Es ist entschieden: die drei Hände voll Erleuchteter der Jury „Spiel des Jahres“ haben gewählt und werden ihren Preisträger für das Jahr 2015 am kommenden Montag bekanntgeben. Dann werden einige Vielspieler sich wieder wundern, welch läppische Spielmechanismen die Jury glaubt, dem deutschen Wenig-Spielervolk maximal zumuten zu können. Und sie werden die Nase rümpfen und resignierend erkennen, dass sie an den Spiel-Entscheidungen genauso wenig mitsprechen können wie an den wirtschaftspolitischen Entscheidungen der drei Hände voll Politiker, die den minderen Regierungen den munteren Geldhahn offen halten, oder auch nicht.
Für die andere große Spieleauszeichnung in Deutschland, für den „Deutschen Spielepreis“ hält der Friedrich März Verlag, der Organisator der jährlichen „Spiel Essen“, eine demokratischen Abstimmung ab. „Demokratisch“ in einer historischen Auffassung dieses Prinzips: eine privilegierte Meute von Spielern erhält eine Einladung, an der Abstimmung teilzunehmen. Heute kam für mich diese Einladung. Dank Aarons „Spiele-Finder“-Implementierung auf unserer Internetseite hatte ich im Nu die fünf Spiele ermittelt, die in diesem und letztem Jahr eine erkleckliche Anzahl von Punkten wert war. Ich habe gewählt.
1. “Diggers”
Vor zweieinhalb Jahren lag diese Eigenentwicklung von Aaron zum ersten Mal bei uns auf dem Tisch. Damals war die einhellige Meinung: „Es ist ausgereift, funktioniert super, könnte sofort in Produktion gehen.“ Dem war aber nicht so. Wenn wir am Westpark auch in den logischen Herausforderungen eines Spiels aufgehen können, braucht der Markt doch noch etwas Zufall, Chaos, Pfeffer, oder wie immer man die unberechenbaren Überraschungen im Spielablauf nennen mag.
In das kleine, hübsche, flotte Kartenspiel wurde Zusatzkarten eingebaut, die konsequent gegen die Berechenbarkeit gingen, und einen Spielablauf sogar fast auf den Kopf stellen konnten. Manche mögen’s heiß.
Vor drei Monaten hat Aaron für „Diggers“ einen Verlag gefunden, „What’s your game“. Jetzt geht es in die letzte Klärungsphase des Gärungsprozesses, und der Verlag hat auch schon ein paar Änderungen vorgeschlagen, die uns Aaron gestern testen ließ.
Alles wunderschön:
- Es gibt nur noch vier statt früher fünf Farben; dadurch haben die Spieler mit höherer Wahrscheinlichkeit Karten in der Hand, die sie an einen der sechs möglichen Wertungsstapel anlegen können.
- Jeder Kartensatz ist doppelt; dadurch gibt es deutlich mehr Möglichkeiten, sich an den verschiedenen Wertungsstapeln zu beteiligen.
- Die Wertungen steigen immer noch von Runde zu Runde an, aber nicht mehr so extrem progressiv wie früher, sondern nur noch linear. Für die kurze Spieldauer absolut ausreichen.
- Die Sonderkarten, mit denen man den überschaubaren Spielablauf krass unüberschaubar machen konnte, sind wieder weg. Dafür kann man jetzt mit bestimmten Kartenkombinationen in seiner Kartenhand den Wertungen eine leichte Richtungsänderung verpassen. Durchaus im Sinne von mehr Flexibilität.
Dann hat der Verlag aber auch noch eine Änderung vorgeschlagen, die gestern zur Katastrophe wurde: Wenn ein Spieler nicht mehr anlegen kann oder will, so passt er und wird neuer Startspieler. Früher kam dann jeder Spieler noch genau einmal dran, dann wurde gewertet. Nach dem neuen Vorschlag dürfen die anderen Mitspieler solange weiterspielen, wie sie wollen und ihre Karten reichen.
Da ein „reicher“ Spieler beim Legen einer Karte bis zu drei neue Karten nachzieht und sich die beste davon aussuchen darf, kann er das Spiel noch stundenlang weiterführen, währen alle anderen Spieler bereits passen mussten und nur noch zuschauen. Moritz praktizierte ausgiebig diese Solotechnik. Mit Überlegenheit und Überlegung spielte er Solo-Runde für Solo-Runde eine Karte nach der anderen, und wir mussten eine GEFÜHLTE halbe Stunde zuschauen, bis auch ihm endlich die Luft ausging.
Horst und Walter hatten für irgendeinen Coup ihre Kartenhand ausgedünnt und dümpelten nur noch so vor sich hin. „Ich fände es besser, wenn ich jetzt mehr Zugfreiheit hätte“ war eine Anregung an den Spieleautor. Der aber konterte mitleidslos: „Falsche Karten auf der Hand!“ Genau, das wars. Falsche Karten und zu wenig Karten. Runde für Runde. Dafür bzw. dagegen muss das Spieledesign eine Lösung haben. Aaron hat sie. Einfach diesen Vorschlag vom Verlag ablehnen!
„Diggers“ ist ein viel zu charmantes Spiel, schnell, klug, pfiffig und spielerisch, als dass es sich durch solche Sackgassen-Vorschläge abgewürgt werden könnte.
Keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Entwicklungsphase.
2. “Kraftwagen”
Trotz nur 4 WPG-Punkten von Peter und nur 5 Punkten von Günther hielt Aaron mit seinen und Moritz’ 8 Punkten das Spiel einer Kandidatur zu unserer Wahl „Spiel des Monats“ wert. Aber bei so unterschiedlichen Wertungen ist das Spiel zweifellos nicht „konsensfähig“. Peter konnte es nicht nur nicht empfehlen, er warnte auch davor, dass „Kraftwagen außerordentlich polarisiert“. Das kam schon der Ankündigung eines Vetos gegen eine mögliche Wahl gleich.
Aaron wollte den heutigen Spielabend nutzen, die Wertungen für „Kraftwagen“ bei Horst und Walter auf den Prüfstand zu legen.
Worum geht es? In einem Aufbauspiel verbessern wir unsere Fähigkeiten, schöne und stärkere Autos zu bauen, bauen schöne und starke Autos, bringen sie auf den Markt, erzeugen die einschlägigen Kundenschichten, und freuen uns an Umsatz und Gewinn. Wer Lust (und Potenz) hat, kann sich als Steckenpferd auch noch auf Autorennen verlegen, und dort versuchen, an den Siegeslorbeer heranzukommen.
Die einzelnen Aktionen werden – wie wir bei „Glen More“ zum ersten Mal kennengelernt haben – über eine Aktionsrotunde gewählt, bei der jeweils der Letzte innerhalb des Rundkurses seine nächste Aktikon wählen darf, u.U. auch mehrmals hintereinander, wenn die anderen Spieler alle mit ihren Zügen sich Aktionen weit vorne ausgesucht, und dabei eine Anzahl weniger attraktiver Aktionen übersprungen haben.
Das Spiel ist hübsch konstruiert und enthält eine ganze Reihe honorierenswerter Spielelemente, alle einheitlich um das Kraftwagen-Thema. Es konnte Walter allerdings nicht überzeugen. Der Knackpunkt ist die Stimmigkeit im Verhältnis von Planungsaufwand gegenüber Planungssicherheit. Hier hapert’s. Planen kann (und sollte!) man viel. Jede Wahl, jeder Sprung, jede Knausrigkeit auf der Aktionsrotunde sollte genau abgewogen sein. Fortschritt in der Entwicklung ist lebensnotwendig.
Doch die Entwicklung ist nicht frei bestimmbar, sondern wird über „Fortschrittskarten“ gesteuert, von denen jedem Spieler nur eine ganz kleine Zufallsauswahl zur Verfügung steht. Flexibel auf die Gegebenheiten des Zufalls reagieren, das ist die Devise! Zweifellos ebenfalls eine intellektuelle Herausforderung! „Planung“ würde ich das allerdings nicht nennen, für mich ist das eher „Heuristik“. Auch gut.
Die gute Heuristik enthält aber zudem noch absolut unberechenbare Nebeneffekte. Welches Auto man auch immer auf den Markt bringt, es ist bis kurz vor Ende eines Runde nicht gesichert, dass man es auch verkaufen kann. Nur wenn alle Käufer einer Spielrunde bereits zur Stelle sind, und man zufällig das letzte Auto eine Runde produziert, kann man es so ausstatten, dass wenigstens dieses Auto auch verkauft wird. Der Effekt für den Spieler, der am Markt vorbei produziert hat, ist allerdings katastrophal: Er bekommt nicht die Hälte des Wertes und auch nicht ein Drittel, er bekommt gar nichts. Alles oder nichts! Ein Planspiel, bei dem die angestrebten Erlöse auf Grund von Mitspielerverhalten von Hundert auf Null absinken, das ist kein Planspiel, sondern ein Roulette. Dafür ist der benötigte Denkaufwand im „Kraftwagen“ viel zu hoch.
WPG-Wertung: Zu den bisherigen Noten von Aaron: 8, Günther: 5, Moritz: 8, Peter: 4 vergaben heute: Horst: 7 (viele planbare Strategien), Walter: 5 (neben dem zu großen Zufallseinfluss besitzt es noch erhebliche Kingmaker-Effekte und es verzeiht keine Spielfehler; dazu mag er diese Kartenaufbau-Menagerie nicht!)
3. “Verflixxt!”
Statt des gewohnten „Bluff“ ein anderes lockeres Würfelspiel als Absacker. Alle dürfen ausreichend würfeln, jeder darf ein bisschen denken, ansonsten aber locker drauflos spielen und sich über gute Würfelwürfe freuen. Wer verliert, war nicht der Dumme, sondern hat unglücklich gewürfelt. Aber trotzdem glücklich gespielt, denn „Verflixxt!“ ist ein „Klassiker, weil es immer wieder Spaß macht!“ (Originalton Moritz).
Moritz hat gewonnen. Nach der Basisversion. Nach Variante 4 wäre er Letzter geworden, aber dann hätte er anders gespielt. Und ganz sicher auch anders gewürfelt!
Keine neue WPG-Wertung für ein fast 8-Punkte-Spiel.