Imperium Uprising”
Das Dünenimperium inszeniert einen Aufstand. Vieles ist gleichgeblieben zum Basisspiel “Dune Imperium” (vgl. Sessionreport vom 22. Juli 2022). Neu sind Sandwürmer als Hilfstruppen im jeweiligen Rundenkrieg. Sie sind anderthalbmal so stark wie die regulären Truppen und verdoppeln die Prämien für den Sieg bzw. für die Trostpreise. Und es gibt Spione, die außer ein paar Sekundäreffekten vor allem nützlich sind, um von Mitspielern belegte Arbeitsplätze als Trittbrettfahrer ebenfalls nutzen zu dürfen.
Ansonsten ist der Charakter des Spiels als Workerplacement mit leichter Deckbuilding-Tendenz erhalten geblieben. Wir spielen Imperiumkarten aus, um die Arbeitsplätze zu besetzen, wo es verschiedenerlei Ressourcen gibt, wo Ressourcen – mit Gewinn – in andere Ressourcen umgewandelt werden, wo wir Krieger rekrutieren und / oder auf dem Kriegsschauplatz zum jeweiligen Rundenfinale ins Rennen schicken können. Und überall lauern Siegpunkte.
Damals, vor anderthalb Jahren beteiligte sich Walter nur einmal am Kampf, verlor dabei ohne jeglichen Ertrag alle seine regulären Truppen und damit auch die Lust an weiteren Kämpfen, praktizierte im Weiteren wie gewohnt seinen leicht orientierungslosen Arbeitereinsatz, und wurde dabei NICHT LETZTER. Heute ging er das Spiel a priori ohne Ehrgeiz an, beteiligte sich auch ohne scharfe Rechnerei an einigen Kämpfen, die er überraschenderweise – na ja, auch mit Hilfe einiger glücklicher Intrigenkarten – fast alle gewinnen konnte und beendete das Spiel als SIEGER. Seine Mitspieler folgten mit jeweils einem Punkt Abstand zueinander dahinter.
Fazit: Wenn Walter ein Spiel mit diesem Charakter gewinnt, dann kann es keine große planerische Herausforderung sein. Es ist eher ein Gießkannenspiel, das seinen Segen auf die vielen aufgehaltenen Teller, Schlüsseln und Tassen herabregnen lässt, und wer Glück hat, bekommt etwas mehr Segen ab als der andere.
WPG-Wertung: Aaron: 4 (das Spiel ist komplexer aber nicht besser als die Basis; 3 ½ Stunden Spielzeit ist viel zu lang, auch wenn wir am Westpark standardmäßig länger denken als anderswo; man wird von den Karten gespielt), Günther: 5 (genauso viel wie für die Basis; wollte zuerst einen Punkt weniger geben, aber 4 Punkte kamen ihm dann doch zu schäbig vor; die vielen Zufallseffekte im Spiel muss man halt akzeptieren; für effektives Deckbuilding gibt es wenig Chancen), Moritz: 8 (1 Punkt weniger als für die Basis. Thematisch für diejenigen, die das Buch kennen [ach ja, das gibt es ja auch noch] sehr gut umgesetzt), Walter: 5 (bleibt; bei einem emotionslosen Herangehen ist kein nennenswerter Qualitätsunterschied zwischen beiden Versionen zu erkennen).
2. “Trio”
Vor knapp 4 Monaten lag dieser Quartett-Ableger erstmals bei uns auf dem Tisch und erntete verhaltene Noten. Nur Moritz vergab euphorische 8 Punkte („für Kinder ab 7 Jahren perfekt“). Heute erwischte es ihn auf dem total anderen Fuß: „Vollkommen uninteressant, vollkommen bescheuert; man wird nur gespielt. Ich habe da nie und nimmer 8 Punkte vergeben“.
Vielleicht lag dieser Umschwung auch daran, dass wir diesmal regelkonform gespielt haben und derjenige, der ein Trio erfragt hatte, nicht weiterraten durfte. So wird der rasante Schlusseffekt – leider – vermieden und das Spiel dümpelt seinem Ende entgegen.
Vielleicht war die Notengebung im November 2023 auch ein reiner Fake. Von wem auch immer.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (bleibt), Günther: 6 (für Nicht-Spieler ganz nett), Moritz: 2 (Memory mit Ringelpiez ohne Anfassen), Walter: 4 (bleibt).
06.03.2024: Alte Liebe
Am 23.Oktober 2008 war Thomas d.J. zum letzten Mal bei uns am Westpark. In den folgenden 5613 Tagen war er praktisch verschütt gegangen, nur seine Eltern berichteten von Zeit zu Zeit Episoden aus seinem Leben. Jetzt hat er sich wieder gemeldet, kam vorbei und auch sofort wieder an, und wir konnten mit Freude feststellen, dass er nichts von seiner spritzigen Jugendlichkeit verloren hat.
1. “50 Clues: Aus der Gefahrenzone”
Das Spielmaterial war eine Beilage aus der letzten „Spielbox“, und Günther wollte das Deduktionsspiel gemeinsam im Team am Westpark lösen lassen. Fünf kluge Köpfe hatten keinerlei Schwierigkeiten mit dem Rätsel um Bornholm. Absolut flüssig und sogar fehlerfrei wurden Hinweise, Zahlen und Codes entschlüsselt. Erst glücklich gerettet im Rettungsboot ließen wir unsere scharfe Beobachtungsgabe etwas abschlaffen und drifteten leicht nach Osten ab.
Keine WPG-Wertung.
2. “Key to the City: London”
Spieleautor Richard Breese ist immer noch mit seinen Schlüsselerlebnissen unterwegs. Wir ersteigern Hexateile mit dem abstrahierten Stadtplan von London und verbinden sie durch Brücken. Wir lassen uns dort produzierte Güter geben, um damit unsere Stadtteile zu entwickeln, mehr Güter pro Einsatz und schlussendlich auch mehr Siegpunkte zu bekommen.
Der enthaltene Biet-Mechanismus ist nicht so schlimm, wie er sich liest. Die Balance zwischen den begehrten Objekten und der vorhandenen Knete sorgt dafür, dass jeder etwas bekommt.
Dass man gut und richtig kalkulieren muss, um das Spiel zu gewinnen, ist klar. Aber wie beim Bridge gewinnt nicht der, der am besten spielt, sondern der, der die wenigsten Fehler macht. Denn Fehler zu machen ist in diesem mehrstufigen, leicht autistischen Puzzlespiel nahezu unvermeidlich.
In der dritten Runde hatten wir die zu ersteigernden Hexa-Plättchen fälschlicherweise nicht auf der Upgrade-Seite ausgelegt. Hätten wir diesen Regelfehler zur Inbesitznahme der Plättchen noch konrrigieren sollen? Oder wäre ohne Regelfehler ein komplett anderer Versteigerungsprozess herausgekommen? Mit 4:1 entschieden wir, wie gehabt fortzufahren. Ohnehin wäre es nur um ein paar Erbsen mehr gegangen.
Günther gewann mit 25 Prozent mehr Siegpunkten als der Zweite.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (ein rein abstraktes Spiel um eine Auto-Optimierung; die letzte Runde fand ich total langweilig: nur noch ausbauen, was man bis dahin erstanden hat; „Keyflower“ war – in meiner Erinnerung – besser), Günther: 7 (wie angekündigt ist das Spiel gegenüber „Keyflower“ erfolgreich gestreamlined), Moritz: 6 (die Punkte-Zählerei ist eher nervig), Walter: 5 (mit dem Bietmechanismus kann ich leben, das Handling der Hexagons und der Brücken ist schwerfällig; die Icon-Unterstützung gut, doch die Unterscheidung zwischen Vorder- und Rückseite etwas unglücklich; es fehlt ein Knalleffekt), Thomas 5 (man kann beim Spiel-Kennenlernen nette anderthalb Stunden damit verbringen, wobei zum „nett“ auch die eingebauten Zufallseffekte beitragen; bei häufigerem Spiel sind die dann eher kontraproduktiv).
3. “Parade”
Vor neun Jahren lag das Strafkarten-Vermeidungsspiel zum ersten Mal bei uns auf. Vor siebeneinhalb Jahren das zweite Mal, und keiner konnte sich mehr daran erinnern. Heute also zum dritten Mal und wieder durfte Aaron ungestört die Spielregeln vortragen, während die anderen andächtig lauschten.
In dem im Prinzip einfachen Mechanismus, von einer Farbe entweder keine oder nur wenige niedrigwertige oder die aber meisten, dann aber egal von ihrer Wertigkeit, zu erhalten, hatten wir die wichtige Regel über die „Sicherheit“ von ausliegenden Karten übersehen. Damit war der Spielverlauf eher Mau-Mau-artig und wir wunderten uns über die damals vergebenen relativ guten Noten.
Als wir den Regelfehler erkannten, wurde das Spiel wieder taktisch und strategisch, und alle Karten von allen Farben und allen Zahlenwerten bekamen ihre individuelle Bedeutung und Nützlichkeit. Moritz gewann, trotz bzw. gerade deshalb, weil er von den meisten Farben auch die jeweils meisten Karten hatte.
WPG-Wertung: Im Feld von bisher 2 mal 7 und 3 mal 6 Punkten ordnete sich Thomas bei den 6ern ein.
21.02.2024: Tamerlan ante portas
1. “Vijayanagara”
Der antike Mittelmeerraum wird millionenfach als Szenerie für Kriegsspiele genutzt. Das Deutsche Reich für verspielte WWII-Simulationen ist im Wesentlichen für amerikanische Spieleautoren ein willkommenes Fressen. In „Vijayanagara“ liefert jetzt der indische Subkontinent die zugehörige geographische und militär-politische Kulisse.
Wir sind mitten im „Sultanat von Delhi“, dem bedeutenden islamisches Reich in Nordindien, das ab dem 13ten Jahrhundert den gesamten Subkontinent beherrschte. Innerlich war das Sultanat nicht sonderlich stabil; Revolten der Statthalter und der unterworfenen Hindu-Fürstentümer füllten seine Geschichte aus.
In „Vijayanagara“ wird diese Situation mit drei Parteien von absolut asymmetrischen Ausgangs- und Entwicklungsbedingungen dargestellt. Ganz im Süden sind die „Gelben“ angesiedelt, die ihre militärische Potenz durch Tempel fördern, in der Mitte gibt es die „Blauen“, die es eher mit dem Festungsbau halten. Beide Gruppierungen sind zu Spielbeginn den „Schwarzen“ im Norden tributpflichtig, die mit einem gewaltigem Startvorsprung antreten, aber sich von Zeit zu Zeit (ziemlich häufig) der „Mongolenstürme“ aus den Gebirgspässen im Nordwesen erwehren müssen, und dabei massiv Federn (in Form von Armeen und Militärhaushalt) lassen müssen.
Wenn Tamerlan auftritt – leicht zufällig gesteuert durch die Aktionskarten -, gibt es eine letzte Schlacht um Delhi und das Spiel ist zu Ende.
Von der Militär-Geographie her, mag das ein realistischen Szenario sein. Von der Spieltheorie her trägt es einen gewaltigen Designfehler in sich: In einem Dreier-Kampf-Spiel ist es praktisch unausweichlich, dass zwei Kontrahenten ein Bündnis schließen und sich nicht gegenseitig ans Leder gehen, sondern immer nur gegen den Dritten. Das ist die logische Umkehrung des Sprichwortes: „Wenn sich zwei streiten, freut sich der Dritte.“ In “Vijayanagara” ist dieses gelb-blaue Bündnis sogar offensichtlich gewünscht, denn die Schwarzen sind der gemeinsame Oberherr, dessen Herrschaft gebrochen werden muss. Aber so funktioniert das Spiel hier nicht.
Moritz spielte die Schwarzen; er wurde von den Mongolen mehr als nötig gerupft und hatte gegen das unisono Vorgehen seiner beiden Kontrahenten einen schweren Stand. Als seine Felle sichtbar davonschwammen, beschwerte er sich lauthals, dass der blaue Walter kein einziges Mal gegen den gelben Günther vorgegangen sei und diesem somit den Sieg überlassen habe. Ja soll der Blaue denn einen Zwei-Fronten-Krieg beginnen, um daraus als Sieger daraus hervorzugehen? Gerade als hochbetagter Deutscher sollte man sich noch daran erinnern können, dass sowas nur schiefgehen kann.
Moritz redete auf Walter ein wie ein Bauer auf seine kranke Kuh, dass er niemals gewinnen könne, wenn er nicht dem „momentan“ Führenden, d.h. Günther, ein paar Gebiete (= Siegpunkte) abknöpfen würde. Doch Walter ließ sich nicht zum Zwei-Fronten-Krieg verleiten und Günther stellte klar, dass es zweifellos kontraproduktiv für Blau und Gelb sei, sich jeweils pro Aktion immer ein Gebiet hin-und-her abzunehmen, und den Schwarzen ungestört dominieren zu lassen.
Moritz konstatierte hier einen Denkfehler und beteuerte eindringlich, dass “Vijayanagara” kein „Wargame“, sondern ein „Area Control Game“ sei. Kurze Gedankenpause: Wir rüsten Armeen aus, wir marschieren, greifen gegnerische Stellungen an und versuchen, sie (mit eleganten Kampfwürfeln) zu erobern. Was ist dann der Unterschied zwischen diesen beiden Spieltypen? BingAI weiß eine Antwort:
Ziele: Das Hauptziel von Wargames ist die Eroberung von Gebieten oder das Erreichen bestimmter militärischer Ziele; das Hauptziel von ACGs ist die Kontrolle über bestimmte Bereiche oder die Mehrheit in Regionen zu erlangen. [Wertung: Ich sehe keinen Unterschied.]
Spielerrolle: In Wargames übernehmen die Spieler die Rolle von Kommandeuren, Generälen oder Anführern; in ACGs sind die Spieler sind oft Anführer oder Herrscher. [Wertung: Ich sehe keinen Unterschied. Natürlich waren wir die Kommandeure unserer Armeen, und was, bitte schön, ist Tamerlan?]
Fokus: Wargames konzentrieren sich auf militärische Konflikte, Strategie und Taktik; ACGs drehen sich um die Kontrolle oder den Aufbau von Gebieten. [Wertung: Militärische Konflikte gibt es praktisch ausschließlich um die Kontrolle von Gebieten – höchst singulär auch mal um eine Frau -, die mit Strategie und Taktik gewonnen wird. Kein Unterschied!]
Thema: Wargames behandeln oft historische Schlachten, fiktive Kriege oder Science-Fiction-Szenarien; die Themen von ACGs können vielfältig sein – von Städten und Regionen bis hin zu Fantasy-Welten. [Wertung: 1:0 für Wargames.]
Zurück zum spieltheoretischen Design-Fehler von “Vijayanagara”:
Die Schwarzen sind übermächtig in Ausgangsposition und Zugpotenz: da ist es überlebensnotwendig, dass sich Blau und Gelb zusammentun. Eine Gegnerschaft dürfte nur im allerletzten Spielzug – der nicht vorhersehbar ist – praktiziert werden und beruht dann auf Verrat.
Wenn Schwarz schon von seiner Konstruktion her allein gegen die beiden Gegner Blau und Gelb gewinnen kann, umso mehr müssen die beiden Kontrahenten jede Aktion in die gegenseitige Zerfleischung vermeiden, um überhaupt eine Chance zu haben.
Da Gelb keine natürliche Grenze mit Schwarz hat, muss Blau ihm etwas von seinen „hauseigenen“ Gebieten als Durch- und Aufmarschgebiet gegen Schwarz überlassen. Damit bekommt Gelb automatisch einen leichten Spielvorteil.
Damit steht ein normaler Spielausgang praktisch vom Design her fest: Gelb vor Blau vor Schwarz. So war es auch bei uns.
WPG-Wertung: Günther: 5 (nicht mein Spiel), Moritz: 7 (thematisch OK), Walter: 6 (der Aktionsmechanismus mit der Auswahl von Command / Decree / Event ist gut gelungen; auch auf meine alten Tage kann ich von jedem Wargame noch etwas lernen.)
2. “6nimmt!”
Richtig, da war doch noch was: Mit “6nimmt!”-Basisversion ließen wir den Abend spielerisch ausklingen.