Archiv der Kategorie: Spieleabende

28.09.2011: Alte und neue Seefahrer-Kapitale

Horst zieht um. Seit der Geburts seines Sohnes vor einem Jahr ist er einem ständigen Terror seitens eines Nachbarn ausgesetzt. Zu jeder Tages- (!) und Nachtzeit bumbert der beim kleinsten Geräusch an die Wand und schreit: „Könnt ihr euren Sprößling nicht zur Ruhe bringen!“ Birgits Nerven haben das nicht mehr ausgehalten. Der Nachbar muß nervenkrank sein, wenn nicht gar gemeingefährlich. Der Klügere gibt nach. Ab nächster Woche wird eine neue Wohnung in einer neuen Gegend hoffentlich Ruhe und Frieden bringen.
Ein kleiner hämischer Trost für die drangsalierte Spielerfamilie: Der böse Nachbar weiß natürlich nichts von ihrem Umzug und hat sich mittlerweile ebenfalls entschlossen auszuziehen. Seine Wohnung hat er bereits verkauft. Was wird er wohl für Augen machen, wenn am 1. Oktober gleich zwei Umzugswägen vor der Haustür stehen!
1. “London”
Vor einem halben Jahr im Trio zum letzten Mal gespielt, waren heute Aaron und Moritz die Neulinge. Es war zwar Aarons Spiel, das auf den Tisch kam, doch er hatte sich nicht auf die Spielregeln vorbereitet. Günther konnte sich nicht mehr so gut daran erinnern, um freiwillig die Erklärerrolle zu übernehmen und Walter ist diesbezüglich ohnehin off-limits. So durfte Moritz aus dem Stegreif das Regelheft vortragen bzw. wiederholen.
Der Spielplan zeigt im groben Schema den Stadtplan von London. Moritz entdeckte sogleich einen Teil seiner Vergangenheit wieder: „Ich zeig euch gleich mal, wo ich gewohnt habe. Hier unten, rechts von Deptford.“ Aaron kannte sich aus: „Oh, südlich der Themse! Da brennt doch immer mal wieder nächtens ein Auto!“
Nun ja, im Jahre 1891, in dem „London“ spielt, brannte nicht nur ein Auto, sondern gleich die ganze Stadt. Wir müssen sie wieder aufbauen. Das dominiertende Element dabei sind Karten, die Bauwerke der Stadt darstellen. Wir dürfen mit gewissen Freiheiten uns daraus eine erkleckliche Anzahl aussuchen, sie peut-a-peut als „Gebäudeauslage“ vor uns auslegen, sie später aktivieren und damit Geld und Siegpunkte einstreichen.
Regelmäßig steigt bei unseren Gebäude-Aktivierungen die öffentliche Armut. Ihre Bekämpfung ist überhaupt eine der großen Herausforderungen im Spiel. Durch wenige Stapel in unserer „Gebäudeauslage“ und durch wenige Handkarten können wir einen rasanten Anstieg der Armut verhindern, und ein paar wenigen Gebäudekarten erlauben sogar, sie zu verringern. Aber man muß schon rechtzeitig zugreifen und auch einen Batzen Geld opfern, um diese Gelegenheiten wahrzunehmen.
Walter predigte gegen die Armut, ließ sich dann aber vom schnöden Mammon verleiten und bekam am Ende 18 Strafpunkte für die Armen in seinem Stadtviertel. Das reichte zum letzten Platz. Moritz konnte als einziger Spieler die Armut restlos beseitigen; daneben hatte er sich einen gelungenen Mix an Stadtvierteln, U-Bahnlinien und Siegpunkte-Gebäuden zugelegt. Es reichte mit 62 Punkten zum Sieg.
Strategietips für ein gutes Spiel:

  • Erweitere früh und ausgiebig deine Regierung in den Stadtbezirken, gegebenenfalls auch mit Krediten
  • Nimm dir ein Maximum an Stapeln vor, mit denen du arbeiten willst und errichte möglichst schnell vom Start an diese Zahl
  • Belege jeweils alle Stapel mit einer Gebäudekarte und aktiviere jeweils alle Stapel mit einem Schlag
  • In den ersten Runden spielt das Geld natürlich eine wichtige Rolle, doch am Ende zählen nur Siegpunkte und der Abbau der Arbeit. Schalte also rechtzeitig von der Geldpolitik auf ein soziales Mäzenatentum um.

WPG-Wertung: Aaron: 6 (zu solitär), Moritz: 7 (enthält sogar – ausnahmeweise – relativ viel Thema); die anderen blieben bei ihren 7 Punkten.
2. “Porto Carthago”
Letztes Jahr haben wir dieses Spiel in seiner Entstehung begleitet und Aaron hatte es auf Bernd Eisensteins Stand auf der „Spiel 2010“ mit Erfolg präsentieren helfen. Heute durfte er auch bei uns die Erinnerungen auffrischen. Doch ohne Regelheft ging das nicht. Man sieht, selbst eine tagelange Dozentenarbeit mit einem einzigen Spiel brennen die Regeln in unserem Gedächtnis nicht ein. (Wieviel weniger gilt das erst für das bei uns übliche 1-2 malige Spielen!)
„Porto Carthago“ enthält ziemlich viele Spielelemente, die sehr viele verschiedene Schienen zum Sieg eröffnen. In optimalem Timing und in Konkurrenz zu unseren Mitspielern müssen wir dazu unsere Aktionen einsetzen.

  • Einmal pro Runde fahren 4-5 Handelsschiffe in den Stadthafen von Carthago. Wir müssen rechtzeitig hier die Landungsstege besetzen, an denen sie ankommen. Haben wir den Hafenmeister ergattert, können wir uns beim Einlaufen noch ein paar Vorteile verschaffen oder einzelne Konkurrenten benachteiligen.
  • Einmal pro Runde wird der Markt gefüllt, auf dem wir uns mit den Waren eindecken können, mit denen wir die Handelsschiffen beliefern. Hier muß man zugreifen, solange der Vorrat reicht und solange noch Platz in unserem Lager ist. Dies gilt unabhängig davon, ob die vorhandene Warenart von den Schiffen an unseren Landungsstegen aktuell überhaupt benötigt wird.
  • Im Freihafen gibt es eine Reihe von Anlegestellen für außerplanmäßige Schiffe. Die hier verschifften Waren sind nach ihrer Art nicht vorgeben. Hier können wir alle Waren aus unserem Lager loswerden. Allerdings ist die Anzahl der Plätze im Freihafen stark begrenzt. Wer sich nicht rechtzeitig einen Platz gesichert hat, kann ziemlich lange in die Röhre schauen.
  • Gewinnen tut man über den Einfluß im Palast. Den zu erkaufen wird im Laufe des Spiels immer teurer, also muß man sich frühzeitig hier die Zugangsmöglichkeiten eröffnen und Schmiergelder immer fließen lassen, wenn man sie entbehren kann.
  • Der zunächst unscheinbare Intrigenpfad kann bei Spielende auch nochmals reichlich Palast-Einfluß abwerfen. Hier werden in jedem Fall die in der Schlußphase überschüssigen Handelspunkte eingesetzt. Was aber schlußendlich dabei herauskommt – mit erheblichem Einfluß auf die Sieger-Positionierungen – ist stark abhängig von den Ambitionen der Mitspieler. Sich rechtzeitig zu engagieren ist gut, den Intriegenpfad aber zu dominieren ist schlecht, wenn sich dann kein weiterer Spieler mehr beteiligt und der dadurch vergebene Gesamt-Einfluß gering bleibt.

Die vielen Rädchen und Schräubchen, an denen man in „Porto Carthago“ drehen kann, erzeugen jedesmal einen anderen Spielablauf. Teilweise total anders. Heute gab es unerwartet viele Blockaden. Der Markt war immer im Nu leergefegt und viele Handelsschiffe konnten nicht beliefert werden. Keiner nahm es allerdings auf sich, einen Zug zu opfern, um den Markt außerplanmäßig neu zu beschicken.
Der Freihafen wurde 3 Runden lange von Günther vollständig blockiert. Zunächst nicht gerade mit Absicht, mehr aus Frust, weil keine Waren mehr da waren, und dementsprechend auch keine lukrativen Landungsstege winkten.
Walter belegte – ebenfalls mehr der Not gehorchend, weil sein Lager voll und im Freihafen kein Platz mehr war – in den letzten beiden Runden dann alle Landungsstege, die im Stadthafen noch angefahren wurden. Auch wenn er nicht genügend Waren (und Züge) hatte, diese Schiffe alle zu beliefern.
Als Folge dieser Blockaden boten sich überdurchschnittlich oft keine lustigeren Züge als die Notration von 3 Talenten einzustreichen. Trotzdem war es schweißtreibend und spannend. Und jeder kann heute Nacht davon träumen, was er beim nächsten Mal anders machen will. Falls ihn die Mitspieler nicht daran hindern.
Keine neue WPG-Wertung für ein gutes 7,6 Punkte-Spiel.
3. “Bluff”
Nein, heute kein Bluff mehr. Morgen früh geht es auf den Jochberg.

21.09.2011: Riesen und Steuermänner

Als NPC (non-painting- companion) mit der besten aller Ehefrauen zu einem Malkurs in die einsamen Berge des Languedoc. Simon Fletcher hat gerufen und sieben Künstler aus fünf Ländern sind seinem Aufruf gefolgt. NPCs nicht mitgezählt. Aquarell-Kunst wird ganz groß geschrieben, ebenso die Cuisine Française. Doch spielerisch ist es ein ziemliches Ödland. Natürlich haben alle Kursteilnehmer in ihrer Kindheit schon einmal „Monopoly“ gespielt. Die beiden Engländerinnen kennen sogar „Bridge“, das schweizer Brüderpaar war für eine Schachpartie aufgelegt und das Ehepaar aus Egelsbach spielt regelmäßig „Doppelkopf“. Doch von „Settlers of Catan“ hat noch keiner etwas gehört; höchstens etwas von einer „Creme Catalan“! „Carcassone“ als Spiel ist ein Fremdwort, dabei liegt die zugehörige Stadt nur fünzig Kilometer entfernt.
Bevor wir uns zurück in das Eldorado am Westpark aufschwingen, machen wir noch einen Abstecher in die eindrucksvolle Burg der alten Albigenserstadt. Beim Durchstiefeln der wehrhaften Festungsmauern kommt unwillkürlich die Idee, die guten Tummelhofers könnten die 873-ste Erweiterung ihres Paradepferdes doch „Katholiken und Ketzer“ nennen. Doch das heißt offene Türen einrennen: „Carcasson – die Katharer“ gibt es schon seit 2004.
Hallo Benedikt XVI, willkommen in Deutschland! Vielleicht fällt dir auch noch etwas zu den Ketzern ein!
1. “Giants”
Seit vier Monaten liegt das Spiel am Westpark auf dem Sofa herum. Heute kam es endlich zum Einsatz. Die Urlaubssaison ist vorbei, die geeignete 5er Runde war vorhanden, und Horst hatte sich auf die Spielregeln vorbereitet (und das Regelheft nicht zuhause vergessen).
Wir befinden uns zur Steinzeit auf der Osterinsel und heimsen Siegpunkte ein, indem wir in den Steinbrüchen Maoi-Statuen schnitzen und sie an den Zeremonienplätzen („Ahus“) an der Küste aufstellen. Jeder Spieler führt einen Clan, der den Transport abwickelt. Wer die dicksten Maois zu den kapitalistischsten Ahus gebracht hat und sie ggf. auch noch mit Kopfschmuck versorgt hat, ist Sieger.
Das Spiel besitzt eine liebevolle Ausstattung, gefälliges, eigens für „Giants“ hergestelltes Material, von den Würfeln angefangen bis zu den hübschen Plastikfiguren für Häuptlinge, Medizinmänner, Träger und drei Gewichtsklassen von Maois. Ein Maoi hatte bereits seinen Kopfschmuck auf, und Aaron wollte ihn abnehmen. Doch selbst mit vereinten Günther-Moritz-Kräften gelang das nicht. Er saß wie angegossen. War er auch. Es war auch nämlich keiner der üblichen Maois aus dem Steinbruch, es war die Startspielerfigur!
Aaron demonstrierte seine „Rainman“-Fähigkeiten. Mit einem einzigen Blick auf den Haufen mit den streichholzgroßen „Baumstämmen“ (als Transporthilfe zum Rollen der Maois) konnte er erkennen, dass es genau 27 Stück waren. (Beim Schätzen der vollen Schüssel mit Gummibärchen mußte er allerdings passen.)
Auf dem Weg zum Sieg müssen wir mit unserem Aktionen

  • Maois schnitzen (ersteigern)
  • die Anzahl unserer Träger erhöhen
  • eine Reihe von Baumstämmen besorgen
  • den Transport von Maois durchführen
  • ggf. einige bestimmte Zeremonienplätze reservieren.
  • ggf. Kopfschmuck bereitstellen

Die Herausforderung des Spiels ist es, alle diese notwendigen Aktionen in der optimalen Reihenfolge durchzuführen. Wie bei solchen Aufbauspielen üblich, sollte man sich zunächst um die Kopfzahl des eigenen Volkes kümmen. Dazu kommt die Ausstattung des Häuptlings mit Medizinmann-Fähigkeiten, um den Aufbauprozeß zu beschleunigen. Wer ganz langfristig plant, reserviert sich rechtzeitig im Mittelspiel den einträchtigsten Zeremonienplatz. Maois und Kopfschmuck kommen erst ganz zum Schluß. (Erste Näherung)
Doch der Hauptteil des Spiels, die Aufstellung der Maois an der Küste, steckt voller Risiken und Überraschungen. Man darf für seinen eigenen Transport nämlich auch die Träger der Mitspieler benutzen. Und da alle Spieler mit ihre Trägern mehr oder weniger den gleichen Weg vom Steinbruch zur Küste bauen, können praktisch alle Spieler den gleichen Weg nutzen. Jetzt kommt es darauf an, wer in der Transportphase als erster am Zug ist und somit an der Küste den besten Zeremonienplatz belegt. Startspieler-Reihenfolge beachten!
Auch der Aufbau der Trägerkette ist heikel. In der Regel kann man mit seinen eigenen Trägern allein nicht den vollständigen Weg realisieren, man ist auf die Mithilfe der Mitspieler angewiesen. Und wenn in der Strecke eine Lücke bleibt? Dann muß man unter Umständen 20 Siegpunkte in den Wind schreiben. Insofern enthält das Setzen der Träger eine Phase höchster Interaktion. Leider ist damit auch eine erhebliche Kingmakerei verbunden. Ich kann einem Mitspieler uneigennützig zu den 20 Siegpunkten verhelfen. Oder auch nicht. Oder einem anderen.
Moritz jammerte bis zur Schlußwertung (einschließlich), dass er Letzter werde. Doch Sekunden später war er Erster. Ein einziger dicker Maoi an einem punkteträchtigen Ahu brachte ihm mehr als die halbe Miete ein. Und wenn Horst bei seiner Positionierung seines letzten Trägers nicht gewarnt worden wäre (eigentlich ein Verstoß gegen den WPG-Kodex), dann hätte er unfreiwillig Moritz weitere 20 Siegpunkte zugeschustert.
WPG-Wertung: Aaron: 7 (minus 1 Punkt wegen des Spielmaterials: der Plastik-Kopfschmuck paßt nicht auf die Plastik-Maoi-Köpfe), Günther: 5 (das Spiel ist nicht kalkulierbar, das Chaos mit den Trägern dominiert), Horst: 7 (plus 1 Punkt für die gefällige Ausstattung am Spielmaterial), Moritz: 7 (das Spiel ist nicht trocken und das Thema ist gut eingebracht), Walter: 7 (viele neue Ideen, 1 Punkt weniger, wenn man es nicht locker spielt.)
Eine sofortige „Giants“-Wiederholung wurde vorgeschlagen und fast angenommen. Nur Aaron war dagegen.
2. “Navegador”
Als zweiter Gang des Abends wurden abgeleht: „Firenze“ wegen der seiner Ärgerkarten, „Funkenschlag“ weil es zu lange dauert, „Outpost“ wegen seiner vielen Schräubchen und „Small World“ wegen Überfütterung. Das Rennen machte „Navigador“, vor knapp einem Jahr zum letzten Mal gespielt und keinesfalls mit den allerbesten Bemerkungen bedacht (von „gutes Durchschnittsspiel“ bis zu „fehlende Spannung“). Doch das Spiel ist sehr gut ausbalanciert und erlaubt verschiedenste Strategien zu verfolgen, die alle zum Sieg führen können.

  • Als Schiffsstrategen kaufen wir auf Teufel komm’ raus Schiffe und entdecken die Welt, um mit den Entdecker-Prämien den Sieg einzufahren.
  • Als Kolonialherren legen wir uns jede Menge Kolonien zu und lassen dort die Rohstoffequellen zu unserm Reichtum sprudeln.
  • Als Fabrikanten bauen wir vorzugsweise Fabriken und streichen über die Veredelung von Rohstoffen gewaltige Summen ein.

Die gewählte Strategie müssen wir allerdings ganz konsequent verfolgen und alle unsere Handlungsfreiheiten in den Ausbau des zugehörigen Besitzstandes einsetzen. Und nebenbei müssen wir uns natürlich auch um die Privilegien des gewählten Spezielgebietes kümmern, damit wird in der Schlußwertung unser Besitzstand multipliziert.
Unser Schicksal liegt voll in unserer Hand; mit einer frei wählbaren Schrittweite wandern wir mit unserem Aktionsstein um ein vorzügliches „Aktionsrondel“ herum und planen unsere nächsten Schritte über mindestens zwei, drei weitere Züge voraus. Diese völlige Planbarkeit ist allerdings auch ein spielerischer Nachteil; sie geht auf Kosten der Interaktionsmöglichkeiten. Eigentlich spielt jeder mehr oder weniger autonom vor sich hin.
Moritz jammerte wieder, dass das Spiel an ihm vorbeigelaufen sei. Diesmal hatte er recht.
WPG-Wertung: Horst vergab mit 8 Punkten einen ganzen Punkt mehr als der bisherige WPG-Durchschnitt. “Das Spiel ist Klasse. Die Einschränkungen in der Aktionsauswahl machen das Spiel total stressfrei.”
3. “Bluff”
Horst traute sich nicht mehr an seine Sternen-Strategie; und suchte verzweifelt Alternativen. Es gab keine. Günther räumte seine Kontrahenten in der Reihenfolge Horst, Walter und Aaron konsequent und verlustfrei ab.
Im zweiten Spiel nahm Horst seine Sternen-Strategie wieder auf und legte auch gleich die passenden Würfel aufs Parkett. Doch diesmal glaubte er zu sehr an Sternenwürfe auch bei seinen Konkurrenten. Auch sein letzter abgegebener Würfel war ein einsamer schöner runder Stern.
Merke: Sterne würfeln und Sterne vorgeben ist gut; den Mitspielern Stern-Vorgaben zu glauben ist schlecht.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

31.08.2011: Vier Städte

Wo liegen Manhattan-Bridge und Brooklyn-Bridge in einem 90° Winkel nur eine halbe Elle weit auseinander? Ja, genau da!
Es gibt keine Goethestraße und keine Schloßalle, statt dessen eine 5th Avenue und Ellis Eiland. Badstraße und Turmstraße wurden in Little Italy und Chinatown umbenannt (oder war es umgekehrt?), Häuser und Hotels sind Studios und Brownstones (nach LEO sind das Sandsteinhäuser, im damaligen Amerika offensichtlich etwas Großes). Hübsche kleine Zinnfiguren, Apfel, Auto, Hot Dogs und die Freiheitsstatue darstellend, sind die Pöppel, mit denen wir das Carree umrunden. Es geht nicht um Hunderttausende von Dollars, die kleinste Stückelung hat den Nennwert von einem Dollar. Ganz schön bescheiden. (Oder ist der beherrschte Zahlenraum der heutigen Generation geschrumpft?)
„New York“ heißt diese Ausgabe des wohl bekanntesten Brettspiels unserer Zeit. Meine Tochter sowie der spanische Schwiegerfreund haben sie in unserem Familienurlaub am Balaton auf den Tisch gelegt. Zuerst war ich peinlich überrascht, weil ich ein Geschenk befürchtete, aber dann war es doch nur ein Spielvorschlag. Und schon ging es los.
Bekanntermaßen besteht dieses reine Glücksspiel aus zwei Glücksphasen. In der ersten Phase würfelt man hoffnungsvoll um die Gründstücke, die man erwerben möchte. In der zweiten Phase würfelt man ängstlich um die Gründstücke, auf denen man keine Miete bezahlen möchte; dann bleibt man am liebsten im Gefängnis eingesperrt.
Für ganz kluge Köpfe gibt es zwischen diesen Glücksphasen zuweilen für ein paar Sekunden noch eine Handelsphase, wo man die Münchener Straße gegen den Opernplatz vertauscht und ggf. noch etwas drauflegt. Im Spielkreis meines Schwagers wird die erste, etwas langatmige Phase auf Null reduziert, in dem die vorhandenen Grundstückskarten einfach wie beim Skat verteilt werden. Immerhin geht damit kein Stück Taktik oder Strategie verloren, und man spart sich fast eine ganze Stunde Einschwungzeit.
In unserem Dreierkreis hatte Antonio als erster und einziger einen kompletten Straßenzug erwürfelt: die supergeile Parkstraße und Schloßallee, sprich Central Park und Ellis Eiland. Jetzt hätte er nur noch ein stumpfsinniges Dahindümpeln / Würfeln aussitzen müssen, um spätestens eine Stunde später das Feld als Monopolist zu verlassen. Doch aus Gutmütigkeit, Sportsgeist oder Pietät gegenüber dem Schwiegervater in spe tauschte er zwei Pink-Straßen gegen eine Braun-Orange-Straße (meine Lieblingsgrundstücke, die auf den Feldern 6, 8 und 9 hinter dem Gefängnis). Das war sein Tod. Auf Sabina’s Straßenstrich von Chinatown hauchte er seine letzten Dollars aus, ohne daß jemals auch nur ein einziger Flüchtling auf Ellis Eiland seinen Paß vorgezeigt oder im Central Park gelustwandelt hätte.
Bisher noch keine einzige WPG-Wertung für das Spiel der Spiele! Aus Pietät für die Freunde von Würfelspielen vergibt Walter freundliche 6 Punkte. Das Spiel hat eine vorzügliche Balance. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Wenn ihm hier aber einer mit strategischen Fachsimpeleien ankommt, würde er ihm sofort eine 2-3 um die Ohren knallen. Sabina: 5, Toni: 8.
Die weiteren Nostalgienoten der heutigen Westpark-Gamers: Birgit: 5 (OK, aber kein großer Spielreiz), Günther: 5 (für Spielstunden mit Neffen und Nichten), Horst: 5 (mal sehen, wann Sebastian dafür reif ist).


Um die strategische Herausforderung zu potenzieren, spielte ich hinterher mit dem Schwiegerfreund noch einige Partien eines schriftlichen Frage- und Antwortspiels, bei dem ich die spanischen Zahlen von 1 bis 10 und das spanische Alphabet von A bis Chota vertiefen konnte, und bei dem die Antwort „agua“ eine Enttäuschung, die Antwort „tocado y hundido“ aber das reinste Entzücken hervorrief. Was war das?
1. “Firenze”
Abermals ein großer Wurf von Pegasus. Wir sind mal wieder Bauherrn und bauen Geschlechtertürme (bitte mit nichts zu verwechseln!) in einer Stadt. Für jedes fertiggestellte Stockwerk gibt es Siegpunkte und Sonderprämien; wer am Ende die besten siegpunktträchtigen Etagen gebaut hat, ist Sieger.
Jeder Spielzug eines Spielers besteht aus 4 Phasen:

  • Aus einer Reihe von 6 offenen Aktionskarten die optimalste wählen: Der Auswahlmechanismus ist hier ähnlich wie bei „Small World“: Die vorderste Aktionskarte kostet nichts, für jede weiter hinten liegende Aktionskarte muß man auf jede übersprungene Karte einen Obolus legen. So werden auch weniger attaktive Karten im Laufe der Zeit immer wertvoller, bis sich die Waage schließlich doch noch zu ihren Gunsten neigt.
    Der entscheidende Unterschied zwischen den verschiedenen Aktionskarten liegt allerdings weniger in ihrer Funktion (im wesentlichen Siegpunkt- oder Kosten-Modifier), sondern in der Anzahl und Farbe der Bausteine, die ihnen zugeordnet ist, und die es erlauben, an den verschiedenen Geschlechtertürmen mitzubauen.
  • Steine tauschen: Im Verhältnis 3:1 kann man aktuell überflüssige Steine gegen dringend benötigte Steine umtauschen. Damit werden die Unbilden den Zufalls bei der Bausteine-Verteilung gemildert.
  • Türme bauen: Aus den angesammelten Steinen kann man einen oder mehrere farbige Türme errichten oder an bestehenden Türmen weiterbauen. Hier ist eine hübsche Abwägung eingebaut: Fange ich einen neuen Turm an um ihn peut-a-peut fertig zu stellen, oder spare ich die Bausteine auf, um den Turm später auf einen Streich zu bauen? Angefangene Türme haben den Nachteil, dass ich in der Höhe der Türme weniger flexibel bin. Zudem muss ich in jedem Zug an jedem angefangenen Turm weiterbauen, ansonsten wird er als „Bauruine“ abgerissen. Dafür ist es erheblich billiger, einen Turm in kleineren Teilstücken zu errichten als in einer einzigen großen Bauphase.
  • Aufträge erfüllen: Fertige Türme, die in der Etagenhöhe einem noch ausstehenden Auftrag genau entsprechen, werden abgerechnet und man erhält dafür Siegpunkte.

Das ganze ist spannend (Kriege ich die richtigen Bausteine zusammen? Kann ich einen Etagenturm abrechnen, bevor mir ein Mitspieler den Auftrag wegschnappt?), konstruktiv (schließlich werden Türme gebaut), schnell, durchsichtig (sehr wenige, klare und verständliche Regeln) und taktisch-strategisch („Früher Vogel fängt den Wurm“ gegen „Dem Hahn, der zu früh kräht, dreht man den Hals um.“)
Leider gibt es unter den Aktionskarten auch ein paar Ärgerkarten. Der „Saboteur“ entfernt einen Stein von einem Turm eines beliebige Mitspielers und der „Schmuggler“ tauscht einen eigenen Stein gegen den Stein eines Mitspielers (der damit eine bestimmte Etage gerade nicht mehr fertigstellen kann). Muß das sein? Es gibt in „Firenze“ so viel zu planen, zu überlegen und scharf zu kalkulieren, dass solche Ärgermechanismen schlichtweg kontraproduktiv sind. Birgit und Walter sind aus Prinzip gegen diese parteilichen Chaos-Effekte; Günther könnte noch damit leben; Horst könnte ohne diese Effekte sogar besser leben.
WPG-Wertung: Birgit: 6 (vom Thema nicht umgehauen. Einschränkung wegen der Ärgerkarten), Günther 7 (das Spiel ist rund; das ständige Nachschieben und Füllen der Aktionskarten ist allerdings etwas umständlich), Horst: 7 (das Spiel ist solide, Einschränkungen wegen des gewaltigen Siegpunktrausches am Ende), Walter: 7 (ohne die Ärgerkarten wären es 8 Punkte).
2. “Die Speicherstadt”
Letztes Jahr lag dieses Eggert-Spiel von Stefan Feld dreimal auf dem Spieltisch am Westpark. Da sag’ doch mal einer, wir würden alle Spiele nur einmal spielen und dürften uns daraus noch kein Urteil erlauben!
Heute setzte es sich wegen seiner kurzen Spieldauer (45 Minuten) durch, schließlich sollte Sebastians Babysitter spätestens um 23 Uhr abgelöst werden. Für die Alternative, „Strassbourg“, muss man eher die doppelte Zeit ansetzen.
Der neuartige Postenschachermechanismus, mit dem die Spieler ihre Aktionen auswählen, hat nichts von seinem Reiz verloren, auch wenn lange Gesichter bei den Zu-Kurz-Gekommenen immer mal wieder nicht zu vermeiden sind. Das Geld ist äußerst knapp, und wer sein letztes Geld für einen Auftrag, eine Schiffsladung oder einen Feuerwehrmann ausgegeben hat, ist in der nächsten Runde ausrechenbar, und geht mit hohem Risiko ganz leer aus.
Günther hatte den gesamten Spielablauf von langer Hand geplant und tat in der Schlußwertung einen Sprung von Minus-4 auf Plus-27 Punkte. Unangefochten die Spitze.
WPG-Wertung: Birgit und Horst reihten sich mit 8 Punkten in die Spitzengruppe der bisherigen guten WPG-Werter ein.
Von einem drohenen Bluff-Absacker verschreckt, düste Birgit zum mütterlichen Babysitter davon.
3. “Ysphahan”
Das Spiel lag seit seinem Erscheinen im Jahr 2006 bereits fünf mal bei uns auf dem Tisch. Günther hat schon vor Jahren die PC-Fassung für das Spiel gegen den Computer implementiert; vor kurzem hat er auch noch eine Internet-Version geschaffen, mit der man jetzt online gegen entfernt lebende Mitspieler im Netz spielen kann. Natürlich besitzt er auch am realen Brettspiel die größte strategischen Erfahrung.
Ohne echten Gegenspieler schwelgte er in der Supervisor-Strategie. Er baute als erste Gebäude die Karawanserei und das Badehaus, und schickte anschließend bei fast jedem Zug gleich zwei Pöppel in die Karavane und durfte dafür auch gleich noch zwei Bonuskarten ziehen. Am Ende hatte er Horst und Walter nahezu überrundet.
Walter fuhr zwei Runden lang recht erfolgreich die Basarstrategie. Im Besitz von Lastenaufzug und Markt konnte er in der zweiten Runde die gelben Basare vollständig in Besitz nehmen und allein dafür 28 Siegepunkte kassieren. Doch dann verließen sie ihn. Günther’s Supervisor-Strategie erlaubte sogar noch, den Gegnern jeweils die Würfelgruppe zu entwerten, die ihnen am peinlichsten war.
Horst durchlebte die Verwandlung von Begeisterung in Entgeisterung. Fassungslos konnte er nur zuschauen, wie Günthers Siegpunktkonto sturzbachartig anschwoll. Gewiß, in einer 3er Runde kann „Ysphahan“ durchaus die Balance verlieren. Ein Supervisor allein ist wahrscheinlich unschlagbar, und wenn sich zwei Supervisor streiten, dann freut sich das lachende dritte Kamel. Gibt es dazwischen einen Mittelweg, nämlich dem Supervisor an den Karren zu fahren, ohne dabei die Chancen auf den eigenen Sieg ganz fallen lassen zu müssen?
Doch auch ohne Balance ist Ysphahan ein vielseitiges, schnelles, vorzügliches Spiel.
WPG-Wertung: Horsts 8 Punkte blieben diesmal unterhalb des super-guten WPG-Durchschnittes.

10.08.2011: Ora et labora

Aus dem „Kopfkissenbuch“ der japanischen Hofdame Sei Shonagon (vor ca. 1000 Jahren):
Beneidenswerte Leute sind …
a) Leute, denen beim Würfelspiel immer die gewünschte Zahl erscheint.
b) Hohe Priester, die sich über allen Erdenkummer erheben.
Da schau mal, lieber Aaron, außer mit Deinem umwerfenden Astralkörper gibt es noch andere Weisen, nach denen Du beneidenswert sein kannst!
1. “Pantheon”
Das Allgötter-Spiel wurde schon oft genug mit Lust und Liebe am Westpark gespielt, heute durfte Andrea ihre Premiere feiern. „Was kommen da für süße Füße vor!“ war ihr erster freudiger Ausruf, als das Spielmaterial auf den Tisch kam. Moritz trug die Regeln vor. Er kennt das Spiel schon so gut, dass er nicht einmal ins Regelheft zu schauen brauchte, um alles klar, strukturiert und vollständig rüber zu bringen. Natürlich kann man die Effekte der vielfältigen Spielelemente wie Götter, Halbgötter, Füße, Bewegung, Karten, Geld, Rabatte, Tempel, Prämien und Siegpunkte nicht auf Anhieb alle in das eigene Weltbild einordnen. Entsprechend häufig kamen Rückfragen unseres Kückens und Moritz antwortete jedesmal mit der sprichwörtlichen Geduld eines 10-jährigen Ehemanns. Doch auch die älteren Hasen haben viele Details schneller wieder vergessen als verstanden. Aaron erklärte in diesem Zusammenhang den Unterschied zwischen fehlender Intelligenz und Demens.
Er selber leidet ja unter dem Geburtsfehler, dass er grundsätzlich grottenschlecht würfelt. Bei Pantheon kommt hinzu, dass er hier grundsätzlich auch noch schlechte Aktionskarten bekommt. So war diesmal keine einzige Fußkarte in seinem Startset. Und keine beim Nachziehen. Darin liegt allerdings auch ein großer Vorteil: Man braucht nicht lange an seinem Zug zu überlegen. Gemäß der „Ohne-Säulen-Strategie“ zieht man konsequent ausschließlich Bilderkarten und tauscht sie so oft wie möglich gegen Götter und ihren göttlichen Beistand ein. Am Ende zeigte sich allerdings, dass man in jedem Fall auch ein paar eigene Schritte tun muß, bevor einem die Götter zum Sieg verhelfen.
Neuling Andrea war das Schicksal hold. Einmal brachten ihr ein einziges erwandertes Prämienplättchen 17 Siegpunkte auf einen einzigen Schlag ein. Nicht ganz die halbe Miete, aber doch ein erklecklicher Anteil davon. Neidvoller Männer-Kommentar: „Die einen erarbeiten es sich hart, die anderen kriegen es geschenkt.“ Weibliche Replik: „Ich habe mir diese Siegpunkte auf den Füßen errobbt!“ Mit ihrer Robber-Technik wurde sie haushoher Sieger.
Manöverkritik. Andrea: „Ich hatte einen guten Start, habe effizient gespielt und Glück gehabt.“ Aaron: „Ganz ohne Säulen geht die Chose nicht!“ Moritz: „Ich habe keinen Fehler gemacht.“ Der Siegpunkt-Unterschied lag dann offensichtlich innerhalb des zufälligen Glücksrauschens. Walter: „Ich bin von vornherein auf Tempelsäulen ausgewesen, doch ich habe dabei gesündigt, und die Götter haben das nicht verziehen.“
Was kann man daraus über „Pantheon“ ablesen: Jeder kann ganz unterschiedliche Pläne verfolgen. Manche sind manchmal erfolgreich. In einer 4er Runde immerhin zu durchschnittlich 25%. Das Spiel ist flott, rund und schön. Ein paar bewußt eingebaute zufällige Elemente zeigen krasse Effekte. Sie untergraben eine strenge Planbarkeit, erhöhen aber – für denjenigen, der das mag – den spielerischen chaotischen Reiz. Manche mögen’s heiß.
WPG-Wertung: Andrea lag mit ihren 8 Punkten genau im WPG-Durchschnitt.
2. “Schiefer”
Das zweite Exemplar der diesjährigen “spielbox Wallace Edition“. Die Szenerie sind Schieferminen entlang von Flußläufen. Wir beackern die Minen, verkaufen den Aushub, verbessern Bautechnik und Ertragsquotienten und stellen weitere Grubenarbeiter ein.
In Anleihe an „Ysphan“ würfeln wir die Aktionen aus, in denen wir unsere Arbeiter einsetzen. Es herrscht allerdings keine strikte Würfeldiktatur, sondern es sind eine Reihe von Weichmachern eingebaut, mit denen wir an unseren Würfelergebnissen noch herumdrehen können: Modizifieren, Neu-Würfeln, Fixe-Augenzahl-Kaufen oder Würfel mißbrauchen.
Nur Aaron traf immer unerbittlich sein Würfelunglück, sei es nun ein verfrühter 6-6-5-Wurf zur Technik-Verbesserung ohne Arbeiter oder ein verspäteter 2-1-1-Wurf für zusätzliche Arbeiter ohne Arbeitsplatz. In jedem Fall war es „ziemlicher Käse“ und er gab regelmäßig sein letztes Geld für neue Würfel aus.
Am Ende landeten wir alle innerhalb eines Bereiches von 2-Siegpunkten Differenz. Ist das vielleicht das unausweichliche Schicksal eines Spieldesigns von stark äquivalenten Spielzügen? Frage an die Kritiker der krassen Effekte von „Pantheon“: Hätten ähnliche divergierende Effekte in „Schiefer“ Spielspaß und Spielspannung nicht erhöht?
WPG-Wertung: Aaron: 5 (es funktioniert, aber mir hat der Spaß gefehlt), Andrea: 5 (durchschnittlich gut, uninteressant), Moritz: 5 (es gibt ähnliche Spiele, die aber besser sind), Walter: 5 (es funktioniert; einem geschenkten Barsch, schaut man nicht hinter die Kiemen.)
3. “Bluff”
14 Würfel waren noch im Spiel und Aaron fing mit 5 mal die Vier an. Zwei vollständige Runden lang wurde mit und ohne Nachwürfeln die Vier erhöht bis die Vorgabe mit 12 mal die Vier wieder bei Aaron landete. Mit einer Vier+Eins unter seinem Becher und fünf weiteren unbekannten Würfeln zweifelte er verständlicherweise an. 13 mal die Vier wäre der Volltreffer gewesen.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

03.08.2011: Sex in the Small World

Durch einen familiären Zufall war Walter das umstrittene Buch von Thilo Sarrazin in die Hände gefallen und er ließ im WPG-Kreis einen Testballon steigen: „Was haltet ihr von Sarrazin.“ Dabei ging es ihm weniger um ein inhaltliches Für oder Wider zu den verschiedenen Thesen, sondern nur um die Verifizierung eines publizistischen Faktums: Keiner hat das Buch gelesen, aber alle sind bereit, den ersten Stein zu werfen. Und noch ein paar Steine mehr. Experiment geglückt, Sarrazin dreifach tot!
1. “Sector 41”
Bevor auch nur die erste Flasche Rotwein entkorkt war, hatte Moritz das Spiel schon auf den Tisch gelegt und alle hatten das schweigend akzeptiert. Wie in Aarons Urversion von „Yunnan“ durchstreifen wir mit unseren Explorern das Weltall, um von dort Siegpunkte nach Hause auf unser Mutterschiff zu tragen.
Wie in „Memory“ werden Weltall-Plättchen mit Nebeln, Pulsaren, Ionen Strömen, Schwarzen Löchern und 17 weiteren Elementen verdeckt ausgelegt, und wir drehen step-by-step diese unbekannten Plättchen um und hoffen, dass wir dabei etwas Gutes finden.

Sector 41 im Spiel
Sector 41 Langeweile

Wie beim „Verrückten Labyrinth“ können wir die Plättchen verschieben. „Den Weltraum knicken“ nennt man das in „Sector 41“.
Wie bei „Mensch-ärgere-Dich-nicht“ werfen wir einen gegnerischen Stein (Explorer) hinaus, wenn wir mit unserem Stein auf sein Feld rücken können.
Ansonsten ist alles blinder Zufall, dummes Chaos und langweiliges Bewegen. Das einzige Vergnügen war die fröhliche Runde, die immer öfter in schallendes Gelächter ausbrach, wenn mal wieder ein zufällig aufgedecktes Plättchen der Spielerei eine neue krasse Wendung gab. Walter entdeckte unmittelbar vor seinem Mutterschiff („Motherfucker“ war das heutige Wort des Tages) eine hochkarätige Goldmine, die ihm 6 seiner insgesamt 7 Siegpunkte quasi mit der Kohlenschaufel nach Hause schaufeln lies. Fast der Sieg. Günther entdeckte nicht weit von seinem Motherfucker zwei gute und eine sehr gute Goldmine, was ihn zum Sieger machte.
WPG-Wertung: Aaron: 3 (als reines Glücksspiel hätte es 9 Punkte bekommen, doch weil er keine Glücksspiel mag, gibt es 6 Punkte Abzug), Günther: 2 (ein reines, nicht mal mehr ein mittleres „grottenschlecht“), Moritz: 3 („aber die Idee ist nicht schlecht“), Walter: 3 (siehe Aaron).
2. “Small World – Underground”
Wir praktizieren die seit 2009 bekannten Mechanismen der Völkerschlachten in einer neuen Aufmachung mit neue Rassen und neuen Spezialfähigkeiten auf einem neuen, psychedelisch angehauchten Spielbrett. Wir führen Dunkelelfen, Echsenmenschen, Flamen, Gnome, Nordlichter und Kultprediger und sind dabei ängstlich, diebisch, flüchtend, schlammig und streitsüchtig. Sarrazin sollte an den Typen und ihren Eigenschaften seine wahre Freude gehabt haben.
Moritz hatte sich gleich als erstes Volk die ängstlichen Irrlichter zugelegt, sich damit – wie ein guter Go-Spieler – auf die eigene Ecke vom Spielbrett konzentriert und buchte friedlich und erfreut 8 Siegpunkte pro Runde. Das hätte leicht zum Sieg reichen können, wenn sich die anderen Spieler auf dem großen Spielbrett in die Haare gekriegt und sich regelmäßig gegenseitig dezimiert hätten. Doch Aaron und Günther schlossen einen Nichtangriffspakt, gingen sich mit ihren zweiten Völkern aus dem Weg, und erreichten bald regelmäßige Siegpunktzuwächse im zweistelligen Bereich. Leidenschaftlich suchte Moritz nun die anderen Völker aufeinander zu hetzen; er selbst hätte nur unter erheblichen Siegpunkt-Einbußen seinen Konkurrenten ans Leder gekonnt, und zu diesem Opfer war er nicht bereit. Doch die anderen gönnten ihm nicht die Rolle des lachenden Dritten. Verzweifeltes Stöhnen „Ich krieg’ die Krise!“
Walter hatte sich mit seinen magischen Mumien als Start-Volk verspekuliert. Mit diesem Volk von Prügelknaben-konnte er keine stolzen Eroberungspunkte kassieren, lediglich einen Trostpunkt für jede Region, aus der er verdrängt wurde. Jetzt suchte er einen eigenen Weg, wenigstens ein bißchen Small-World-Spaß für sich herauszuholen: er verlegte sich auf das „Wind River-Prinzip“ (siehe Session-Report vom 17.6.2009): „Wähle einen beliebigen Mitspieler als Deinen persönlichen Feind und spiele ohne Rücksicht auf Verluste alle Deine Züge grundsätzlich gegen diesen einen Mitspieler.“ Auch wenn man schon unter dem Tisch liegt, gibt es noch ein befriedigendes Gefühl, immer den gleichen Mitspieler immer ins gleiche Bein zu beißen, bis er „Aua“ schreit. Aaron war der glückliche. Mehr mehr als weniger Zufall.
WPG-Wertung: Alle blieben bei ihren vergebenen 8 Punkten, nur Walter vergibt 2 Punkte weniger: „Schlägereien sind wie Sex: Mit der Gewohnheit verlieren sie an Reiz.“
3. “Flaschenteufel”
Moritz steht aus einem undefinierten Grund zu Unrecht im Verdacht, dass er dieses Spiel nicht mag. Dabei hat er schon vor Jahren 9 Punkte dafür vergeben. Mehr als die Kerntruppe der Westpark-Gamers und weitaus mehr als unsere Zaungäste. Heute wünsche er sich nur einen anderen Sitzplatz: Nicht mehr zwischen den bösartigen Kartenschiebern Walter und Aaron, sondern lieber zwischen Aaron und Walter.
Zum ersten Mal spielten wir es nicht als Absacker bis zu einem Punktelimit von 100 Punkten, sondern als einen Hauptgang bis 200 Punkte. Andernfalls wäre Moritz auch bereits nach zwei Runden als Sieger vom Platz gegangen. So aber gings für ihn von da an zunächst mal bergab und später nur noch zäh mit kleinen Schritten voran, so daß Günther ihn noch abfangen konnte.
Erstmals konnten zwei Spieler als Zwischenstand mit je 111 Punkten eine Schnapsnummer verbuchen. Erstmals wurde am Westpark eine Schnapsrunde geschmissen. Nur die Hälfte der Spieler musste noch in der Nacht mit dem Auto nach Hause fahren.
„Immer wieder schön – ein verblüffender Mechanismus!“
WPG-Wertung: Die heutige Belegschaft blieb bei ihrem Schnitt von 8 Punkten.

27.7.2011: Norwegen, Fernost, Europa und die erste Million

Um unsterblichen Ruhm zu erwerben, steckte Herostrates im Jahre 356 v. Chr. den 200 Jahre alten Artemis-Tempel von Ephesos in Brand, eines der sieben Weltwunder der Antike. Die Stadt verhängte damals ein Verbot, die Brandstiftung als solche und den Namen des Täters zu erwähnen, doch ein zeitgenössischer Historiker überlieferte die Tat, so dass Herostrates sein Ziel erreichte, und bis heute ein Verbrecher, der ein Verbrechen rein aus Pulizitätssucht begeht, nach seinem Namen „Herostrates-Natur“ benannt wird.
Auch die heutigen Massenmedien sind nicht willens, solche Verbrechernaturen dem verdienten ewigen Vergessen anheim zu stellen. Sonst würde mit dem norwegischen Herostrates nicht soviel hergemacht. Der nächste Herostrates wartet schon. Und Presse und Fernsehen sind mitschuldig!
1. “Yunnan”
Aarons Weltraumspiel hat eine neue Metamorphose durchgemacht. Aus der letzten Zwischenstufe mit der indischen Stadt „Manipur“ als Namenspatron ist inzwischen die chinesische Provinz „Yunnan“ geworden. Die Anregung dazu kam von Peer Sylvester, den das im Spiel aufzubauende Händernetz an die „Tea-horse-road“ erinnerte, auf der im Mittelalter chinesischer Tea und tibetanische Pferde gehandelt wurden.
Wie damals in „Manupur“ müssen wir auch in „Yunnan“ ein Händlernetz aufbauen und dazu auf einem Biet-Tableau in Konkurrenz zueinander darum bieten, welche unserer Fähigkeit wir jeweils weiterentwickeln dürfen:

  • Erhöhen wir die Anzahl unserer Händler, können wir längere zusammenhängende Handelsketten aufbauen und von jedem einzelnen Händler mehr Geld bzw. Siegpunkte erwerben.
  • Erhöhen wir die Reichweite unserer Händler, können wir damit in weiter entfernte und lukrativere Handelsgebiete vordringen.
  • Erhöhen wir den Einfluß unserer Händler, so können wir im gemeinsamen Handelsnetz schwächere Spieler von guten Plätzen verdrängen.

Aaron hat seit dem letzten Test wieder an einer Menge von Details herumgefeilt. Die ersteigerte Reichweite gibt nicht mehr die Anzahl von Feldern an, die sich unsere Händler bewegen dürfen, sondern eröffnet unseren Händlern den Zugang in fernere Regionen. Dafür muß jeder Bewegungsschritt bezahlt werden, was dem Geld einen ganz neuen Stellenwert gibt.

Ein neu eingeführter „fliegender Händler“ bringt etwas Zufallscharakter ins Spiel. Er wird per Würfelwurf in die verschiedenen Richtungen bewegt und verdrängt nach einem definierten Prioritäten-Prinzip die dort ansässigen Händler der Spieler.
Probeweise wurde diesmal ein geringerer Entwicklungsstand der verschiedenen Kategorien Anzahl, Reichweite, oder Einfluß bei Spielende honoriert. Wer auf Sparflamme fährt und keine einzige Kategorie weiterentwickelt, heimst am Ende für diese Non-Entwicklung schon mal 42 Siegpunkte ein. Dahinter steckt die Idee, einen sparsamen Umgang mit Entwicklungs-Resourcen zu belohnen. Ist dieses Prinzip gut? Nimmt einem das nicht die Lust am dynamischen Aufbau, und ist das in diesem Sinne nicht kontra-produktiv? Moritz versuchte sich auf dieser Schiene. Mit einem einzigen Händler der einfachsten Einflußgröße und lediglich hoher Reichweite wollte er über die Sparsamkeitsprämien Sieger werden. Zum Glück für das aktuelle Spieldesign scheiterte er damit. Denn Spaß macht diese Hungerstrategie auch nicht.
In der heutigen Version war das Geld das strategische Nadelöhr. So hinkte die Entwicklung aller Spieler hinter den bisher gewohnten Erwartungen zurück. An dieser Balance muß noch gedreht werden, damit der Geldsegen wieder reichlicher fließt und für das Biettableau auch jederzeit genügend Masse vorhanden ist.
Doch Charme hat „Yunnan“ jetzt schon auf alle Fälle. Die noch kürzlich erfolgte Abqualifizierung „totally broken“ konnte nur aus einer bösartigen Spielergalle heraus erfolgt sein.
Keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Entstehungsphase.
2. “Airlines – Europe”
Abacus hat dieses Jahr eine neue Version von Alan R. Moon’s „Airlines“ herausgebracht. Die Szenerie ist Europa. Wie bisher geht es darum, sich aus einer Reihe von angebotenen Luftfahrtgesellschaften ein optimales Aktienpaket zuzulegen und diese Gesellschaften auch kräftig auszubauen. Im einzelnen haben die Spieler folgende Zugmöglichkeiten:

  • Geld von der Bank zu nehmen
  • Mit dem Geld das Streckennetz einzelner Gesellschaften auszubauen und als Gegenleistung dafür einzelne Aktien auf die Hand nehmen.
  • Einzelne Aktien aus der Aktienhand offen auszuspielen und sich damit als Aktionär erkennen zu geben. Dafür erhält man wiederum Geld von der Bank.

Wie bisher gibt es im Spiel drei Wertungspunkte, an denen der aktuelle Aktienbesitz in Siegpunkte umgemünzt wird. Dabei kommt es lediglich darauf an, die relative Mehrheit an Aktien offen ausgelegt zu haben. Wie groß diese Mehrheit ist, spielt keine Rolle. Immer genau ein Stück mehr zu haben als der schärfste Konkurrent, und zwar bei den besonders entwickelten Linien, das ist das ganze Geheimnis für gutes Spiel. Doch weil das alle wollen, gibt es dafür keine Lösung. Der beste Kompromiß führt hier zum Sieg.
Durch einige hübsche Neuheiten unterscheidet sich „Airlines Europa“ positiv vom bisherigen „Airlines“ in Amerika. Es gibt die Sonderlinie „Abacus-Airline“ (bei uns zuerst „Air Lingus“ und dann „Air Cunilingus“ genannt), die an den Wertungspunkten besonders hohe Siegpunktquoten ausschüttet. Die Aktien für diese Linie kann man nicht kaufen, sondern man muß ausliegende oder Handkarten-Aktien der Standardlinien gegen diese Linie umtauschen. Damit kommt das früher ziemlich fest zementierte Mehrheitengefüge an Aktienbesitz gegen Ende des Spiels nochmals gehörig ins Wanken und es eröffnen sich neue Perspektiven zu punkten.

Auch das Erweitern des Streckennetzes ist nicht mehr vom früher teilweise frustrierenden zufälligen Ziehen der richtigen Streckenkarten abhängig, sondern nur noch vom Geld. Und das kann man sich kostenfrei von der Bank holen.
Das Spiel hat viele spieltheoretische Design-Prinzipien sehr gut umgesetzt:

  • Jeder ist seines Glückes Schmied
  • Konstruktiver Aufbau
  • Progessiv steigende Umsätze und Siegpunktquellen
  • Jeder ist bei jedem Zug beteiligt
  • Flotter Spielablauf

WPG-Wertung: Aaron: 8 (das 20 Jahre alte schöne Spiel hat durch die Erweiterungen noch gewonnen), Günther: 8 (war schon immer ein Airline-Fan), Moritz: 7 (möchte mehr Möglichkeiten zum aktiven Kampf gegen seine Mitspieler haben; das ähnliche uralte „Aquire“ gefällt ihm besser), Walter: 9 (das Spiel ist rund und schön).
3. “Die 1. Million”
1970 hatte der sagenhafte Designer Sid Sackson bei 3M mit „Monad“ ein Kartenspiel herausgebracht, in dem wir uns durch geschicktes Mutieren von Einzellern in Mehrzeller verwandeln, und wer die ersten drei Riesenzellen in seiner Population zustande gebracht hat, beendet das Spiel als Sieger.
1987 – der Ostblock war noch nicht aufgelöst – war das Pantoffeltierchen-Zeitalter zu Ende, und das Spiel wurde ohne eine einzige Regeländerung auf den Kapitalismus hin ausgerichtet. Wir entwickeln keine Einzeller mehr, sondern wir konvertieren passende kleine Geldscheine in immer höhere Stückelung, bis der erste Spieler drei 1-Millionen-Säcke zur Seite gebracht hat und das Spiel als Sieger beendet.
Die Konvertierungsregeln von Einzellern und Geldscheinen sind identisch:

  • aus zwei paarigen kleinen Einheiten wird sprunghaft eine einzelne größere Einheit
  • aus mehreren unpaarigen kleinen Einheiten wird eine einzelne größere Einheit
  • aus einem spieler-individuellen „Special-Credit“ und einer weiteren Einheit wird sprunghaft eine einzelne größere Einheit
  • aus vielen ungleichfarbigen Kleinsteinheiten wird in einem Riesensprung eine ganz große Einheit.

Vor knapp zwanzig Jahren, noch bevor wir als Westpark-Gamers unsere Ergebnisse ins Internet stellten, hatten wir dieses Spiel schon mit Vergnügen gespielt. Diesmal war das Vergnügen gebremst. Wir genießen offensichtlich schon so lange das gemeinsame Spielen, dass wir den Genuß an der Gemeinsamkeit deutlich von der Qualität der gespielten Spiele unterscheiden: das erste Kriterium kann hoch sein, ohne dass damit automatisch das zweite Kriterium mitgezogen wird.
Walter meckerte den „Determinismus“ der „1. Million“ an, d.h. durch die ausliegenden und nachgezogenen Karten sei der richtige Spielplan eindeutig vorgegeben. Günther warf provozierend ein: „Wie beim Bridge; auch da schaust du dir deine Karten an und spielst sie dann eine nach der anderen herunter.“ Diese ignorante Gleichsetzung rief natürlich heftigen Widerspruch hervor. Günther lenkte ein.
Dann fand Walter auch eine Provokation: Die „1. Million habe eine ganz triviale Siegstrategie.

  • Erwerbe dir – irgendwie, so schnell es geht – den 30er Geldschein in deiner „Special-Credit“-Farbe
  • Ziehe danach bei jedem deiner Aktionen einen 10er Geldschein vom verdeckten Stapel, bis du die 6 verschiedenen Farben und zwei weitere 10er Geldscheine auf der Hand hast.
  • Wechsele den 30er Geldschein deiner „Special-Credit“-Farbe und einen 360-er Geldschein in ein 1-Millionen-Säckchen um, und tausche dir anschließend mit denen beiden weiteren 10er Geldscheinen den 30er Geldschein in deiner „Special-Credit“-Farbe wieder zurück.
  • Wiederhole die Aktionen 2 und 3 solange, bis du gewonnen hast
  • Damit kommt läuft das ganze Spiel auf folgendes Prinzip hinaus: Teile aus einem Kartenstapel mit hundert Nieten und einer Gewinn-Karte reihum an alle Spieler jeweils eine Karte aus. Wer zufällig die Gewinn-Karte ausgeteilt bekommt, hat gewonnen.

Heftiger Widerspruch bei Aaron und Günther.
WPG-Wertung: Aaron: 6 (fand es früher schöner), Günther: 6 (zu viele grenzwertige Mangel-Effekte im Spiel; spielt sich in einer 3er Runde besser), Moritz: 5 (diesmal war es langweilig), Walter: 6 (wenn wir es lockerer spielen würden, bekäme das Spiel gewiß mehr Punkte).

20.07.2011: Würfelspiel und Liebeskunst

„Noch ein Kunstgriff, ihr Mädchen, um einen Mann zu angeln: Ihr müßt spielen lernen! Zunächst das Glücksspiel mit den elfenbeinernen Würfeln, sei es nun Choice, Verflixxt oder Bluff. Die Wertigkeit der Augenzahlen sei euch bekannt und ihr solltet mit den hierin enthaltenen Risikowahrscheinlichkeiten rechnen können. Als Geschicklichkeitsspiel solltet ihr das Mikado-ähnliche Spiel mit den lose geworfenen Kugeln beherrschen, und ihr solltet mit dem Spannungsbogen auf dem Liniennetz des Mühlespiels vertraut sein. Schlußendlich solltet ihr die strategischen Kraftflüsse im Schach kennen und wissen, wie man eigene Steine schützt und ungeschützte gegnerische Steine schlägt.
Es ist beschämend für ein Mädchen, wenn sie von alledem nichts versteht. Ein gekonntes Vorspiel ist der halbe Weg zu erfolgreicher Liebe.“

Diese Liebesspiel-Weisheiten lehrte schon vor ziemlich genau 2012 Jahren der gute alte Ovid in seiner „Liebeskunst“. Es ist allerdings bis heute umstritten, ob er darin alles ernst gemeint hat, oder ob er nicht schon damals eine gehörige Portion Verarschung in die „Ars amatoria“ hineingepackt hat.
1. “Choice”
Die moderne Version dieses römischen Klassikers hat Sid Sackson im Jahre 1989 herausgebracht. Vor 9 Jahren lag es zum letzten Mal bei uns auf dem Tisch. Ein Spieler würfelt für alle Mitspieler mit fünf Würfeln. Jeder Spieler gruppiert davon je zwei Würfel zu einem Paar, der fünfte Würfel ist das Überbleibsel. Von den beiden Würfelpaaren wird die Augensumme gebildet, und es wird für jeden Spieler gezählt, wie oft er bis zum Spielende jede einzelne dieser Summen bilden konnte. Die seltenen Augenkombinationen wie 2 oder 12 werden mit je 100 Siegpunkten honoriert, die Durchschnitts-Kombination 7 bringt dagegen nur 30 Punkte ein. Siegpunkte gibt es allerdings nur für Augenkombinationen, die ein Spieler bis zum Spielende mehr als 5 mal bilden konnte. Kommt eine Kombination weniger als 5 mal vor, so wird ihr Auftreten mit 200 Minuspunkten bestraft.

Das Bestreben eines jeden Spielers muß es sein, möglichst wenige und möglichst hoch dotierte Augenkombinationen zu bilden. Doch natürlich ist dies abhängig von den ca. 30 Würfen, die innerhalb eines Spiels auszuwerten sind. Ein bißchen kann man das durch eine taktische Wahl des Überbleibsels beeinflussen: Überbleibsel der Augenzahlen 1 und 6 bewirken, dass mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit wenige konzentrierte Augenkombinationen im mittleren Bereich gebildet werden können. Überbleibsel der Augenzahlen 3 und 4 führen bei der Summenbildung eher zu Extremwerten mit größerer Streuung. Doch mit etwas Glück bleibt einem die Streuung erspart und man kann die hohen Siegpunkt-Prämien einstreichen, ohne zugleich auf vielen Strafpunkten sitzen zu bleiben. Die Hoffnung stribt zuletzt.
WPG-Wertung: Aaron: 8, Andrea: 7, Günther: 8 (es macht Spaß), Moritz: 5 (unkommunikativ), Walter: 8.
Man beachte die mentale Weiterentwicklung von unserem Moritz: Vor 9 Jahren schrieb er noch in seinem Session-Report: „dieser Sucht erzeugende Klassiker machte einen Riesenspaß“. Heute fand er es eher „autistisch“. Doch wie sagte schon vor 60 Jahren der alte Bundeskanzler Adenauer: „Es kann mich niemand daran hindern, über Nacht klüger zu werden!”
2. “Strasbourg”
Letzten Monat schon mit Vergnügen gespielt, wurden diesmal Aaron und Andrea in die Geheimnisse der elsässischen Hauptstadt eingeführt. Jeder Spieler erhält den gleichen Satz Einflußkarten, mit denen er seine Ambitionen bei der Vergabe von Ämtern und Positionen geltend macht. Dazu bildet er Häufchen, mit denen er seine Konkurrenten beim Bieten auszustechen versucht. Andrea war etwas aus der Übung, sie fühlte sich beim Häufchen-Machen „total gestresst“. Offensichtlich wohltuend, denn hinterher bekannte sie: „Ich finde das Spiel super!“
„Strasbourg“ bietet eine Unmenge von Entscheidungsfreiheiten, wie man auf den verschiedensten Wegen zu Siegpunkten kommt. Keinen einzigen Zug sollte man ohne taktische und strategische Überlegung vornehmen. Und ständig unterliegt man dabei den teils verdeckten, teils erkennbaren Aktionen der Mitspieler. Auch die ausgiebigen Post-Mortem-Diskussionen über die eigenen Fehler belegen die meisterlichen Herausforderungen des Spieldesigns. Selbst unser Stratege Günther kämpfte verzweifelt um die richtige Dosierung seiner Einflußkarten. Seine Zwischenkommentare reichten vom „Das macht mit fertig!“ bis zum „Ich habe mich beim Häufchen-Machen völlig verkackt!“
Moritz hatte sich nicht verkackt. In einem risikoreichen Plan hatte er von Beginn an alles auf eine Karte gesetzt: Erst die richtigen Positionen im Stadtbild besetzten und dann in der letzten Runde den Bürgermeister ersteigern, um diesen Positionen einen üppigen Siegpunktsegen zuströmen zu lassen. Er bekam tatsächlich den Bürgermeister und konnte sich mit einem Zuwachs von 32 Siegpunkten (bei insgesamt 51) auf den ersten Platz hochkatapultieren.
WPG-Wertung: Aaron: 8 (bleibt), Andrea: 8 („total schön“), Günther: 8 (bleibt), Moritz: 8 („außergewöhnlich gut, hat aber nichts mit dem Thema ’Strasbourg’ zu tun“, er war allerdings seit 41 Jahren nicht mehr dort), Walter: 8 (bleibt).
3. “Choice”
Andrea mußte ihren Babysitter zuhause ablösen und konnte sich nur noch einen Absacker leisten. Der Riesenspaß „Choice“ wurde ein zweites Mal aufgelegt. Walters Vorschlag, die Warmduscher-Variante zu spielen, wurde abgelehnt. Hier werden die nicht ausreichend häufigen Würfelkombinationen nur mit 100 Strafpunkten bedacht und es werden ca. 10 Würfe mehr ausgewertet. Damit werden die extremen Augenkombinationen deutlich lukrativer.
Alle gingen sehr vorsichtig zu Werke und konzentrierten sich auf die billigen Augenkombinationen im Durchschnittsbereich. Erfolgreich: Alle Spieler landeten am Ende in Pluspunkten.
Dazwischen posaunten alle in unregelmäßigen Abständen höchst euphorisch ihre Zwischenstände hinaus: „Nur noch 170 Minus!“ oder „Jetzt bin ich im Plus!“. Höchst kommunikativ!
4. “Verflixxt”
Das schöne Kramer-Kiesling-Würfelspiel aus dem Jahren 2005 konnte erneut überzeugen. Auf Englisch heißt das Spiel „That’s life“ und Moritz erinnerte daran, dass die englische bzw. die amerikansche Sprache für das liebe und brave „verflixxt“ kein richtiges Pendant besitzt. „Damned“ ist etwas zu stark, und erst recht das „Fuck me right now“.
Keine neue WPG-Wertung.
5. “Bluff”
Der dritte und letzte Vertreter der Ovidischen Würfelspiele. Moritz hat schon etwas Übung darin, sich mit super Würfen auf einen Streich selber herauszukicken. Das ist die Einsamkeit des Genies, dass keiner seinen Sternen folgen kann.
Aaron gelang das seltene Kunststück, ohne einen einzigen Würfel Verlust als Sieger hervorzugehen.

13.7.2011: Geniale Analphabeten in der Eiszeit

Letzte Woche war Aaron auf einer Hauptversammlung in Halle, nicht bei Garry Weber, eher bei Georg Friedrich Händel. Welche Firma wird es wohl gewesen sein, wenn sie so heißt wie die Einwohner der Stadt? Heute hat er ein Erzeugnis dieser Firma, die älteste ihrer Art in Deutschland, als Kostprobe mitgebracht. Sie hat sich neben den üblichen Chips und Gummibärchen bestens bewährt.
Wo man – außer als Aktionär – diese Erzeugnisse erwerben kann, wird nicht verraten. Bei ein bißchen Begabung kann man sie aber auch selber herstellen (siehe Bild).
1. “Qwirkle”
Die Bauklötzchen des Jahres mit den sechs verschiedenen Farben und den sechs verschiedenen Symbolen sind bei uns trotz aller Kinderspiel-Unkenrufe noch nicht ad acta gelegt. Moritz durfte sich heute erstmals daran ergötzen. Wie kann man die wenigen einfachen Regeln für ein Genie noch gestraffter darlegen?
Auf dem Tisch wird ein wachsendes Muster von zusammenhängenden Bauklötzchen-Reihen gebildet, von denen jedes zusammenhängende Teilstück entweder in der Farbe gleich ist und lauter unterschiedliche Symbole enthält, oder in den Symbolen gleich ist und lauter unterschiedliche Farben enthält. Die Spieler legen reihum waagrecht oder senkrecht ein neues Teilstück an, wobei diese Gleich-Ungleich-Bauregel eingehalten werden muß. Für die neu entstandenen zusammenhängenden Bauklötzchen-Kombinationen gibt es Siegpunkte.
Die älteren Herrschaften erkennen hier das Scrabble-Prinzip, die jüngeren wollen Ähnlichkeiten mit Knizias „Einfach Genial“ herauslesen. Im Unterschied zu Scrabble darf kein „Wort“ zwei gleiche Buchstaben enthalten. Man braucht keinen Duden und man braucht nicht zu denken.
Unser Genie wollte aber denken und er suchte für seine Qwirkle-Klötzchen ununterbrochen Anleg-Kombinationen, die

  • über Eck lagen
  • an verschiedenen, lokal getrennten Stellen des Spielbretts ansetzten
  • ungleiche Symbole und ungleiche Farben nebeneinander legten

Alle dies verstieß natürlich gegen die Bildungsregel und wurde zurückgeweisen. Mehr als einmal resultierte das im verzweifelten Ausruf: „Das ist doch zum Kotzen!“ Und im finalen Bekenntnis: „Ich finde es schrecklich schwierig! Aus Farben und Mustern das Beste herauszuholen, überfordert mich!“ Sicherlich wären seine Anleg-Versuche für ihn der größte Genuß geworden, wenn ein Mitspieler ihm die geniale, auch im Regelheft erwähnte, Schlußfolgerung mitgeteilt hätte: „Alle ausgespielten Steine müssen dabei die gleiche Farbe oder das gleiche Muster aufweisen.“ Dann wäre es auch für ihn die gleiche leichte Familienunterhaltung gewesen, wie für die anderen.
Etwas weniger familienfreundlich definierten wir heute die „Wixvorlage“: Wer im Bauklötzchenmuster an eine Reihe das fünfte Klötzchen anlegt, gibt seinen Hintermann die Chance, das sechste und letzte Klötzchen anzulegen, und damit zur Standardwertung von mindestens 6 Siegpunkten auch noch eine Sonderprämie von weiteren 6 Siegpunkten zu ergattern. Ist das keine Altruistismus?
WPG-Wertung: Mit 4 Punkten unterbot Moritz die bisher schlechteste Einzelwertung noch um einen ganzen Punkt. „Extreme Asympathie“
2. “Dominant Spezies”
Vor einem halben Jahr hatte das Spiel in einer 5er Runde bei uns Premiere, diesmal sollte es in einer 4er Runde seine Qualitäten beweisen.
Wir befinden uns 90.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung, eine neue Eiszeit hat gerade angefangen, unsere Umgebung versteppt zunehmend und wir kämpfen ums Überleben. Jeder Spieler repräsentiert eine eigene Spezies (Säugetiere, Reptilien, Vögel, Amphibien, Spinnen und Insekten), bevölkert miteinander und nebeneinander hexagonale Landschaftsteile (Meer, Feuchtgebieten, Wiesen, Wald, Dschungel, Gebirge, Savanne und Wüste) und sucht sich seine artenspezifische Nahrung aus dem Angebot von Gras, Samen, Würmern, Tiefkühlkost, Wasser oder Sonne pur.
Der Kampf aller gegen alle besteht im konkurrierenden Besetzen von Aktionsplätzen auf einem umfangreichen Tableau, die uns erlauben

  • unsere Ernährung anzupassen
  • das Nahrungsangebot zu erweitern
  • uns zu vermehren
  • uns auszubreiten oder zu bewegen
  • andere Spezies zu vernichten
  • neue Landschaftsteile zu entdecken
  • die Eiszeit fortschreiten zu lassen
  • manches andere mehr
  • und vor allem Siegpunkte zu erwerben.

Alles ist thematisch höchst passend zusammengestellt. Der Kampf ums Überleben ist überall gegenwärtig. Ebenso die Unwägbarkeiten der göttlichen Schöpfung. Wir werden dezimiert, wo wir es nicht erwarten und vor allem auch nicht verhindern können. Unsere Mitspieler erzielen Dominanzen, weil sie irgendwo einen Tick schneller waren als wir. Und die „Dominanz-Karten“, mit denen ausgewählte Spielkonstellationen belohnt werden, strotzen nur so von Kingmaker-Effekten.
Nach einer Stunde Kampf hatten sich die Fronten geklärt: Moritz hatte sich weit vom Feld abgesetzt, Günther und Aaron versuchten mit konsequenter Kooperation den Anschluß zu behalten; Walter trabte außer Konkurrenz friedlich hinterher. Die ganzen restlichen vier (!) Stunden änderte sich nichts an diesem Bild. Wer noch Ehrgeiz besaß (ca. zwei-ein-halb Mitspieler), rechnete und grübelte minutenlang, wie er dem Mitspielerchaos ein Schnippchen schlagen könnte; wer kein Ehrgeiz mehr besaß, konnte blitzschnell aus dem Bauch heraus seinen Zug abwickeln und für den Getränkenachschub in den Keller gehen.
Ironie des Schicksals: Wenn der Außer-Konkurrenz-Traber in seinem letzten Bewegungszug für den Bruchteil einer Sekunde das Bauchgefühl abgelegt hätte, und nur einen einzigen Pöppel um ein einziges Feld verschoben hätte, wäre er noch Erster geworden. Die Kingmaker hatten ihn offensichtlich zu lange mit Nachsicht behandelt.
Das Spiel enthält viele hübsche Ideen. Die Mechanismen greifen alle und sind sehr gekonnt aufeinander abgestimmt. Das Spielmaterial ist ausgezeichnet. “Dominant Spezies” wäre ein schönes, gelungenes, empfehlenswertes Spiel, wenn

  • nicht an allen Ecken Kingmaker-Effekte hervorlugten
  • die Dominanz-Karten nicht rein zufällig, sondern in einer überlegten Design-Reihenfolge ins Spiel kämen
  • die Spielzeit nur halb so lang wäre

Keine neue WPG-Wertung. Moritz bleibt bei seinen euphorischen 9 Punkten, die anderen bei ihren zurückhaltenden 5-6 Punkten.

29.06.2011: Freuden mit den Spielen des Jahres

Schelte an den Entscheidungen der Jury zum „Spiel des Jahres“ sind an der Tagesordnung. Durch Sonderpreise für Spiele, die beim Normalverbraucher grundsätzlich nicht punkten können, z.B. für „Caylus“ und „Agricola“ als „komplexestes Spiel des Jahres“, wurde ein bißchen Unmut ausgebremst. Dieses Jahr wurde mit „Kennerspiel des Jahres“ erstmalig eine ganz neue Preiskategorie geschaffen, in der anspruchsvollere Spiele honoriert werden können.
Dass das relativ elementare Kartensammelspiel „7 Wonders“ nur in dieser Randkategorie gewinnen konnte, war überraschend. Denn das Spiel ist einfach genug und hätte auch in der Hauptkategorie konkurrieren können. Sind denn in der Hauptkategorie nur noch Kinderspiele prämierfähig?
Für Aarons Seufzer: „Die Jury enttäuscht mich von Jahr zu Jahr mehr“ fand Horst die Begründung: „Das Bildungsniveau der Bevölkerung nimmt ja auch von Jahr zu Jahr ab“. Demnächst wird bei uns in Bayern ja die Hauptschule abgeschafft. Damit ist dann gewährleistet, dass wir in kürzester Zeit eine Abiturientenquote von 100% bekommen werden.
1. “Qwirkle”
Zum Warming-up sollte der Preisträger zum Spiel des Jahres 2011 am Westpark auf jeden Fall geeignet sein. Auch wenn die aktuell vorherrschende Lästerstimmung eher kontraproduktisch war. Günther erkannte in den Regeln noch relativ ernsthaft ein „Genial light“, der Rest eher ein „Scrabble für Analphabeten“: Anstelle von Buchstaben müssen wir Bausteine mit farbigen Symbolen ablegen. Anstatt mit unseren Buchstabensteinen gültige Duden-Wörter zu bilden, müssen wir unsere Bausteine in gleichfarbigen oder gleichsymboligen Ketten ablegen, und zwar genauso wie bei „Scrabble“ anschließend an die Muster, die auf dem Spielbrett bereits ausliegen.
Die Jury von „Spiel des Jahres“ hat dazu angemerkt: „Einfache und logische Regeln bestimmen dieses nahezu selbst erklärende Legespiel, das einen sofort gefangen nimmt. Das Kombinieren von Farben und Formen erfordert neben ein bisschen Glück auch Voraussicht und taktische Überlegungen. Die griffigen und farbig bedruckten Holzsteine haben einen hohen Aufforderungscharakter, so dass oft eine Partie der nächsten folgt. Zudem spricht Qwirkle alle Generationen gleichermaßen an.“
Wenn ich wüßte, was ein „Aufforderungscharakter“ ist, hätte ich dieser Begründung nichts mehr hinzuzufügen.
Aaron erfand aus dem Stegreif die Bluff-Variante von „Qwirkle“: Jeder Spieler legt seine Steine verdeckt an und der Nachfolger darf glauben oder anzweifeln, ob die geforderten Anlegeregeln auch eingehalten wurden.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (vermißt Kreativität in seinen Zugoptionen), Günther: 7 (klare, solide Mechanismen), Horst: 7 (besser als „Dixit“, unterhaltsam und spannend), Walter: 6 (bestens geeignet für Willis Nicht-Spieler-Runden.)
2. “Lancester”
Ein weiteres Spiel, dass es in diesem Jahr bis in die Endrunde zum „Kennerspiel des Jahres“ gebracht hat. Zur Einleitung versprach Horst „einfache Regeln“, was in Kennerkreisen natürlich ein bißchen komplizierter sein darf. Es ist ein Aufbauspiel, das die Autoren in die Zeit des hundertjährigen Krieges gerückt haben. Jeder Spieler erhält eine Reihe von „Rittern“ unterschiedlicher Stärke, die er reihum auf verschiedene Orte im „County“, im „Castle“ oder im „Konflikt“ placiert, um damit ortsspezifische Vorteile einzuheimsen, z.B. Adelsplättchen, Geld, Knappen, neue Ritter oder Ritter-Upgrades.
Geld wird benötigt, um im „County“ zusätzliche Vorteile finanzieren zu können, Knappen sind Hilfen im Kampf um die Placierung im County, wenn man Mitspieler-Ritter verdrängen will oder sich gegen Verdrängt-Werden schützen will. Adelsplättchen bringen Vorteile bei Abstimmungen in der Gesetzgebung und am Ende eine progressiv steigende Anzahl von Siegpunkten. Neue oder stärkere Ritter sind überhaupt der Motor, der in „Lancester“ zum Sieg führt. Hier frühzeitig seine Entwicklungsschwerpunkte zu setzen, trägt reichlich Früchte ein.
Die Ritter im „Castle“ sorgen für eine relativ ungestörte Vermehrung von Geld und Knappen, die Ritter auf den Konfliktfeldern bringen zusätzliche Entwicklungsvorteile (wer zuerst kommt, kassiert zuerst) und in zweiter Linie Siegpunkte (wer zuletzt kommt, kassiert zuerst) ein.
Das Regelwerk ist (für Kenner) tatsächlich nicht allzu kompliziert, aber die vielfältigen Abhängigkeiten von Besitzstand und Placierungseffekten, und die große Auswahl an Zugfreiheiten erfordert doch ein genaues Hinsehen, um lukrative Entwicklungsmöglichkeiten nicht zu verpassen. Fehler sind nicht zu vermeiden, wahrscheinlich auch nicht für erfahrene Spieler, wovon wir noch meilenweit entfernt sind.
90 Minuten dauerte bei uns ein 4-Personenspiel. Dabei kam jedem die Zeit relativ kurz vor. Jeder hatte seine eigene Entwicklungsvision im Kopf, da wurde auch schon die letzte Runde eingeläutet. Das spricht für ein kurzweiliges Spiel. Vielleicht waren wir aber auch von dem komplexen Regelräderwerk, das in „Lancester“ geboten wird, derart gefangen genommen. In jedem Fall muß nochmals verifiziert werden, ob die vielen Interaktionen mit den Ambitionen und Entscheidungen der Mitspieler zu beherrschen sind, oder ob schließlich allein ein unberechenbares Mitspielerchaos den Sieger bestimmt.
WPG-Wertung: Aaron: 7 (hat sich keine Sekunde gelangweilt) , Günther: 7 (ist sich noch unsicher über das Gewicht vom Mitspielerchaos), Horst: 8 (für diesen Spieltyp war die Spielzeit nicht zu lang), Walter: 8 (große Vielfalt, keine Schwächen).
3. “Störtebeker”
Schon vor 11 Jahren von „Hans im Glück“ in Essen vorgestellt. Ein reinrassiges Karten-Würfelspiel, thematisch angesiedelt beim berühmten Seeräuber an der Nordseeküste, von dem wir aber nicht viel zu sehen bekommen.
Auf dem Tisch liegen vier Schiffe aus, die unterschiedliche Mengen (2-4) von unterschiedlichen Proviants (rot und grün und gelb und blau) laden können. Jeder Spieler muß ein Schiff komplett beladen und darf es dann kapern. Dazu hat er eine Anzahl zufällig verteilter „Aktionskarten“ auf der Hand, die entweder den verschiedenfarbigen Proviant darstellen oder Piraten, die ein Schiff kapern helfen.
Der Kaper-Vorgang wird mit zwei Würfeln abgewickelt. Wenn der Wert der ausliegenden Piratenkarten plus die gewürfelte Augenzahl größer ist, als der Wert der Schiffskarte, so war das Kapern erfolgreich. Zunächst wenigstens, denn anschließend dürfen noch reihum die Mitspieler versuchen, das Schiff ebenfalls zu kapern, d.h. aus ihren Handkarten den geforderten Proviantbedarf zu decken und mit den zwei Würfeln eine höhere Augenzahl zu erzielen als die Vorgänger. Die höchste Augenzahl gewinnt, alle anderen haben das Nachsehen und sind sowohl die investierten Proviantkarten als auch ihre Piraten los.
Klar ersichtlich: „Störtebeker“ enthält eine Menge Frustpotential: Erst zieht man nicht die richtigen Proviantkarten, und es ist kein Trost, dass man mit einem gewissen Schlupf seine Handkarten gegen Karten aus dem offenen Ablagestapel austauschen kann. Dann würfelt man um das Kaperergebnis und hat mit hoher Wahrscheinlichkeit entweder viel zu viele Piratenkarten unnötig verschleudert oder gerade eine Piratenkarte zu wenig und das Kapern mißglückt. Sollte bis dahin aber alles geklappt haben, dann kommt ein Mitspieler daher und würfelt eine höhere Augenzahl, mit der er uns die Schiffsbeute vor den Augen wegschnappt.
„Störtebeker“ enthält noch zwei Farbwürfel, mit denen man Mitspielern Proviantkarten abknöpfen kann. Doch auch hier liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Treffer in der Regel deutlich unter 50%, und wenn das zufälligerweise doch einmal gelingt sollte, dann ist auf der anderen Seite der Mitspieler frustriert, dem die Proviantkarte angeknüpft wird. Oder soll man alle diese Frust-Effekte einfach als Lustspiel des Zufalls wegstecken? Erstaunlich, dass solche spielpsychologischen Fehlleistungen einem solch großen Spieleverlag wie „Hans im Glück“ nicht aufgefallen sind. Oder besaßen vor zehn Jahren die Autoren, Verlage und die Käufer etwa ein deutlich reduzierteres Bildungsniveau?
WPG-Wertung: Aaron: 4 (das Spiel plätschert so vor sich hin, keine Steigerung), Günther: 4 (mit HiG-Bonus), Horst: 5 (mit Erinnerungsbonus), Walter: 4 (chaotisches Glücksspiel)
4. “Bluff”
Ehrenrettung für Günthers Immer-5-Strategie. Im heutigen 1:1-Endspiel konnte sie ihren einzigen Minivorteil demonstrieren. Nach Günther’s Vorgabe 1 mal die Fünf war Walter mit einem Stern unter dem Becher angeschossen. Oder besser: er war gleich abgeschossen. Zweimal die Fünf war nicht der Sieg. Welche Antwort hätte den Sieg gebracht? Fünfmal dürft ihr noch raten!
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

22.06.2011: Strasbourg und die Bluff-Surrogate

Richard Strauß pflegte vor seinen Konzerten, im Künstlerzimmer, angetan mit Frack und weißer Weste, Skat zu spielen; bis zum letzten Augenblick oder besser länger, bis das Publikum wegen Verzögerung des Konzertbeginns unruhig wurde. Dann legte er die Karten hin und ergriff dafür den Taktstock, d.h. er füllte eine Pause im Skat mit Musikmachen aus, bis er in der Konzertpause im Skat fortfahren konnte. (nach Ilse Hess)
Hallo Moritz, stimmt das?
1. “Strasbourg”
Ein weiteres Spiel von Stefan Feld. (Günther „Der bringt in letzter Zeit eine Menge guter Spiele heraus.“) Herausgegeben vom Pegasus Verlag. (Moritz: „Bürgt für Qualität!“)
Die Kulisse ist das mittelalterliche Straßburg (so wurde es wohl damals geschrieben), die politischen Geschicke der Stadt werden von Handwerkszünften beeinflußt und die Spieler schlüpfen in die „Rollen aufstrebender Familien der Stadt“. Warum dafür jetzt Straßburg den Namen hergeben mußte und nicht Nürnberg oder Hamburgum ist nicht plausibilisiert. Thema und Lokalkolorit sind auch nicht präsent. Das Spiel enthält eine ganze Reihe hübscher Mechanismen, die sehr organisch in sich greifen und die Spieler vor eine abstrakte Aufbau-Anforderung stellen, die vorausschauend-planerisch angegangen werden muß, dabei aber nie die spielerische Linie verliert.

  • Wir bieten um Felder, die uns Privilegien als Führer des Adels, als Bischof oder Führer einer der Zünfte gewähren. Eine neuartige Designidee macht den Bietvorgang trickreich, interaktiv und zugleich schnell.
  • Wir erwerben Bezugsrechte und bieten um Felder, wo wir diese Bezugsrechte in bare Münze verwandeln können. Eine kluge Balance im Erwerb und im Umtauch von gebündelten Bezugrechten ist für Liquidität und Handlungsfreiheit unbedingt erforderlich.
  • Wir nutzen unser Geld und unsere Privilegien, um unsere Pöppel auf dem Spielbrett möglichst siegpunktbringend positionieren zu können. Das ist das Kernstück der zünftigen Straßburger Musik.
  • Jeder Spieler erhält noch eine wählbare Anzahl von individuellen Sonderaufträgen, mit denen bei Spielende bestimmte Kombinationen von Pöppel-Positionen auf dem Spielbrett honoriert werden. Dadurch erhält der Ehrgeiz jedes Spieler ein Betätigungsfeld und es kommt eine wohldosierte Asymmetrie in die Spielerziele.

Man darf bei der Auswahl der Aufträge nicht zu gierig sein, nicht-erfüllte Aufträge werden mit Punkt-Abzug bestraft. Ein bis zwei Aufträge pro Spiel sind eine ausreichend große Herausforderung. Unsere Strategie-Kornifere hatte sich gleich drei Aufträge unter den Nagel gerissen und konnte keinen einzigen davon erfüllen. Ein Aufrag weniger und er wäre noch Vorletzter geworden.
WPG-Wertung: Günther: 8 (intelligenter Bietmechanismus), Loredana: 8 (interaktiv, man spielt ständig mit, auch in einer 5er Runde nie langweilig), Peter: 8 (ihm gefiel die Varianz der Setzziele durch die individuellen Sonderaufträge), Moritz: 8 (enthält viele gefällige Elemente), Walter: 8 (alles funktioniert in ausgezeichneter Balance)
2. “Take it or Leave it”
Zwanzig Hexa-Würfel in den Farben weiß, schwarz und rot werden in eine Schale gewürfelt und lassen dabei fast so etwas wie eine „Bluff“-Stimmung aufkommen. Doch die Vorfreude verläuft sich blitzartig wie eine offene Welle.
Reihum darf sich jeder Spieler einen Würfel aus der Schale holen und damit successive bestimmte Würfelkombinationen zusammensuchen, die er als geheimen „Auftrag“ auf der Hand hat, z.B. eine weiße Zwei und eine schwarze Vier zu besitzen, oder mit 3 Würfeln in der Summe der Augenzahlen unter 7 zu bleiben, oder mit beliebig vielen Würfeln genau 18 Punkte zu erzielen. Vier Aufträge stehen jedem Spieler pro Runde zur Auswahl; einen, höchstens zwei davon kann er davon erfüllen.
Wer – wenn die Würfel langsam ausgehen – keinen „Auftrag“ mehr erfüllen kann, paßt, und wenn alle gepaßt haben oder die Würfel alle weg sind, ist eine Runde zu Ende. Erfüllte Aufträge ergeben Pluspunkte, nicht mehr in Aufträgen untergebrachte Würfel bringen Minuspunkte und das (freiwillige) Aufnehmen von roten Würfeln wird ebenfalls mit Minuspunkten bestraft.
Eigentlich könnte man das Spiel ganz locker über die Bühne gehen lassen, doch wenn man die ausliegenden Würfel erst danach analysieren muß,

  • welche Augenzahl man unbedingt noch braucht (und welche davon nur noch selten ausliegt)
  • mit welchen der ausliegenden Würfeln welche gewünschten Würfelkombinationen sich am häufigsten und deshalb am sichersten realisieren lassen.
  • auf welche Würfel bzw. Würfelkombinationen die Mitspieler spekulieren könnten.
  • und was man sich sonst noch alles zusammenreimen kann.

dann ist die Lockerheit schnell dahin. Der Rest ist dröge. Und weil eine Spielerrunde am Westpark ohne diese Analysiererei nicht leben kann, ist “Take it or Leave it” – zumindest in unserem Kreis – dröge.
WPG-Wertung: Günther: 6 (locker und einfach), Loredana: 5 (ein Kinderspiel. Mit Kindern würde es vielleicht besser gefallen), Peter: 6 (Ich könnte es nochmals spielen), Moritz: 6 (das Spiel ist nicht broken), Walter: 6 (ein Semi-Absacker)
3. “Skull & Roses”
In irgendeinem Spielegremium wird behauptet, dieses Spiel sei ein würdiger Nachfolger von „Bluff“. Entsprechend hoch waren unsere Erwartungen.

Jeder Spieler bekommt ein Set von vier „Bierdeckeln“ mit drei Rosen und einem Totenkopf. Daraus wählt jeder geheim einen seiner Deckel aus und legt ihn verdeckt vor sich hin, also entweder eine Rose oder den Totenkopf.
Moritz wollte von dieser Startaufstellung ausgehend unter der Bluff-Hypothese gleich auf die gesamten Spielregeln schließen: „Jeder nennt jetzt eine Zahl, wielviele Totenköpfe ingesamt ausliegen.“ Doch so billig geht es dann doch nicht. Wer am Zug ist, hat jetzt jeweils eine Entscheidungsalternative: Entweder legt er einen weiteren Bierdeckel verdeckt vor sich hin, oder er beginnt eine „Challenge“, d.h. er nennt eine Zahl, das ist die Anzahl von Rosen-Bierdeckeln, die er von den verdeckt auf dem Tisch liegenden Bierdeckeln aufdecken kann, ohne einen einzigen Totenkopf zu erwischen. Dabei muß er das Umdrehen mit seinen eigenen Bierdeckeln anfangen, er darf also keinen Totenkopf in seinem Stapel haben. Reihum kann jetzt jeder diese Zahl erhöhen oder passen. Gewinnt ein Spieler die Challenge, so ist das der halbe Weg zu seinem Sieg, d.h. nach zwei gewonnenen Challenges ist er Sieger. Verliert ein Spieler die Challenge, muß er einen Bierdeckel abgeben; nach vier verlorenen Challenges scheider er aus.
Es wurde viel gelacht, besonders wenn die Challenges verloren gingen. Deren waren es viele, sonst wäre das Spiel ja im Nu zu Ende gewesen. Trivial-Tipp zur Taktik: „Lege als erstes immer den Totenkopf heraus, und lasse Deine Konkurrenten die Challenges verlieren!“ (Dieser Tipp ist natürlich Kappes.) Doch auch wenn es nicht ganz so trivial zugeht, kann “Skull & Roses” dem „Bluff“ nicht das Wasser reichen. Es gibt keine Steigerung, kein Nachwürfeln, kein Reinreißen des gutgläubigen Nachbarn, kein taktisches oder unerläßliches Nachwürfeln und das sogenannte Bluffen beschränkt sich auf die 50:50 Entscheidung, einen Totenkopf oder eine Rose herauszulegen.
Wer als erster nur noch einen Totenkopf-Bierdeckel in der Hand hält, kann nicht mehr gewinnen, aber er muß noch mitspielen und dabei dem langweiligen Kampf zuschauen, wie auch die übrigen Mitspieler langsam ihre Bierdeckel verlieren oder wie einer hoffentlich seine zweite Challenge gewinnt. Zäh!
WPG-Wertung: Günther: 7 (immerhin hat es die Spielbox empfohlen), Loredana: 2 (fürs Lachen am Anfang), Peter: 3 (mit Tendenz in Richtung 1), Moritz: 6 (schließlich wurde er Zweiter), Walter: 3 (der Anfang scheint lustig, das Ende ist zäh).
4. “Bluff”
„Endlich“! Ein richtiger Absacker nach den zwei Pseudo-Absackern. Peter stand im 1:1-Endspiel gegen Günther und sinnierte signifikant lange über seine erste Vorgabe. Günther schloß sofort daraus, dass Peter einen problematischen Wurf haben mußte: Entweder eine Eins oder einen Stern. Trotzig (oder warum auch immer) setzte Peter auf Günthers Loser-Strategie und fing mit 1 mal Fünf an. Günther hob ohne Zögern auf 2 mal Fünf und Peter blieb nur noch der Verzweiflungsversuch: 2 mal Stern. Ohne Erfolg. Wie leicht hätte er diesen Kampf mit Walters Immer-4-Strategie gewinnen können!
Derweilen kündigte Moritz für die zweite Runde eine „neue Strategie“ an. Später verriet er, dass es eine Immer-3-Startspielerstrategie gewesen wäre. Er konnte die Wirksamkeit dieser Strategie leider nicht nachweisen, denn er wurde alle seine Würfel los, bevor er auch nur ein einziges Mal Startspieler geworden war.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.