Archiv der Kategorie: Spieleabende

“7 Wonders” ist unser Spiel des Monats Oktober

Spiele für bis zu 7 Spieler die schnell spielbar sind und niemanden langweilen sind wirklich rar gesät: 7 Wonders schafft diese Kür mit Leichtigkeit. Durch einen attraktiven Card-Drafting Mechanismus (der an “Fairy Tale” erinnert) ist jeder Spieler immer am Zug und mit Entscheidungen beschäftigt, die Karten selber werden dann quasi gleichzeitig ausgespielt und Konflikte und Tauschgeschäfte mit den direkten Nachbarn verhandelt, was in größerer Runde auch gleichzeitig geschehen kann, ohne dass das Spiel darunter leidet. Der Empire-Building-Aspekt kommt auch nicht zu kurz – tatsächlich gelingt dem Spiel auch die passende thematische Umsetzung verschiedener antiker Zivilisationen mit unterschiedlichen Fähigkeiten. Bis auf den etwas zu hohen Preis kann dieses Spiel also rundum empfohlen werden und ist eindeutig eines der Highlights der Spiel 2010.

10.11.2010: Gleisbau in der Ägäis

Sollen und Wollen
Das Sollen wird dem Menschen auferlegt, das Muß ist eine harte Nuß; das Wollen legt der Mensch sich selbst auf, des Menschen Wille ist sein Himmelreich. … Betrachte man als eine Art Dichtung die Kartenspiele; auch diese bestehen aus jenen beiden Elementen. Die Form des Spiels, verbunden mit dem Zufall, vertritt hier die Stelle des Sollens; das Wollen, verbunden mit der Fähigkeit des Spielers, wirkt ihm entgegen. In diesem Sinn möchte ich das Whistspiel antik nennen. Die Art dieses Spiels beschränkt den Zufall, ja das Wollen selbst. Ich muß bei gegebenen Mit- und Gegenspielern mit den Karten, die mir in die Hand kommen, eine lange Reihe von Zufällen lenken, ohne ihnen ausweichen zu können; beim L’hombre und ähnlichen Spielen findet das Gegenteil statt. Hier sind meinem Wollen und Wagen gar viele Türen gelassen; ich kann die Karten, die mir zufallen, verleugnen, in verschiedenem Sinne gelten lassen, halb oder ganz verwerfen, vom Glück Hilfe rufen, ja durch ein umgekehrtes Verfahren aus den schlechtesten Blättern den größten Vorteil ziehen, und so gleichen diese Art Spiele vollkommen der modernen Denk- und Dichtart.
Diese Passage aus einem Aufsatz von Goethe kann auf die kurze Formel gebracht werden:
Bridge ist Sollen, Skat ist Wollen!
Hat der alte Frauenversteher hier auch die Kartenspiele richtig verstanden?

1. “Poseidon”
Wenn es im alten Griechenland vor 2500 Jahren bereits (schwimmende) Eisenbahnen gegeben hätte, dann wäre „Poseidon“ ein Eisenbahn- und Aktienspiel aus der Familie der „18xx“-Spiele. Helmut Ohley und seine Kumpels haben in dieser Familie schon mehrere Kinder gezeugt und ausgetragen, und haben auch in „Poseidon“ dieses ihr geschätztes Erbgut einfließen lassen. Um aber den technischen Anachronismus zu vermeiden, haben sie das Eisenbahnmilieu auf die Seefahrt übertragen. Wohl gelungen.
Anstatt Eisenbahngesellschaften zu gründen und Verkehrswege auf dem festen Lande zu erschließen, gründen wir griechische Stadtstaaten und befahren mit Schiffen das östliche Mittelmeer. Schienenwege brauchen wir dazu naturgemäß nicht, stattdessen besitzt jeder ein Erkundungsschiff, mit dem die Seewege eröffnet werden. Wir sind keine Präsidenten von Wirtschaftsunternehmen, sondern Könige von antiken Reichen. Wir handeln nicht mit Aktien, sondern mit Ämtern, wir kaufen keine Lokomotiven sondern Schiffe, unsere Aktien steigen nicht im Kurs, sondern unser Volk in seinem Ansehen.
„Poseidon“ ist gegenüber den richtigen „18xx“-Kindern leicht vereinfacht. Die verschiedenen Schiffe eines Reiches müssen keine disjunkten Strecken befahren, sondern ihre Reichweite wir schlichtweg addiert und bestimmt die Länge der Gesamtstrecke, die ein Reich befahren kann. Das erleichtert die Routenplanung und die Ermittlung des Rundeneinkommens.
Das Königstum (die Präsidentschaft) kann niemandem angedreht werden. Wenn ein Spieler in einem fremden Reich die Ämtermehrheit erworben hat, kann er freiwillig entscheiden, ob er sich zum König macht oder lieber den alten Regenten in einer Minderheitsregierung beläßt. Der alte König muß mindestens drei Ämter (Aktien) behalten, hat also ein gewisses Interesse am Blühen seines Reiches, und trägt auch alle pekuniären Risiken, falls das Reich in finanzielle Strudel geraten sollte.
Die wirtschaftlichen Härten beim Verfall der frühen, billigen Schiffe (Loks) wurden gemildert: ein Reich kann in jeder neuen Spielphase (Verkauf des ersten 4-er Schiffs, Verkauf des ersten 6er-Schiffs) neue Ämter (Aktien) vergeben, und sich damit neue liquide Mittel besorgen. Dabei ist die Anzahl der Ämter nicht fest vorgeschrieben, sondern der Präsident kann in gewissen Grenzen wählen, wielviele er beim Start bzw. bei der Erweiterung seines Reiches vergibt.
Sehr geschickt ist dabei eine neue Optimierungsaufgabe gestellt: Die Anzahl der Ämter und die Anzahl der Handelsstationen ist für jedes Reich konstant. Wer sich über eine Inflation von Ämtern zu viele Mittel besorgt, hat am Ende nicht mehr genügend freie Stationen, um sein Handelsnetz auszudehen und seine Einnahmen zu maximieren. Wer zu früh seine Ämter auf den Markt bringt, erzielt nur geringe Preise, analog dem aktuellen Volksansehen (Aktienkurs), die späteren Ämter eines florierenden Volkes erbringen natürlich erheblich mehr.
Die Beteiligung bzw. der Verkauf von fremden Ämtern hat keinerlei Einfluß auf den Kurswert; damit entfällt das hübsche bzw. miesnickelige Kaufen und Verkaufen fremder Anteile, das bei den üblichen 18xx-Spielen einen großen Teil der Bankrundenaktivitäten in Anspruch nimmt. Das bringt eine gewisse Beschleunigung im Spielablauf, geht aber auf Kosten von Spannung und Überraschung.
In unserem Spiel fand kein einziger Königswechsel statt; Aktien wurden nur marginal verkauft, und nicht aus gehobenen spieltaktischen Gründen, sondern lediglich, um einer potentiellen Entmachtung als König vorzubauen. Jeder hatte reichlich damit zu tun, seinen eigenen Spielaufbau zu planen und seine Freiheiten zur Optimierung zu nutzen; keinem kam der Gedanke, einem Mitspielern in den Karren zu fahren. Vielleicht kann man das auch gar nicht.
Walter setzte zu Spielbeginn sein neu gegründetes Reich auf den teuersten Kurswert und war damit immer erster Spieler in den „Operation Rounds“. Sofern verfügbar erwarb er auch ausschließlich Ämter seines eigenen Reiches. Günther meinte dazu bewundernd: „Er investiert in Qualität“, Aaron meinte weniger bewundernd: „Er macht in Selbstbefriedigung!“. Zum Glück hat er damit nicht gewonnen, sonst wäre die Siegstrategie ganz zu einfach: Setze Dein Reich am höchsten ein und fahre es solide bis zum Ende. So aber muß man auch die nicht ganz so leichte Optimierungsaufgabe lösen: Setze Dein Reich zu einem solchen Preis ein, dass es alle notwendigen Kosten bestreiten kann und dass dabei zugleich die Rendite, d.h. die Rundeneinnahmen plus Kursgewinn im Verhältnis zum Einstandspreis, optimal ist. Aaron war es, der hier intuitiv die beste Linie gefahren war.
WPG-Wertung: Aaron:8 (Einschränkung, weil „die Aktienmanipulationen fehlen“), Günther: 8 (Honorierung, „dass man an einem Spielabend hinterher noch Zeit für ein anderes kleines Spielchen hat“), Moritz: 7 (Einschränkung: „es fehlen Seeschlachten und Eroberungsfeldzüge“), Walter: 7 (vermißt die peppigen Elemente wie feindliche Übernahmen, betrügerischen Bankrott und Aussperrung von lukrativen Zielen. Seine Ingenieursseele vermißt den konstruktiven Gleisbau).

2. “Alex & Co”
Die Europäische Spielesammler Gilde (ESG) und die Spiele-Autoren-Zunft (SAZ) präsentierten in Essen 2010 dieses kleine Kartenspiel mit limitierter Auflage.
Im Prinzip handelt es sich um eine Kombination aus Quartett- und Memory. Wir können von unseren Mitspielern Karten abfragen und sie im Erfolgsfall von ihnen ersatzlos übernehmen, oder wir können mit unseren Mitspielern reell Karten tauschen im Verhältnis 1:1, oder wir können aus der Auflage von verdeckten Karten auf dem Tisch vier Stück umdrehen, und falls ein Pärchen dabei ist, dürfen wir es behalten. Hier schlägt dann der Memory-Charakter durch.
Die Motive der Karten sind Spiele und Spielautoren der Welt; insofern besitzt das Spiel einen spielhistorischen Wert. Doch die Regeln weisen für einen Gerechtigkeitsfan einige Ungereimtheiten auf. Beim Tauschen wird die normale Spielreihenfolge verändert. Wer Pech hat, um den wird ständig herumgetauscht und er kann warten, bis er schwarz wird.
Wer sich mit einem funktionierenden Gedächtnis aus der Auflage gerade verdientermaßen oder per Zufall ein Pärchen zusammengesucht hat, verliert es anschließend – mit hoher Wahrscheinlichkeit – ersatzlos an einen seiner Mitspieler, der sich per „Abfrage“ an ihn wendet.
So ging es Walter, dessen Gedächtnis ohnehin dem Memory-Alter entwachsen ist. Aaron erlöste ihn und stieg aus. Mit größter Freude zog Walter mit. Günther war leidenschaftslos, nur Moritz hätte seinen schon in wenigen Runden gewaltig ausgebauten Quartett-Vorsprung gerne ins Ziel gebracht.
WPG-Wertung: Aaron: 2, Günther (enthält sich als ESG-Mitglied der Stimme), Moritz: 3 („das Spiel ist nicht broken“), Walter: 2 (einseitige subjektive Ablehnung).

3. “Sieben unter Verdacht”
Wiederholung von letzter Woche, damit Moritz schneller in sein gerade erworbenes Exemplar reinkommt.
Mastermind mit Personen. Kein neuer Kommentar.
Die bisherige kritische WPG-Wertung übertraf Moritz mit seinen 6 Punkten fast um das Doppelte .

4. “Bluff”
Vorzeitiges Anzweifeln brachte überraschend viele und hohe Verluste.
Später konnte Aaron mit einem Superbluff Günther gleich um vier Würfel kürzen und das Bluff-Lebenslicht ausblasen. Etwas länger dauerte das Endspiel gegen Walter, das schließlich in einem Kantersieg 5:0 endete.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

04.11.2010: “Navegador”, “Kaigan” und Schwindeln

Das bescheuerte Kartendeck „Startspieler“, mit dem angeblich jeglicher „Streit darum, wer anfängt“ vom Tisch sein soll, liegt immer noch auf unserem Fensterbrett. Moritz zieht es zu Beginn unserer Spieleabende regelmäßig zu Rate, wenn er seinen Stammplatz am Fenster eingenommen hat. Sehr zum Leidwesen von Walter, der dieses Produkt zutiefst haßt, wie alles, was in Politik, Wirtschaft und Spiel großmäulig Versprechen abgibt, von denen selbst die Verkünder wissen, daß sie nicht gehalten werden.
Heute soll Startspieler werden, „wer das lockigste Haar hat“. Wir sind zwar keine Kojak-Runde, doch die konkurrenzfähigen Schnittlauchlocken sind alle kein akzeptables Entscheidungskriterium. Die nächste Karte bestimmt den zum Startspieler, „der als letztes eine Karte gezeichnet hat“. Diesmal fühlt sich Walter berufen, auch wenn es nur eine Himmelskarte ist, mit der er demnächst seinen Großneffen das Sternbild Stier am Firmament, samt oder sonders aufsitzender Europa, verklickern will.
Sicherheitshalber zieht Moritz noch eine Karte. „Wer am ältesten ist“ führt dann zu einer eindeutigen Entscheidung. Der Stier wird bestätigt. Doch das Kartendeck wird wohl keine Woche mehr auf dem Fensterbrett am Westpark überleben.

1. “Navegador”
Wir sind Seefahrer im entstehenden portugiesischen Weltreich und müssen unsere Schiffe in Richtung beider Indien aussenden, Länder entdecken, Kolonien gründen, Märkte erschließen, Fabriken errichten, Produkte verkaufen und so eine Handelsdynastie begründen, die am Ende hoffentlich umfassender ist als die unserer Mitspieler.
Das Herzstück des Spiels ist ein Aktionsrondell (wie man es schon von einigen anderen Spielen, z.B. von „Hamburgum“, her kennt, auf dem wir mit unserem Aktionsstein mit einer variablen aber begrenzten Schrittweite im Kreise herumwandern und damit auswählen, ob wir

  • Arbeiter anwerben
  • Schiffe bauen
  • Schiffe bewegen
  • Kolonien errichten
  • Fabriken bauen
  • Handel treiben
  • Privilegien erwerben
  • Alles kostet oder bringt Geld. Alles ist gut, alles bringt Siegpunkte. Manches verändert die Preise für zukünftige Aktionen, das ist dann eine Investition in die Zukunft. Wer sich z.B. Fabriken zugelegt hat – ausreichend viele für die Warenproduktion aus seinen Kolonien -, kann veredelte Produkt zu angenehm hohen Preisen verkaufen. Wer keine Fabriken hat, muß seine Rohstoffe zu – früher oder später – traurigen Kellerpreisen verkaufen.
    Sehr viele Wege führen nach Rom, d h. zu einem Besitztum, das sich am Ende in den meisten Siegpunkten ausdrückt. Man kann auf Entdeckungen ausgehen, und sie sich – über geeignete Privilegien – am Ende mit dem Faktor 7 vergüten lassen. Man kann Kolonien gründen (davon gibt es sehr viel mehr als von Entdeckungen) und sie sich am Ende mit einem Faktor bis zu 4 vergüten lassen. Erbaute Kirchen (sie erleichtern das Anwerben von Arbeitern) und Werften (wofür sind wohl?) können es sogar auf einen Faktor bis zu 9 bringen. Deutliche Schwerpunkte in seiner Entwicklung zu setzen, ist für eine erfolgreiche Schlußabrechnung unbedingt notwendig.
    Geld bewegt die Welt. Damit kann man seinen Aktionsspielraum auch über die vorhandene Infrastruktur hinaus erweitern, z.B. pro Zug mehr Arbeiter anwerben, mehr Schiffe kaufen, mehr Märkte erschließen und größere Schritte auf dem Aktionsrondell zurücklegen, um schneller wieder die Felder zu betreten, auf denen die Musik spielt. Diese Möglichkeit sollte man konsequent nutzen und seinen erwirtschafteten Gewinn nicht nur in die kostengünstigen Kanäle fließen lassen.
    Jeder hat einen Plan und fiebert darauf, wieder am Zug zu sein, um ihn umzusetzen. Ein klares Zeichen für ein gefälliges Spiel. Hoffentlich verfolgt man seinen Plan auch dann, wenn man gerade nicht am Zug ist. Sonst dauert das Spiel geschlagene zwei Stunden. Wie heute bei uns.
    WPG-Wertung: Aaron: 6 („gutes Durchschnittsspiel“), Günther: 7 („könnte bei häufiger Wiederholung seinen Reiz verlieren“), Moritz: 7 (ungern vergeben, aber „das Spiel funktioniert“ halt; vermißt etwas Spannung), Walter: 7 („großer Freiheitsgrad“).

    2. “Kaigan”
    Vor zweihundert Jahren begann ein tüchtiger japanischer Ingenieur damit, die erste maßstabsgerechte Landkarte der japanischen Küste zu erstellen. Nach 21 Jahre wurde sein Werk fertiggestellt, bei einem Maßstab von 1:3600 immerhin 300 mühevolle Meter lang.

    Diese Ingenieursleistung wurde „Kaigan“ zugrunde gelegt, d.h. wir sind Kartografenteams und schicken unsere Kartografen zu den verschiedenen Landesteilen, um Stück für Stück zu dieser Gesamtkarte beizutragen. Das Thema schlägt allerdings nicht durch. Eher haben wir es mit einem abstrakten Optimierungsspiel zu tun, in dem wir unsere Aktionen so wählen, daß wir auf den verschiedenen möglichen Entwicklungslinien gut punkten. Wir können

  • Kartografen (Pöppel) in die Landschaft setzen
  • Die plazierten Pöppel arbeiten lassen
  • Unsere Technik verbesseren
  • Unsere Beziehungen ausbauen
  • Unsere Mobilität erhöhen
  • Einkommen einstreichen
  • Technik, Beziehungen und Mobilität sind verschiedene abstrakte (verzeiht die Wiederholung dieses Begriffs, es ist nicht böse gemeint) Entwicklungslinien, auf denen unsere aktuelle Position in Einkommen und Siegpunkte umgesetzt wird.
    Eine absolut neue und sehr hübsche Erfindung in „Kaigan“ ist die Art, wie wir unsere gewünschten Aktionen mit Hilfe von Aktionskarten auswählen. Jeder hat den gleichen Satz von Aktionskarten mit den oben angedeuteten Aktionsmöglichkeiten und legt reihum jeweils eine Karte auf ein freies Feld in einem karierten Teil des Spielbretts, bestehend aus 4 Zeilen zu 5 Spalten. Im Laufe dieses Setzen liegen demnach in jeder Zeile (und Spalte) Aktionskarten verschiedener Spieler. Sobald ein Spieler meint, in einer Zeile liegen genügend für ihn günstige Aktionskarten, so steigt er aus dem Setz-Prozeß aus und wählt für sich diese Zeile. Alle Aktionskarten dieser Zeile bestimmen dann die Aktionen, die er im folgenden ausführt. Sind in der Zeile noch leere Spalten, darf er dafür nur entsprechend weniger Aktionen ausführen.
    Es klingt ein bißchen kompliziert und wir wollten sogar eine Probe-Setzrunde durchführen, um dieses Prinzip zu verstehen und unliebsame Überraschunen zu vermeiden. Doch dann verzichteten wir darauf (es ist alles doch nur ein Spiel), und es klappte auch ganz vorzüglich. Jeder versucht in jede Zeile ein paar verlockende Aktionskarten zu legen, damit die Mitspieler anbeißen und aus dem Rennen ausscheiden. Unter weniger Konkurrenz kann man dann versuchen, mit seinen restlichen Karten eine Aktionszeile vollständig mit guten Aktionen zu füllen und zu ergattern. Wirklich vorzüglich ausgedacht.
    Das Spiel läuft sehr schnell. Zumindest kam uns die eine Stunde Spielzeit sehr kurz vor. Kaum hatten wir angefangen, fragte Günther entsetzt: „In welcher Runde sind wir denn?“ Wir hatten gerade die dritten Runde absolviert und das Spielende drohte mit Riesenschritten heranzukommen.
    Die Schlußabrechnung mit dem reichlichen Siegpunktsegen wirbelte den Spielstand nochmals gehörig durcheinander. Die krassen Plus-Minus-Effekte für den besten bzw. schlechtesten Entwicklungsstand muß man beherrschen, um zu gewinnen. Befriedigt mitspielen kann man aber auch ohne dieses Wissen.
    WPG-Wertung: Aaron: 7 („erfrischend kurz“), Günther: 6 („für ein lockeres Spiel zu kompliziert“), Moritz: 7 („anspruchsvoll; Punktabzug wegen der undurchsichtigen Schlußabrechnung“), Walter: 7 („vorzüglicher Setz-Mechanismus“).

    3. “Sieben unter Verdacht”
    Dieses Spiel ist eine Mogelpackung. (Wie halt so oft auch in der Spielbranche.) Es firmiert als „Krimi-Kartenspiel für clevere Ermittler“ und verlockt so vielleicht ein paar Jünger von Donna Leone zum Kauf. Dabei ist es ein simples „Mastermind“, d.h. eine Logikaufgabe, in der es gilt, durch Abfragen von Musterkombinationen eine vorgebene Konstellation von Einheiten (hier sind es „Verdächtige“, woanders sind es Farben, Zahlen oder Buchstaben) zu ermitteln.
    Selbst Günther war über diesen Ettikettenschwindel erbost. Als Mathematiker plädierte er kompromisslos für das „Mastermind“ mit Zahlen.
    Ich selber habe bei diesen Logikprinzip die allerbesten Erinnerungen (40 Jahre zurück), an Christina Voss, eine äußerst attraktive Kollegin, mit der ich mich in der Mittagspause regelmäßig „auf ein Wort“ zusammensetzte, und wir dann gegenseitig um die Wette vierbuchstabige Worte errieten. Diese literarische Variante konnte den zahligen Günther natürlich nicht vom Hocker reißen. Ist es aber nicht viel reizvoller, über „Auge“ und „Mund“ bis zum „Herz“ eines charmanten Gegenüber vorzustoßen?
    WPG-Wertung (für den Verdacht): Aaron: 3 („Mastermind ist funktioneller“ , Günther: 4 („1 Punkte weniger für das Mogeletikett“), Walter: 3 (träumt von der romantischen Variante).

    27.10.2010: Hohe Hürden

    Nachdem Walter beim gestrigen Spieleabend frühzeitig das Handtuch warf (siehe http://www.westpark-gamers.de/blog/2010/10/27/27-10-2010-splitter-aus-essen/comment-page-1/#comment-165), sollen hier doch noch ein paar Worte zum Ablauf des restlichen Abends folgen.

    1. “High Frontier”

    Wenn man bedenkt, dass das Regelheft aus 24 eng bedruckten Seiten besteht, ist es schon bewundernswert, dass Phil Eklund, der Designer und Verleger (Sierra Madre Games) von „High Frontier“ es schaffte, uns in nur 45 Minuten die wesentlichen Spielmechaniken zu erklären. Okay, nach einer knappen Viertelstunde stellte Aaron die schüchterne Frage nach den „objectives of the game“, die Phil bis dahin vergessen hatte zu erklären. Und: die 24 Seiten des Regelhefts bestehen zu zwei Dritteln aus detaillierten Beschreibungen der einzelnen Karten. Hier wird deutlich, dass Phil von Beruf „Rocket Scientist“ im Star Wars Programm der USA ist und sich bestens mit Raketenantrieben, Weltraumrobotern („Robonauts“) und möglichen extraterrestrischen Fabriken auskennt. Und was er selber nicht aus seinem Berufsalltag mitbrachte hat er akribisch in seinem Forscherfreundeskreis recherchiert – 22 Jahre lang.

    Das Resultat ist eine aufwändige Simulation der Exoglobalisierung mit faszinierenden Technologien, die allesamt ausführlich beschrieben werden und ihre Rolle im Spielablauf haben. Gleichzeitig werden wesentliche Grundlagen der Raumfahrt spielerisch vermittelt. Seien es die Hohmann- oder Lagrange-Punkte im All, die für den treibstoffsparenden Flug zwischen den Planeten genutzt werden oder die Größe und das Vorkommen von Wasser auf den Planeten, Monden, Asteroiden und Kometen des inneren Sonnensystems. Alles ist auf einem Spielplan wiedergegeben, der deshalb auf den ersten (und zweiten) Blick weder schön noch übersichtlich erscheint und erst im Laufe des Spiels seine Zweckmäßigkeit beweist. So sind sie halt, die Forscher.

    Jeder Spieler steuert die Geschicke einer Nation oder Organisation in der Besiedlung des Alls und über deren Sonderfähigkeiten wird die notwendige Asymmetrie der Startaufstellung hergestellt. Jeder Spieler beginnt mit der Aufgabe, ein sinnvolles erstes Ziel im All für seine Erforschung auszuwählen und ein für dieses Ziel passendes Raumschiff aus Motoren, Robotern, Mannschaft und Raffinerien zusammenzustellen. In der Regel ist es nicht möglich, gleich alles Notwendige mit einem Flug zu transportieren, da die Gesamtmasse des Schiffs zu groß würde oder der Treibstoffbedarf nicht bezahlbar. Also gilt es genau zu planen, was mit welchen Motoren in welchen Schritten über welche Flugbahnen transportiert werden soll. Hierbei befindet man sich in direkter Konkurrenz zu den anderen Spielern, die vielleicht dasselbe Ziel ausgewählt haben. Ein erfolgreich erforschter Himmelskörper bietet Schürfmöglichkeiten für Treibstoff und den Bau von Fabriken. Beides ist danach nutzbar, um von dort Erkundungsreisen zu weiter entfernten Zielen zu wagen.

    Siegpunkte gibt es für erfolgreich erforschte Ziele, den Bau von Fabriken dort und dafür, als erster bestimmte Ziele mit einer Mannschaft  angeflogen und diese lebendig wieder zur Erde zurückgebracht zu haben. Sobald eine Spielerzahl abhängige Anzahl von Fabriken gebaut ist, endet das Spiel.

    Die Einstiegshürde von „High Frontier“ ist hoch; das hat das Spiel gemeinsam mit den meisten realistischen Simulationsspielen. Obwohl die grundlegenden Mechanismen schnell verstanden sind, bieten die vielen Feinheiten, Zusatzregeln und Sondereigenschaften genug Potenzial, um beim ersten Spiel ein „Gespielt werden“ Gefühl zu verursachen. „It’s rocket science.“  Oder wie Phil über seine „Experience Games“ schreibt: „ simulations that cover a comprehensive sweep of all aspects of a subject, in unprecedented detail.“ Wer sich auf das Spiel einlässt, Spaß an Simulationsspielen gepaart mit einer deutliche Affinität zur Raumfahrt hat und nicht zuletzt 3, besser 4 Stunden Zeit mitbringt, für den ist „High Frontier“ nicht nur eine immer neue Herausforderung sondern auch eine wunderbare Quelle möglicher Technologien in der Raumfahrt. Und für die War Gamer gibt es eine Erweiterung, die Politik, Diplomatie und Kämpfe mitbringt.

    WPG-Wertung: nach über 4 Stunden Spiel mussten wir vorzeitig abbrechen und haben daher auch eine Wertung verzichtet.

    27.10.2010: Splitter aus Essen

    Zwei Tage auf der Spielermesse in Essen bedeuten: Zwei Stunden lang durch die acht Hallen schlendern und die vielen großen bunten Verlage und ihre Produkte auf Augen und Gemüt wirken lassen. Den Rest der Zeit, immerhin noch fast 90%, punktuell auf einzelne Produkte zusteuern, Regeln lesen, anspielen bzw. mitspielen und ggf. am Stand ein bißchen palavern.
    Eine Orientierunghilfe zu den bemerkenswertesten Produkten liefern die aktuellen Hitlisten von „Faiy Play“ und „Boardgame Geek“, auch wenn sie meilenweit auseinanderklaffen und in ihren Top-50 bzw. Top-20-Namen kaum Gemeinsamkeiten haben. Oder versteckt sich hinter den kurzzeitigen Spitzenreitern „Vinhos“ und „Grand Cru“ etwa das gleiche Spiel? Mitnichten!
    Was sind diese Listen schon mehr als nur schwache Funzeln, die ein spärliches Licht auf die große weite Spielelandschaft werfen? Am Ende des zweiten Messetages führte z.B. „Habemus Papam“, ein kleines rundes Biet-&-Stichkartenspiel, mit gerade mal 11 Stimmen bei „Fair Play“ die Liste an. Wieviele Freunde muß man animieren, um sich auf diesen Platz wählen zu lassen? Doch auch ohne solche Manipulationsmöglichkeiten kommen die dicken Verlagen mit ihren zehn oder mehr Spieltischen naturgemäß schneller zu ein paar Stimmen als die tapferen Einzelkämpfer mit einem halben Tisch in einer halben Box.
    Die Hitlisten sind auch nichteinmal in sich konsequent. Z.B. war „Vinhos“ (und so manches andere Spiele) dieses Jahr zwar angekündigt, aber nicht käuflich erwerbbar. Die deutsche Produktionsfirma war beim Umsiedeln ihrer Mitarbeiter nicht sorgfältig genug vorgegangen und hatte dabei große Verluste innerhalb ihrer Belegschaft hinnehmen müssen, so daß sie schließlich nicht mehr rechtzeitig liefern konnte.
    Eine Wiederauflage von „1830“ war bei „Mayfair“ angekündigt und hatte natürlich unser Interesse geweckt. Das Spiel war von den „Boardgame-Geek“-Leuten angeblich bereits gespielt worden und belegte am Freitag Abend in ihrer Favoritenliste den 47ten Platz. Doch das Spiel gab es gar nicht! Kein einziges Atom davon. Der Erscheinungstermin war vom 3. Quartal 2010 auf das zweite Quartal 2011 verlegt worden. Dann hoffentlich mit einer Auslieferungsdependance in Deutschland!
    Wer aber trotzdem & unbedingt ein „1830“ spielen wollte, der mußte sich ins Wasser begeben. Unter dem Namen „Poseidon“ ist eine Wasservariante mit nahezu identischen Regeln und Mechanismen herausgekommen. Statt Loks gibt es Schiffe, statt Eisenbahngesellschaften gibt es Reiche, und statt Präsidenten gibt es Könige. Ein paar zusätzlich eingebaute Schmankerl dienen der Verkürzung der Spielzeit. Ansonsten alles wie gehabt: „Beim Kauf des ersten 4er Schiffs verfallen die 2er Schiffe!“. Die Szenerie ist natürlich nicht der nordamerikanische Kontinent sondern das ägäische Meer. So wird es wohl niemals in die blaublütige „18xx“-Familie aufgenommen werden. Und wohl auch keinen Preis gewinnen.
    Der diesjährige International Gamers Award ging an Martin Wallace für sein „Age of Industry“. Eine seltsame Entscheidung, denn dieses Spiel ist keineswegs innovativ, sondern nur eine vereinfachende Überarbeitung auf identischem Spielbrett mit identischen Elementen wie sein Vorgängers „Brass“. Doch vielleicht gilt diese Auszeichnung diesmal dem gesamten Lebenswerk des sympathischen Martin. Allein bei Luding sind 70 Spiele oder Spiel-Erweiterungen mit ihm als Autor aufgeführt. (Hallo Günther, nimmst Du Deinen AoI-Kommentar: „Das braucht die Welt nicht … Dann doch lieber gleich das bessere Spiel ’Brass’!“ mit Bedauern zurück?)
    Der Preis wurde im großen Saal „Essen“ vergeben. Mindestens dreißig Acht-Personentische und abzählbar viele Stuhlreihen waren wohlgeordnet aufgestellt. Als wir zehn Minuten vor der Preisverteilung zum Saal eilten, fürchteten wir schon, maximal einen Stehplatz in einer Ecke zu erhalten. Doch das Gedränge auf den Treppen davor bestand aus Mittagesslern vom Restaurant in der Etage darunter. Der Saal war proppenleer. Zur Preisverleihung erschienen dann sieben Juroren, sechs Pressefotographen, zwei Preisträger und zwölf Zuschauer!
    Was mag die Saalmiete gekostet haben? Für unsere „Internationale Bayerische Paarmeisterschaft“ im Bridge zahlen wir für eine vergleichbare Halle im Münchener Vorort Ottobrunn 1500 Euro. Haben die Award-Initiatoren für ihre 15-Minuten-Veranstaltung ebensoviel Geld hinblättern müssen? Zum Glück nicht! Der Saal war kostenlos vom Friedhelm Merz Verlag zur Verfügung gestellt worden!
    Apropos Merz Verlag. Der Verlag hatte einstmals die Pöppel-Revue herausgebracht und ist heute der Veranstalter der Essener Internationalen Spieltage, der weltweit größten Publikumsmesse für Gesellschaftsspiele. Das ist seine einzige Aufgabe. Organisation, Vor- und Nachbereitung beschäftigen die Mitarbeiter ein ganzes Jahr lang. Ein unsterblicher Verdienst für die Welt der Spieler. Ansonsten wohl eher ein Nischendasein in unserer globalisierten Wirtschaftswelt.
    Wohl alle Spieleverlage, so groß und berühmt sie auch sein mögen, leben unterhalb der Peanuts-Grenze – verglichen mit den großen Unternehmen wie Siemens, BMW oder Deutsche Bank. Ein bekannter Autor hat uns jetzt verraten, daß dies der Grund ist, warum viele Spiele auf den Markt kommen, die nicht ausbalanciert sind und erhelbliche Designschwächen enthalten. Innerhalb eines Jahres muß das Spiel auf dem Markt und verkauft sein. Fire and forget!
    1. “Antics”
    Der kleine schottische Verlag Fragor Games hatte uns schon vor fünf Jahren mit seinen hübsch modellierten Schäfchen in „Shear Panic“ imponiert. Diesmal zogen uns immer wieder die großen Ameisen von „Antics“ an, die als dicke schwarze Figuren über die grüne Boxenwand (1 Einheit = 800 Euro Standmiete) liefen. Vielleicht waren es auch die Schottenröcke der beiden Autorenbrüder Gordon und Fraser Lamont.
    Da ich mich auch noch irgendwie bei meinem Neffen und den beiden Großneffen für Unterkunft und Verpflegung in Essen bedanken mußte, war schnell klar, daß wenigens ein Exemplar der „Antics“ bei den Westpark-Gamers (wenn auch nicht direkt am Westpark) landen würde.
    Das taktische (bzw. Mitspieler-chaotische) Spiel hat das Gewimmel in und um einen Ameisenhaufen zum Thema. Ohne Würfel oder Zufallselemente baut jeder seinen Ameisenhaufen aus und steigert damit seinen Aktionsradius und die Mächtigkeit der folgenden Züge. (Klares und konstruktiv durchgezogenes Konzept von wachsender Spieldynamik.) Wir ziehen verschiedene Arten von Ameisenbabies (Feld- Wald- und Wiesen-Ameisen) groß und schicken sie in die große weite Ameisenwelt (Feld-Wald-Wiese), damit sie die dort vorhandene Beute in Form von Käfern, Schmetterlingen und Larven zur großen Ameisenburg in der Mitte des Spielbretts transportieren. Die Anzahl der verschiedenen Beutetiere sowie grüne und braune Blätter für die Ameisen-interne Pilzzucht bringen die benötigten Siegpunkte.
    Es gibt verschiedene Strategien (oder „Schienen“) zum Sieg. Möglichst schnell die nächstliegenden Beutestücke einsacken und nach Hause kleckern oder erst die Kapazitäten erweitern um dann hinterher mit größerem Transport- und Ausbaufähigkeiten zu klotzen. Es gibt auch eine militärische Variante: Man leistet sich Soldatenameisen, um den Mitspielerameisen die gerade transportierte Beute abzujagen und auf dem eigenen Konto zu verbuchen. Diese letzte Möglichkeit haben wir Onkels und Neffen in unserem Spiel nicht genutzt. In einem schnellen Spiel ist der Effizienzgrad der Soldatenameisen recht fraglich. In der Kleckerphase haben sie sicherlich größere Zuschlagchancen, doch weil wir alle die Ausbau-Schiene verfolgten, führte der Weg-der-leichten-Beute offensichtlich in die Sackgasse und wurde erst gar nicht begangen.
    Die Spielanleitung ist – wie immer vom Fragor-Verlag – in hervorragendem Deutsch geschrieben. Die eingebauten Kalauer rufen nicht nur beim ersten Lesen ein Schmunzeln hervor. Sie erklären auch zum ersten Mal überzeugend, warum in einem 4-Personen-Spiel nur 3 Spiel-Hilfen vorhanden sind: Die Autoren und Hersteller sind halt Schotten!
    WPG-Wertung: Walter: 7 Punkte.
    2. Danksagung
    Ich freue mich, daß ich unsere Mail-Partner und Spieleautoren Richard Sibel („Maria“) und Bernd Eisenstein („Porto Carthago“) zum ersten Mal persönlich kennenlernen durfte und bedanke mich für die Gespräche mit ihnen.
    Stellvertretend für viele freundliche und fachkundige Spiele-Erklärer bei anderen Verlagen bedanke ich mich bei Peter Rot und Roland Velemas am Stand von Eggert-Spiele für die gekonnten Einführungen und das Mitspielendürfen beim Superspiel „Grand Cru“.
    Ich bedanke mich bei dem geduldigen Nachwuchs-Autor Philipp Höppner für die detailierte Beschreibung seines Fantasy Game „Empire of Darkness“ (wartend auf einen Verlag, der es herausbringt), sowie seine bemerkenswerten Unterweisungen in höhrere Würfelmathematik. Sinngemäß: „Wenn man für die verschiedenen Kampfentscheidungen immer mehr Würfel heranzieht, kann man den ungerechten und unbalancierten Zufallseinfluß beseitigen!“
    3. PS
    Heute kein Spielabend am Westpark. Wir treffen uns bei Moritz. Er hat gerade Phil Eklund von Sierra Madre Games zu Besuch ist, der uns sein neues Spiel vorstellen will. Mal sehen, ob und was Moritz darüber schreiben wird.

    19.10.2010: Ab nach Essen

    Nein, diese Woche gibt es keine WPG-Session. Morgen, Mittwoch, machen wir uns (fast) alle auf den Weg nach Essen zur Spiel 2010. Ein hartes Stück Arbeit wartet auf uns.
    Bevor wir uns in den hunderttausend Neuigkeiten (und Altigkeiten) verlieren, haben wir uns Gedanken über gutes Spieldesign gemacht. Wolfgang Kramer nennt in einem Vortrag für Spieleautoren „Wie entwickelt man gute Spiele“ eine Reihe von objektiven Kriterien, die ein gutes Spiel auszeichnen:

    • Es ist originell und enthält neue Spielmechanismen.
    • Die Wartezeiten sind kurz. Dazu darf z.B. in einem strategischen Spiel keiner bei seinen Zügen zuviele Alternativen durchrechnen können bzw. müssen.
    • Die Spannung darf an keiner Stelle abfallen, sondern muß am Ende ihren Höhepunkt haben. Lieber sollte in den letzten Runden der Spielstand nochmals gründlich durcheinandergewirbelt werden können, als daß schon nach der zweiten Runde der Sieger feststeht.
    • Der (zuweilen unumgängliche) Kingmaker-Effekt sollte so gering wie möglich sein. Keiner sollte Züge tun können, die für ihn selbst keinerlei Vorteile mehr bringen, hingegen aber entscheidenen Einfluß darauf haben, wer gewinnt.
    • Ein Spiel sollte immer wieder neue Überraschungen bieten. Entweder weil der Zufall die Karten jedesmal anders mischt, oder aber – noch besser -, weil die verschiedenen Spielzüge der einzelnen Spieler zu jeweils neuen Abläufen und Konstellationen führen.
    • Mit den eigenen Spielaktionen soll man nicht nur seine eigenen Gewinnchancen erhöhen, sondern auch die Gewinnchancen der Mitspieler beeinträchtigen können. Ohne eine solche Interaktion bekommen die Spiele einen Solitär-Charakter, und nutzen nicht die Geselligkeit einer Spielerrunde.
    • Ein Spiel soll stimmig sein. Ein Glücksspiel sollte kurz und kurzweilig sein, in einem Strategiespiel darf der Zufall keinen entscheidenden Einfluß haben.

    Aaron fand in einer Spielkritik folgende Passage:
    “…no dramatic build-up of tension, no gambles which may or may not pay off, few long-term options, little player creativity. There simply cannot be many long-term choices as the cards which drive the entire thing are drawn at random from the deck every new round; and how these play out is determined by what your opponents got: which is equally random. Insert obligate ‘manage the luck’ comments here if you want: perhaps one should, but there are few things to manage it with…” (Maarten D. de Jong über Asara)
    Hier scheint offensichtlich vieles falsch gegangen zu sein. Kein Spannungsbogen (build-up of tension), kein Risikomanagement (gambles), keine strategische Planbarkeit (long-term options) und wenig Handlungsspielraum (player creativity).
    Aaron und Moritz sind gerade dabei, ihre eigenen Spielentwicklungen („18xx“ bzw. „Das kalte Herz“) in dieser Richtung auf Herz und Nieren zu prüfen. Dabei saugt Moritz aus seinem Thema, einer Märchenvorlage von Hauff, immer neue Gut-Böse-Mechanismen für den Spielablauf, Aaron schaut darauf, dass seine eher abstrakt ausgetüftelten Regelmechanismen ein treffendes Thema finden. Von den Eisenbahngesellschaften ist er dabei kurzfristig auf Expansion im Weltraum übergewechselt, jetzt ist er schon wieder auf dem Boden und läßt die Händler von Hanoi agieren. Oder die von Bangkok. Wo die reale Bestechung halt größer ist.
    Schaun wir mal, ob wir damit – wenigstens in Gedanken – mit den Erzeugnissen in Essen Schritt halten könnten!

    13.10.2010: Amerikanische und europäische Zufälle

    Mal wieder ein ausgiebiger Briefwechsel bei den Westparkgamers über Zufälle im Spiel, die ganz unterschiedlich bewertet werden. Moritz preschte vor: „Es es gute Taktikspiele, die Zufälle kennen – bestes Beispiel ist Backgammon! Bei den card driven-Wargames ist es ähnlich: sehr viele Zufälle: Kartenauswahl, Würfelwürfe, etc. Dennoch wird das Spiel letztlich von den strategischen und taktischen Entscheidungen getragen.“
    Doch hier werden Äpfel mit Birnen vermischt. Günther brachte es auf den Punkt: „Es gibt zwei Möglichkeiten, den Zufall in ein Spiel zu integrieren:
    1) Man trifft eine strategische Entscheidung und würfelt dann aus, ob man erfolgreich war (american style)
    2) Man erzeugt zufällige Auswahlmöglichkeiten und entscheidet dann strategisch, welche Möglichkeit man wie benutzen möchte (eurogames).
    In der ersten Variante fühlt man sich dem Zufall ausgeliefert – die zweite erhöht die Vielfalt im Spiel und man fühlt sich mehr als seines eigenen Glückes Schmied …“
    Aaron, Hans und Walter ergriffen sofort Partei für den eurogames-style. Die anderen haben sich noch nicht geäußert, doch zumindest Moritz wird gewiß ein exponierter Vertreter des american style sein.
    1. “Coup Royal”
    Ein neues Spiel aus der rührigen tschechischen Spieleschmiede Czech Games Edition. Ein bißchen erinnern die Spielzüge an „Adel verpflichtet“. Alle Spieler schicken verdeckt je einen Dieb und je einen Detektiv zu den ingesamt sieben Aktionshäusern, in denen verschiedenfarbige Edelsteine (Karten) ausgelegt sind. Ist mindestens ein Detektiv in einem Aktionshaus, so ist der Raub vereitelt. Ein Dieb alleine in einem Aktionshaus bekommt die Auslage, zwei oder mehr Diebe hindern sich gegenseitig und werden mit einem Trostpreis abgespeist.
    Ein gewisser Pfiff kommt noch durch die Siegpunktwertung ins Spiel. Für jede Edelsteinfarbe erhalten nur die Spieler mit den relativen Mehrheiten Siegpunkte, die anderen gehen leer aus.
    Bei jeder neuen Runde mit neuer Auslage fängt die Psycho-Aufgabe an, zu errraten, für welche Auslage sich wohl welche Mitspielerdiebe interessieren und welche Auslagen wohl durch Mitspielerdetektive geschützt werden. Andrea gewann haushoch. Ein klarer Beweis dafür, daß die Gedanken einer Frau für Männerhirne einfach nicht ergründbar sind.
    WPG-Wertung: Aaron: 6 („Belohnung für das Einfühlungsvermögen in die Bedürfnisse anderer Spieler“), Andrea: 6 („schnell und knackig“ – Das „knackig“ bezog sich auf die bildliche Darstellung der handelnden Personen auf den Karten), Hans: 5 („zu viele Aktionshäuser“), Moritz: 5 (zu repetitiv), Walter: 4 (kein Freund von american style Zufälligkeiten).
    2. “Das Kalte Herz”
    Moritz’ Spielentwicklung über die Flößerei im Schwarzwald samt Teufel und böse Holländer hat sein Windelzeitalter hinter sich und fängt zu laufen an (siehe Session-Reports vom März und September diesen Jahres). Jetzt schwimmen immer genug Baumstämme in Nagold und Rhein. Die Bäume treiben mehr oder weniger zwangsläufig bis in die Staudämme. Das Öffnen der Dämme ist so lukrativ, daß die Spieler diese Aktion wählen, selbst wenn andere Mitspieler hinterher daraus ihre Flöße zusammenstellen können.
    Flöße zu bauen ist unbedingt notwendig, weil man nur dadurch das nötige Geld für seine Folgeaktionen bekommt. Sein Startkapital allein ins Beten zu investieren genügt heute nicht mehr. Eine gute Kombination von frühem Böse-Sein (für eine kräftige Liquidität und für eine optimale Startspielerposition) und von spätem Gut-Sein (um hinterher doch noch in den Himmel zu kommen) scheint lohnenswert zu sein. Andrea beherrschte die Materie und konnte auch beim zweiten Spiel des Abends den Sieg auf ihrem Konto verbuchen.
    WPG-Kommentare:
    Aaron: „Viel zu lang. Noch unausbalanciert. Zu wenig Eigennutz bei verschiedenen Zügen.“
    Andrea: „An vielen Stellen spielt noch jeder für sich allein.“
    Hans: „Die Mechanismen funktionieren, insbesondere das Bietsystem mit den steigenden Kosten und die unterschiedliche Anzahl von Aktionsrunden beim freiwilligen Passen in einer Runde.“
    Dann kam von ihm noch ein Statement, das die Tragik des Denkers kennzeichnet:
    “Jede einzelne Aktion kostet eine Menge Gehirnschmalz und ist im Endeffekt irrelevant.“
    Moritz: “Selbstverständlich ist Feintuning noch notwendig. Doch der Text war zufriedenstellend.”
    Walter: „Alle Spielemente wurden genutzt, insbesondere wurde das ursprüngliche Spielziel erreicht, den Sieg nur über erfolgreichen Floßbau erzielen zu können. Allerdings gibt es noch ein paar Deadlock-Situationen, die den Spielfluß bremsen.“

    In jedem Fall hat „das Kalte Herz“ sehr viele Elemente aus Hauffs Märchen thematisch sehr ansprechend umgesetzt.
    3. “Bluff”
    Aaron hatte im Nu seine Gegner abgestrippt und stand mit 5:1 Würfeln gegen Hans im Endspiel. Seine Vorgabe: 1 mal der Stern! Im Mut der Verzweiflung hob Hans auf 2 mal den Stern. Aaron legte zwei Fünfen heraus, hob auf 4 mal die Fünf und würfelte nach.
    Hans hatte selbstverständlich (?) eine 5 unter seinem Becher. Wenn er jetzt anzweifelt, so hat er gewonnen, wenn keiner der drei nachgewürfelten Würfel eine Fünf war. Eine Wahrscheinlichkeit von immerhin ca. 30%!
    Hans hielt es für wahrscheinlicher, daß Aaron mindestens 2 mal die Fünf nachgewürfelt hat und hob auf 5 mal die Fünf. Doch dafür ist die Wahrscheinlichkeit nur ca. 17%. Und dabei hatte Hans auch noch übersehen, daß Aaron bei einem schlechteren Wurf ja noch einmal hätte nachwürfeln können, und daß er bei einem besseren Wurf, d.h. bei 3 mal die Fünf ebenfalls gewonnen hatte.
    Anzweifeln wäre es diemal gewesen. Zumindest für die Verkürzung auf 1:4.
    Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

    07.10.2010: Scheiß mit Geistern

    Der Spieleautor Maximilian (u.a. „Macht$piele“) hat uns mal wieder beehrt, um sein neuestes Schöpfungswerk begutachten zu lassen. Das letzte Mal war er vor gut drei Monaten mit dem Prototypen von „Nomaden“ bei uns gewesen und konnte damit frühe 6-8 Punkte-Lorbeeren ernten. Und was ist aus den „Nomaden“ inzwischen geworden. Trauriges Schicksal. So ähnlich wie auf der Literaturebene Martin Walser bei Reich-Ranicki: Wenn ein Kritikerpapst ein frühzeitiges „Diesen Scheiß spiel’ ich nicht“ in den Raum stellt, ziehen die Verlage schnell mal die Hälse ein. Maximilian trugs mit Fassung.
    Dafür verwechselte er heute „Westend“ mit „Westpark“ und stieg in der falschen MVG-Haltestelle aus. Walter verpaßte ihm dafür – dem ansonsten umwerfend pfiffigen Kerlchen – gleich einen Minuspunkt. Auch damit konnte Maximilian leben. „Das ist OK, wenn Du mir keinen Siegpunkt abziehst.“ Das sind die Prioritäten eines leidenschaftlichen Spielers.
    Als Variation zu den gewohnten Gummibärchen am Westpark hatte er „Knackige Reiscracker“ mitgebracht, eine holländische Spezialität aus China. Und was hatte der Verkäufer geantwortet, als Maximilian in fragte, wie die Cracker schmecken: „Weiß ich nicht, so einen Scheiß freß ich nicht!“ Zum Glück war es kein Gourmet-Papst.
    1. “Dungeon Poker”
    So hieß Maximilians heutiger Prüfling auf dem Teststand am Westpark. Eine Verfolgungsjagd zwischen Helden und Monstern, dabei werden aber nicht die Monstern von den Helden verfolgt und abgemurkst, sondern umgekehrt die Helden von den Monstern. Den jeweils Letzten beißen die Hunde. Wir spielen Aktionskarten, um Helden und Monster zu bewegen, und um auf das Überleben der einzelnen Helden zu setzen. Wer am besten gesetzt hat, gewinnt das Spiel.
    Jeder Spieler steht für ein bestimmtes Monster, die Helden sind Allgemeingut. Doch bewegen darf jeder jeden, teils vor, teils zurück. Jeder Spieler erhält seine eigenen Siegbedingungen, die sich in Vorlieben beim Gefressen-Werden der Helden ausdrücken. Mit entsprechenden Prioritäten lassen wir unsere Lieblingshelden aus der Freßfrontlinie fliehen. Ab und zu einmal hält eine Grube ihre Flucht auf. Natürlich lassen wir hier mit Vorliebe unsere Anti-Lieblinge hineinfallen. Die fliehenden Nachfolger-Helden können dann gefahrlos über ihren Mithelden in der Grube hinwegrennen.
    Helden-Fressen bringt am Anfang Minus-Punkte ein; deshalb bewegen wir in dieser Phase lieber fremde Monster, um unseren Mitmonsterhaltern die Minuspunkte zuzuschustern. Am Ende bringt das Fressen Siegpunkte ein, viele Siegpunkte. Da bemühen wir uns natürlich, unser eigenes Monster in die vorderste Reihe an der Futterkrippe zu bringen.
    Alle Aktionskarten haben eine natürliche Reihenfolge. Durch Ausspielen einer Aktionskarte mit höchster Priorität dürfen wir in einer Runde als erstes ziehen. Und dürfen aus der Auslage der offenen Aktionskarten als erster eine neue Karte nachziehen. Der Kenner entdeckt hier natürlich sofort einen Teufelskreis: Der Spieler mit der höchsten Karte darf sich auch gleich wieder eine Karte mit höchster Prioriät zu legen. Und das arme Spielerschwein mit niedrigen Aktionskarten wird immer nur niedrige Aktionskarten in der Hand halten. Eine Design-Schwäche, die umgehend geändert werden muß.
    Unsere Züge sind sehr krass. Geringfügige Vorteile auf dem Setztableau, allein die oft genug zufällige Spielerreihenfolge auf der Rennbahn, geben einen Ausschlag dafür, ob ein Spieler 40 Siegpunkte (fast die Hälfte der Endsumme!) einheimsen kann oder leer ausgeht. Auch andere krasse Effekte in der extremen Interferenz der Spielerzüge bewirken unberechenbare Spielsituationen und desauvieren unsere komplette schweißtriefende Zugplanung.

    Nach gut zwei Stunden war das Spiel über die Bühne und wir diskutierten die notwendigen Änderungen. Der Biet-Mechanismus auf die überlebenden Helden mußte einfacher, durchsichtiger, pokerartiger werden. Moritz schlug dazu einen gelungenen Mechanismus aus „Titan – the Arena“ vor und das gab den Startschuß zu einer sofortigen Wiederholung.
    Der Teufelskreis mit den hohen/niedrigen Aktionskarten wurde eliminiert: Wer die niedrigste Karten ausgespielt hatte, durfte auf seinen Zug gänzlich verzichten und sich dafür eine super-mächige Joker-Karte zulegen. Funktionierte auf Anhieb.
    Die Freßprämien und Freßantiprämien für die Monster wurden ersatzlos gestrichen. Ebenso die Vetokarten. Ein gutes Spiel braucht so etwas eh nicht. Warum darf ich erst einen Superzug planen und auführung, wenn die Mitspieler ihn umgehend mit einem Veto verbieten? Dann hätte ein solcher Superzug erst gar nicht im Spieldesign enthalten sein dürfen!
    Der modifizierte „Dungeon-Poker“ lief flott und zielführend über die Bühne. Nach einer Stunde waren wir durch und jeder hatte sich eifrig am Helden-Fressen beteiligt. Doch es bleiben noch eine Menge Probleme zu lösen.
    Es gab keine Motivation mehr, fremde Monster zu bewegen, weil nur noch das Fressen der eigenen Monster belohnt wurde. Dafür waren aber auf einmal die unterschiedlichen vorgegebenen Siegpunktbedingungen zu ungerecht. Welcher Held als erstes gefressen wir, unterliegt dem totalen Mitspielerchaos und ist absoluter Zufall. Wer Pech hat, ist die ersten 10-20 % seiner möglichen Siegpunkte los, bevor er sein Monster überhaupt das Maul aufreißen konnte. Maximilians sehr geliebte, auf langfristige Planung mit stark progressiv ansteigenden Gewinnen ausgelegte Setzstrategie für die zu fressenen Helden war zu einem adhoc Setzen ohne Konkurrenz und Interaktion degeneriert.
    Es gibt noch viel zu modifizieren. Wir diskutierten lustvoll und ausgiebig, bis die letzte U-Bahn – wohin auch immer – und die letzte S-Bahn nach Starnberg schon längst abgefahren waren. Aaron erbarmte sich Maximilians.
    Keine WPG-Wertung. Immerhin waren anwesend: Aaron, Andrea, Max (Autor), Moritz und Narkissos (Maximilians Spezi); siehe Foto.

    Wie entwickelt man gute Spiele?

    Die Spiele-Autoren-Zunft (SAZ) ist vielleicht dem ein oder anderen bekannt. Dass dort jedes Jahr ein Treffen organisiert, vermutlicht auch. Mit viel Aufwand wird daraus pro Jahr ein Tagungsband erstellt, der z.B. über den Nostheide-Verlag bestellbar ist.

    Gerade entdeckt habe ich, dass Wolfgang Kramer auf seiner Homepage einige (alle?) seiner Vorträge, auch die beim SAZ-Treffen, veröffentlicht hat. Dort findet sich auch der sehr hilfreiche Vortrag “Wie entwickelt man gute Spiele?” aus dem Jahre 2006 von ihm. Pflichtlektüre für Moritz und mich!